Indien – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Wed, 04 Aug 2021 05:41:58 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Indien – eMMenreiter 32 32 Nordindien: Von Kalkutta bis Kaziranga /nordostindien-kalkutta-kaziranga/ /nordostindien-kalkutta-kaziranga/#comments Fri, 16 Dec 2016 04:50:05 +0000 /?page_id=10735 Nordostindien (Assam): Kaziranga Nationalpark

Nordostindien (Assam): Morgens im Kaziranga Nationalpark – geschossen wird nur auf Wilderer © emmenreiter.de

Kalkutta bis Kalimpong: Fahrt mit Hindernissen

14. Oktober 2016. Wir brechen von Kalkutta in den wilden Nordosten auf. Dazu müssen wir Bangladesch umfahren, das Nordostindien bis auf einen schmalen Durchgang vom Rest des Landes trennt. Auf der Landkarte sieht es fast so aus, als würde dieses Gebiet gar nicht mehr dazugehören. Dieser Landesteil sticht aber nicht nur geografisch hervor. Wir dürfen gespannt sein auf seine größtenteils unberührte, artenreiche Natur und exotische Volksstämme, die sich untereinander und vom Rest Indiens stark unterscheiden. Wegen schwerer Konflikte zwischen Indiens Armee und Aufständischen durfte man Nordostindien lange Zeit gar nicht oder nur unter speziellen Auflagen bereisen. Um die Region touristisch interessanter zu machen, braucht man mittlerweile kaum noch eine besondere Genehmigung.
Leider ist für Nordostindien viel zu wenig Zeit übrig geblieben, da wir den Termin für die begleitete Myanmar-Durchquerung einhalten müssen. In den nächsten zwei Wochen werden wir daher für unseren Geschmack viel zu oft auf der Straße sein. Einen Besuch des angrenzenden Königreichs Bhutan, das wir ebenfalls gerne bereist hätten, müssen wir ganz und gar auf irgendwann verschieben.
Unsere erste Etappe ab Kalkutta endet im Städtchen Murshidabad. Als wir kurz hinter Kalkutta auf dem Highway landen, höre ich, dass der Motor meiner MZ anders klingt. Besonders wenn ich über 70 km/h fahre, fängt er regelrecht an zu rasseln. Bei Michas Emme ist es ähnlich. Plötzlich geht mein Motor während der Fahrt sogar aus. Das Schwimmerventil im Vergaser scheint zu hängen. Micha baut in der unerbittlichen Sonne den Vergaser aus, reinigt alles und tauscht das Ventil. Da das Werkzeug schon mal ausgepackt ist, nimmt er sich seinen Vergaser vorsichtshalber auch gleich vor. Zurück auf den Motorrädern kommen wir auf der neu asphaltierten Landstraße SH-7 für indische Verhältnisse recht zügig voran. Das soll aber die Ausnahme bleiben.
Nach nur einer Nacht in Murshidabad geht es morgens gleich weiter. Die Fahrt nach Raiganj ist ein anstrengender und schweißtreibender Hindernisparcours mit rumpelnden Lastwagen, etlichen Tuk-Tuks, heruntergekommenen Bussen, überladenen Schubkarren, eiernden Fahrradfahrern und unzähligen Hunden und Ziegen, die blindlings auf die Straße rennen. Und natürlich wandern auch die heiligen Rinder mittenmang. Die Schlaglöcher sind hier das geringere Übel. Das Dauergehupe setzt dem verrückten Chaos noch die Krone auf. Einige Inder versuchen, sich ungeduldig mit schrillem Dauertröten ihren Weg freizuhupen und hinterlassen nichts als ein schmerzhaftes Fiepen in meinem Ohr. Ich frage mich, wohin all diese Menschen und Tiere unterwegs sind? Mir ist das schon klar: Wer in Indien nicht auf der Straße ist, nimmt nicht am Leben teil – auch wenn es manchmal lebensgefährlich ist. Die Regeln des Kastensystems sind hier außer Kraft gesetzt. Allein die Größe des Gefährts bestimmt den Platz in der Hackordnung. Der ansonsten untergebene Busfahrer mutiert hinter seinem Lenkrad dann gerne zum rücksichtslos rasenden Herrscher über den Verkehr. Motorräder würde er, trotz großer Alukisten, notfalls überrollen.
Wir wissen den indischen Verkehr zu nehmen. Was uns nicht aus dem Kopf geht, ist die Frage, wieso beide Emmen seit Indien einfach nicht rund laufen. Am Vergaser liegt es jedenfalls nicht. Vielleicht am Kraftstoff. Leider werden wir erst in Thailand den Grund dafür herausfinden. Die meisten Tankstellen seit Indien mischen nämlich Ethanol ins Benzin. Der Anteil kann stark variieren. Mit hunterprozentigem Benzin im Tank, selbst mit nur 80 oder weniger Oktan, liefen beide Emmen bisher immer ohne Probleme.
Auf der dritten Etappe in die buddhistisch geprägten Berge bis nach Kalimpong ist selbst ganz früh morgens schon wieder halb Indien auf der Straße. Es geht mit durchschnittlichen 30 km/h vorwärts. Kein Wunder, dass wir nach acht bis zehn Stunden Emmenritt ohne nennenswerte Pausen gerade mal 200 Kilometer am Tag vorankommen. Wir biegen bald auf eine schmale, schattiggrüne Nebenstrecke dicht an der Grenze zu Bangladesch ab. Hier legen wir an einem winzigen Teestand eine späte Frühstückspause ein und sind wieder einmal beeindruckt, wie schnell man uns bemerkt. Egal wie versteckt oder wie klein der Ort auch ist: Innerhalb weniger Minuten hat sich vorsichtig eine große Traube Männer und Kinder um uns versammelt. Ihre dunkelbraunen Augen verfolgen gespannt jede unserer Bewegungen. Ob wir nicht länger zu Gast bleiben wollen, fragt ein netter älterer Mann in gebrochenem Englisch. Leider müssen wir dankend ablehnen. Hätten wir die Zeit, würde hier mit Sicherheit ein besonderes Erlebnis lauern.
Bis wir die Berge erreichen, geht es am frühen Nachmittag noch durch den Knotenpunkt Siliguri, wo der Verkehr bei 35 Grad im Schatten fast zum Erliegen kommt. Zusammen mit den anderen Mopeds weichen wir auf die staubigen Ränder der Straßen aus und schlängeln uns irgendwie vorwärts. Auf der kurvenreichen Strecke hinter der Stadt sind dann nur noch etliche Jeeps unterwegs und es ist geradezu eine Wohltat. Endlich weht auch etwas kühlere Höhenluft durch das Visier und die offene Motorradjacke. In der hügeligen Kleinstadt Kalimpong legen wir zwei Tage lang eine Pause ein und erholen uns unter bunten Gebetsfahnen und mit Blick auf die weite Berglandschaft vom Stress der Straße. Von hier aus reiten wir dann in den Nordosten ein.

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Nordostindien

Was wir von der Vielfalt Nordostindiens zu Gesicht bekommen werden, ist nur ein winziger Ausschnitt. Zuerst fahren wir nördlich des großen Brahmaputras quer durch die Tiefebene (Duar), entlang an den berühmten Teeplantagen von Assam. Die kräftig grünen Büsche reichen von der Straße bis an den Horizont. Vierzig Kilometer vor dem Ort Alipurduar halten wir kurz an, um mein Hinterrad zu checken, das seit Kalimpong merklich eiert. Bei der Reparatur in Osch mussten wir die etwas altersschwache Alufelge an mehreren Stellen schweißen lassen. Seitdem hat sie eine kleine Acht. Nun haben sich mehrere Speichen gelöst. In Alipurduar müssen wir acht Speichen tauschen und die Felge richten lassen.
Nach einer Übernachtung in Nalbari und Tezpur erreichen wir den Nationalpark Kaziranga. Allein der Name klingt nach echter Wildnis. Auf der Straße dorthin bremsen uns etliche Temposchwellen aus. „Animal crossing corridor“ warnen große Straßenschilder. Hinter der nächsten Kurve könnte also gerade ein Elefant, Panzernashorn, wilder Wasserbüffel oder Hirsch unseren Weg kreuzen. Hoffentlich.
In dem Dorf am Eingang des Nationalparks finden wir ein nettes Zimmer im Grünen. Nachts können wir die Geräusche des Dschungels hören. Als ich halb schlafend auf die Toilette schlurfe und die Klopapierrolle greife, die irgendwo hinter mir steht, springe ich schreiend hoch. Ein fetter, hautfarbener Frosch hat sich in die Rolle gequetscht. Das gehört wohl dazu – hier in Kaziranga.
Ganz früh morgens setzen wir uns mit indischen Touristen auf den breiten Rücken sanftmütiger Elefanten, die uns auf einen gemächlichen Spaziergang durch die Mitte des Parks mitnehmen. Der kleine Babyelefant ist ganz aufgeregt und darf bei den Großen mitlaufen. Zarter Frühnebel schwebt über der weiten Elefantengrasfläche, die wir still durchschweifen. Das Morgenlicht hat eine sanfte, schöne Färbung und präsentiert die Wildtiere in romantischer Weise. Rehe springen zwischen dem Gras hin und her. Ein gewaltiges Panzernashorn steigt behäbig aus einer Schlammpfütze auf. Es scheint nicht gerade begeistert von unserem Besuch. Am liebsten wäre es natürlich allein geblieben. Das wir den Tieren so nahe kommen dürfen, ist ein besonders schönes Erlebnis. Die Elefantenführer haben ihr Gewehr dennoch stets griffbereit. Man dürfe die Nashörner in ihrer Schnelligkeit und Revierverteidigung keinesfalls unterschätzen, sagen sie. Unser Elefant wiegt sich weiter voran. Ab und zu muss er ordentlich furzen, aber das macht natürlich nichts.
Wir haben gerade erfahren, dass drei Leute aus unserer Myanmar-Gruppe die Tour absagen mussten. Außer uns ist also nur noch Tom dabei. Mit seinem OK können wir die Tour noch um drei Tage verschieben.
Über eine kurvige Bergstraße fahren wir in Nagaland ein – dem Land der heißblütigen Krieger. Es ist die Heimat 16 indigener Stäm­me, die vor nicht all zu langer Zeit noch als reich geschmückte und gefürchtete Kopf­jäger in kleinen Bergdörfern lebten. Als wir in der Hauptstadt Kohima einfahren, werden die Regenwolken immer dicker. Die hügeligen Straßen sind nass und modderig. Uns fallen sofort die Kirchen auf. Die Nagas sind mehrheitlich Christen, wie wir erfahren. Morgens, als es noch nicht einmal richtig hell ist, gehen viele bereits in den ersten Gottesdienst.
Die Gesichter der Menschen in Nagaland erinnern uns eher an Südostasien. Dass hier echte Naturvölker zuhause sind, erkennt man auch in der Stadt: An der Straße werden nämlich nicht nur Obst, sondern Schnecken, lebendige Frösche und dicke Maden verkauft.
Kohima sieht leider nicht hübsch aus unter den Regenwolken. Auf einem großen Platz mitten im Ort findet heute eine Naga-Wrestling-Meisterschaft statt. Das Ringen ist hier mit Abstand die beliebteste Sportart. Wir haben zwei Eintrittskarten gekauft und sind schon gespannt, was uns im Land der Krieger erwartet. Leider werden wir ein bisschen enttäuscht, denn das Sportevent hat natürlich überhaupt nichts mit den Traditionen der Volksstämme zu tun. Die jungen Männer steigen in einfarbigen Boxershorts in den Ring und versuchen, ihren Gegner umzuwerfen. Trotz kurzer Kämpfe wird es ziemlich schnell langweilig für uns. Außerdem regnet es schon wieder. Der Sommermonsun bringt in Nordostindien jedes Jahr so viel Regen mit sich, dass die Region als regenreichstes Gebiet der Erde bekannt ist. Darum fahren wir wohl auch am nächsten Tag sechs Stunden lang durch den Dschungelregen bis nach Imphal. Dabei müssen wir eine nicht enden wollende Kette kriechender LKWs und Tanklastwagen überholen. Wir haben nicht mitgezählt, aber es sind ein paar Hundert. An den vielen Militärstopps in Manipur kommt die LKW-Schlange regelmäßig ins Stocken und wir haben die Chance, an einem großen Stück vorbeizuholpern. Später erfahren wir, dass ein Streik der Tanklastfahrer Schuld an der Anhäufung war.
In Imphal steigen wir vor einem guten Hotel ab und trocknen unsere durchweichten Sachen. Am nächsten Nachmittag kommt Tom auf seiner BMW an und klopft an unsere Zimmertür. Wir waren schon gespannt auf ihn. Immerhin werden wir die nächsten zwei Wochen gemeinsam auf ziemlich ungleichen Motorrädern durch Myanmar reisen. Zum Glück ist Tom ein lässiger Typ mit einer guten Prise Humor. Als wir am Morgen darauf zu dritt in den Grenzort Moreh aufbrechen, bin ich dennoch unsicher, wie viel Geduld er mit den zwanzig Pferdestärken unserer Emmen aufbringen kann. „Jetzt musste nen Gang runterschalten!“ bereitet ihn Micha lächelnd darauf vor. „Kein Problem“, antwortet Tom. Als er nach den ersten steilen Kurven durch Manipur immer noch ein Schmunzeln für uns übrig hat, bin ich beruhigt.

