Mongolei: Zwischen Sonne und Schatten

Sonne und Schatten in der Mitte der Mongolei © emmenreiter.de

Sonne und Schatten in der Mitte der Mongolei © emmenreiter.de

Sonne in Ulan Bator

29. April 2017. In Ulan Bator scheint die Sonne. Ziemlich grell sogar. Kein Wunder, die Mongolei hat im Jahr angeblich 260 Tage blauen Himmel zu bieten. Es weht ein kühler Wind, als wir zusammen mit wenigen anderen Leuten aus dem unscheinbaren Gebäude des “Chinggis Khaan”-Flughafens an die frische Luft treten. Das Gelände ist alles andere als schick. Sogar hier kreuzen sich Schotter- und Sandwege. In der Mongolei ist die Steppe immer nur einen Steinwurf entfernt.
Der Taxifahrer fährt uns wie ein wilder Hengst zum Hotel. An uns vorbei ziehen die bunt durcheinander gewürfelten Gebäudearten von UB (Ju Bie), wie viele Mongolen ihre Hauptstadt heute weltmännisch nennen: ein Kraftwerkmonster, neue und marode Wohnblöcke, flache Baracken, zweckmäßige Läden und Restaurants, verglaste Bürohäuser und sogar Jurten ­– kaum sichtbar hinter hohen, blickdichten Zäunen. Diese Stadt hat immer noch genügend sowjetischen Charme. Eine Fabrik versprüht den Duft von frischem Brot. An der Ampelkreuzung stechen zwei ältere Mongolinnen durch ihre traditionelle Kleidung aus den Fußgängern heraus. Die kräftigen Farben ihrer hochgeschlossenen, knöchellangen Seidenmäntel schimmern im Sonnenlicht. Die Frauen wirken darin, trotz ihrer wenig zierlichen Statur, so anmutig und elegant.

Zentralmongolei: Auf Mustangs in die Steppe

Um die Weite der Mongolei zu erfahren, steigen wir auf chinesische Motorräder um: zwei Mustang Shineray, 150 ccm. Viele Nomaden reiten darauf ebenfalls durch die Steppe. Jedenfalls werden wir in den nächsten vier Wochen mehr Mongolen auf einem klapprigen Motorrad, als auf dem Pferd sehen. In Ulan Bator steigt dagegen niemand auf ein Motorrad. Die Stadt wimmelt von Toyota Prius. Der Autoverkehr hat hier in den letzten Jahren so weit zugenommen, dass ein regelmäßiges Fahrverbot verhängt wurde: Je nach Endziffer auf dem Kennzeichen muss der Wagen an einem bestimmten Wochentag stehen bleiben.
Nachdem wir alle Sachen für die Steppe besorgt und beide Motorräder beim Verleiher abgeholt haben, ändert sich plötzlich das Wetter. In der kältesten Hauptstadt der Welt fällt die Tagestemperatur von fast 30 Grad gegen Null. So ein Umschwung ist normal in der Mongolei, vor allem im Übergang vom Winter zum Sommer.
Zwei Tage später satteln wir dann bei Sonne und angenehmen 13 Grad die Mustangs. Etwa 30 Kilometer hinter Ulan Bator geht die neue Asphaltstraße abrupt in eine staubige Piste über, die sich in alle möglichen Richtungen bis auf die Hügel am Horizont verzweigt. An meinem Lenker ist das Smartphone mit der Navi-App befestigt. Ich frage mich, wie hilfreich die App in der Steppe sein kann. Micha hat außerdem einen detaillierten mongolischen Straßenatlas an sein Motorrad geklemmt, der unter anderem anzeigt, wo wir sumpfiges oder sandiges Gelände zu erwarten haben.
Irgendwie hatte ich heute am Tag der Abfahrt mit mehr Enthusiasmus gerechnet. Immerhin haben sämtliche Reiseberichte und Reportagen ein gigantisches Bild in unsere Köpfe gemalt – von der endlosen Weite der Mongolei, den freilaufenden Tierherden und hier und da auf dem Gras die weiße Jurte einer gastfreundlichen Nomadenfamilie. Stattdessen frage ich mich gerade, wie uns die Zweisamkeit in der mongolischen Steppe nach Monaten im quirligen Südostasien gefallen wird.
Um uns herum macht sich eine Landschaft breit, die von einem langen harten Winter ausgedörrt ist. Wir folgen den Fahrspuren über das armselige Grasgeflecht, das mehr ocker als grün ist, und stoßen bald auf einen kleinen Ort, dessen Sandwege kreuz und quer um die Häuser verlaufen. Hier in Altanbulag wissen wir nicht, wohin wir weiterfahren sollen. Die Mongolei hat keine Wegweiser. Autospuren dafür umso mehr. Also fahren wir nach Himmelsrichtung ­– Südwesten. Bei 360 Grad freier Fahrt muss man sich irgendwie entscheiden. Die einzigen Hindernisse, die uns ausbremsen können, sind Viehherden, Erdwälle, Gräben, tiefer Sand, Gestein oder rutschige Flussläufe. Das ist ein Paradies für Offroadfahrer – sogar auf kleinen, chinesischen Motorrädern, wenn man von der halbherzig durchgeführten Wartung absieht.

