Nie wieder China (mit eigenem Fahrzeug)

Führerschein für China

Drei Tage lang gültig: Unser chinesischer Führerschein © emmenreiter.de

Wie ätzend

6. September 2016. An unserem letzten Abend in China falle ich nach zehn Stunden auf der Emme erledigt auf`s harte Hotelbett in Tashkurgan. „Wie soll ich später bloß diese Woche in China beschreiben…“ denke ich laut. „Schreib ruhig, wie ätzend es ist!“ platzt es aus Micha heraus.

„Today they changed the rules.“

Torugartpass, 1. September, morgens um 10:54 Uhr. Unser uigurischer Begleiter Abdul wartet bereits am chinesischen Grenztor, als wir pünktlich dort anhalten. „Nice to see you again„, begrüßt er uns zügig und verschwindet dann im Wagen mit Fahrer. Brav folgen wir unserem Begleitauto – sechs Kilometer bis zum ersten Checkposten, wo junge Soldaten Papiere und Gepäck kontrollieren. Nach rund 70 Kilometern entlang an dunklen Bergen dann ein zweiter Checkposten: „Please show them your passports.“, bittet uns Abdul. Weitere 35 Kilometer später halten wir vor einem Gelände, auf dem die eigentliche Grenzabfertigung stattfindet. Abdul lässt uns stehen und schweigt.
Nach ungefähr einer Stunde tut sich endlich etwas. Die Herren der Quarantäne haben ihre Mittagspause beendet und setzen nun einen lustigen Automaten auf unsere Motorräder an. Nachdem dieser die eingestaubten Emmen mit einer wasserähnlichen Flüssigkeit betröpfelt hat, dürfen wir hundert Meter bis auf das eingezäunte Gelände der Immigration weiterrollen. Der soeben ausgestellte Quarantänezettel ist die Eintrittskarte.
Wir betreten das Immigrationsgebäude und sofort hält uns eine Uniformierte ein elektrisches Fieberthermometer zwischen die Augen. Dann scannt man unsere Reisepässe ein und stempelt die Visa ab. Ein Zöllner durchwühlt nochmals unsere Taschen. „Sind wir fertig hier?“ fragen wir Abdul hoffnungsvoll, der nur mit uns spricht, wenn wir ihn etwas fragen oder etwas von uns verlangt wird. „Today they changed the rules,“ lautet seine Antwort. Das hört sich schlecht an. Ausländische Fahrzeuge müssten an der Grenze ab sofort auch fotografiert werden. Erst dann dürfe der Zoll sie freigeben, so Abduls Erklärung. Dass es dafür heute Nachmittag schon zu spät sei, war natürlich klar. Der Zoll zwingt uns tatsächlich, die Emmen kostenpflichtig auf dem Gelände abzustellen. Wir stopfen kopfschüttelnd möglichst viel Gepäck in unseren Begleitwagen und fahren darin nach Kaschgar nur noch 60 Kilometer trennen uns vom Hotel. Bevor wir dort ankommen können, stehen wir am Stadtrand noch über zwei Stunden lang im Stau. Abdul macht sich gar nicht erst die Mühe, uns darüber aufzuklären, das jedes Fahrzeug, das nach Kaschgar einfährt, standardmäßig durch eine Sicherheitskontrolle muss.

Ankunft in Kaschgar City

Kaschgar ist nach wie vor mehrheitlich von Uiguren bewohnt – eine muslimische Volksgruppe mit mongolischem und türkischem Hintergrund. Allerdings werden ihre ursprünglichen Stadtgebiete im Auftrag der chinesischen Regierung seit Jahren abgerissen, um Hochhäuser zu errichten. An den Straßenrändern sind alte und mit herrlichen Schnitzereien verzierte Holztüren und Fensterrahmen aufgereiht, die aus den staubigen Ruinen gerettet wurden.
Wir nähern uns auf langen, dreispurigen Straßen dem Zentrum der Stadt. Große chinesische Schriftzeichen prangen an unschönen Neubauten. Die berühmte Seidenstraßenstätte ist in wenigen Jahren planmäßig zu einer City herangewachsen, die an großen Kreuzungen von chinesischen Panzern und Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag überwacht wird. An jeder Ecke entdecken wir Videokameras.
Wir steigen am Hotel aus und die Sonne verschwindet gerade langsam hinter den hohen Häusern. Leckere Gerüche von Gewürzen und Essen strömen in unsere Nasen. Wir sind froh, dass kleine Krämerläden, Gemüsestände und Garküchen noch nicht vollständig verdrängt wurden.