> So geht`s weiter: Myanmar: Einfach hinterherfahren
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Nordindien: Goldener Tempel, Turban und Durga Puja /nordindien-goldener-tempel-durga-puja/ /nordindien-goldener-tempel-durga-puja/#comments Sun, 11 Dec 2016 06:41:58 +0000 /?page_id=10209 Frauen mit Sindur bemalt © emmenreiter.de

Durga Puja in Nordindien: Frauen mit Sindur bemalt © emmenreiter.de

Amritsar: Klappern am Goldenen Tempel

1. Oktober 2016. Mit meinem wackeligen Motorrad erreichen wir Nordindien und Amritsar – die Stadt der Turbane und mittendrin der wunderschöne Goldene Tempel als spirituelles Heiligtum der Sikhs. Diese nordindische Glaubensgemeinschaft unterscheidet sich in ihren Ideen erheblich von anderen Religionen. Im Gegensatz zum Hinduismus zum Beispiel lehnen sie das Kastensystem und die Askese entschieden ab. Bedeutend ist die Brüderlichkeit untereinander – auch mit Nicht- oder Andersgläubigen. Lernen, ehrliche Arbeit und Engagement, so glauben die Sikhs, führen zur Erlösung.
Ihre Offenheit schafft eine besondere Atmosphäre. „Hello Sir! Hello Ma’am!“ – immer wieder grüßen uns Kinder und Erwachsene auf der Straße mit ihrem strahlenden Lächeln. Bei unseren Rundgängen barfuß über den Marmorboden am Goldenen Tempel tippen sie vorsichtig auf unsere Schulter: „One photo?“ oder „Selfie, please?!“ Die machen das so nett, das wir kein einziges Foto ausschlagen können und gerne in, wer weiß wie viele, Handykameras zurücklächeln.
Wir haben uns nur wenige Schritte vom Tempel entfernt ein kleines helles Zimmer im Hotel Sakhi-Inn genommen. Vom Fenster aus können wir die in allen Farben gekleideten Frauen und Männer beobachten, wie sie ohne jede Spur von Hektik umherpilgern. Wir haben das auf unserer ersten Asienreise schon einmal erlebt und sind trotzdem wieder schwer beeindruckt von Amritsar und seinem Tempel. Vor allem von dem Meisterwerk, das in der größten Freiküche der Welt Tag für Tag gelingt. Aus einer Reportage habe ich erfahren, dass an üblichen Tagen bis zu hunderttausend Pilger und andere Besucher am Ende ihres Rundgangs das kostenlose Mahl (Langar) auf dem Fußboden der Speisesäle am Tempel einnehmen. Das gemeinsame Essen als fester Bestandteil des Tempelbesuchs gilt als Symbol für die Gleichheit der Menschen. Wir sind glücklich, dass wir mittendrin mitessen und das Schauspiel hinter den Kulissen beobachten dürfen. Alle zehn Minuten werden über 800 Leute verköstigt. Keiner drängelt, keiner muss lange warten – die Fließbandküche auf Spendenbasis läuft täglich 20 Stunden lang reibungslos ab. Freiwillige Helfer schnippeln unvorstellbare Mengen Gemüse, kochen und verteilen wannenweise Milchreis und Linsensuppe, backen unzählige Fladenbrote und spülen an langen Wasserstraßen das Blechgeschirr blitzblank sauber. Das Klappern der Tellerwäscher gehört zum Goldenen Tempel wie die heiligen Gesänge der Priester, die durch Lautsprecher übertragen werden. Apropos klappern…

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Schweißer mit Turban (oder: Schweiß unter`m Turban)

Aufgetankt mit guter Energie wollen wir endlich einen Blick unter den Tank meines Motorrades wagen. JB (sprich: Jay Bee), der freundliche und hilfsbereite Besitzer des Hotels, der jeden Tag einen andersfarbigen, makellos gebundenen Turban auf dem Kopf trägt, hat extra ein ruhiges Plätzchen in der Umgebung für uns gesucht. Jetzt stehen JB und ich gespannt daneben, als Micha den Kastenrahmen offenlegt, der seit meinem Unfall in Usbekistan angeschlagen ist. Leider entdecken wir schnell auf beiden Seiten einen etwa sechs Zentimeter langen Riss im Metall. „Das war`s dann wohl.“ sind meine ersten Worte. Micha sagt erstmal nicht viel. „Das Problem lässt sich lösen!“ versichert JB, der das verzweifelte Schweigen auflösen will. So wie er das sagt, glaube ich ihm sogar.

Wir fahren gemeinsam zu einem Bekannten von JB, der eine Werkstatt mit Schweißgerät hat. Die Werkstatt unseres Vertrauens liegt an einer viel befahrenen breiten Straße und entpuppt sich als zugestellte sandige Garage – aber auf sowas kommt es in Indien nicht an. Der Chef hier, dessen Kleidung und langer Bart ordentlich eingestaubt sind, habe lange Zeit große Lastwagen in Dehli repariert – der kenne sich aus, meint JB. Der Schweißer mit Turban guckt sich die Sache gelassen an und scheint sofort eine Lösung zu haben. Er spricht zwar kein Wort Englisch, aber seine Körpersprache sagt, dass er zuversichtlich ist.
Am nächsten Morgen um neun Uhr stehen Micha und ich dann mit dem Motorrad und unserer Werkzeugrolle vor seinem Atelier. Es ist schon wieder ordentlich heiß in der Stadt. Unter dem leicht getrübten Himmel von Amritsar baut Micha den Tank vom Motorrad, klemmt sämtliche Kabel ab und baut den Motor aus. Später versuchen alle in der Werkstatt, sich über die Arbeit am Rahmen zu verständigen. JB springt nochmal als Übersetzer ein.
Bald liegt mein halbnacktes Motorrad seitlich auf dem Sandboden und sieht erbärmlich aus. Der Schweißer legt anstelle eines Massekabels alte Auspuffrohre am Rahmen an und macht sich an seine Arbeit. Es knistert und blitzt. Am Ende hat der Sikh eine schmale Stahlplatte und zwei Stahlwinkel an die gebrochene Schwachstelle des Rahmens geschweißt. „Sieht schlimm aus – aber stabil“, so Michas Urteil. Der Schweißer schrabbelt noch mit der Flex über sein Werk und Micha sprüht schwarze Farbe über die Stelle. Am Ende sieht es ganz passabel aus.
Umringt von neugierigen Männern und mit dem endlosen Gehupe der Straße im Ohr baut Micha in der Nachmittagshitze meine Emme wieder Schritt für Schritt zusammen. Die Werkstatt hat fast Feierabend, als wir das Motorrad endlich für eine Probefahrt ankicken. Alles läuft gut und ich bin einfach nur dankbar! Der Profischweißer und alle anderen, die uns den Tag über beobachtet haben, grinsen genauso zufrieden wie wir. Zum Abschied trinken wir noch einen süßen Tee zusammen und dann düsen wir mit Händen und Füßen, die schwarz vor Dreck sind, zurück ins Hotel.

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Eingeschränkte Reisefreiheit

Zurück im Hotel enttäuscht uns das Internet mit Andeutungen, dass Thailand demnächst Reisende auf eigenen Motorrädern, ähnlich wie China oder Myanmar, ebenfalls nur mit Tourguide durchs Land lassen will. Ausgerechnet Thailand, das ansonsten touristisch so unkompliziert ist. Eine dritte begleitete Tour käme nicht in Frage für uns. Blöd nur, dass Thailand mitten in Südostasien liegt, wo wir mehrere Monate nach Lust und Laune umherreisen wollen.
Die Community der Überlandreisenden und Asienliebhaber ist aufgewühlt und verärgert. Die unverständlichen Regeln scheinen Hals über Kopf aufgestellt, denn jede Woche gibt es andere Anforderungen an Einreisewillige. Gleich in mehreren facebook-Gruppen tauscht man sich über neueste Entwicklungen aus. Da steht zum Beispiel, dass es zwei Reiseagenturen gibt, die die neuerdings benötigte Reisegenehmigung für max. 30 Tage beschaffen dürfen. Diese werden vom Department of Land Transport auf Antrag erteilt. Dafür müssen Datum und Ort der Ein- und Ausreise sowie die Route durch Thailand im Vorfeld angegeben werden. Wir verschicken zügig sämtliche Unterlagen und überweisen mehr als 500 Euro. Am teuersten daran ist die Haftpflichtversicherung, die wir abschließen müssen. Nun dauert es mindestens einen Monat, bis die Genehmigung kommt.
Genervt vom Herumorganisieren klappen wir das Laptop zu. Jetzt stehen nur noch Visa für Myanmar auf der To-Do-Liste. Diese lassen sich auf der anderen Seite Nordindiens, in Kalkutta, besorgen. Die 1.894 Kilometer bis dorthin wollen wir mit dem Zug zurücklegen – unmöglich sonst, den abgelegenen Nordosten Indiens zu bereisen und rechtzeitig an der Grenze zu Myanmar zu sein, wo wir ebenfalls eine festgelegte Einreiseverabredung einhalten müssen.

Nordindien von West nach Ost: Zugfahrt nach Kalkutta

Der nächste Zug geht erst in drei Tagen, denn wegen eines Unglücks sind mehrere Züge ausgefallen. Mit insgesamt 90 Euro teuren Fahrkarten der Indian Railway in der Tasche fahren wir am Vorabend unserer Abreise beide Motorräder zum Parcel Service am Bahnhof von Amritsar. Hier müssen wir versuchen, dass auch die MZs ein Ticket für den selben Zug bekommen. Vor dem entsprechenden Gebäude stehen etliche in Sackleinen vernähte Pakete herum, die bis morgen früh im Gepäckwagon verstaut werden müssen. Hoffentlich ist noch Platz für zwei Emmen. Der Beamte, der hier das Sagen hat, will uns erst freundlich abwimmeln. Dann entscheidet er sich plötzlich um und erledigt eine Menge Papierkram für den Transport beider Motorräder – macht 5.535 Rupien (75 Euro) inkl. Versicherung. Parallel legt ein Typ mit einem Schlauch, einer leeren Plastikflasche, einem Draht und einem Lappen beide MZ-Tanks trocken. Ein anderer hängt Blechschilder, beschrieben mit unserem Namen und dem Motorradkennzeichen, an die Lenker. Man würde bis morgen früh alles auf den Zug nach Kalkutta verladen, versichert uns der nette Gepäckbeamte. Er lässt uns noch einen Milchtee kommen und danach lassen wir die Emmen am Bahnhof zurück.

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7. Oktober 2016. Morgens um halb sechs stehen wir wieder an derselben Stelle und halten Ausschau nach dem Zug mit der Nummer 12318. Die Mopeds stehen tatsächlich schon im Gepäckwagon am Ende des Zugs. Wir schleppen unsere schweren Taschen in den abgedunkelten und klimatisierten Schlafwagen der zweiten Klasse. Dort hat jeder von uns eine Liege mit kleinem Kissen und Decke, auf der uns die indische Bahn die meiste Zeit in den Schlaf schunkeln wird. In den Wagons der dritten Klasse gibt es weder eine Klimaanlage noch Schlafnischen. Hier sind die Menschen auf den Fahrtwind angewiesen, der durch die scheibenlosen Gitterfenster weht.
38,5 Stunden lang zieht Nordindien an unserem Fenster vorbei. Erholt steigen wir am Bahnhof in Kalkutta aus – es ist abends und dunkel. Außerdem ist es warm und extrem schwül. Micha macht sich mit einem kleinen Kanister auf den Weg, um etwas Benzin aufzutreiben. Ich habe mich am Bahnhofsgebäude auf unser Gepäck gesetzt und beobachte solange die indischen Reisenden, wie sie aufgeregt unzählige Taschen, Kartons und Koffer über den Boden schleifen. Ich bin nassgeschwitzt, obwohl meine Augen das einzige sind, was ich bewege.
Nach einer Ewigkeit kommt Micha endlich zurück. An der Tankstelle wollte erst niemand den Kanister befüllen. Wir nehmen jetzt unsere Helme, Motorradklamotten und Taschen und laufen zum Parcel Service am hintersten Ende des Bahnhofs. Die Motorräder hat man mittlerweile auf einem der Bahnsteige abgestellt. Alukoffer, Schutzbleche und Sitzbank sind mit wasserfestem Marker bekritzelt. Einer der Spiegel ist zerbrochen und mein Tacho funktioniert nicht mehr. Da wir das Benzin erst außerhalb des Bahnhofs in die Tanks umfüllen dürfen, müssen wir die Emmen über die Schienen hinweg vom Gelände schieben. Unsere Shirts kleben an uns und das Gefühl von Erholung ist mit dem Schweiß verdunstet.