Steppe im Frühling

Am zweiten Tag streifen wir die Gobi. Harte, trockene Grasbüschel halten dem Wüstenboden stand. Wir eiern mehrere Stunden durch die weichen Spuren im Zuckersand. Mein Sitzfleisch brennt, als wir nachmittags die Tankstelle in Buren erreichen. Wie viele mongolische Steppendörfer taucht der Ort plötzlich hinter einem Hügel auf. Mit den knallbunten Dächern in orange, pink, lila, grün und blau wirken sie wie ein Spielzeugdorf auf Sand und Gras ­– und wir sind erstaunt, auf wie viele dieser Dörfer wir treffen. Immerhin leben in der ganzen Mongolei weniger Leute als in Berlin und die meisten davon, etwa 70 Prozent, in Ulan Bator und anderen Städten.
Zum Abend hin bauen wir in Sichtweite der Stromleitung, die heute die Weite durchzieht, das Zelt auf. Die Holzmasten werden uns am nächsten Tag die Richtung weisen.
Als ich morgens nach dem Aufstehen den dampfenden Frühstückstee in unsere faltbaren Plastiktassen gieße, bekommen wir Besuch aus der etwa einen Kilometer entfernten Nachbarjurte. Der ältere Mongole steigt wortlos von seinem Motorrad. Er trägt den traditionellen Mantel, den er am Bauch mit einem goldgelben Tuch umwickelt hat. Unter dem sogenannten Deel gucken seine derben Lederstiefel hervor. Ich reiche unserem Besucher den frischen Tee und er setzt sich, immer noch schweigend, zu uns ans Zelt. Zwischendurch holt er ein kleines Fernglas hervor und sucht am Horizont nach den Pferden und Schafen. Seine Aufgabe ist es, die Tiere an die beste Grasstelle zu treiben. Dass so viele mongolische Viehhirten dies nicht reitend, sondern auf dem Motorrad oder sogar im Auto machen, liegt vielleicht daran, dass die Pferde vom Winter noch zu geschwächt sind. Auf jeden Fall ist es schneller und bequemer so.  Ihr Motorrad schonen die Nomaden dagegen nicht. In der Steppe liegen trostlose Metallteile herum, die davon abgefallen sind. In den ersten Tagen zählen wir vier abgebrochene Fußbremshebel, wie er auch an unserem Modell montiert ist.
Der alte Nomade hat es nicht eilig. Wir laden ihn noch auf ein Spiegelei ein, bevor er davonfährt und wir unsere Jurte aus Ripstop-Nylon wieder im Gepäck verstauen.
Obwohl nur noch eine Minderheit der Mongolen mobile Weidewirtschaft betreibt, passieren wir mehrmals am Tag eine Jurte. Allerdings führen die Wege nur selten direkt an den Filzbehausungen vorbei. Man muss sie schon gezielt anfahren, um die Familie zu besuchen – sofern die beängstigenden Wachhunde einen heranlassen. Auch wenn man hierzulande als Gast traditionell keinen Anlass braucht, tun wir uns schwer damit, grundlos an einer Jurte aufzutauchen. Was uns dazu noch verwirrt, sind die ernsten Gesichter der Einheimischen, denen wir in der Steppe begegnen. Nicht selten bleibt unser Winken und Grüßen unerwidert.
