Nepal: Steine auf der Straße im westlichen Terai

Nepal_Blockade

Von Kathmandu nach Pokhara: Die Emme zickt rum

9. April 2009 in Kathmandu. Um 11 Uhr müssen wir in der Pakistanischen Botschaft im Norden der Hauptstadt die Pässe mit den Visa entgegen nehmen. Bevor wir losknattern, laden wir alle Sachen auf die Mopeds, denn von der Botschaft aus soll es gleich weiter nach Pokhara gehen. Namasté, Kathmandu!
Mit den Pakistanvisa im Tankrucksack und zweimal 36 US Dollar leichter tanken wir noch die Emmen randvoll und reihen uns in den Verkehr auf die Ring-Road ein. Die Straße umkreist ganz Kathmandu in einem großen Bogen und im Südwesten angekommen, biegen wir auf die Landstraße nach Pokhara ab. Das Stück auf dem Ring kostet bereits anderthalb Stunden. Schuld sind volle Kreuzungen, chaotische Bushalteplätze auf der Straße und lahmarschige Lastwagenschlangen, die sich nicht so einfach überholen lassen. Endlich ein paar Kilometer aus der vollen Hauptstadt raus, wird der Verkehr langsam entspannter. Ich allerdings werde unruhiger und gucke skeptisch auf die Armatur. Auf meinem Drehzahlmesser strahlt seit ein paar Minuten das rote Licht der Batterieladekontrollleuchte. Wir halten an, Micha kontrolliert den Spannungsregler unter der Sitzbank und säubert die ölverschmierten Kontakte an der Zündung. Das Problem scheint behoben. Vier, fünf Kilometer weiter flackert das verdammte Lämpchen schon wieder auf. Noch mal Stopp in der Hitze am Straßenrand, Werkzeug auspacken und gucken. Wie immer hocken sich gleich wieder ein paar neugierige Nepalesen hinter Micha und beobachten jeden Handgriff. Diesmal tauscht Micha einfach den Spannungsregler aus, den wir zum Glück als Ersatzteil ganz unten im Alukoffer haben.
Weiter geht’s. Es ist schon zwei Uhr nachmittags. Hoffentlich kommen wir noch vor dem Dunkelwerden in Pokhara an. Wir drehen am Gasgriff, fliegen an den Bussen auf der Straße vorbei und wollen mindestens sechzig km/h Durchschnittsgeschwindigkeit halten. Dann schaffen wir die Strecke. Kurz nach dem Überholmanöver geht meine Emme einfach aus. Heute wohl ein Zickentag! Na gut, sie ist ansonsten ja ein braves Mädchen und aller guten Dinge sind eben drei. Micha hat schon vor dem Auspacken des Werkzeugs Schweißperlen auf der Stirn. Bitte lass es nichts Ernstes sein.
Der Fehler-Teufel steckt mal wieder im Detail. Es ist nur ein abgebrochener Kabelschuh an der Zündanlage und der ist in einer Viertelstunde repariert. Halb drei – ab jetzt wird nicht mehr angehalten. Und tatsächlich, wir kommen ohne Murren zum Sonnenuntergang in Pokhara an. Die Strecke wurde immer besser, insbesondere nach Mugling: saftgrüne, aufblühende Nepalidörfer und kaum Verkehr auf der asphaltierten Kurvenstraße. Wie man uns in Kathmandu vorgewarnt hatte, fuhren wir an ein paar Unfällen auf dem Weg vorbei. Busse, die in den Regenwassergraben gerutscht oder Jeeps, die in der Kurve gegen Laster geknallt sind.
In Pokhara steigen wir geschafft und glücklich am etwas abgelegenen View Point Gasthaus mit bestem Ausblick auf den Lewa Tal See ab. Die Besitzer sind sehr aufmerksam und hilfsbereit. Sie geben den Emmen sogar einen Garagenplatz und wir ziehen in ein kleineres Zimmerchen mit Blick auf den tollen Bergsee ein. Ein wirklich schönes Plätzchen am Rande der zweitgrößten Stadt Nepals.

Karfreitag in Pokhara

Der frühe Morgen gehört uns. Nach einem guten Frühstück auf der Dachterrasse gehen wir die Treppe runter zum Seeufer, wo wir in ein einfaches, kleines Holzboot steigen und auf den Lewa Tal See hinaus paddeln. Der blaue Himmel spiegelt sich im klaren Wasser, ein leichter Wind treibt das Boot. Im Hintergrund luken die Schneegipfel des Annapurna Massivs über die nahen Berge. Zwei Stunden vertreiben wir so am Vormittag. Ab und zu ein paar sportliche Paddeleinlagen im Duo, dann wieder treiben lassen. Dieser Tag hat so entspannt begonnen, ein besonders herrlicher Tag. Und erfasst von der Magie dieses Tages stellen wir uns auf einmal die Frage: Ist jetzt nicht irgendwann auch Ostern in Deutschland? Ist heute vielleicht sogar Freitag? Karfreitag? Nach dem Bootsausflug gehen wir gleich in ein Internetcafè und googeln nach Karfreitag. Heute ist Karfreitag! Und Deutschland hat wie wir bestes Wetter. Über unsere Webseite verschicken wir eine blitzschnelle Ostergrußkarte nachhause. Wir genießen das Gefühl, dass unsere Lieben daheim und wir hier – zwar tausende Kilometer entfernt, aber im selben Moment – echte Frühlingsstimmung und eine tolle Zeit haben.
Am Ostersonntag feiert Pokhara mit einem Rummelplatz das Neujahr 2066, wie der Gastwirt uns erzählt. Das erklärt auch die extrem lange Haltbarkeit der Kekse, die wir letztens gekauft haben. Hier in Pokhara am idyllischen See ist es wirklich auszuhalten. Wir wollen gar nicht weg und bereuen die Hetze. Aber leider laufen unsere Nepalvisa in drei Tagen aus. Wir wissen noch nicht mal, ob wir es bis dahin tatsächlich zur Grenze schaffen. Falls nicht, lassen wir die Immigrationsbaracke, wo die Visa mit einem Ausreisedatum versehen werden, einfach aus und lassen im Zollschuppen nur unsere Carnets abstempeln. An den nepalesischen Grenzen im Osten und Westen ist so was unbemerkt möglich – es sind die unscheinbarsten Grenzposten der ganzen Reise.