Durga Puja – Kalkutta in Feierlaune

Auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel am Chandni Chowk dringen wir ins Stadtzentrum vor. Einige der Straßen sind versperrt. Unmengen an bunten, blinkenden Lichterketten erleuchten Kalkutta. Obwohl es schon spät ist, sind ganze Menschenströme unterwegs. Polizisten in weißer Uniform und schwarzen Stiefeln lenken den Verkehr. Musik schrillt aus großen Lautsprechern. Wir stolpern gerade hinein ins größte und wichtigste Fest des Jahres, wie wir gleich erfahren werden: die zehntägige Durga Puja.
Das Fest dient der Verehrung der Hindugöttin Durga – die Göttin der Vollkommenheit. Ihr langes, schwarzes Haar, ihre eindringlichen Augen und ihre acht Arme verkörpern Schönheit und Stärke. Frauen und Männer verehren sie gleichermaßen. Am nächsten Abend lassen wir uns von Durga Puja treiben. Zusammen mit festlich gekleideten Menschen schlendern wir durch die dekorierte Stadt. Frauen tragen ihre schönsten Saris – die bunten Stoffe und ihr goldener Schmuck glitzern im Licht der Laternen. Überall brutzelt frisches Essen aus Straßenständen und spezielle Süßigkeiten werden verkauft. In den Tempeln, an den Straßen, in Veranstaltungszelten und sogar in den engen, verwinkelten Gassen sind kleine und große Bühnen mit religiösen und herrlich verzierten Durga-Altaren aufgebaut. Sie sind handgefertigt aus Holz, Bambus, Stoffen, Lehm und Pappmaschee  – jeder Altar ist ein Unikat. In den ersten Tagen wird die Ankunft der Göttin mit prunkvollen Prozessionen gefeiert. Nach religiösen Ritualen dröhnen bis nach Mitternacht Trommeln und Musik durch ganz Kalkutta.

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Zwei Tage später ziehen wir vom Chandni Chowk in ein ruhigeres Wohnviertel am südlichen Stadtrand um. Dort haben Ashish und Papya ein kleines, hübsches Gasthaus. Sie kümmern sich wie Eltern um uns. Papya kocht bengalisches Thali – lächelnd und in ihrem schönen Sari serviert sie jedem von uns ein rundes Tablett mit mehreren Metallschälchen. Sie sind gefüllt mit leckeren Currys, Dhal (Linsensuppe) und Reis. Dazu gibt es warmes Fladenbrot und eine knusprige Hühnchenkeule. Für den Nachtisch hat Papya die beliebte Süßigkeit Pantua besorgt – in dünnem Sirup getränkte, goldbraune Griesbällchen.
Bei unserer ersten Asienreise hatten wir es keine Woche in Kalkutta ausgehalten – zu staubig, zu laut, zu voll. Dieses Mal erleben wir die Stadt ganz anders. Obwohl Göttin Durga gerade alles auf den Kopf stellt, herrscht kein Chaos. Viele Straßen sind in recht gutem Zustand. Ampeln regeln den Verkehr, ohne dass wir ständig im Stau stehen. Wir fahren gleich mehrmals quer durch die Stadt und sind überrascht, wie schnell das geht. Dafür entpuppt sich der Besuch des Service-Centers für die Thailand-Visa als bürokratischer Albtraum. Fünf Stunden lang schickt man uns für unsinnige Dokumente hin und her. Dabei hätten wir das Visum gar nicht gebraucht, wie wir hinterher feststellen. Nun ja, zum Glück ist die Beschaffung des Myanmar-Visums genau das Gegenteil – einen einseitigen Antrag ausfüllen, Foto anheften und am nächsten Tag dürfen wir unsere Pässe abholen. Allerdings darf man nicht erwähnen, dass man auf Motorrädern unterwegs ist.

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Kalkuttas Festival neigt sich dem Ende zu. An den letzten Tagen wird die Göttin feierlich verabschiedet. Am Abend geleiten dafür die Menschen hunderte große und kleine Durga-Statuen zum Ganges oder nächstgelegenen Teich. Dort werden sie zu Wasser gelassen, nach dem sie sieben mal im Kreis gedreht wurden. Fünf Minuten von unserem Gasthaus entfernt können wir dieses bunte Spektakel miterleben. Niemand bleibt um diese Zeit zuhause. Verheiratete Frauen haben ihre Gesichter mit Sindur bemalt – dem roten, geweihten Farbpulver. Auf Fahrradanhängern, kleinen und großen Lastwagen sind die Durga-Statuen unterwegs zum Ufer. Männer und Frauen folgen ihnen tanzend. Unter Jubelrufen werden die Statuen nach und nach von einer Bühne ins Wasser fallen gelassen. Gleich darauf fischen junge Männer die traurigen Figuren wieder heraus. Was eben noch so schön gefunkelt hat und tief verehrt wurde, endet kurz darauf als Abfall. Auch wir sagen Aufwiedersehen zu Durga und machen uns am nächsten Morgen auf die Weiterreise.

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Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Abenteuer Indien: Ruhige letzte Tage /abenteuer-indien-ruhige-letzte-tage/ /abenteuer-indien-ruhige-letzte-tage/#respond Fri, 08 May 2009 17:44:52 +0000 /?page_id=2675 Indien_Ganges

Rishikesh: Warten aufs Iranvisum

Mitte April. Ein Monat Nepal ist im Flug vergangen und wir fahren zum zweiten Mal in Indien ein. Bis die sehnlich erwartete DHL Express Sendung mit den Iranvisa von Berlin nach Amritsar unterwegs ist, wollen wir noch einmal ein paar Tage in der Yogawelthauptstadt Rishikesh in Nordindien verbringen. Die Stadt am heiligen Ganges ist uns seit unserem ersten Besuch im November letzten Jahres in guter Erinnerung geblieben. Bestens geeignet, um Energie für die anstehende Rückreise durch die Wüsten Pakistans und Irans aufzutanken.
Nach Überfahrt der nepalesischen Grenze am 13. April und einer Zwischenübernachtung in Kashipur düsen wir also mit den Emmen in den noch nicht so heißen Morgenstunden los nach Rishikesh. Im Umkreis der Stadt quälen wir uns durch einen irren Ameisenhaufen von blauen, ohrenbetäubenden Autorickschas bis hoch auf den Hügel, wo ein paar nette Gasthäuser und eine indische „Deutsche Bäckerei” schon auf uns warten. Es ist erst neun Uhr morgens, die Sonne erhitzt bereits die Luft und die Trockenheit der indischen Wintermonate hat der Gegend um Rishikesh fast ihre ganze grüne Farbe genommen. Nur der Ganges schimmert noch milchig grün. Immerhin hat jetzt die Mango-Saison begonnen. Darauf warten wir schon seit Beginn unseres Indienabenteuers.

Hitzewelle

Wir nutzen die Zwangswartezeit zum Recherchieren, Schreiben und Entspannen, sofern es die Hitze zulässt. Für April ist es hier viel zu heiß. Die Temperaturen steigen jeden Tag ein bisschen an – auf etwa vierzig Grad im Schatten. Die lokalen Zeitungen berichten über Todesfälle durch Hitzeschlag und der Deckenventilator wirbelt 24 Stunden lang stickige Luft durchs Zimmer. Unter dem Moskitonetz staut sich nachts die Körperwärme, so dass nur noch ein nasses Handtuch auf der Haut ein bisschen Tiefschlaf ermöglicht. Zur Abkühlung nimmt Micha tagsüber ein eiskaltes und segnendes Bad im Ganges. In Rishikesh ist der heilige Hindufluss nämlich noch (augenscheinlich) sauber. Weil Frauen nur in Kleidern baden dürfen, bleibe ich mit Schweißflecken auf dem T-Shirt am Ufer stehen.

Babaji massiert

Gleich gegenüber von unserem Gasthaus entdecken wir das winzige „Baba Massage Center“ – angeblich die älteste Massagestube in Rishikesh. Baba Balwant Singh (alias Babaji) hat es 1961 im Alter von 89 Jahren gegründet, nachdem er von einer langen Wanderschaft durch Indien mit traditionellen Ayurveda-Kenntnissen hierher zurückkam. Wir spüren auf einmal die Verspannungen im Nacken und belohnen uns mit der allerersten Massage auf unserer ganzen Reise.
Zu hundert Prozent entkleidet liege ich morgens um Neun vor einer fremden Inderin mit dem Rücken auf dem Boden. Ich schäme mich auf einmal. In den letzten Monaten habe ich mich daran gewöhnen müssen, möglichst wenig Haut zu zeigen. Die Inderin ölt nun meinen ganzen Körper bis in die Haare ein, massiert mich von den Finger- bis Zehenspitzen mit Händen und Füßen. Hinter der Wand höre ich, wie gleichzeitig ein Inder Micha ayurvedisch auf den Rücken klatscht. Nach einer Stunde stehe ich mit fettigem Strubbelkopf und total benommen, aber glücklich von der Matratze am Boden auf.
Rishikesh ist für uns ein Schlemmerparadies. Insbesondere, wenn man aus Nepal kommt und Reis mit Linsensuppe satt hat. Zusammen mit Mark und Maggi, die wir hier kennen lernen, sitzen wir ein paar mal stundenlang im kleinen Gartenrestaurant zusammen und verschlingen dunkle Yakkäsebrote und kalten Mangolassi. Die beiden Schweizer, die seit 26 Jahren in Australien leben, sind zusammen auf einer BMW in ihre alte Heimat unterwegs. Wir nehmen sie mit zu einem Spaziergang ans Gangesufer – zur allabendlichen Sonnenuntergangszeremonie der Hare Krishnas. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Mussoorie: Kühle Nächte vor der Nebensaison

20. April. Eine Woche Warten ist vergangen. Ab heute beginnt laut Einreiseantrag eigentlich unser Iranvisum zu laufen und es gibt immer noch keine Nachricht aus Berlin. Um wenigstens der Hitzewelle zu entkommen, beschließen wir, Mark und Maggi nach Mussoorie zu folgen – eine Kleinstadt in den Bergen, nur zwei Stunden Fahrt von hier. Dort soll es kühler sein und wir können den ausgehungerten Moskitos entkommen. Damit wir später auf den iranischen Wüstenhighways ein bisschen mehr Speed haben, tauscht Micha an beiden Emmen noch die Antriebsritzel aus (von 15 auf 16 und 17 Zähne). Am nächsten Morgen um sechs Uhr knattern wir hoch auf über zweitausend Meter – nach Mussoorie.
Mussoorie ist ein Städtchen für frisch Verheiratete oder neureiche Inder mit verzogenen Kindern, die hier ab Mai der Hitze in Dehli und des nordindischen Flachlandes für ein Wochenende entfliehen wollen. In der Hochsaison von Mai bis Juni sind die Hotels etwa dreimal so teuer. Wir haben Glück: Jetzt ist gerade noch Nebensaison. Und das Wetter könnte nicht besser sein: 25 Grad, frische Luft, abends angenehm kühl. Endlich können wir uns draußen bewegen und nachts wieder durchschlafen. Zusammen mit Mark machen wir einen Motorradausflug zum Kempty Wasserfall. Wider Erwarten ist diese Stelle ziemlich überlaufen und wenig natürlich – ein Planschbecken für Nichtschwimmer, zugebaut mit kleinen Shops und Restaurants. Hier zeigt sich wieder: Inder fühlen sich am wohlsten unter vielen Indern.