Auf dem Weg zum buddhistischen Bergkloster Töwchön Chiid weckt uns in der Frühe das genüssliche Grunzen einer Yakherde, die grasend an unserem Zelt vorbeizieht. Wir kriechen nach draußen, begrüßen unsere friedlichen Besucher, waschen uns mit dem eisigen Flusswasser den Schlaf aus den Augen und genießen den sonnigen, windstillen Morgen. Ich liebe das Geräusch der zischenden Flamme am Campingkocher – sie sagt mir, dass es gleich duftenden Kaffee und leckeres Spiegelei gibt. Als wir später weiterfahren wollen, suhlt sich eine trächtige Yakkuh auf dem Boden und bringt vor unseren staunenden Augen ihr Kalb zur Welt. Die ganze Steppe ist derzeit voller Tierkinder. Fohlen, Kälber, Lämmer und Zicklein springen mit ihren langen dünnen Beinen ungehalten umher und versuchen, sich hinter ihren Müttern zu verstecken, wenn sie sich vor unseren Mopeds erschrecken.
Ab Töwchön Chiid folgen wir dem Orchon-Fluss auf nördlicher Seite nach Karakorum – zu den Tempeln und Überresten der Hauptstadt des einstigen mongolischen Imperiums. Irgendwo müssen wir den Fluss überqueren, um die Stätte zu erreichen. Wir suchen eine Jurte auf, um nach der nächsten Brücke zu fragen. Nachdem wir uns mit den beiden Frauen und drei Männern dank Zettel und Stift über den besten Weg beraten haben, bitten sie uns noch auf eine Schale frischen Joghurts herein. Ihre Jurte ist pragmatisch eingerichtet. Neben dem Ofen in der Mitte steht ein kleiner Tisch mit Holzhockern auf dem mit Linolium ausgelegten Boden. Ringsum am Rand verteilen sich drei Betten. Dazwischen stehen ein Kühlschrank und eine Kommode – bestückt mit kleinem Flachbildschirm, Bildern und Abzeichen als das einzig dekorative in der Behausung. Strom kommt vom Solarkollektor.
Nach drei Tagen in Karakorum, wo wir in einem Jurtencamp gewohnt haben, treffen wir bei der Weiterreise zur Abwechslung auf Asphalt. Trotz Wind von vorn düsen wir mit 70 km/h im Augenschein der Greifvögel dem Weißen See – Terkhiin Tsagaan Nuur – entgegen. Als wir eine Pause am Straßenrand machen, halten auch zwei jugendliche Mongolen im Deel mit ihrem Motorrad an, um uns zu grüßen. Nachdem wir unser Obst und Süßigkeiten mit ihnen geteilt haben, fahren sie ungewohnt fröhlich und winkend weiter. Leider merke ich auch gleich den Grund dafür. Als ich zurück auf mein Motorrad steige, sehe ich nämlich, dass das Smartphone nicht mehr am Lenker steckt. Da sind die beiden Diebe allerdings schon über alle Steppenhügel verschwunden.