Geburtstag auf dem Viehmarkt

Am nächsten Tag befreien wir nach langem Warten auf irgendwelche Zettel endlich die Motorräder aus dem Zoll. Danach lässt uns Begleiter Abdul erstmal in Ruhe, denn die chinesischen Behörden haben Wochenende.
Es ist Sonntag, der 4. September. Micha hat Geburtstag und er wünscht sich einen Ausflug auf den berühmten Viehmarkt, wie ihn die Uiguren seit weit über tausend Jahren stattfinden lassen. Der Platz dafür befindet sich am nordöstlichen Rand von Kaschgar. Hier wartet ein sonniger, herrlicher Vormittag auf uns – voller Gewusel und Staub, röhrender Kamele, riesiger Yaks, meckernder Ziegen, blökender Schafen und schnaubender Ochsen. Wir beobachten die traditionell schwarz-weiß gekleideten Männer mit ihren viereckigen Kappen auf dem Kopf beim Handeln. Dabei müssen wir ordentlich aufpassen, dass wir nicht in die Scheiße treten, von Hörnern gepiekst werden oder die Vierbeiner auf unsere Zehen trampeln.
Am Rande des Geschehens hängt frisch geschlachtetes Vieh zum Verkauf aus. Wir hören das Geräusch der funkenschlagenden Schleifsteine, auf denen die Fleischer ihre Messer schärfen. Dazwischen steigt überall Dampf aus dunklen Garküchen in den Himmel. An kleinen Holztischen stärken sich die Männer nach einem hoffentlich guten Viehgeschäft mit gebratenen Fleischspießen, gefüllten Teigtaschen oder ihrem Leibgericht Laghman. „Genau so hab ich mir das vorgestellt!“ freut sich Micha über die volle Dosis Alltagskultur und verschwindet mit dem Fotoapparat für eine Weile zwischen Kamelen und Yaks.

Laminiertes Souvenir

Montagmorgen um 7 Uhr. Ein Klopfen reißt uns aus dem Schlaf. Vor der Hotelzimmertür stehen ein junger Uigure und ein junger Chinese: „Good morning, Mister. We need to pick up your driving permits.“ Abdul hat sie geschickt und uns nicht vorgewarnt.
Nicht gerade gut gelaunt ziehen wir uns an und steigen auf die Motorräder. Wir folgen dem Auto, das uns fast fünfzig Kilometer in irgendeine Kleinstadt entführt. Dort halten wir auf einem Hof an, der dem einer Hinterhofwerkstatt ähnelt. Hier warten wir, solange irgendwer mal wieder die Daten unserer Motorräder prüft. Danach heißt es, weiterfahren – zum nächsten Verwaltungskomplex. Dann wieder warten – draußen in der Hitze. Hoffentlich erledigt sich der heutige Papierkram noch vor der amtlichen Mittagspause!
Nach einer weiteren Stunde kommt der junge Chinese mit einem Umschlag aus der Behörde zurück. Freundlich und sichtlich erleichtert überreicht er uns chinesische Nummernschilder und die temporären Führerscheine – so viel Aufwand für ein laminiertes Souvenir, das gerade mal drei Tage gültig ist! Übrigens hat uns diese Woche China wegen des bürokratischen Wahnsinns fast halb so viel gekostet wie die ganze bisherige Reise (20 Wochen).

