Geführte Touristen
31. Oktober 2016. Ein warmer, sonniger Morgen im äußersten Zipfel Indiens. Gestern haben die Hindus das Lichterfest Diwali gefeiert. Vor unserem Gasthaus wurden etliche Kerzen und Lampions aufgestellt. Sogar ein Feuerwerk knallte über Moreh. Tom, Micha und ich stehen jetzt mit den Motorrädern pünktlich vorm Schlagbaum am Ende der orange-gelb eingestaubten Straße des kleinen Grenzortes. Die üppige Landschaft da drüben gehört bereits zu Myanmar – Jahrzehnte lang hatte die verschlossene Militärdiktatur den Überlandweg von Indien nach Südostasien versperrt. Erst seit drei Jahren dürfen Ausländer wie wir diese Landesgrenze überqueren. Sofern sie wegen Anschlägen und Schießereien seitens rebellierender Gruppen gegen die Regierung und ihre Armee nicht gerade geschlossen ist – wie zuletzt vor etwa vier Wochen.
Einziger Haken ist, dass wir – nicht aus Besorgnis um uns, sondern aufgrund unserer motorisierten Reisegefährte – nur im Rahmen einer gebuchten Tour und mit staatlichem Aufpasser durch Myanmar fahren dürfen. Etwa hundert Dollar pro Tag muss jeder von uns Dreien für die Self-drive Border Crossing Tour hinblättern, die uns in zwei Wochen bis an die thailändische Grenze im Südosten des Landes bringt. Uns erscheint dieser Guidezwang auch hier sinnlos. Vor etwa einem Jahr hatten Micha und ich uns in den Flieger nach Myanmar gesetzt, zwei Motorräder in Mandalay geliehen und sind darauf drei Wochen lang ungehindert umhergekurvt – das hatte niemanden interessiert. Auf unseren Emmen müssen wir diese Freiheit nun an den Nagel hängen. Tom sieht es gelassen und freut sich: „Wir brauchen uns endlich mal um nichts zu kümmern!“
Über 71 Brücken musst du gehn
Und da kommt er nun am Schlagbaum auf uns zu: unser Touristenführer namens Kyaw – ein großes Banner von der Reiseagentur vor sich hertragend. Er ist jung, gut gelaunt, seine dunklen Haare hat er gestylt. Das schneeweiße Oberhemd, über das er den traditionellen burmesischen Wickelrock am Bauch verknotet hat, sitzt perfekt. Kyaw und zwei weitere Männer – der Fahrer des Begleitwagens sowie der Aufpasser, den die Tourismusbehörde geschickt hat – strecken uns nacheinander lächelnd ihre Hand zur Begrüßung entgegen: „Mingalaba!“
Nachdem die Einreiseformalitäten für uns erledigt wurden, fahren wir der Crew in ihrem ockerfarbenen Toyota-Van hinterher – zuerst ich, dann Micha, dann Tom. In Myanmar wird wieder rechts gefahren. Auf der Heckklappe des Vans klebt ein Sticker in Hasenform.
Als wir in der Kleinstadt Tamu hinter der Grenze anhalten, um Geld zu tauschen, ist sofort zu merken, dass wir Indien verlassen haben. Niemand drückt mehr auf die Hupe. Kein Müll an Straßenrändern und in Ecken. Restaurants und Läden wirken aufgeräumter. Die Gesichter, die uns im Vorbeifahren zulächeln, sind mit Thanaka, einer hellen Paste aus Baumrinde, bestrichen und verziert. Ein außergewöhnlicher, schöner Anblick. Viele Mädchen und Frauen tragen zudem einen Zweiteiler mit einem anschmiegsamen Oberteil und schmalem, knöchellangen Rock. Die Stoffe schimmern in kräftigen Farben. Sie wirken elegant darin.
Auf einer ruhigen Landstraße mit sagenhaften 71 kleinen Holz- und Stahlbrücken rollen wir in den Nordwesten Myanmars ein – die Welt ist hier himmelblau und saftiggrün. Wir überholen einen LKW mit einem Elefanten auf der Ladefläche, dessen großer Hintern leicht hin und her wankt. Nicht mehr lange, dann tauchen in der urwüchsigen Tropenlandschaft ringsum auch die ersten vergoldeten Pagoden auf, die nirgends authentischer wirken, als in Myanmar. Die Burmesen sind tief gläubige, konservative Buddhisten. Jedes Milligramm Gold, so scheint es, wird Buddha gewidmet.