Terkhiin Tsagaan Nuur: Holzofenzeit am weißen See

An einem dunklen Vulkan vorbei holpern wir über eine ruppige Piste bis ans nördliche Ufer des Terkhiin Tsagaan Nuur. Der See ist zugefroren – eine weite weiße Fläche, die nur am Rand von blau schimmerndem Wasser eingeschlossen ist. Wir ziehen in eine der einfachen Jurten am Ufer ein, die das Ehepaar Batbold und Jargal außerhalb des Winters vermietet. Ihr vierjähriger Enkelsohn Annand läuft mit tiefroten Wangen bei Wind und Wetter spielend um die Jurten herum.
In unserem neuen Zuhause auf Zeit wird das Wasser aus dem See geholt und abends bringt ein Generator für ein paar Stunden die Glühlampe im kleinen Holzhaus zum Leuchten. Dort befindet sich Jargals gemütliche Küche. Hier kocht sie über zwei kleinen Holzöfen. In einem Tuch auf dem Fußboden unter dem Regal liegt ein riesiges Stück Yakfleisch. An unserem ersten Abend hat sie daraus leckerstes Gulasch mit Reis, geröstete Kartoffelstreifen und Möhrensalat für uns zubereitet.
Wir sprechen leider keine gemeinsame Sprache, aber die liebevolle Art, die Jargal und ihr Mann ausstrahlen, braucht keine Worte. Wir beschließen schnell, ein paar Tage bei ihnen zu verweilen. In der Zwischenzeit schlägt mal wieder das Wetter um. Ein dicke Wolkenschicht hat sich über den See und die Berge ringsum geschoben und sofort ist es frostig draußen. Schneeregen fällt auf unser Jurtendach. Die Hunde haben sich von außen an die Jurte gekuschelt und schneien langsam ein. Batbold bringt uns eine Kiste mit frisch gehacktem, duftendem Feuerholz und wir ziehen uns am 400. Tag unserer Asienreise an den heißen Blechofen zurück. Wir vertreiben uns diesen urgemütlichen Tag mit Tee aus der Thermoskanne und damit, regelmäßig einen neuen Scheit nachzuschieben. Micha pustet in die Ofenglut, bis das Holz knistert. Danach strömt ein neuer Wärmeschwall durch die kleine Jurte. Als kein Tageslicht mehr durch die Öffnung im Dach hereinfällt, zünden wir eine Kerze an. Am nächsten Morgen steige ich mit eiskalter Nasenspitze aus dem Schlafsack und trete gebückt durch die kleine Holztür nach draußen. Motorräder und Steppe sind eingeschneit. Bibbernd husche ich den langen Weg zum Plumpsklo. In Jargals Küche qualmt bereits das Ofenrohr und dampfende Schalen mit Milchtee und Milchreis warten auf uns.

