Kalkutta bis Kalimpong: Fahrt mit Hindernissen
14. Oktober 2016. Wir brechen von Kalkutta in den wilden Nordosten auf. Dazu müssen wir Bangladesch umfahren, das Nordostindien bis auf einen schmalen Durchgang vom Rest des Landes trennt. Auf der Landkarte sieht es fast so aus, als würde dieses Gebiet gar nicht mehr dazugehören. Dieser Landesteil sticht aber nicht nur geografisch hervor. Wir dürfen gespannt sein auf seine größtenteils unberührte, artenreiche Natur und exotische Volksstämme, die sich untereinander und vom Rest Indiens stark unterscheiden. Wegen schwerer Konflikte zwischen Indiens Armee und Aufständischen durfte man Nordostindien lange Zeit gar nicht oder nur unter speziellen Auflagen bereisen. Um die Region touristisch interessanter zu machen, braucht man mittlerweile kaum noch eine besondere Genehmigung.
Leider ist für Nordostindien viel zu wenig Zeit übrig geblieben, da wir den Termin für die begleitete Myanmar-Durchquerung einhalten müssen. In den nächsten zwei Wochen werden wir daher für unseren Geschmack viel zu oft auf der Straße sein. Einen Besuch des angrenzenden Königreichs Bhutan, das wir ebenfalls gerne bereist hätten, müssen wir ganz und gar auf irgendwann verschieben.
Unsere erste Etappe ab Kalkutta endet im Städtchen Murshidabad. Als wir kurz hinter Kalkutta auf dem Highway landen, höre ich, dass der Motor meiner MZ anders klingt. Besonders wenn ich über 70 km/h fahre, fängt er regelrecht an zu rasseln. Bei Michas Emme ist es ähnlich. Plötzlich geht mein Motor während der Fahrt sogar aus. Das Schwimmerventil im Vergaser scheint zu hängen. Micha baut in der unerbittlichen Sonne den Vergaser aus, reinigt alles und tauscht das Ventil. Da das Werkzeug schon mal ausgepackt ist, nimmt er sich seinen Vergaser vorsichtshalber auch gleich vor. Zurück auf den Motorrädern kommen wir auf der neu asphaltierten Landstraße SH-7 für indische Verhältnisse recht zügig voran. Das soll aber die Ausnahme bleiben.
Nach nur einer Nacht in Murshidabad geht es morgens gleich weiter. Die Fahrt nach Raiganj ist ein anstrengender und schweißtreibender Hindernisparcours mit rumpelnden Lastwagen, etlichen Tuk-Tuks, heruntergekommenen Bussen, überladenen Schubkarren, eiernden Fahrradfahrern und unzähligen Hunden und Ziegen, die blindlings auf die Straße rennen. Und natürlich wandern auch die heiligen Rinder mittenmang. Die Schlaglöcher sind hier das geringere Übel. Das Dauergehupe setzt dem verrückten Chaos noch die Krone auf. Einige Inder versuchen, sich ungeduldig mit schrillem Dauertröten ihren Weg freizuhupen und hinterlassen nichts als ein schmerzhaftes Fiepen in meinem Ohr. Ich frage mich, wohin all diese Menschen und Tiere unterwegs sind? Mir ist das schon klar: Wer in Indien nicht auf der Straße ist, nimmt nicht am Leben teil – auch wenn es manchmal lebensgefährlich ist. Die Regeln des Kastensystems sind hier außer Kraft gesetzt. Allein die Größe des Gefährts bestimmt den Platz in der Hackordnung. Der ansonsten untergebene Busfahrer mutiert hinter seinem Lenkrad dann gerne zum rücksichtslos rasenden Herrscher über den Verkehr. Motorräder würde er, trotz großer Alukisten, notfalls überrollen.
Wir wissen den indischen Verkehr zu nehmen. Was uns nicht aus dem Kopf geht, ist die Frage, wieso beide Emmen seit Indien einfach nicht rund laufen. Am Vergaser liegt es jedenfalls nicht. Vielleicht am Kraftstoff. Leider werden wir erst in Thailand den Grund dafür herausfinden. Die meisten Tankstellen seit Indien mischen nämlich Ethanol ins Benzin. Der Anteil kann stark variieren. Mit hunterprozentigem Benzin im Tank, selbst mit nur 80 oder weniger Oktan, liefen beide Emmen bisher immer ohne Probleme.
Auf der dritten Etappe in die buddhistisch geprägten Berge bis nach Kalimpong ist selbst ganz früh morgens schon wieder halb Indien auf der Straße. Es geht mit durchschnittlichen 30 km/h vorwärts. Kein Wunder, dass wir nach acht bis zehn Stunden Emmenritt ohne nennenswerte Pausen gerade mal 200 Kilometer am Tag vorankommen. Wir biegen bald auf eine schmale, schattiggrüne Nebenstrecke dicht an der Grenze zu Bangladesch ab. Hier legen wir an einem winzigen Teestand eine späte Frühstückspause ein und sind wieder einmal beeindruckt, wie schnell man uns bemerkt. Egal wie versteckt oder wie klein der Ort auch ist: Innerhalb weniger Minuten hat sich vorsichtig eine große Traube Männer und Kinder um uns versammelt. Ihre dunkelbraunen Augen verfolgen gespannt jede unserer Bewegungen. Ob wir nicht länger zu Gast bleiben wollen, fragt ein netter älterer Mann in gebrochenem Englisch. Leider müssen wir dankend ablehnen. Hätten wir die Zeit, würde hier mit Sicherheit ein besonderes Erlebnis lauern.