Deutscher Besuch aus Dehli

Nach drei Tagen verabschieden sich unsere neuen Reisefreunde nach Shimla. Und da kündigt sich per E-Mail der nächste Besuch an: Uwe hat gerade unsere Webseite entdeckt und würde uns gerne treffen. Er arbeitet seit zwei Jahren in Dehli und beschließt spontan, einen Wochenendausflug nach Mussoorie zu machen. Am nächsten Nachmittag kommt er auf seiner Enfield und seine Frau Csilla auf einer brandneuen Yamaha FZS nach zehn Stunden Fahrt hier oben in den Bergen an. Die Beiden haben erst in Indien mit dem Motorradfahren angefangen.
Sie erleben dieses Land, in dem sie der Arbeit wegen hier sind, natürlich von einer ganz anderen Perspektive. Sie müssen sich jeden Tag mit den Eigenarten der Inder auseinandersetzen. Keine leichte Aufgabe, denn die Arbeitsweise und Ansichten eines deutschen Ingenieurs haben kaum Gemeinsamkeiten mit den Einstellungen indischer Angestellter. Außerdem gibt es große Unterschiede zu den wohlhabenderen Indern in Dehli. Wir teilen mit Uwe den Eindruck, dass in den höheren Kasten Understatement ein Fremdwort ist. Die Arroganz bspw. gegenüber Servicekräften, die den reicheren Indern sämtliche Dinge im Alltag inklusive Autofahren abnehmen, ist schwer zu übertreffen.
Die Tage in Mussoorie vergehen und im Hotel zählt man uns mittlerweile zum Inventar. Wir gehen jeden Morgen um etwa acht Uhr ins kleine Inderrestaurant und bestellen zum Frühstück zwei Aloo-Parantha (kartoffelpufferähnliches Fladenbrot), zwei Omelett, zwei süße Lassi und zweimal Chai für insgesamt 112 Rupies, also rund zwei Euro. Die kleine Routine beruhigt uns, wenn sich Nervosität oder Ärger über die Verzögerung der Visaangelegenheit bei uns breit macht. Am 29. April bekommen wir dann endlich die Nachricht, dass die Visa für den Iran am 4. Mai aus der Botschaft in Berlin abgeholt und per DHL nun nach Quetta in Pakistan geschickt werden können. Das ist unser Startschuss, um über Amritsar nach Pakistan zu fahren, damit wir etwa zeitgleich mit den Visa in Quetta ankommen.

Amritsar: Abschied am Goldenen Tempel

Auf dem Weg nach Amritsar an der Grenze zu Pakistan übernachten wir in einem Hotel direkt am Highway und neben der größten Honigfabrik in Asien, die uns einen Rundgang erlaubt. In Amritsar nehmen wir dann Abschied an dem Ort, wo unser Indienabenteuer vor einem halben Jahr begonnen hat. Es ist unheimlich heiß und schwül, aber der Goldene Tempel heißt uns zum zweiten Mal herzlich willkommen. Nishan und seine Familie kommen für einen letzten Tempel-Rundgang mit uns extra in die Stadt gefahren. Sie entführen uns später noch zum Abendessen in ihr Dorf. Am nächsten Morgen können wir unseren Augen kaum glauben: Regenwolken über Indien. Wir kommen allerdings trocken an der Grenzstation in Wagah an. Die Luft hat sich glücklicherweise etwas abgekühlt.
Die Halle des Immigrationsbüros ist sowohl auf indischer, als auch auf pakistanischer Seite menschenleer – keiner außer uns will nach Pakistan einreisen. Solange die Beamten unsere Pässe und Carnets bearbeiten, kommt ein komisches Gefühl in uns auf. Zum ersten Mal ist ein Grenzübergang nicht mehr aufregend und spannend, denn was hier abläuft, haben wir schon einmal erlebt. Jetzt geht es definitiv rückwärts. Ein Gefühl wie am letzten Urlaubstag, wenn die Heimreise ansteht. Nach dem unkomplizierten Prozedere besonders auf pakistanischer Seite starten wir die Emmen gen Lahore. Vor uns liegen rund zweitausend Kilometer Pakistan-Transit bis zur iranischen Grenze.

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Darjeeling: Super Fine Tippy Golden Flowery Orange Pekoe One /indien-bengalen-darjeeling/ /indien-bengalen-darjeeling/#comments Sat, 21 Mar 2009 18:55:43 +0000 /?page_id=2791 …diese Überschrift verstehen nur echte Teekenner.

Im Haus einer Teepflückerin in Darjeeling (c) emmenreiter.de

Bengalen: Landflucht nach Norden

Als wir am 5. März morgens in Kalkutta das Gepäck für die Flucht aufs bengalische Land auf die Motorräder hieven, leiden wir unter einer gefühlten hundertzwanzigprozentigen Luftfeuchtigkeit. Noch bevor wir überhaupt angekickt haben, sind unsere T-Shirts durchgeweicht und unsere Energiereserven um ein Viertel geschrumpft. Vielleicht aus Mitleid schenkt uns das Hotel zum Abschied einen Flaschenöffner. Jeder Inder glaubt nämlich zu wissen, dass alle Touristen am liebsten Bier trinken.
Aus der Stadt heraus gibt es wieder keinen einzigen Wegweiser. Wir sollen immer nach Siliguri fragen, dann zeigt man uns den richtigen Weg, so der hilfsbereite Manager aus dem Howrah Hotel. Mit diesem Hinweis bekommen wir tatsächlich jedes Mal eine klare Richtung gewiesen. Und dennoch zieht sich die Fahrt nach Norden hin. Kalkutta will nicht enden. Mittlerweile ist es schon fast Mittag und wir bleiben in der prallen Sonne auch noch an einem geschlossenen Bahnübergang hängen. Als endlich der vierte Zug vorbei geschlichen ist, öffnen sich die Schranken. Erst fünfundsechzig Kilometer, zeigt der Kilometerzähler, und wir sind jetzt schon k.o.
Die anderen hundertsiebzig Kilometer bis zum Tagesziel Murshidabad reiten wir mit steifem Nacken und meistens fünfzig km/h auf der Landstraße ab. Es ist Sonntag und trotzdem sind viele LKW und Busse unterwegs, die uns ständig ausbremsen. Risse und Schlaglöcher im alten Asphalt halten uns wach. Irgendwann stoppen wir endlich an einem Wegweiser, der gleich zwanzig Orte aufführt, nur nicht Murshidabad. Und das, obwohl die ländliche Stadt damals eine Zeit lang die Hauptstadt Bengalens war und fast so eindrucksvoll wie London. Jedenfalls behauptet das der extrem gastfreundliche Hotelbesitzer des Manjusha Hotels, in dem wir nach Ankunft erleichtert und müde absteigen.

Murshidabad: Leben am Fluss

Das Hotel liegt direkt am Ufer des Bhagirathi Flusses und in den Zimmern fliegen daher ganze Mückenschwärme umher. Soviel Mücken haben wir noch nie auf einmal gesehen. Dank Moskitonetz verbringen wir hier eine ungestörte Nacht und freuen uns, dass wir der Großstadt entkommen sind.
Um sieben Uhr sind wir ausgeschlafen und tuckern zusammen mit unserem Zimmernachbarn Michael aus Australien im Boot flussaufwärts zu ein paar alten Hindutempeln. Links und rechts am Ufer liegen saftgrüne Reisfelder und kleine Bananenplantagen. Wir können beobachten, wie das Leben am Fluss erwacht. Die Menschen nehmen ihre Morgendusche, Frauen polieren ihre Messingwasserkrüge im Schlamm oder schlagen im Hocken die Wäsche auf Steine. Männer manövrieren mit riesigen Heuballen überladene Fahrräder auf die Bambusplattform eines wackeligen Holzbootes, das sie ans andere Ufer schippern soll. Wir sehen sogar Flussdelphine, die durchs Wasser springen. Fischer wippen am Ufer auf meterhohen Bambusrohrgerüsten ihr Fangnetz an die Oberfläche. Nach etwa einer Stunde Uferbeobachtung steigen wir in dem friedlichen Dorf mit gleich sechs bengalischen Shiva Tempeln aus, die in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts mit einer beeindruckenden Fassade aus unendlichen Ornamenten erbaut wurden. Keine Darstellung in den Ziegeln scheint sich zu wiederholen. Kinder aus dem Dorf beschenken mich mit selbst gepflückten Blumensträußchen, in der Hoffnung auf Schokolade.
Langsam entspannen wir uns und bleiben mal wieder einen Tag länger als geplant im erholsamen Murshidabad. Wir besichtigen die ungewöhnliche Architektur – Paläste, Herrenhäuser, Tempel und ein muslimisches Imambara – die irgendwie wahllos in der Gegend gestreut nur noch erahnen lässt, dass der heute eher ländliche Ort einmal eine florierende Stadt war. An meinem Geburtstag verlassen wir Murshidabad. Außer der Kerze am Frühstückstisch ist es ein ganz normaler Motorradtag in Indien. Die Fahrt ist wieder anstrengend. In Malda nahe der Grenze zu Bangladesh kommen wir tatsächlich zum ersten Mal in Indien in einen richtigen Stau. Alles, was zwei Räder hat, drängelt sich zum Glück irgendwie nach vorne durch. Dabei machen wir eine sehr ungewöhnliche Entdeckung: bengalische „Schulbusse”. Etwa zehn Kinder drängeln sich in einen übergroßen Hühnerkäfig auf drei Rädern. Sieht aus, als würde man sie zum Schlachthof statt auf den Schulhof fahren. Wir legen noch eine letzte Zwischenübernachtung in Raiganj ein, bevor wir Darjeeling erreichen. Zur Feier des Tages bestellen wir als Ersatz für Kaffee und Käsekuchen, Tee und Toast mit indischer Marmelade, die wie gewöhnlich nach übersüßtem Kaugummi schmeckt.

Die westbengalischen Berge: Klimawandel in zwei Stunden

Am internationalen Frauentag erreichen wir Siliguri und biegen vor der Stadt links auf die Bergstraße nach Darjeeling ab. Wir fahren jetzt durch Wälder und kleine Dörfer mit bunten Holzhäusern. Wir blicken in runde Gesichter, die nicht mehr indisch aussehen. Nepalesen und Tibeter haben die Berglandschaft um Darjeeling besiedelt. Unzählige Male poltern unsere Emmen über die ausgefahrenen Bahnübergänge der 218 Jahre alten Schmalspurbahn, deren Gleise im Schlängelweg die Straße kreuzen. Wir hören auf einmal das laute Pfeifen einer Dampflok – die als Weltkulturerbe gewürdigte und ziemlich wackelige Himalayan Railway kutschiert tatsächlich immer noch Passagiere aus dem Flachland nach Darjeeling. Die Bahn braucht doppelt solange wie die MZ. Fast siebzig Kilometer und zweieinhalb Stunden kurven wir nach oben bis auf 2134 Meter. Die Luft ist jetzt kalt. Weißer, dichter Nebel verhüllt die Gegend. Wir erkennen kaum noch die Lichter der Jeeps, die uns aus Darjeeling entgegenkommen.

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Darjeeling: Ein Gewirr aus tausend Gassen

Darjeeling besteht auf den ersten Blick aus unzähligen engen und sehr steilen Gassen, die sich an den Hügeln der Stadt undurchschaubar nach oben winden. Verkehrspolizisten müssen verhindern, dass sich der Verkehr an den engen Kreuzungen und in den einspurigen Straßen verknotet. Unser Orientierungssinn reicht nicht mehr aus. Die Suche nach dem richtigen Hotel dauert. Am Ende des Tages ist aber alles gut und wir fädeln beide Mopeds mit einem Zentimeter Platz zum Auto des Hotelbesitzers in dessen Garage ein. Nach vier Monaten schweißtreibender Hitze überkommt uns zum ersten Mal ein Kälteschauer. Das Wasser aus der Dusche ist eisig und sticht in die Haut. Zitternd kramen wir die Schlafsäcke, Daunenjacken und Wollsocken raus und klettern früh ins klamme Bett. An solche Temperaturen müssen wir uns erst mal wieder gewöhnen.

Exquisite Teestunde

Trotz Kratzen im Hals und Rotznase ist uns der schnelle Klimawandel eine irgendwie ersehnte Abwechslung. Endlich können wir mal wieder eine dampfende Tasse Tee gemütlich zwischen zwei frierenden Händen genießen. Das erinnert uns an Zuhause. Und in der berühmten Stadt des Tees ist das natürlich ein exquisites Erlebnis.
Wir wandern bei schönem Wetter zwei Kilometer ins untere Darjeeling zum Happy Valley Tea Estate, wo uns eine ehemalige Teepflückerin zur Teestunde einlädt. Von ihr lernen wir, dass die höchste Qualitätsstufe des Darjeeling Tees als „Super Fine Tippy Golden Flowery Orange Pekoe 1″ bezeichnet wird. Für diesen Tee wird nur die feine, oberste Blattspitze aus dem ersten Pflückdurchgang im Frühling verwendet. Sie gibt dem Tee eine goldene Farbe und ein besonders mildes Aroma.
Das Happy Valley Tea Estate ist unter vierundachtzig Plantagen die älteste und berühmteste in Darjeeling. Das englische Nobelkaufhaus Harrods lässt sich exklusiv von ihr beliefern. Die Teebüsche am Hang sind mittlerweile zwischen 80 und 150 Jahre alt. Der Happy Valley Tee muss nur ein paar Sekunden im gekochten Wasser ziehen und kann dann noch zweimal aufgebrüht werden. Die Kostprobe bestätigt uns ein wirklich tolles Aroma.
Obwohl normalerweise im März die Teesaison beginnt und die Plantagen mit der ersten Ernte und dem Trocknen der Blätter anfangen, sind die Pflückerinnen in Darjeeling noch nicht am Werk. Der Winter war zu trocken und noch immer warten alle auf Regen, der die Teebüsche aufblühen und die Blattspitzen sprießen lässt. Als wir dort sind, sind die Frauen damit beschäftigt, die Reihen zwischen den Büschen zu säubern.