Nordwärts zum Chöwsgöl Nuur

Nach vier stillen Tagen am weißen See nehmen wir Kurs auf Norden. Das Gras entlang am tiefblauen Ider-Fluss ist saftig grün. Wir müssen unsere Vorräte auffüllen und machen einen Stopp in Dschargalant. Das Dorf ist malerisch gelegen. Seine kleinen Häusersiedlungen sind in Rechtecken aufgereiht und durch Holzzäune ordentlich abgesteckt. Vor den drei kleinen Läden in der Dorfmitte lungern betrunkene Männer herum. Während Micha draußen an den Motorrädern wartet, erledige ich den üblichen Einkauf: Trinkwasser, Brot, Eier, Kekse, Wurst, Nudeln und russische Gemüsesoße im Glas. Die wankenden Mongolen sind mir brabbelnd in den Laden gefolgt und starren zusammen auf mein Geld, als ich bezahle.
Je weiter wir nach Norden vordringen, desto bergiger und waldiger wird die Mongolei. Die Pisten bis zur Kleinstadt Mörön führen uns gleich über mehrere Pässe und die Mustangs reiten artig über alle Untergründe hinweg. Ich bin außerdem begeistert von der Navi-App, die viele der Autospuren im Gras als Route erkennt.
Als wir am zweitgrößten See des Landes, dem Chöwsgöl Nuur, ankommen, treffen wir auch hier auf eine Eisdecke. Allerdings ist der nächste Tag mit über 30 Grad so ungewöhnlich warm, dass nachmittags nur noch unzählige filigrane Eisstückchen als glitzernder, wiegender Teppich auf dem Wasser schwimmen. Ihr zartes Klirren kündigt wahrscheinlich einen frühen Sommer an.
Der Rückweg nach Ulan Bator führt uns bald durch das weite, wunderschöne Orchon-Tal. Kurz vor Ogii Nuur müssen wir den großen Fluss noch einmal überqueren. Die einzige Brücke weit und breit ist leider eingestürzt. An der handbetriebenen Seilzugfähre ganz in der Nähe hat der Fährmann leichtes Spiel und verlangt natürlich einen unanständigen Preis von uns. Knirschend beißen wir in den sauren Apfel und ich will ihn nach der Überfahrt wenigstens zur Rede stellen. Da tobt er sofort vor Wut und lässt sich nicht beruhigen. Er entreißt meinen Zündschlüssel und schnaubend wie ein Ochse versucht er, unsere Motorräder zurück auf die Fähre zu zerren. Das Gerangel droht zu eskalieren. Irgendwann schaffen wir es, zu entkommen. Geschockt und wütend fahren wir so weit es geht weg von hier und bauen später völlig ermattet kurz vor Gurvanbulag das Zelt auf.
Zum Sonnenuntergang treibt ein Hirte auf dem Moped um uns herum seine Schafe ein. Er schlägt dabei mit einer leeren Plastikflasche auf den Lenker und scheucht die Tiere mit jauchzenden Schreien auf. Hoffentlich lässt der uns in Ruhe, denken wir. Aber natürlich stattet er unserer Jurte einen kurzen Besuch ab. Gott sei Dank versprüht er sofort eine positive Energie. Als wir später im Schlafsack liegen, hören wir nochmal ein Motorrad durch die Dunkelheit heranfahren. Jetzt hat der strahlende Hirte auch noch seine hübsche Nachbarin mitgebracht und beide überreichen uns im Schein der Taschenlampe ein Weckglas mit selbstgemachter Sahne als Schlummertrunk. Mit den Mongolen ist es ähnlich wie mit dem Wetter – mittags schlägt dir ein Sandsturm ins Gesicht und am Abend überraschen dich herrliche Sonnenstrahlen.