Am ersten Abend unserer geführten Tour schrauben wir in Kalay die Alukisten von den Motorrädern und laden das Gepäck in den Van um – jede Emme ist jetzt etwa 60 Kilo leichter. Auf der zweiten Etappe merken wir allerdings sehr schnell, dass es sich unbequem fährt. Die hinteren Stoßdämpfer sind ohne das Gewicht der Koffer viel zu straff. Auf der holprigen Straße rüttelt daher jede Unebenheit an unseren Körpern. „Today we will arrive in the dark,“ bereitet uns Kyaw auf einen langen Fahrtag vor. „But the road will be very good at the end.“ Abends werden wir merken, dass sein und unser „gut“ weit auseinander liegen.
Die schwüle, warme Luft macht mich schnell müde. Nach den ersten Stunden auf der Emme würde ich am liebsten in den Van wechseln und dort vor mich hindösen. Nachmittags windet sich unsere kleine Karawane Kilometer für Kilometer durch die Berge. Die Fahrt kommt mir unaufhörlich vor. Zwischendurch überrascht uns ein riesiger doppelter Regenbogen.
Als sich so gegen halb sechs das Sonnenlicht verabschiedet, hockt mein mittlerweile tauber Hintern immer noch auf der Sitzbank. Bald höre ich, wie aus der schwarzen Luft auf einmal etliche Insekten an meiner Jacke und an meinem Visier zerschmettern. Frösche springen vor den Lichtkegel meiner Emme auf die Straße und riskieren leider, überrollt zu werden. Nach zweieinhalb Stunden in der Dunkelheit nähern wir uns den Lichtern von Monywa. Endlich absteigen, nett Abendessen und aufs Bett fallen lassen. Mit so guten Hotels, an denen wir abgeladen werden, hatten wir echt nicht gerechnet. Heute schimmert da sogar ein netter Pool, aber wir sind zu k.o., um darin zu baden.
Bitte anhalten!
Nach dem Frühstücksbuffet geht die Reise weiter. Heute bis Mandalay. Auf dem Weg dorthin hat Kyaw noch einen Abstecher zur zweitgrößten Buddha-Statue der Welt auf dem Programm – ein goldener Wolkenkratzer in Buddhaform, könnte man sagen, der schon von Weitem aus der Landschaft ragt. Andere Touristen sind an dieser heiligen Pilgerstätte kaum zu sehen.
In Mandalay und den Hotspots Bagan und Inle-See legen wir jeweils einen Tag Fahrpause ein. Das ist auch gut so. Mein wachsendes Bedürfnis, zu verweilen, kann ich kaum unterdrücken. Micha geht`s ähnlich. So schnell den Ort zu wechseln, entspricht einfach nicht unserem Reisetempo.
Wenn mal kein Motorradfahren angesagt ist, plumpsen Tom, Micha und ich in die weichen Sitze des Vans und lassen uns zu den Sehenswürdigkeiten chauffieren. Der staatliche Aufpasser – Kyaw nennt ihn schlicht the officer – ist immer mit an Bord. Still und unaufdringlich. Alle fragen sich, worüber er später berichten muss. Von dem, was Micha und Tom so aktiv bereden, versteht er jedenfalls kein Wort. Da geht`s fast immer um Autos und Motorräder. Warum unsere MZs immer noch stark qualmen und vor allem mein Motorrad schlecht läuft, bleibt allerdings ein Mysterium. Das drückt auf die Stimmung.
Am Inle-See gehört ein Bootsausflug zu unserem Touriprogramm. Bei unserem Myanmar-Urlaub vor einem Jahr wollten Micha und ich auf keinen Fall in so ein langes Holzboot steigen, das mit lautem Motorknattern und einer riesigen Wasserfontaine am Heck über den See jagt und dessen Idylle zerfetzt. Tja, und nun sitzen wir drin und düsen über das Süßwasser, das in der Sonne glitzert. Vorbei an schwimmenden Gärten geht es zur Hpaung Daw U Pagode inmitten des Sees, danach zur Silberschmiede und dann zur Lotusseiden-Weberei auf Stelzen. Auch wenn der Tourismusboom der letzten Jahre die ursprüngliche Atmosphäre vor Ort beeinträchtigt hat: Die besondere Verbundenheit der Menschen mit ihrem See ist immer noch da. Nicht jeder der berühmten Einbeinruderer ist nur zur Show auf dem Wasser.
Ein neuer Fahrtag steht an und wir folgen dem Hasenaufkleber. Den letzten Feierabend haben die Jungs damit verbracht, die Stoßdämpfer an den Emmen auf Ein-Personen-Betrieb umzustellen. Das war etwas aufwändig, da der Verstellmechanismus durch unsere speziellen Kofferträger verbaut ist. Aber nun rollen die MZs wieder deutlich komfortabler über den oft buckeligen Asphalt.