Tashkurgan: Nur noch einmal schlafen

Wir sind in Tashkurgan, dem letzten Ort vor dem Khunjerabpass, der uns nach Pakistan führt. Über zehn Stunden lang waren wir heute für nicht mal 300 Kilometer von Kaschgar bis hierher unterwegs. Da der Karakorum-Highway auf chinesischer Seite momentan erneuert wird, sind wir davon 70 Kilometer lang abwechselnd über eine staubige und modderige Offroadpiste geeiert. An vier  Kontrollstationen mussten wir uns in die Warteschlange einreihen. Irgendwann hatten wir einfach keinen Bock mehr.
Ich erkenne Tashkurgan kaum wieder. Vor acht Jahren war da eine kleine Stadt in der schönen Landschaft des Karakorumgebirges, bewohnt von Tadschiken in traditioneller Kleidung. Es gab nur ein einziges Hotel. Heute führen neue und viel zu breite Straßen in den Ort hinein, der einst durch eine alte, hohe Steinmauer eingegrenzt war. Dabei passiert man abstoßende Gebäude aus Beton. Micha und ich sind enttäuscht – Tashkurgan ist zu einer geschmacklosen Stadt verschandelt worden. Die alte Seidenstraße hat man gnadenlos wegasphaltiert.
„Morgen sind wir endlich in Pakistan!“, nuschel ich erleichtert vor mich hin und schlafe abends nach dem zähen Emmenritt sofort ein. Bevor wir China am nächsten Morgen verlassen dürfen, müssen wir auf dem Grenzgelände in Tashkurgan noch eine letzte Gepäckkontrolle über uns ergehen lassen. Danach warten wir draußen auf dem großen Betonhof in der heißen Sonne darauf, dass wir zusammen mit mehreren pakistanischen Bussen die Stadt im Konvoi verlassen dürfen. Erst als alle Passagiere ihre unzähligen Koffer, Kartons, Säcke, riesigen Gepäckbündel und sogar ein Moped im bzw. am Bus verstaut und verzurrt haben, händigt uns ein Grenzbeamter endlich die Pässe zur Weiterreise aus. Da wir und einige andere Fahrzeuge noch an der Tankstelle halten müssen, kommt der Konvoi bereits nach wenigen Minuten ins Stocken und löst sich schon wieder auf. Mit uns wartet eine große Traube einheimischer Auto- und Mopedfahrer darauf, die Tanksäulen anzufahren, die in Westchina mit einer Zufahrtsschranke kontrolliert werden. Außerdem dürfen sich Motorräder dem Zapfhahn nicht direkt, sondern nur bis auf einige Meter nähern. Das Benzin muss in einer Metallkanne zum Motorrad getragen werden.
Die wartende Menge an der Tankstelle wird langsam unruhig, denn die Schranken bleiben längere Zeit geschlossen. Einige Motorradfahrer trauen sich, die Schranke zu umfahren. Wir fahren hinterher und mischen uns unter dieses Chaos. Männer mit Kanistern bedrängen den Tankwart. Mangels Kannen bringen wir unseren eigenen Kanister an die Zapfsäule und schupsen mit. Als wir endlich an der Reihe sind, weist uns der Tankwart zurück. Kanister aus Kunststoff seien verboten, gibt er uns zu verstehen.
Micha ist ganz kurz davor, auszuflippen. Wir wollen doch nur Benzin und dann weg hier! Ein alter Mann leiht uns freundlichster Weise seinen Metallkanister, als er unsere Verzweiflung sieht. Endlich vollgetankt hält uns dann nichts mehr auf: Mit Karacho treiben wir die Emmen hinauf auf die höchste Landesgrenze der Welt. Nur noch eine letzte chinesische Absperrung am Pass blockiert den Weg in die Freiheit – wenige Zentimeter vor Pakistan. Der chinesische Soldat will natürlich auch nochmal unsere Pässe kontrollieren, das vierte Mal heute. „Ich schwör` dir: Wenn der jetzt verlangt, dass ich  für irgendeine Kontrolle absteige, geb` ich Vollgas.“, brodelt es in mir. Als er uns durchwinkt, höre ich hinter mir Michas Freudenschrei durch die kalte dünne Höhenluft auf über 4.700 Metern hallen: „Pakistan Sindabad!“ – Hoch lebe Pakistan!

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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