Tenzing, Edmund und Reinhold

Darjeeling ist nicht nur für seinen Tee bekannt. Es ist auch die Heimat von Sherpa Tenzing Norgay, der zusammen mit dem Engländer Edmund Hillary 1953 als Erster den Mount Everest bestieg. Das hiesige Bergsteiger Institut, das Tenzing lange Jahre leitete, ist weltbekannt und bildet noch heute Bergsteiger aus. Landsmann Reinhold Messner – mit einem „E” zuviel im Messingnamenschild unter seinem Foto an der Legendenwand – wird im Institutsmuseum als Derjenige gewürdigt, der bisher als Einziger in alle vierzehn Achttausendergipfel im Himalaja einen Wimpel gesteckt hat. Wir haben leider nicht daran gedacht, dem Museumsleiter vorzuschlagen, ein Foto von „den ersten MZ, die den Himalaja bezwungen haben” auszustellen. Bevor wir nach Hause fahren, wollen auch wir dem Mount Everest einen Besuch abstatten. Die Emmen sollen von Nepal aus wenigstens mal einen Blick auf den höchsten Berg der Erde werfen.

Nepal muss noch ein bisschen warten

Bevor wir von hier aus ins südöstliche Terai von Nepal ausreisen können, vergehen noch ein paar Tage, denn in Nepal wird gerade gestreikt. Straßen und Tankstellen sind durch Blockaden versperrt. Die Grenze in Karkabitta soll sogar geschlossen sein. Uns bleibt also Zeit, die Teehäuser in Darjeeling auszuprobieren und das Holifest mitzuerleben, bei dem Hindus das Ende der Trockenzeit herbeifeiern und Wasser und Farbpulver auf die Menschen streuen.
Wir wollten eigentlich schon Anfang März in Nepal sein und sind deshalb ein bisschen unruhig. Das Ende des Streiks ist ungewiss, weiter Abwarten und Tee trinken wollen wir nicht. Der Hotelbesitzer erkundigt sich für uns bei einem Kollegen in Nepal über die Situation vor Ort. Als Touristen auf dem Motorrad könnten wir die Grenze wohl problemlos überqueren.
Aber das Schicksal will es, das Micha wieder zur Untersuchung ins Krankenhaus muss, was die Weiterfahrt von selbst um nochmals zwei Tage verzögert. Seine Amöben waren gegen die letzten Medikamente resistent, so das der Chefarzt – und übrigens Darmspezialist – noch mal was Neues verschreibt. Es war der letzte Besuch in einem indischen Krankenhaus – dieses Mal eine alte, zweistöckige Baracke. Die Krankenschwestern tragen hier Uniformen wie in den Vierziger Jahren. Auf dem dunklen, muffig riechenden Flur stehen Geräte, die wohl auch aus dieser Zeit stammen. Aus der Toilette stinkt es nach Gulli. Das Behandlungszimmer des Arztes ist nur durch einen speckigen Vorhang von den wartenden Patienten getrennt. Die Behandlung und der sofortige Labortest kosten zusammen allerdings nur 200 Rupien, also etwa drei Euro.

Am 15. März 2009 knattern wir guter Hoffnung an die ostnepalesische Grenze…

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Bangalore – Kalkutta: 37 Stunden im Howrah-Express /bangalore-kalkutta-howrah-express/ /bangalore-kalkutta-howrah-express/#comments Mon, 09 Mar 2009 18:54:45 +0000 /?page_id=2788 Im Howrah-Express Indien 2009

Zu viert auf der Schiene

Als die Packer am Bahnsteig in Bangalore unsere beiden Motorräder sehen, geraten sie in Unruhe: zu breit! Indische Motorräder haben keine Koffer! Ich gucke auf die Verladetafel, wo steht, was die Mitnahme von bestimmter Zugfracht kostet. Neben Motorrädern sind da auch Elefanten notiert. Nach einer kurzen Diskussion geht’s dann plötzlich sehr schnell. Als wir die Motorräder noch zum Einladen verabschieden wollen, fängt ein einheimischer Passagier vor unseren Augen an, sich mit für Indien ungewöhnlich großen Gesten und impulsivem Geschrei beim Manager des Frachtbüros über die Verladung zu beschweren. Scheinbar hat er Angst um seine eigene Fracht, als er unsere überbreiten Maschinchen sieht. Dem Gesicht des Verladechefs entnehmen wir, dass er ein Problem hat: Wir hätten ihm früher mitteilen sollen, dass die Motorräder dreimal so breit sind wie indische! Wir machen ihm sofort klar, dass wir die Motorräder auf keinen Fall in einem späteren Zug nachschicken lassen können. Unsere imaginären Motorradfreunde würden bereits in Kalkutta auf uns und die Ausreise nach Nepal warten! Micha schiebt die Mopeds mit den hilfsbereiten Packern schnell auf den Bahnsteig zum letzten Wagon. Der panische Passagier folgte ihnen und unter heftiger Diskussion mit den Packern, die um Haaresbreite in eine Schlägerei ausgeartet wäre, war mit ein paar Handgriffen alles verstaut. Die Motorräder sind eingequetscht unter und zwischen Kisten und Paketen im hintersten Wagon des Howrah-Express´. Die Wallahs hatten keine Zeit mehr, sie wie alle anderen mitreisenden Motorräder mit Stroh zu polstern und in Sackstoff einzunähen. Wir sind froh, dass die Mopeds überhaupt noch einen Platz gefunden haben im Zug mit der Nummer 2864 – der Howrah-Express nach Kalkutta.

2AC: Im Genuss von erstklassigem Service

Verschwitzt vom Hin-und-her auf dem Bahnsteig sitzen wir nun im klimatisierten Wagon der Klasse 2AC. Der Zug rollt pünktlich an. Um uns herum haben sich Inder platziert, die sich das bessere Ticket leisten können. Unsere Zugfahrt wird kein Abenteuer. Das würde es vielleicht im billigsten und stickigen Sleeper-Wagen sein, wo die Armen reisen. Der Zug der Indian Railway – ein unverkennbares Abbild der indischen Klassen.
Kaum haben sich die Räder in Bewegung gesetzt, beginnt auch schon der erste Teil einer unerwarteten Serviceserie: Der Tee-Mann ruft durch die Reihen. Fünf Minuten später nimmt der Dinner-Mann Bestellungen fürs Abendessen auf. Dann folgt der Bettwäsche-Handtuch-Mann, der Süßigkeiten-Mann, wieder der Tee-Mann, der Kaltgetränke-Mann und kurz vor Nachtruhe der Rosenduft-Mann, der die blauen Vorhänge vor den Schlafliegen befeuchtet und nach Wunsch auch Moskitogift versprüht. Langeweile kommt nicht auf. Wir machen es uns auf den Doppelstockliegen gemütlich und verbringen eine gute Nacht im schunkelnden Express. Um halb acht am nächsten Morgen kommt der Frühstück-Mann, danach der Mülleinsammler, der Fensterputzer und mittags der Lunch-Mann, der Eis-Mann, der Joghurt-Mann und so weiter.
Nach 37 Stunden und 2000 Kilometern auf indischen Gleisen steigen wir am 28. Februar um halb neun Uhr morgens erwartungsvoll am großen Bahnhof in Kalkutta bzw. Howrah auf den Bahnsteig. Zu unserer freudigen Verwunderung stehen die Emmen bereits unbeschadet zwischen Paketstapeln auf dem selben Bahnsteig und warten auf uns. Die Zugreise war eine bequeme und unvergessliche Abwechslung zum Ritt auf der Emme. Ausgeschlafen und mutig machen wir die ersten Schritte ins Abenteuer Kalkutta.

Kalkutta: Menschen und Kolonialbauten im Kampf ums Überleben

Indischer kann es nicht sein! Kalkutta und Howrah sind ein Erlebnis für sich: So viele Menschen. So viele Geräusche. Und so viele Gerüche durchdringen die Gegend um den Howrah-Bahnhof auf der Westseite des Hugli-Flusses und wandern über die monströse Howrah-Brücke bis in die breiten Kolonialstraßen auf der anderen Seite der zweitgrößten indischen Stadt. Die feinen alten Häuser aus britischen Herrschaftszeiten, die bspw. die Mahatma-Gandhi-Road bilden, wurden irgendwann zu billigen Unterkünften für die explodierende und verarmte Stadtbevölkerung. Nach dem Indien-Pakistan-Krieg in den siebziger Jahren hatte die Kommunistische Partei niedrige Mieten vorgeschrieben und den Grundstückseigentümern das Interesse an dem Erhalt der Häuser genommen. Zusammen mit ihren Bewohnern kämpfen die heruntergekommenen Straßenzüge heute in manchen Vierteln Kalkuttas ums Überleben. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Um den Howrah-Bahnhof: Stimulation aller Sinne

Im alten Howrah-Hotel, in einer kleinen Kopfsteinpflasterstraße nur fünf Minuten Fussweg vom Bahnhof entfernt, haben wir das Gefühl, in einem Museum zu wohnen. Wie viele Kalkutta-Reisende haben wohl in der von der Zeit gezeichneten Gästekammer im dritten Stock schon gewohnt? Das Haus ist hundertdreißig Jahre alt. Wir drehen den Schlüssel mit der Zimmernummer 30 im rostigen Vorhängeschloss um. Hinter undichten, groben Holzdoppeltüren treten wir auf schwarz-weiß karierten Marmorboden, an der Wand ein bunter Antikfliesenspiegel. Wir öffnen die schweren Fensterläden und lassen die Morgensonne in den Raum. Über dem einfachen Holzbett verteilt der Ventilator den Staub der Großstadt durch die schwülheiße Luft. Das Zimmer gibt uns das Gefühl, mittendrin zu sein in der einstigen Kolonialstadt.
Über das verzierte Eisengeländer im Laubengang vor unserer Zimmertür blicken wir auf einen mittelalterlich anmutenden Gemüsemarkt herab. Der Basar ist ohne Zweifel ein Mittelpunkt indischen Daseins. Von früh bis spät Gewusel und laute Stimmen. Zu beobachten wie ein geschäftiger Ameisenhaufen. Am Straßenbrunnen in der Nähe des Marktes wird pausenlos Wasser per Hand an die Oberfläche gepumpt und in Eimern auf dem Schulterholz barfuß zum Markt geschleppt. Gerüche aus den Straßenküchen unterhalb des Hotels steigen zu uns nach oben.
Als wir abends die Schleichwege im nie ruhenden Viertel um den Howrah-Bahnhof durchstreifen, stinkt es in den Ecken abwechselnd nach Fisch, altem Gemüse, Urin und Straßenstaub. In welchem Jahrhundert sind wir gelandet? Um den Bahnhof kreisen dunkelgelbe Ambassador Oldtimer-Taxis und rumpelige Busmonster, deren Dieselmotoren und pausenloses Hupen mit knatternden betagten Zweitakt-Rikschas um die Wette dröhnen. Die Stadt versprüht ihren ganzen Charme. Ein Abenteuer für alle Sinne.

Kalkutta, Kalkutta

In den nächsten Tagen fahren wir mal mit dem dunkelgelben Taxi, mal mit der Metro und dem Bus durch die Straßen oder setzen mit der Fähre ans andere Ufer über. Wir besuchen den vor Farben strotzenden Blumenmarkt und den historischen Kalitempel, der Kalkutta seinen Namen gab. Er ist der älteste und größte Kalitempel in Indien und ständig besucht von Pilgern, die hier jeden Vormittag Ziegenböcke an der Guillotine opfern. Um den Tempel drängen kahlköpfige Hindufrauen, die gerade ihre Haarpracht geopfert haben – ein ungewöhnlicher Anblick. Fotografieren ist nicht erlaubt.
Am vorletzten Abend wollen wir uns den gerade Oskar prämierten Film „Slumdog Millionär“ ansehen, über den tagelang in allen indischen Medien berichtet wurde. Der Film erzählt die Geschichte eines Slum-Jungen aus Mumbai, der in einer Fernsehquizshow zum Millionär wird. Wir verfransen uns in den Straßen Kalkuttas und kommen leider erst beim Kino an, als der Film schon eine halbe Stunde läuft. Zu spät. Schade. Es wäre so spannend gewesen, den Film zusammen mit Indern zu sehen.
Um dem lärmenden Straßengewusel zu entkommen, flüchten wir am letzten Tag in der Stadt ins Indische Museum – das Älteste und Größte im Land. Hier sehen wir zum ersten Mal ein Elefantenskelett oder lebensgroße Darstellungen indischer Volksstämme und ihres Alltags. Noch einmal wird uns klar, wie vielfältig geprägt der Subkontinent ist. Zum Sonnenuntergang machen wir einen Spaziergang um das Queen-Victoria-Denkmal im Maidan-Park und schlemmen zum Abschied den leckeren, regional typischen, süßen Joghurt aus Tontöpfen.
Nach fünf spannenden Tagen können wir es trotzdem kaum erwarten, weiter gen Darjeeling zu fahren. Die Weiterreise gleicht einer Flucht. Trotz Ohrenstöpsel in der Nacht wurde uns der Non-Stop-Lärm am Ende zu viel. Die dreckige und stickige Luft hat regelrecht unsere Atemwege verschleimt. Verrußte Nasenlöcher, Halskratzen und Husten. Dazu Juckreiz auf der Haut dank antiker Matratzen. Wir sind großstadtkrank und verschreiben uns die Fahrt in die Berge.