Bis wir die Berge erreichen, geht es am frühen Nachmittag noch durch den Knotenpunkt Siliguri, wo der Verkehr bei 35 Grad im Schatten fast zum Erliegen kommt. Zusammen mit den anderen Mopeds weichen wir auf die staubigen Ränder der Straßen aus und schlängeln uns irgendwie vorwärts. Auf der kurvenreichen Strecke hinter der Stadt sind dann nur noch etliche Jeeps unterwegs und es ist geradezu eine Wohltat. Endlich weht auch etwas kühlere Höhenluft durch das Visier und die offene Motorradjacke. In der hügeligen Kleinstadt Kalimpong legen wir zwei Tage lang eine Pause ein und erholen uns unter bunten Gebetsfahnen und mit Blick auf die weite Berglandschaft vom Stress der Straße. Von hier aus reiten wir dann in den Nordosten ein.
Nordostindien
Was wir von der Vielfalt Nordostindiens zu Gesicht bekommen werden, ist nur ein winziger Ausschnitt. Zuerst fahren wir nördlich des großen Brahmaputras quer durch die Tiefebene (Duar), entlang an den berühmten Teeplantagen von Assam. Die kräftig grünen Büsche reichen von der Straße bis an den Horizont. Vierzig Kilometer vor dem Ort Alipurduar halten wir kurz an, um mein Hinterrad zu checken, das seit Kalimpong merklich eiert. Bei der Reparatur in Osch mussten wir die etwas altersschwache Alufelge an mehreren Stellen schweißen lassen. Seitdem hat sie eine kleine Acht. Nun haben sich mehrere Speichen gelöst. In Alipurduar müssen wir acht Speichen tauschen und die Felge richten lassen.
Nach einer Übernachtung in Nalbari und Tezpur erreichen wir den Nationalpark Kaziranga. Allein der Name klingt nach echter Wildnis. Auf der Straße dorthin bremsen uns etliche Temposchwellen aus. „Animal crossing corridor“ warnen große Straßenschilder. Hinter der nächsten Kurve könnte also gerade ein Elefant, Panzernashorn, wilder Wasserbüffel oder Hirsch unseren Weg kreuzen. Hoffentlich.
In dem Dorf am Eingang des Nationalparks finden wir ein nettes Zimmer im Grünen. Nachts können wir die Geräusche des Dschungels hören. Als ich halb schlafend auf die Toilette schlurfe und die Klopapierrolle greife, die irgendwo hinter mir steht, springe ich schreiend hoch. Ein fetter, hautfarbener Frosch hat sich in die Rolle gequetscht. Das gehört wohl dazu – hier in Kaziranga.
Ganz früh morgens setzen wir uns mit indischen Touristen auf den breiten Rücken sanftmütiger Elefanten, die uns auf einen gemächlichen Spaziergang durch die Mitte des Parks mitnehmen. Der kleine Babyelefant ist ganz aufgeregt und darf bei den Großen mitlaufen. Zarter Frühnebel schwebt über der weiten Elefantengrasfläche, die wir still durchschweifen. Das Morgenlicht hat eine sanfte, schöne Färbung und präsentiert die Wildtiere in romantischer Weise. Rehe springen zwischen dem Gras hin und her. Ein gewaltiges Panzernashorn steigt behäbig aus einer Schlammpfütze auf. Es scheint nicht gerade begeistert von unserem Besuch. Am liebsten wäre es natürlich allein geblieben. Das wir den Tieren so nahe kommen dürfen, ist ein besonders schönes Erlebnis. Die Elefantenführer haben ihr Gewehr dennoch stets griffbereit. Man dürfe die Nashörner in ihrer Schnelligkeit und Revierverteidigung keinesfalls unterschätzen, sagen sie. Unser Elefant wiegt sich weiter voran. Ab und zu muss er ordentlich furzen, aber das macht natürlich nichts.
Wir haben gerade erfahren, dass drei Leute aus unserer Myanmar-Gruppe die Tour absagen mussten. Außer uns ist also nur noch Tom dabei. Mit seinem OK können wir die Tour noch um drei Tage verschieben.
Über eine kurvige Bergstraße fahren wir in Nagaland ein – dem Land der heißblütigen Krieger. Es ist die Heimat 16 indigener Stämme, die vor nicht all zu langer Zeit noch als reich geschmückte und gefürchtete Kopfjäger in kleinen Bergdörfern lebten. Als wir in der Hauptstadt Kohima einfahren, werden die Regenwolken immer dicker. Die hügeligen Straßen sind nass und modderig. Uns fallen sofort die Kirchen auf. Die Nagas sind mehrheitlich Christen, wie wir erfahren. Morgens, als es noch nicht einmal richtig hell ist, gehen viele bereits in den ersten Gottesdienst.