Ab und an trennt sich unsere Karawane und wir treffen unsere Begleiter irgendwo am Straßenrand wieder. Die Reise geht nun immer Richtung Süden weiter – durch die künstliche Hauptstadt Naypyidaw, nach Yangon mit seiner wunderschönen Shwedagon-Pagode und zum Kyaiktiyo, dem scheinbar schwebenden Goldfelsen. Da Motorräder in Yangon verboten sind, müssen wir die Emmen und Toms BMW auf dem Hof einer kleinen Polizeistation weit vor der Stadt zwei Nächte lang alleine lassen.
Auf unserer Fahrt durch Myanmar kommen wir immer wieder an Lastwagen mit tanzenden Leuten und gewaltigen, ohrenbetäubenden Lautsprechertürmen auf der Ladefläche vorbei. Die Musik wummert, überschreit sich schmerzhaft und ist beim Vorbeifahren trotz Helm kaum auszuhalten. Es sei die Zeit der Klosterspenden, erklärt uns Kyaw den akustischen Wahnsinn. Nach der Regenzeit bringen die Burmesen den unzähligen Mönchen körbeweise Essen, Gegenstände des alltäglichen Bedarfs und Geld vorbei. Auf dem Rückweg wird dann lautstark gefeiert. In keinem anderen Land Südostasiens sollen die Leute soviel für ihre buddhistischen Klöster hergeben wie in Myanmar. Es ist das Land des Gebens und das Land des Lächelns und mal wieder stelle ich mir die Frage, warum die Menschen hier so sind, wie sie sind.
Schattenseiten
Am letzten Abend unserer Tour drehen Tom, Micha und ich in Mawlamyine noch eine gemütliche Runde im beleuchteten Hotelpool, bevor es morgen nach Thailand rübergeht. Sorgen müssen wir uns keine mehr machen: Die neuerdings geforderten Einreisegenehmigungen für die Motorräder haben wir vor ein paar Tagen per E-Mail erhalten und alles fein säuberlich in Farbe ausgedruckt.
Als geführte Touristen hatten wir in Myanmar mehr Spaß als gedacht, auch wenn die tagelange Fahrerei schnell anstrengend wurde und ein tieferer Einblick ins Land kaum möglich war. Micha und ich sind uns einig, dass wir die Motorräder ab morgen Abend erstmal eine Weile stehen lassen. Mit dem herrlichen Gedanken an Faulenzen in Thailand legen wir uns ins große, weiche Bett und schalten die Nachttischlampe aus.
Nachts gegen zwei Uhr werde ich vom Grummeln in meinem Bauch geweckt. Micha ist da bereits im Bad verschwunden und ich kann sein Kotzgeräusch hören. Ab jetzt wechseln wir uns mit dem Gang zur Toilette ab. Als es hell wird, sind wir beide ausgelaugt. Das letzte Stück Energie habe ich eben im Klo heruntergespült. „Scheiße, ich kann heut kein Motorrad fahren!“ nuschel ich in mein Kopfkissen. Wir fragen uns, ob es Tom auch erwischt hat. Micha fasst nach dem Handy neben dem Bett, um ihm eine Nachricht zu schicken. Plötzlich bricht bei Micha der Schweiß aus. Sein Gesicht ist noch weißer als vorher, seine Augen starren geschockt und er zittert. Ich bekomme richtig Angst und gucke auf sein Telefon. „Vater gestorben“ steht da.
Die gebrochene Nachricht kommt aus der Ukraine, wo Michas Papa die letzten Jahre die meiste Zeit gelebt hat. Das kann nicht stimmen! Vor ein paar Tagen noch hatte Micha mit ihm telefoniert. Nach Kirgistan wolle er nächstes Jahr gerne reisen, sagte sein Papa da – inspiriert durch unsere Erlebnisse. Wie fremdgesteuert ziehen wir uns an, laden unten vorm Hotel die Taschen in den Van und steigen für die letzte Myanmar-Etappe auf die Emmen. Bis heute Abend müssen wir alle Gedanken beiseite schieben.