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Karnataka: Abschied vom Süden /indien-karnataka/ /indien-karnataka/#comments Mon, 02 Mar 2009 18:53:05 +0000 /?page_id=2785 Inder sitzen im Tata-LKW in Bangalore

Gokarna: Das Ohr der Kuh

15. Februar, acht Uhr morgens. Endlich schaffen wir den Absprung aus Arambol im Norden Goas. Das Faulsein hat ein Ende. In den letzten zehn Tagen im Touristenparadies raubte leider ein verseuchter Darm unsere ganze Lebensenergie. Nun ist es Zeit für den Aufbruch. In der letzten Nacht vor Abfahrt machen wir kaum ein Auge zu und überlegen, wie unser Reiseabenteuer weiter gehen soll. Noch fünfeinhalb Monate! Erst Nepal, dann Iran. Außerdem müssen wir durch die dünnen Wände dabei zuhören, wie unser Zimmernachbar sich die Galle aus dem Magen kotzt. Keiner bleibt verschont.
Ein letztes Frühstück im Ave Maria, dann ziehen wir die eingestaubten Stiefel an und treten den Kickstarter. Der Zweitakterqualm verteilt sich um uns. Spätestens in diesem Moment ist die Neugier auf Neues wieder spürbar und wir düsen auf den Mopeds südlich nach Karnataka davon. Am Nachmittag erreichen wir unsere letzte Station an der Westküste: Im Hindudorf Gokarna – übersetzt „Ohr der Kuh” – kaut das heilige Tier ungestört an den Überresten der gelb-orangefarbenen Blumenketten, mit denen die Hindus die Tempel und ihre Götter schmücken. Auf der ockersandigen Hauptstraße schlendern Einwohner, Pilger, Heilige und ein paar Touristen. Rechts und links verwandeln winzige Geschäfte und Restaurants die einfachen, muffigen Holzbaracken in eine bunte Ladenstraße. Es ist noch schwüler als sonst und der Schweiß durchnässt unsere T-Shirts.
Jedes dritte Haus in Gokarna scheint ein kleiner Tempel zu sein. Und seit Tagen kommen immer mehr Pilger in die heilige Küstenstadt, denn mit dem 18. Februar beginnt hier das jährliche Hindu-Festival Shivaratri – das Fest zu Ehren des Gottes Shiva. Eine halbe Million Menschen erwartet das Dorf. Höhepunkt ist ein Straßenumzug am 26. Februar, bei dem die Hindus überdimensionale Holzkarren, die alle Gebäude überragen, auf riesigen Rädern durch die Straße ziehen werden. Gleichzeitig werfen die Hindus Bananen als Glücksbringer. Auf einem Urwald begrünten Hügel im Dorf finden wir fernab des Trubels ein schönes Urlaubshäuschen. Von hier oben können wir die Festivalklänge vom Strand her hören. Als wir abends durch Gokarna wandern, treffen wir zufällig eine nette Reisebekanntschaft aus England wieder. John und Linda hatten uns damals in Pakistan/Lahore empfohlen, unbedingt nach Gokarna zu fahren. Und nun sitzen wir hier zu viert beim Abendessen und genießen Malai Kofta und Bananenlassi.
Mit jedem Tag wird Gokarna ein bisschen bunter und lebendiger. Obwohl ein Megaevent ins Haus steht, ist von Stress und Hektik aber nichts zu merken. Am Tage bessern die Gokarnaraner noch schnell die Straßenränder aus. In der Dämmerung malen Mädchen und Frauen Mandalas auf die Erde und Tempelpriester ziehen mit Trommeln und Trompeten durch die Straßen, um Opfergaben einzusammeln. Am Strand wurde eine große Bühne aufgebaut. Davor ein Dach, unter dem hunderte rote Plastikstühle für die Pilger bereitstehen. Eine provisorische Open-Air-Küche wird die Menschenmasse füttern. Männer schrauben jetzt noch abenteuerliche Karusselgestelle zusammen. Die mit Bambusrohren und Baumwolltüchern aufgereihten Verkaufsstände füllen sich nach und nach mit Waren: Armreifen, Sandalen, Blechgeschirr und heiß geliebter Plastikschnickschnack. Wir werden den Höhepunkt des Festivals leider nicht miterleben. Am 26. Februar fährt nämlich unser Zug aus Bangalore nach Norden und wir müssen Gokarna ein paar Tage vorher verlassen. Solange beobachten wir, was sich Tag für Tag verändert und genießen die heilige Atmosphäre.
Beim allmorgendlichen Kaffee auf der Terrasse tauschen wir Indiengeschichten mit Stefan aus. Er wohnt im Häuschen neben uns. Später fährt Micha zum Dorfbarbier und lässt sich für rund 30 Cent mit einer indischen Rasur verwöhnen. Der Barbier kneift Micha in die geschäumte Wange, zieht so die Haut glatt und setzt die scharfe Klinge an. Zum Abschluss wird gewässert, gecremt, gebürstet – das Gesicht glatt wie ein Babypopo.

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Bangalore: Stadt der gekochten Bohnen

Good bye, Strand und Küste! Über die Shimoga-Hügel fahren wir auf der Landstraße 206 ins höher gelegene und kühlere Landesinnere. Vom Meer in die Großstadt Bangalore. Es ist eine schöne und erholsame Strecke, vorbei an den Joggfalls – mit 293 Metern Tiefe die größten Wasserfälle Indiens. Leider sind sie nur in der Monsunzeit imposant. Wir übernachten in Kadur und kommen am nächsten Tag in den von Baustellen verstopften Vororten von Bangalore an.
Bald stecken wir mittendrin im Großstadtdschungel. Der Anblick des chaotischen Verkehrs einer unbekannten Metropole schüchtert uns zum Glück nicht mehr ein. Vor ein paar Monaten hätten wir in diesem Moment noch an Herzrasen und Schweißausbrüchen gelitten. Wir wollen irgendwie in die Altstadt und müssen erstmal in die Nähe der City Train Station kommen. In Bangalore schwirren tausende gelb-schwarzer Tucktucks wie in Panik geratene Wespen mit uns durch die Straßen. Geduldig fragen wir uns bis zum City Market durch und beziehen etwa eine Stunde später in der O.T.C. Road ein Zimmer im überaus freundlichen Lucya Hotel.
Bangalore hieß einst Bengaluru – die Stadt der gekochten Bohnen. Die Legende besagt, dass im 16. Jahrhundert eine Frau einen verirrten, hungrigen König mit Bohnen versorgte. Heute ist Bangalore nicht mehr Stadt der Bohnen, sondern der Bits und Bytes. Eine zu schnell wachsende indische IT-Metropole mit derzeit sechs Millionen Einwohnern und westlich geprägtem Vorbild. Wir lassen die Emmen in den nächsten Tagen auf dem Hotelparkplatz ruhen und machen unsere leidlichen Erfahrungen mit den Tucktuckfahrern. Leider sind sie die einzige Möglichkeit, schnell von A nach B zu kommen, und ihre Strategien, selbst einheimische Fahrgäste zu bescheißen, sind vielfältig. Entweder ist das Taxometer angeblich kaputt, absichtlich falsch eingestellt oder es wird ein Umweg gemacht. Ohne vorher ausgehandelten Festpreis zahlt man den Gaunern so das Dreifache.
Das einzige Mal, dass der Rikschafahrer den offiziellen Preis verlangt, ist auf der Fahrt ins Mallya Hospital. Eben macht Micha noch Fotos von der Bedienung im Indian Coffee House in der Mahatma-Gandi-Road, und im nächsten Moment verliert er dank Darmkoliken das Bewusstsein. Dr. Susheela Suresh diagnostiziert Amöbenbefall und verschreibt Micha endlich die richtige Tablettenkur. Damit hat die Krankheitsserie hoffentlich ein Ende.

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Eines Nachmittags besuchen wir Viswa und seinen Kumpel in deren neuem 70-Quadratmeter-Apartment in der City. Wir hatten Viswa in Malvan kennen gelernt. Er verdient sein Geld als Architekturfotograf. Nur so kann er sich die rund 220 Euro Luxus-Miete im Monat leisten. Das stolze Zentrum um Mahatma-Gandhi-Road und Brigade-Road entpuppt sich als westlich orientierte Konsummeile: Levis, Nokia, McDonalds, Edelnutten und Co. Zwischen leuchtenden Reklameschildern versteckt sich immerhin noch eine uralte Rockmusik-Bar, in die uns Viswa auf ein Bier mitnimmt. Eine Ratte läuft ungestört an der dunklen Wand hin und her, während wir Gezapftes trinken. Sie gehört wahrscheinlich zum Inventar, wie das Plakat von Frank Zappa. Übrigens ist das der erste Barbesuch auf unserer Reise. Mal sehen, ob diese Kneipe den Stadtwandel überlebt. Das legendäre Indian Coffee Haus um die Ecke muss in drei Monaten leider einem weiteren neuen Geschäftshaus weichen. In Chickpet (siehe Fotos in schwarz-weiß) – die Altstadtgegend um unser Hotel – tobt dagegen das traditionelle Basarleben. Eine ganze Straße widmet sich dem Verkauf von Stoffen und Saris, in einer anderen werden Mengen an Bananenstauden von Ochsenkarren verladen und an Händler weiterverkauft. Der Weg durch die lauten Straßen Chickpets ist spannend aber keineswegs entspannend.

Von Süd nach Nord: Abfahrt um 19:35 Uhr

Am 26. Februar 2009 um 19:35 Uhr fährt unser Zug vom Bangalore-Bahnhof Yeshwantphur nach Howrah/Kalkutta. Zweitausend Kilometer in 37 Stunden. Wir gönnen uns einen Platz im klimatisierten Schlafwagen. Die Emmen sollen auf denselben Zug verladen werden.

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Die Fischer von Tarkali /indien-die-fischer-von-tarkali/ /indien-die-fischer-von-tarkali/#comments Sat, 07 Feb 2009 18:51:34 +0000 /?page_id=2782
Fischmarkt in Malwan, Indien 2008 (c) emmenreiter.de

Fischmarkt in Malwan, Westindien 2008 © emmenreiter.de

Zurück im Fischerdorf

Die letzen beiden Wochen im Januar haben wir uns noch mal nach Malvan verdrückt. Genauer gesagt in die winzigen Nachbardörfer Tarkarli und Devbag, die sich nebeneinander gereiht direkt an der Küste Maharashtras unter dichten Kokospalmen verstecken. Die Fischerfamilien wohnen in kleinen, pastellfarbenen Häusern mit morbiden Ziegeldächern, umzäunt von wuchernden Kakteen und verhölzerten Palmenblättern. Das Grundwasser aus den großen Rundbrunnen in den sandigen Höfen schmeckt von Zeit zu Zeit nach Salz. Dort, wo die Männer für die Monsunzeit ab Mitte Juni gerade silberglänzende Fischhaufen wie Pilze zum Trocknen in der Sonne auslegen, weht einem der Fischgeruch entgegen. Und es riecht nach Rauch, wenn die Inder kleine Hausmüllhaufen vor sich hinkokeln lassen. Auf der kleinen, asphaltierten Straße, die sich durch die Dörfer schlängelt, knattern wir auf unseren Emmen an geschmückten, kleinen Tempeln und Christenaltare vorbei. Hindus, Christen, Muslime leben völlig selbstverständlich zusammen. Die Fröhlichkeit und Gelassenheit der Menschen, die uns hier begegnen, ist ansteckend.
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Rosary Paradise

Mit Andreas, unserem Besuch aus Deutschland, haben wir ein paradiesisches Plätzchen bezogen. Ein richtiges Luxushäuschen direkt am Meer. Tag und Nacht weht eine angenehme Brise. Zur Frühstückszeit springen hin und wieder Delfine über die sanften Morgenwellen. Ein Urlaubsleben wie aus dem Reiseprospekt. Nur ohne Touristen. Wenn wir nicht baden, im Dorf herumtrödeln oder frischen Red Snapper essen, beobachten wir die Fischer von Tarkali und Devbag, wie sie als Mannschaft mit ihren traditionellen Holzbooten aufs Meer hinausrudern und mit vier Kilometer langen Netzen im Schlepptau den Fisch im Halbkreis zur Küste einziehen. Alles mit eigener Körperkraft. Manchmal am Tage, manchmal die ganze Nacht. Nach jedem Fang hieven die zähen Fischer die bis zu zehn Tonnen schweren Boote mit etwa zwanzig Mann am Tau zurück ans Ufer, bevor sie die Beute aus dem Netz sortieren.