Mongol Els: Versunken im Wüstensand

29. Mai 2017. Trotz einer guten Nacht hat uns beim Aufstehen die Müdigkeit immer noch im Griff und wir hoffen heute auf einen weniger anstrengenden Tag. Gleich hinter Gurvanbulag ist die Piste wieder staubtrocken. Wir ahnen allerdings nicht, dass wir nun 50 Kilometer lang durch Sand reiten müssen. Die Route führt quer durch eine kleine Wüste – parallel zur Mongol Els, das flächenmäßig größte Sanddünengebiet der Mongolei. Manchmal ist der Sand so tief, dass das Hinterrad einsackt oder das Motorrad zur Seite kippt. Wütend denken wir ans Umkehren, aber da haben wir uns schon durch ein Drittel der Strecke gequält. Es ist schweißtreibend in den Motorradklamotten. „Ich habe Zuckersand schon als Kind auf dem Fahrrad verflucht!“ platzt die Anstrengung aus mir heraus. Wir treiben die Mustangs weiter vorwärts – solange, bis die Wüste plötzlich auf einen mit saftig grünem Gras umgebenen See trifft. Wir sehen in der Ferne Kamele über das Wasser laufen. Das könnte eine Fata Morgana sein. Hinter diesem herrlichen Grünstreifen, der tatsächlich da ist, lassen wir uns direkt an einer großen Düne in einem Jurtencamp nieder. Es ist, als hätten wir eine traumhafte Oase erreicht. Micha steigt aus seinen Motorradstiefeln und rennt wie ein kleiner Junge barfuß über die bizarren Sandberge. Mir sind die Dünen heute scheißegal. Ich bin erschöpft.
An dem Abend, bevor wir die letzten 280 Kilometer auf Asphalt nach Ulan Bator zurückfahren wollen, stellen wir fest, dass Michas Motorrad endgültig seinen Geist aufgegeben hat. Seitdem wir in der Steppe unterwegs sind, ist der Motor immer wieder schlecht angesprungen. Alle technischen Versuche, das Ding zu starten, laufen heute ins Leere. Selbst die beiden mongolischen Mechaniker, die sich ehrgeizig daran versuchen, scheitern. Micha stellt fest, dass das Öl im Motor nach Benzin riecht. Es muss irgendwo ein Leck am Kolben sein. Wir entscheiden uns dafür, gleich beide Mustangs auf einen Laster zu verfrachten. Die hilfsbereite Chefin des Camps telefoniert im nächsten Dorf herum und findet am späten Nachmittag schließlich Leute, die auf dem Weg in die Hauptstadt sind und uns mitnehmen würden.
Wir sind froh, als alles im kleinen LKW verstaut ist und wir beide ins Auto steigen, das dem Lastwagen folgt. Nach einer halben Stunde biegt der Tross aus drei Männern, drei Damen und unsereins von der Asphaltstraße in die Steppe ab, um noch zwei Schafe zwischen die Motorräder zu stopfen. Vorher saugt einer der Männer das Benzin aus meinem Motorradtank ab. Ansonsten würden später die Schafe angeblich nicht schmecken. Ich habe von Anfang an kein gutes Gefühl mit diesen Leuten und bin froh, wenn wir endlich in Ulan Bator aussteigen können.
Als wir gegen Mitternacht am Rande der Hauptstadt vor dem Hoftor des Motorradverleihers aussteigen, kritzelt einer der Bande grinsend eine Zahl in den Sand, noch bevor wir unser Gepäck und die Mustangs abladen können. Die verlangen auf einmal mehr Geld, als wir per Handschlag vereinbart hatten. Die Chefin des Motorradverleihs versucht, dagegen zu halten. Sofort entflammt ein lautstarker Streit auf Mongolisch. „Die werden nicht verschwinden, bevor sie das Geld haben!“, sagt sie irgendwann. In den letzten Jahren sei es regelrecht zum Volkssport geworden, auf diese Weise Geld zu erpressen.

Am Abend des 5. Junis verlassen wir die Mongolei mit gemischten Gefühlen. Trotz enttäuschender Momente sind wir froh darüber, das Land authentisch erlebt zu haben. Jetzt sitzen wir im Zug nach Sibirien, haben genug Zeit, alles wirken zu lassen und an die schönsten Momente zu denken.

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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11 Gedanken zu “Mongolei: Zwischen Sonne und Schatten

  1. Schöne Bilder aus meiner Heimat und guter Text. Allerdings finde ich es witzig, dass einige Deutsche sofort hysterisch werden und sagen: Das Land wird mich nicht sehen etc. etc. Denkt ihr etwa vorher, dass die Menschen in einem „exotischen“, aber „unterentwickelten“ Land alle nett, freundlich und lieb sind? Trinkt in Russland wirklich jeder Wodka? Trägt in Deutschland jeder eine Lederhose? ist in Deutschland jeder so pünktlich? Den einen Satz von einem Kommentar „Ich kenne nur nette Mongolen in Deutschland“ find ich auch sehr naiv. Wenn ein paar Leute nett sind, heißt es nicht gleich, dass alle Menschen aus und in dem Land nett sind. Wenn ich in Deutschland Höcke, Gauland, von Storch, Petry kennenlerne, soll ich dann alle Deutsche für Nazis/ Rechte halten? Außerdem war der Zeitraum eurer Reise gar nicht die beste Jahreszeit (eher Juni/Juli/August/Anfang September), in der Mongolei zu reisen. Naja