Tom hatte noch gut gefrühstückt, aber mittlerweile geht es ihm auch nicht mehr gut. Ich selbst spüre mein Fieber, die Müdigkeit und Gliederschmerzen. Nach 80 Kilometern geht`s nicht mehr: „Kyaw muss mein Motorrad übernehmen!“ stöhne ich. Und er lässt sich zum Glück nicht zweimal bitten. Ich kann mich nur noch ins Auto fallen lassen und frage mich heulend, woher Micha die Kraft nimmt, weiterzufahren. Am Nachmittag haben wir Thailand erreicht und verabschieden uns von den drei Jungs, die uns so zuverlässig und durchweg freundlich durch ihr Heimatland begleitet haben. Wir erledigen, was zu erledigen ist, und steuern gleich hinter der Grenze das Hotel in Maesot an. Schade, dass die Zeit in Myanmar so traurig endet. Am nächsten Tag steigt Micha in den Flieger, um sich zu verabschieden.
> So geht`s weiter: Timeout in Nordthailand
< Vorherige Reisegeschichte
Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad
Mein aufrichtiges Beileid. Tut mir sehr Leid, das zu lesen. nach all den tollen Zeilen und Bildern fällt es schwer im Kopf umzuschalten als Leser der Euch nicht kennt, auf diese Betrübtheit.
Viel Kraft und Energie schicke ich Euch in Gedanken.
Sascha
Hallo, Ihr 2,
Grüße aus der kalten, verschneiten Prignitz von uns beiden.
Da wir ja von Mutti immer schon vorab über eure Unternehmungen und Ereignisse informiert
werden, wissen wir ja schon einiges aus eurem Bericht. Aber es dann noch mal zu lesen, ist
etwas ganz anderes. Genießt jeden schönen Augenblick.
Heiko ist schon ganz zappelig, aber in 49 Tagen dürfen er und Lothar auch wieder Moppi
fahren und sich einstimmen, irgendwann im Frühling/Sommer euch entgegen zu fahren.
Küsschen und Drücker. Heiko und Tante Eva
Liebe Suse, lieber Michael,
nicht nur bei der Fahrt, auch in Eurer Trauer lebe ich in Gedanken mit Euch mit. Sie gehört zum Leben, und ist aber trotzdem nur schwer zu ertragen. Ich hoffe für Michael, dass er nach Abschied vom Vater zum Leben und Lieben zurückfindet.
Wir haben es 1997 auf einer Fahrt in der Türkei durchstehen müssen und konnten keinen Aschied von Jannys Vater nehmen, wir erfuhren es zu spät.
Kraft, geistige Stärke und Mut wünsche ich Euch.
janus
Liebe Emmenreiter,
tolle Bilder und schöne Texte (endlich mal wieder :-).
Und verdauungstechnisch betrachtet seid Ihr nun endlich auch angekommen in Südostasien.
Kaum zu glauben, dass schon die Hälfte der Zeit vergangen ist.
Das Erlebte zu verarbeiten dauert sicher länger. Selbst wir Vier lesen die Artikel öfter und schauen uns die Bilder immer wieder an.
Fahrradfahren ist in Südostasien derzeit auf jeden Fall die beste Option. Da seid Ihr frei! In Myanmar könntet Ihr allerdings mit Einschränkungen rechnen. Aber möglich ist es. Hoffentlich sehen wir uns in Kambodscha!!! Freuen uns schon auf Euch ☺
Uns sitzt der Schock noch in den Gliedern, nachdem wir euren interessanten Bericht bis zu Ende gelesen hatten. Mit einem großen Klos im Hals versuchen wir nun zu beschreiben, wie gespannt wir alle Details und und die schönen Fotos verfolgt haben.
Obwohl wir selbst noch nicht in Myanmar waren, haben uns andere Reisende schon davon vorgeschwärmt. Und ein paar von deren Highlights haben wir nun in eurem Blog wiedergefunden. So fühlt man sich gleich auch schon ein bisschen wie da gewesen und wird umso neugieriger. Danke für dieses Erlebnis.
Nach Myanmar müssen wir definitiv auch, nur nicht unbedingt mit Motorrad. Wir hoffen nur, dass diese ganzen Beschränkungen, die ihr auf euch nehmen musstet, nicht für Radfahrer gelten. Der Preis für eure begleitete Tour pro Tag hat uns natürlich ziemlich umgehauen. Auch dass ihr die Emmen vor den Toren von Yangun stehen lassen musstet. Darf man wenigstens mit einem ausländischen Fahrrad hinein radeln? 😉
Kopf hoch und eine gute Weiterreise auf euren Emmen!
Daumendrück. Ihr kommt da schon durch!
Meine Gedanken sind bei euch; ich fürchte, dass ich derzeit und von hier aus nicht mehr für euch tun kann.
Das Einzige, das ich euch mitgeben kann, ist die Zuversicht, dass wir uns wieder treffen.
Viel Glück, ihr könnt es brauchen!
Martin
Das mit deinem Vater tut mir sehr leid. Sei stark und tue das was du für richtig hälst.