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Ferien in Goa: Auszeit vom Abenteuer /indien-goa-auszeit-vom-abenteuer/ /indien-goa-auszeit-vom-abenteuer/#comments Tue, 13 Jan 2009 18:50:11 +0000 /?page_id=2779 Goa_Dread

Wo ist Indien?

3. Januar 2009. Es ist Zeit für einen Goa-Tripp. Von Malvan bis nach Arambol, dem nördlichsten und momentan vielleicht sogar angenehmsten Plätzchen in Goa, sind es nur drei Stunden Fahrt über Hügel und Dörfer. Mit der kleinen Fähre, die uns in fünf Minuten über den Terekhol River vom indischen Staat Maharashtra in die ehemals portugiesische Kolonie Goa schippert, gelangen wir in ein anderes Land. Kaum von der Fähre runter, kommen uns auf der schmalen Straße lauter sonnengebräunte, blonde Typen mit Zöpfchen am Hinterkopf und tätowiertem, freien Oberkörper breitbeinig sitzend auf einer geliehenen Royal Enfield entgegen. Russinnen, deren Knackarsch kaum bedeckt ist, schlendern mit großen Sonnenbrillen auf der Nase und in knalligen Flipflops am Straßenrrand entlang. Touristinnen weit jenseits der Vierzig wühlen sich, eine Yogamatte unter der unrasierten Achsel klemmend, durch die Kleiderbügel des Verkaufstands mit bequemen Sommerklamotten. Wo sind die Inder hin, wo ist Indien?

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Ave Maria

Wir sind in Arambol, dem christlichen Dörfchen mit kleiner Kirche, in das sich damals die Hippies bis zum Altwerden zurückgezogen haben. Da war Arambol bestimmt noch ein unschuldiges indisches Fischernest mit einem einsamen Meeresstrand. Heute ist es immer noch sehr schön hier. Vielleicht etwas wuselig in der Hochsaison Anfang Januar. Besonders Dreadlockträger und Barfußläufer fühlen sich gut aufgehoben. Vielleicht sind ihnen andere Orte in Goa zu stressig, zu teuer und irgendwie zu unindisch geworden – und Arambol darum immer beliebter. Hier findet man noch eine nette, billige Unterkunft nicht weit weg vom Meer und zahlreiche, gute Restaurants, die abends Kerzen auf ihre Plastiktische direkt unterm Sternenhimmel am Wasser stellen. Serviert wird ein kühles Kingfisher oder Tiger, als Genussmittel versteht sich.
Nach einer nervigen, zwei Stunden langen Zimmersuche im fast ausgebuchten Arambol haben wir auch endlich etwas Schönes gefunden. Die entspannte Atmosphäre im Hotel Ave Maria, drei Minuten Fußweg vom Beach und einen halben Kilometer vom hektischen Dorfzentrum entfernt, hat uns sofort gefallen. Die MZ parken sicher auf dem Hof und sind sich der Blicke der anderen Gäste aus Deutschland sicher. Nach ein paar Stunden haben wir uns vom kleinen Goa-Schock erholt und erkennen, dass es sich hier ein Weilchen aushalten lässt. Wir machen mit den anderen Urlaubern Ferien! Eine kurze Auszeit vom Abenteuer Indien.

Eine Ratte und andere unterhaltsame Kreaturen

Unser neuer Reisefreund Radames, kurz Rada, wird mit uns ein paar Tage in Arambol bleiben, bevor er ohne uns weiter nach Süden zieht. Er ist eine gute Gesellschaft, kein Wichtigtuer und mit demselben Sinn für Humor. Wir treffen ihn jeden Abend zum Essen und tauschen unsere Tageserlebnisse aus. Da ist ja nicht viel: Die Entdeckung eines ruhigeren Strandabschnitts, einer Wechselstube mit gutem Kurs, eines Restaurants mit 1A-Eiscafè. Und dann sind da noch die unterhaltsamen Beobachtungen der vielen Kreaturen, die extra nach Goa fliegen, um sich selbst zu entdecken. Wonach suchen sie? Werden sie es kopfüber am Baum hängend oder beim Tantrakurs mit Jana und Michael from Germany finden? Wird ihre Zeit ausreichen, um wichtige Fragen ihres Lebens zu beantworten? Radames schiebt zur Abwechslung eine kleine Anekdote aus der letzen Nacht ein: Ihm fiel von oben eine fette Ratte auf seinen Bauch, als er im Bett lag. Die meist einfachen Häuschen, die von den Dorfbewohnern an Fremde vermietet werden, sind an der Stelle, wo das unverkleidete Ziegel- oder Palmenblätterspitzdach auf die Wände aufsetzt, rundum offen. Der Spalt ist leider groß genug für eine Ratte, die sich im Dunkeln verlaufen hat. Beide haben den Schrecken überlebt. Zur Belohnung gönnt sich Rada am nächsten Abend einen seiner besten Fernreisejoints unter dem Halbmond in Arambol.

Faul, fauler, am faulsten

Die Urlaubstage in Arambol verstreichen. Faulenzen wird zur Hauptbeschäftigung: Baden, Lesen, Schlemmen, Sonnenuntergänge… Wir machen neue Bekanntschaften, interessante und kuriose. Am Sonntag finden wir als Sahnehäubchen auf unserem Luxusleben dann auch noch ein kleines koreanisches Restaurant, das Sushi serviert. Himmlisch. Vom Sushigeschmack haben wir auf unserer Reise schon so oft geträumt. In Arambol wird der Traum Wirklichkeit. Zwischendurch gibt es auch Momente, in denen wir etwas sinnvolles tun wollen, zum Beispiel uns konkrete Gedanken über die Rückreise machen, deren Route noch nicht eindeutig feststeht. Die Visa müssen nämlich langsam angeleiert werden. Wir setzen uns vor den Computer im Internetcafè und recherchieren, beantworten viele E-Mails und lesen auf Spiegel Online, dass die Leute in unserer Heimat derzeit sechsundzwanzig Grad unter Null ertragen müssen – sechszig Grad weniger als hier!

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Konkanküste: Welcome to the beach! /indien-konkankueste/ /indien-konkankueste/#comments Sat, 03 Jan 2009 20:09:54 +0000 /?page_id=1846 An der zentralen Westküste Indiens, 2008 © emmenreiter.de

Daman: Das Meer vor Augen

Auf dem Weg von Champaner nach Daman legen wir nahe Baruch eine Zwischenübernachtung ein. Ab Vadodara bis Surat befindet sich der Highway 8 nämlich durchgehend im Bau und Schlangen von Lastwagen, Bussen und schlechten Autofahrern wälzen sich auf nur einer Fahrbahn im Schneckentempo vorwärts. Mit den MZ schlängeln wir uns geduldig durch. Nach anstrengenden fünf Stunden und hundertdreißig Kilometern steigen wir ausnahmsweise in einem Hotel direkt am Highway ab.
18. Dezember. Wir erreichen die warme Westküste und haben zum ersten Mal das Arabische Meer vor Augen. Hier in Daman, einer kleinen ehemals portugiesischen Kolonie 140 Kilometer nördlich von Mumbai, entspricht der Strand zwar noch keinem tropischen Paradies, aber wir fühlen uns trotzdem sehr wohl in dem Küstenstädtchen. Es ist ein Urlaubsort für gut gelaunte Inder, in dem sich selten ausländische Touristen tummeln. Im freundlichen Brighton Hotel mit Blick aufs Meer gibt man uns ein sonniges, sauberes Zimmer und den Motorrädern sogar einen Garageplatz.
In Daman gewöhnen wir uns erstmal an das schwülwarme Wetter. Die beiden Strände Devka und Jampore ein paar Kilometer nördlich und südlich der Stadt laden uns nicht zum Baden ein, aber wenigstens zu einem Spaziergang. Im Internetcafé recherchiert Micha nach Ersatzteilen für die MZ, die unser Freund Andreas bei seinem Besuch im Januar aus Deutschland mitbringen kann. Günter Six (www.mzsimson.de) hatte von selbst angeboten, uns auf der Tour kostenlos mit Ersatzteilen zu versorgen. Das finden wir super! Und jetzt, wo die Mopeds uns artig bis nach Indien gebuckelt haben, sollen ein paar Teile wie Kettenkit und Schwingenlager erneuert werden. Nach drei Tagen Akklimatisierung in Daman geht es nun, im Bogen vorbei am Großstadtverkehr in Mumbai, immer weiter nach Süden. Die Konkanküste – der etwa 500-Kilometer-Abschnitt zwischen Mumbai und Goa – soll super sein und einsame Strände haben. Genau das Richtige für die Festtage…

Heilig Abend im Fischerdorf Murud

21. Dezember. Die Fahrt von Daman bis zum Fischerdorf Murud dauert neun Stunden inklusive einer kurzen Tankpause. Es ist Sonntag und wir sind morgens um sieben Uhr losgefahren, als es noch kühl und ruhig war. Doch schon nach einer kurzen Weile auf der Straße wurde der Verkehr immer dichter und der Bogen um Mumbai zog sich hin. Die Ortwegweiser in kleineren Städten und auf den Nebenstraßen sind fast immer in Hindi, so dass wir öfter mal anhalten und nachfragen müssen. Die Kilometerangaben der Inder dürfen wir dann nicht so ernst nehmen, die Richtung jedoch stimmt meistens. Die letzten fünfzig Kilometer von Alibad nach Murud bringen wir auf einer kleinen, holprigen Küstenstraße durch schattige Palmenwälder und kleine Dörfer hinter uns. Der Hintern fühlt sich platt und wund an vom langen Sitzen. Die Sonne ist noch kräftig und treibt die Schweißperlen, als wir endlich absteigen, um an der Strandstraße in Murud nach einer geeigneten Bleibe zu suchen. Obwohl die Konkanküste touristisch nicht so gut erschlossen ist und fast nur von Indern besucht wird, sind wir umso verwunderter, wie teuer hier die Unterkünfte im Vergleich zu Anderswo sind. Auf unserer bisherigen Indienreise haben wir überall in einem einfachen, aber schönen Doppelzimmer für 200 bis 500 Rupi die Nacht gewohnt; das sind drei bis sieben Euro. In den Strandressorts der Konkanküste steht das Drei- bis Fünfzehnfache auf der Preistafel. Zu Feiertagen wie Weihnachten und Silvester wird sogar noch drauf geschlagen. Einige Hotels kassieren ein durchschnittliches indisches Monatsgehalt pro Übernachtung und sind trotzdem ausgebucht. Das können sich nur die wachsende indische Mittelklasse und Besserverdiener aus Mumbai leisten, die man unter anderem daran erkennt, dass sie unübersehbar fülliger sind. Fette Bäuche und dicke Kinder sind also auch in Indien angekommen. Wir sind in einem kleinen Gasthaus mit Meerblick untergekommen. In der Nähe gibt es ein einfaches Strandrestaurant und im Dorf eine bunte, quirlige Ladenstraße mit frischen Gemüseständen. Es ist mittlerweile Heiligabend und da kochen wir seit langem mal wieder selbst. Keine Gans, aber immerhin in den Festfarben Rot, Grün, Weiß. Es gibt Pasta al dente mit frischer Tomaten-Knoblauch-Erbsen-Curry-Sauce, zubereitet auf dem Flachdach unserer Unterkunft am Strand. Angestoßen wird mit Tari, privat hergestelltem Kokuswein, gewonnen von den Früchten der Palmen auf dem Hof. Micha pfeift zwar ein Weihnachtslied, aber gegen die Sommer-Sonne-Meer-Stimmung kommt das nicht an. Die Bescherung fällt einfach aus: Dass wir beide hier sitzen, ist unser Geschenk.
Bevor wir ins nächste Dorf weiterziehen, machen wir noch einen Ausflug zur Inselfestung Janjira, die seit 870 Jahren ein paar Kilometer von Murud entfernt im Meer liegt. Es ist eine verwilderte Ruine mit alten Tempeln, Gewölben, Treppen und Eisenkanonenrohren – ein perfekter Abenteuerspielplatz. Wir setzen uns mit siebenunddreißig Indern auf die Planken eines kleinen Holzsegelboots und lassen uns vom einheimischen Bootsmann gemächlich zur Festung rüberschippern. Auf dem Weg zur Bootsanlegestelle halten wir noch kurz am morgendlichen Muruder Fischmarkt an. Frauen verkaufen den Frühfang ihrer Männer aus Körben und Blecheimern. Für die herrenlosen Dorfkatzen fällt dabei auch was ab. Abends probiert Micha im Dorfrestaurant sein erstes indisches Fischgericht – eine sehr schmackhafte Abwechslung zum vegetarischen Curry.
Die Menschen in Murud machen einen zufriedenen Eindruck. Allerdings entgeht uns nicht, dass der Junge, der im Gasthaus saubermacht oder im Restaurant von morgens bis abends das Geschirr abräumt und wäscht, höchstens dreizehn Jahre alt ist. Und das Frauen, immer in ihren hübschen Saris gekleidet, schwerste Holzbündel auf ihren Köpfen und zarten, kleinen Körpern im Laufschritt über lange Strecken balancieren müssen. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Glückliche Weihnachten in Ganpatipule