Warten auf Regen

Am nächsten Morgen heißt es Abfahrt nach Bhutwal – ein paar Stunden Fahrt durch die Berglandschaft nach Süden ins Flachland. Zurück im Terai strahlt die Sonne eine ermüdende Hitze ab. An der breiten, belebten Straße in der Kleinstadt am Mahendra-Highway finden wir zum Glück schnell ein Hotel, in dem wir beide sofort unter den Deckenventilator aufs Bett fallen. Scheiß Stromausfall! Wir liegen leblos da bis uns irgendwann der Luftzug des Ventilators endlich aus dem Delirium holt. Eine gute Vorbereitung auf die nächsten zwei Monate, in denen wir die Frühsommerhitze Indiens, Pakistans und Irans aushalten müssen.
Von Bhutwal geht es am nächsten Tag immer auf gut asphaltierter und fast leerer Landstraße geradewegs zur Westgrenze. Die Gegend wirkt oft sehr ausgedörrt. Alles durstet nach Regen. Wir müssen uns zu dieser Zeit nicht ärgern, wenn wir den Bardin Nationalpark nicht besuchen können. Kaum vorstellbar, dass sich die breiten, ausgetrockneten Flussläufe, die wir auf neu gebauten Brücken überqueren, bald mit Mengen an Monsunwasser füllen, ganze Landesteile überschwemmen und die Straße unpassierbar machen.

Steine im Weg

Nach einer letzten Zwischenübernachtung nahe Chisapani, etwa vier Stunden vor der Grenze, kommen wir morgens um Sieben an einer Straßenblockade zum Stehen. Die Menschen haben Steine quer über den Mahendra-Highway gelegt, um auf frühere Gewalttaten der Maoisten aufmerksam zu machen. Sie demonstrieren mit Transparenten. Reisebusse und Laster werden nicht durchgelassen. Die Stimmung ist allerdings entspannt. Keiner regt sich auf. Die Menschen hier sind solche Streikblockaden schon aus der Zeit der Maoistischen Rebellion gewohnt. Mopedfahrer und Touristen auf MZ dürfen sich an den Steinhaufen vorbeidrängeln. Stundenlanges Warten bleibt uns erspart.
Bei der Fahrt durchs westliche Tiefland Nepals erkennen wir, dass sich das Leben der Menschen hier seit Ewigkeiten nicht verändert hat. An der Straße reihen sich kleine Dörfer aus einfachen Lehmhütten mit Strohdächern. Die Behausungen erinnern an die von Urvölkern aus Südamerika oder Afrika. Mittags und pünktlich am letzten Aufenthaltstag laut Visum erreichen wir nahe Mahendranagar die Grenze. Wie auch schon im Osten Nepals ist die Grenzschranke kaum erkennbar. Im Hin und Her von Fahrradfahrern, Fußgängern und kleinen Bussen merken die Beamten im Immigrationsstübchen noch nicht einmal, ob wir gerade aus Nepal gekommen sind oder ins Land einreisen wollen. In einer Viertelstunde sind Pässe und Carnets abgestempelt und es geht auf einer groben, staubigen Schotterstraße rüber zum indischen Teil. Hier sieht es nicht anders aus. Der Immigrationsbeamte langweilt sich zu Tode und ist dankbar über jeden sofort erkennbaren Touristen, den er von seinem Freiluftbüro aus zur Passkontrolle heranwinken kann. Inder und Nepalesen dürfen die Grenze ohne Visum passieren. Darum hält er nur nach Leuten wie uns Ausschau.
Wie immer sind alle sehr höflich. Die Herren vom Zoll lassen uns sogar von den indischen Süßwaren probieren, die zur Abwechslung von einem Springer ins Zollbüro beordert wurden. Für die Zollkontrolle sind vier Männer angestellt. Und typisch für eine indische Beamtenstube reicht die Arbeit eigentlich für Einen. Darum bleibt Zeit für süßes Gebäck, Tee und einen Plausch mit den Motorradabenteurern, während man unsere Carnets ausfüllt. Spätestens am 8. Mai müssen wir Indien den Rücken kehren. Dann sind sechs Monate vergangen und länger dürfen die Motorräder nicht im Land bleiben. Diese Information des netten Beamten war uns neu. Wir steigen zurück auf die extrem aufgeheizten Emmen, die draußen in der prallen Mittagssonne solange gewartet haben, und knattern auf vollen Straßen nach Kashipur…

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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