Tika, Bindi und Hakenkreuz

Tika

Indische Stadtromantik in Bundi und Udaipur

Nur noch vier Etappen bis zum Strand! In den nächsten beiden Städten – Bundi und Udaipur – kommen wir noch einmal in den Genuss indischen Stadtlebens. Keine Molochs, sondern fast romantische Orte mit einem uralten Palast als Markenzeichen. In den Altstädten von Bundi und Udaipur winden sich enge, verwinkelte Gassen durch marode, belebte Wohnhäuser mit terrassenähnlichen Flachdächern und kleinen Läden im Erdgeschoss. Mager gebaute Obst- und Gemüsehändler fahren barfuß ihre Karren durch die Straßen. Honda Heros, Fahrradfahrer und Mopedrikschas fahren im sportlichen Slalom durch die Menschen.
Die Fahrten bis nach Bundi und Udaipur verliefen reibungslos auf meist neuen, breiten und wenig befahrenen Straßen. Welch ein Segen. Selbst die kleinen Nebenstraßen sind oft gut asphaltiert. Wir probieren das erste Mal einen Highway – Nummer 76 – aus und sind erstaunt über so wenig Verkehr. Kaum ein LKW, kaum ein bekloppter Bus. Mit genügend Geisterfahrern und Ziegenherden auf der Fahrbahn ist trotzdem zu rechnen. In beiden Städten beziehen wir ein Zimmer in einem etwa zweihundert Jahre alten, renovierten Wohnhaus, in dem die Familie unbewohnte Zimmer an Reisende wie uns vermietet. Vom Dach aus können wir auf die belebten Nachbardächer der Umgebung spähen. Es ist Sonntagvormittag und die Kinder spielen mit einem ausgestopften Socken Ball. Ihre Mütter sitzen am Türrahmen gelehnt und schälen Gemüse. Die bunte, frische Wäsche hängt bereits über dem Geländer in der Sonne. Der Hausherr liest im Schneidersitz seine Zeitung.
In Udaipur gehen wir auf dem riesigen Palastgelände, das an einem See liegt, spazieren. Auch zu sehen im Bond-Film Octopussy. Hinterher machen wir noch eine Tour durch die schmalen Gänge, marmornen Innenhöfe und verspiegelten Zimmer des größten Palastes in Rajastan. Maharaja Udai Singh II hatte diesen Herrscherkomplex und die Stadt darum Mitte des sechzehnten Jahrhunderts erbauen lassen. Palast, See, Gassen, Tempel… All das macht Udaipur wirklich charmant.

Champaner: Mit den Pilgern zum Kalika Mata

Wir fangen an, unter der Motorradkluft zu schwitzen. Mit jedem Kilometer weiter südlich wird die Luft spürbar wärmer und feuchter. Als wir das Dorf Champaner erreichen, flüchten wir gleich auf den Pavagadhhügel, wo wir ein staatliches Hotel beziehen. Von hier genießen wir die Ruhe und einen entspannenden Ausblick auf Champaner im Tal. Nur der große Ventilator an der Decke macht seine Geräusche. Ja, es ist wieder Zeit für Ventilatoren, denken wir. Die angenehme Frische des Nordens ist passè. Und in Deutschland stellt man jetzt an der Heizung rum.
Die Umgebung außerhalb des begrünten Hotelgeländes ist leider unglaublich zugemüllt. Es stinkt. In den Bäumen hüpfen die Languraffen umher: hübsche, braun-graue Tiere mit dunklen, scheuen Gesichtern und einem meterlangen, eleganten Affenschwanz. Wir bestellen im einfachen Hotelrestaurant unser Abendessen. Serviert wird rein vegetarisch. Dass heißt, hier werden auch keine Eier verspeist. Wir müssen also zum Frühstück am nächsten Morgen auf unser geliebtes Omelett zwischen zwei Chapatis verzichten.
Champaner gehört zum Unesco Weltkkulturerbe. Auf der Spitze des Vulkanhügels Pavagadh in achthundert Metern Höhe befindet sich der Kalika Mata Tempel – eine beliebte Pilgerstätte der Hindus, die etwa drei Stunden brauchen, um nach oben zu wandern. Unzählige Menschen kommen jeden Tag hierher. Außer uns sehen wir keine anderen Ausländer. Als stille Beobachter sehen wir uns das Pilgertreiben an. Wir nehmen die bequemere Variante hoch zum Tempel: Aus einer Schweizer Seilbahn können wir den bunten Pilgerzug von oben sehen. Familien und ganze Schulklassen laufen auf dem antik gepflasterten Tempelpfad und über kleine Treppen nach oben. Am Wegesrand sehen wir mit alten Planen und Sackstoffen überdachte Stände, an denen die Pilger halt machen können. Ich frage mich, ob indische Seilbahnen genauso gründlich gewartet werden, wie in der Schweiz. Vertrauenssache. Wir steigen heil angekommen oben aus und auf dem Plateau geht es zu wie auf einem kleinen Rummelplatz. Entspannte Pilger tummeln sich an Souvenir- und Essständen vorbei und stellen sich weiter hinten auf der langen Tempeltreppe in eine Schlange, die hoch zum Kalika Mata Tempel auf die Hügelspitze führt. Auf den Souvenirs und dem Steinfußboden begegnet uns überall das Hakenkreuz bzw. das Sonnenrad, das die Inder als religiöses Symbol für Wissen, Glück und Wohlstand verehren. Sie nennen es Swastika und als Sonnenzeichen soll es das Bewusstsein erleuchten und Licht in das Dunkel des Unwissenden bringen.
Wir reihen uns mit in die Pilgerschlange ein, ziehen wie alle anderen die Sandalen aus, als wir den heiligen Tempel erreichen. Wir können von oben aus die weite, friedliche Landschaft überblicken. Und die Hindus dabei beobachten, wie sie ihre Götter verehren und ihre heilige Gabe entgegen nehmen: Jeder Pilger bekommt eine Kokusnuss und Puffreis mit auf den Weg. Und natürlich ein Tika – die religiöse Markierung aus rotem Pulver (Kumkum) zwischen den Augenbrauen. Sie segnet den Hindu am Abschluss einer Zeremonie und symbolisiert die Öffnung seines sog. dritten Auges – das Zentrum des klugen Geistes. Der rote Punkt zwischen den Augen, den jede verheiratetet Hindufrau trägt, nennt man übrigens Bindi. Es soll sie und ihren Ehemann beschützen. Das Bindi – entweder mit Pulver gemalt oder als Aufkleber – wird heutzutage auch von Mädchen und unverheirateten Inderinnen als Schmuckstück getragen.

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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