Am ersten Weihnachtsfeiertag ziehen wir etwa dreihundert Kilometer nach Ganpatipule weiter. Als wir ankommen, ist das Dorf voller indischer Urlauber und Schulklassen, die zum Tempel am Strand pilgern und ein paar Tage Weihnachtsferien genießen. Obwohl das Fest für sie religiös keine Bedeutung hat, ist es immerhin ein sehr beliebter Anlass für Urlaub. Der kilometerlange Strand in Ganpatipule hat genügend einsame Abschnitte, an denen wir ungestört im klaren, milden Meer baden oder mit der MZ umher cruisen können. In Indien gibt es zum Glück keine Verbotsschilder, die unsere Freiheit einschränken. Die Inder, meistens Nichtschwimmer, sehen wir beim Badengehen immer nur bis zur Hüfte im Wasser und sie kreischen wie Kinder bei jeder Welle. Die Frauen gehen voll bekleidet baden. Die Atmosphäre ist so entspannt und herrlich! Wir leben noch mehr als sonst in den Tag hinein, fahren mit der MZ in der Gegend herum und streifen durch kleine Fischerdörfer. Die Menschen sind wie immer fröhlich und freuen sich über ein bisschen Smalltalk. Auch ohne gemeinsame Sprache geht das wunderbar.
Für den Silvesterabend kaufen wir frische Shrimps und laden Radames, ein viel reisender Italiener, den wir gerade kennen gelernt haben, zum Essen ein. Keiner von uns Dreien bleibt bis Mitternacht wach. Wir hören zwar das kurze Feuerwerk um Zwölf, aber ansonsten ist die letzte Nacht im alten Jahr ruhiger als manch Andere. Normalerweise umgeben uns laute Geräusche wie Gepolter, Geschreie, Gehupe auch nachts und viel zu früh morgens. Das Wort Ruhestörung gehört nicht zum Wortschatz der indischen Sprache. Wir haben uns beim Schlafengehen immer noch nicht daran gewöhnt, aber wir geben uns Mühe. Das Dorf hat zwar eine ganze Reihe Hotels und toller Strände unter Kokusnusspalmen, ist aber nicht auf ausländische Touristen eingestellt. Das merken wir an dem einzig verfügbaren Computer mit unzuverlässigem Internetanschluss und den Restaurants mit zu scharf gewürztem Essen. Außerdem können wir hier nirgends Klopapier kaufen. Die Inder benutzen ja normalerweise keines. Die meisten indischen Badezimmer beinhalten ein Hockklo, neben dem ein kleiner Eimer unter einem Wasserhahn steht. Dieses Utensil wird mit der linken Hand zur Reinigung nach dem Klogang benutzt. Uns ist Klopapier (oder notfalls Servietten) lieber. Unter den anderen beiden Wasserhähnen an der Wand stehen ein Eimer mit Schöpfbecher und daneben ein flacher Hocker, auf denen sich die Inder im Hocken waschen. Neben dem Schneidersitz ist die Hocke in Indien generell die beliebteste Körperhaltung, auch bei den älteren Menschen. Unsere europäischen Kniegelenke halten da niemals mit.

Jahresanfang in Malvan und Tarkali

Erster, Erster, Zweitausendneun. Ein schönes neues Jahr! Hoffentlich wird es genauso aufregend wie das letzte. Bei der sechsstündigen Weiterfahrt nach Malvan haben wir genug Zeit, darüber nachzudenken, was uns die nächsten zwölf Monate bringen könnten. Wenn wir genug Geld übrig hätten, würden wir natürlich immer weiter gen Osten reisen und so die Welt umrunden. Schade, so bleiben uns nur noch ein paar Monate bis zur Rückreise in die Heimat. Und dann? Für eine Antwort war die Fahrt nach Malvan viel zu kurz.
Um drei Uhr nachmittags knattern beide MZ hinter Malvan langsam über die ruhige Straße im grünschattigen Hinterland des Tarkali-Strandes. Wir suchen mal wieder ein kleines Zuhause und finden gleich was Passendes: Ein nettes Zimmer in einem Ferienhäuschen, das eine liebe ältere Frau vermietet. Das schattige Plätzchen gefällt uns auf Anhieb und in ein paar Minuten haben wir uns eingerichtet. Unser Florentinerfreund Ramades kommt abends ebenfalls mit dem Bus an und zieht ins Nachbarzimmer ein.
Nach ein paar Tagen in Malvan, wo es schön leise und grün ist, werden wir uns noch im kleinen Küstenstaat Goa umsehen. Goa ist bekannt für seine unterschiedlichen Strände, an denen jeder Reisende sein Glück findet: Von ruhigen Plätzchen bis hin zur Party Non Stop, von Einfach bis Luxusklasse ist alles dabei. Bald sollen die Preise auch wieder reisekassefreundlicher sein, so dass wir beide zusammen mit Unterkunft, Verpflegung und Benzinkosten auf unseren indischen Tagesdurchschnitt von zweiundzwanzig Euro kommen. Unvorstellbar günstig, aber einkalkuliert in unserem Jahresbudgetplan.

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Tika, Bindi und Hakenkreuz /kalika-mata-bundi-udaipur/ Mon, 15 Dec 2008 19:19:12 +0000 /?page_id=1734 Tika

Indische Stadtromantik in Bundi und Udaipur

Nur noch vier Etappen bis zum Strand! In den nächsten beiden Städten – Bundi und Udaipur – kommen wir noch einmal in den Genuss indischen Stadtlebens. Keine Molochs, sondern fast romantische Orte mit einem uralten Palast als Markenzeichen. In den Altstädten von Bundi und Udaipur winden sich enge, verwinkelte Gassen durch marode, belebte Wohnhäuser mit terrassenähnlichen Flachdächern und kleinen Läden im Erdgeschoss. Mager gebaute Obst- und Gemüsehändler fahren barfuß ihre Karren durch die Straßen. Honda Heros, Fahrradfahrer und Mopedrikschas fahren im sportlichen Slalom durch die Menschen.
Die Fahrten bis nach Bundi und Udaipur verliefen reibungslos auf meist neuen, breiten und wenig befahrenen Straßen. Welch ein Segen. Selbst die kleinen Nebenstraßen sind oft gut asphaltiert. Wir probieren das erste Mal einen Highway – Nummer 76 – aus und sind erstaunt über so wenig Verkehr. Kaum ein LKW, kaum ein bekloppter Bus. Mit genügend Geisterfahrern und Ziegenherden auf der Fahrbahn ist trotzdem zu rechnen. In beiden Städten beziehen wir ein Zimmer in einem etwa zweihundert Jahre alten, renovierten Wohnhaus, in dem die Familie unbewohnte Zimmer an Reisende wie uns vermietet. Vom Dach aus können wir auf die belebten Nachbardächer der Umgebung spähen. Es ist Sonntagvormittag und die Kinder spielen mit einem ausgestopften Socken Ball. Ihre Mütter sitzen am Türrahmen gelehnt und schälen Gemüse. Die bunte, frische Wäsche hängt bereits über dem Geländer in der Sonne. Der Hausherr liest im Schneidersitz seine Zeitung.
In Udaipur gehen wir auf dem riesigen Palastgelände, das an einem See liegt, spazieren. Auch zu sehen im Bond-Film Octopussy. Hinterher machen wir noch eine Tour durch die schmalen Gänge, marmornen Innenhöfe und verspiegelten Zimmer des größten Palastes in Rajastan. Maharaja Udai Singh II hatte diesen Herrscherkomplex und die Stadt darum Mitte des sechzehnten Jahrhunderts erbauen lassen. Palast, See, Gassen, Tempel… All das macht Udaipur wirklich charmant.

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Champaner: Mit den Pilgern zum Kalika Mata

Wir fangen an, unter der Motorradkluft zu schwitzen. Mit jedem Kilometer weiter südlich wird die Luft spürbar wärmer und feuchter. Als wir das Dorf Champaner erreichen, flüchten wir gleich auf den Pavagadhhügel, wo wir ein staatliches Hotel beziehen. Von hier genießen wir die Ruhe und einen entspannenden Ausblick auf Champaner im Tal. Nur der große Ventilator an der Decke macht seine Geräusche. Ja, es ist wieder Zeit für Ventilatoren, denken wir. Die angenehme Frische des Nordens ist passè. Und in Deutschland stellt man jetzt an der Heizung rum.
Die Umgebung außerhalb des begrünten Hotelgeländes ist leider unglaublich zugemüllt. Es stinkt. In den Bäumen hüpfen die Languraffen umher: hübsche, braun-graue Tiere mit dunklen, scheuen Gesichtern und einem meterlangen, eleganten Affenschwanz. Wir bestellen im einfachen Hotelrestaurant unser Abendessen. Serviert wird rein vegetarisch. Dass heißt, hier werden auch keine Eier verspeist. Wir müssen also zum Frühstück am nächsten Morgen auf unser geliebtes Omelett zwischen zwei Chapatis verzichten.
Champaner gehört zum Unesco Weltkkulturerbe. Auf der Spitze des Vulkanhügels Pavagadh in achthundert Metern Höhe befindet sich der Kalika Mata Tempel – eine beliebte Pilgerstätte der Hindus, die etwa drei Stunden brauchen, um nach oben zu wandern. Unzählige Menschen kommen jeden Tag hierher. Außer uns sehen wir keine anderen Ausländer. Als stille Beobachter sehen wir uns das Pilgertreiben an. Wir nehmen die bequemere Variante hoch zum Tempel: Aus einer Schweizer Seilbahn können wir den bunten Pilgerzug von oben sehen. Familien und ganze Schulklassen laufen auf dem antik gepflasterten Tempelpfad und über kleine Treppen nach oben. Am Wegesrand sehen wir mit alten Planen und Sackstoffen überdachte Stände, an denen die Pilger halt machen können. Ich frage mich, ob indische Seilbahnen genauso gründlich gewartet werden, wie in der Schweiz. Vertrauenssache. Wir steigen heil angekommen oben aus und auf dem Plateau geht es zu wie auf einem kleinen Rummelplatz. Entspannte Pilger tummeln sich an Souvenir- und Essständen vorbei und stellen sich weiter hinten auf der langen Tempeltreppe in eine Schlange, die hoch zum Kalika Mata Tempel auf die Hügelspitze führt. Auf den Souvenirs und dem Steinfußboden begegnet uns überall das Hakenkreuz bzw. das Sonnenrad, das die Inder als religiöses Symbol für Wissen, Glück und Wohlstand verehren. Sie nennen es Swastika und als Sonnenzeichen soll es das Bewusstsein erleuchten und Licht in das Dunkel des Unwissenden bringen.
Wir reihen uns mit in die Pilgerschlange ein, ziehen wie alle anderen die Sandalen aus, als wir den heiligen Tempel erreichen. Wir können von oben aus die weite, friedliche Landschaft überblicken. Und die Hindus dabei beobachten, wie sie ihre Götter verehren und ihre heilige Gabe entgegen nehmen: Jeder Pilger bekommt eine Kokusnuss und Puffreis mit auf den Weg. Und natürlich ein Tika – die religiöse Markierung aus rotem Pulver (Kumkum) zwischen den Augenbrauen. Sie segnet den Hindu am Abschluss einer Zeremonie und symbolisiert die Öffnung seines sog. dritten Auges – das Zentrum des klugen Geistes. Der rote Punkt zwischen den Augen, den jede verheiratetet Hindufrau trägt, nennt man übrigens Bindi. Es soll sie und ihren Ehemann beschützen. Das Bindi – entweder mit Pulver gemalt oder als Aufkleber – wird heutzutage auch von Mädchen und unverheirateten Inderinnen als Schmuckstück getragen.

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