Die Gesichter der Menschen in Nagaland erinnern uns eher an Südostasien. Dass hier echte Naturvölker zuhause sind, erkennt man auch in der Stadt: An der Straße werden nämlich nicht nur Obst, sondern Schnecken, lebendige Frösche und dicke Maden verkauft.
Kohima sieht leider nicht hübsch aus unter den Regenwolken. Auf einem großen Platz mitten im Ort findet heute eine Naga-Wrestling-Meisterschaft statt. Das Ringen ist hier mit Abstand die beliebteste Sportart. Wir haben zwei Eintrittskarten gekauft und sind schon gespannt, was uns im Land der Krieger erwartet. Leider werden wir ein bisschen enttäuscht, denn das Sportevent hat natürlich überhaupt nichts mit den Traditionen der Volksstämme zu tun. Die jungen Männer steigen in einfarbigen Boxershorts in den Ring und versuchen, ihren Gegner umzuwerfen. Trotz kurzer Kämpfe wird es ziemlich schnell langweilig für uns. Außerdem regnet es schon wieder. Der Sommermonsun bringt in Nordostindien jedes Jahr so viel Regen mit sich, dass die Region als regenreichstes Gebiet der Erde bekannt ist. Darum fahren wir wohl auch am nächsten Tag sechs Stunden lang durch den Dschungelregen bis nach Imphal. Dabei müssen wir eine nicht enden wollende Kette kriechender LKWs und Tanklastwagen überholen. Wir haben nicht mitgezählt, aber es sind ein paar Hundert. An den vielen Militärstopps in Manipur kommt die LKW-Schlange regelmäßig ins Stocken und wir haben die Chance, an einem großen Stück vorbeizuholpern. Später erfahren wir, dass ein Streik der Tanklastfahrer Schuld an der Anhäufung war.
In Imphal steigen wir vor einem guten Hotel ab und trocknen unsere durchweichten Sachen. Am nächsten Nachmittag kommt Tom auf seiner BMW an und klopft an unsere Zimmertür. Wir waren schon gespannt auf ihn. Immerhin werden wir die nächsten zwei Wochen gemeinsam auf ziemlich ungleichen Motorrädern durch Myanmar reisen. Zum Glück ist Tom ein lässiger Typ mit einer guten Prise Humor. Als wir am Morgen darauf zu dritt in den Grenzort Moreh aufbrechen, bin ich dennoch unsicher, wie viel Geduld er mit den zwanzig Pferdestärken unserer Emmen aufbringen kann. „Jetzt musste nen Gang runterschalten!“ bereitet ihn Micha lächelnd darauf vor. „Kein Problem“, antwortet Tom. Als er nach den ersten steilen Kurven durch Manipur immer noch ein Schmunzeln für uns übrig hat, bin ich beruhigt.
> So geht`s weiter: Myanmar: Einfach hinterherfahren
< Vorherige Reisegeschichte
Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad
Bleib weiter so tapfer, Günter! Wir wünschen Dir alles, alles Gute!!! Deine Emmenreiter
Ihr Lieben,
ich wünsche Euch im neuen Jahr weiterhin viel Glück und immer funktionierende Emmen.
Ich verfolge Eure spannenden Berichte und freue mich über jede neue Meldung, auch wenn es mir persönlich gesundheitlich nicht mehr so toll geht, aber ich mach das Beste draus.
Günter aus Berlin
Привет ребятки, С НОВЫМ ГОДОМ, с новым счастьем и с новыми путешествиями вас. Пусть у вас в вашей жизни будет всё великолепно!!!!!!!! Приятного и удачного вам возвращения домой!!!! Привет из Будённовска, Макс!!!!!!!!!
Immer eine Handbreit Straße unter den Reifen!
Möge euer Schutzengel euch nicht zu fern sein; also rast nicht schneller, als der fliegen kann.
Ich drücke euch weiter alle Daumen.
Martin
Hallo zusammen
die Reiseberichte sind einsame Spitze. Manchmal fühlt man sich tatsächlich so als wäre man selber life dabei. Wünsche Euch beiden ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch, Bleibt vor allen Dingen gesund und unfallfrei.
Schöne Grüße aus dem Saarland.
Gisbert
Hallo ihr zwei,
ich wünsche euch frohe Weihnachten fern der Heimat. Ich freue mich immer über jeden Bericht und die tollen Bilder.
Weiterhin gute Reise und schöne Erlebnisse.
Viele Grüße aus diesigem Norddeutschland bei 6°C
Gerd
Hallo ihr Beidern,
wieder ein spannender Reisebericht.
Ich wünsche weiterhin viel Glück, gutes Wetter und viele schöne Eindrücke
von Land und Leuten.
Vor allem aber, schöne Weihnachten und einen guten Start ins Jahr 2017.
Liebe Grüße aus Berlin
Marc