Rumänien – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Sat, 13 Jan 2018 17:44:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Rumänien – eMMenreiter 32 32 Durch die Walachei nachhause /rumaenien-walachei-ukraine/ Thu, 19 Oct 2017 06:49:46 +0000 /?page_id=15178 Brauchtum Ukraine © emmenreiter.de

Im Freiluftmuseum nahe Kiew: Brauchtum boomt in der Ukraine, 2017 © emmenreiter.de

Plan B: Kiew

3. Juli 2017. Die Bahnstrecke Moskau bis Kiew ist 756 Kilometer lang. Nach etwa 13 Stunden und einer Nacht im voll belegten Schlafwagen steigen wir morgens in der ukrainischen Hauptstadt aus dem Zug. Vor dem Bahnhof lauert schon die Taxifahrermeute. Wie auf einem Basar wird hier mit üblichen Tricks der Fahrpreis verhandelt. Als wir den Männern mit riesigen Packtaschen entgegen staksen, wittern sie leichte Beute. Aber wir beherrschen ihr Spiel. Als beide Seiten zufrieden sind, geht es über den Dnepr in den Südosten der Stadt – nach Osokorki. Wir haben gute Laune. Die Sonne blitzt im Fluss.
Osokorki ist ein Labyrinth aus neueren Hochhäusern, mit Spiel- und Parkplätzen dazwischen. In den untersten Etagen der Wohnblöcke gibt es kleine, praktische Geschäfte – Apotheken, Büros, Kosmetikstuben, Handyshops… Das Stadtviertel erscheint lebendig und freundlich. In der Nähe der Metrostation verkaufen Leute verlockendes Obst und Gemüse: Pfirsiche, Kirschen, Himbeeren, Blaubeeren, Tomaten, Gurken, kleine Kräuterbündel. Die Schrebergärten liegen gleich um die Ecke und die Verkaufspreise sind unglaublich niedrig. Die Währung des Landes, Hrywnja, hat seit einigen Jahren dramatisch an Wert verloren.
Die Ferienwohnung, die wir übers Internet gemietet haben, liegt im 18. Stock. Wir stehen jetzt mit dem Gepäck vor dem Blockaufgang Nummer 6 und die Vormittagssonne scheint grell auf das weiße Hochhaus. Meine zugekniffenen Augen gucken an der weiten Fassade entlang nach oben. Hinter uns funkelt im Schatten der Wohnblöcke die goldene Kuppel eines Kirchenneubaus. Der Eingang ins Haus wird durch eine ältere Dame überwacht, die drinnen in einer gemütlichen Pförtnerstube sitzt. Hinter ihr steht ein altmodisches Schlafsofa. Auch sie hat ein paar Becher Himbeeren zum Verkauf ausgestellt. Oben angekommen verwandeln wir die sonnige, fremde Wohnung mit Balkon im Handumdrehen in unser neues Zuhause. Wie oft haben wir das bis hierher eigentlich schon gemacht? Wir hatten so viele Zuhauses auf dieser Reise.
Bis die Emmen in Kiew eintreffen, dauert es ein paar Tage und solange lenken wir uns mit Ausflügen ab. Die grüne Metrolinie 3 schleust uns in die Innenstadt. Ich stehe auf dem Maidan und versuche, mir die Menschen, die Stimmung und die blutigen Kämpfe aus dem Winter 2014 vorzustellen. Die Spuren sind verwischt. Heute scheint die Sonne auf ein Blumenbeet, in dem die Buchstaben I ♥ Kyiv aufgestellt sind. Am Springbrunnen laufen Jugendliche mit aufgeplüschten Tauben in der Hand umher, die sie Touristen für Kleingeld auf die Schulter setzen können.
Eines Nachmittags landen Micha und ich auf einem Volksfest auf den Wiesen außerhalb der Stadt. Fast alle Besucher haben Kleidung verziert mit traditionellen Mustern angezogen. Die Frauen und Mädchen tragen außerdem selbstgeflochtene Blumenkränze auf ihren Haaren – das Markenzeichen der Ukrainerin. Es duftet nach Sommer und ukrainischem Essen.

Uns gefällt Kiew. Und die Tage im Neubauviertel. Was uns nicht gefällt, ist die neuste Nachricht von unserem Bremer Spediteur, dass er die Motorräder nun leider doch nicht nach Kiew schaffen kann. Die Kisten mit den Emmen, die derzeit am Flughafen in Bangkok stehen, könnten von dort nur nach Frankfurt am Main geflogen werden. Ein Weiterflug nach Kiew sei unverschämt teuer und wegen einer Einstufung der Fracht als Gefahrengut außerdem zu kompliziert. Daher hatte der Spediteur vorgeschlagen, die Motorräder im LKW von Frankfurt nach Kiew zu bringen, damit wir die letzten Wochen unserer Reise auf den Emmen fortsetzen können. Nun lesen wir in seiner E-Mail, dass auch dieser Plan gescheitert ist, da ausländische Fahrzeuge nur in Anwesenheit des Halters über die ukrainische Grenze transportiert werden dürften. Schnaufend schmieden Micha und ich einen Plan C. Unsere Wahl fällt auf Rumänien – das liegt innerhalb der EU und dürfte für die Spedition machbar sein. Als diese der Idee zustimmt, steigen wir am 10. Juli in den Flieger nach Bukarest.

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Wir sitzen fest in Bukarest

Etwa vier Tage. Dann könnte der LKW der Spedition in Bukarest sein, heißt es. Da wusste noch niemand, dass es zusätzliche Verzögerungen beim deutschen Zoll geben würde – unter anderem wegen der Motorradschlüssel, die erst noch aus Kambodscha nachgeschickt werden mussten.
Zum Glück ist Rumäniens Hauptstadt genauso freundlich und spannend, wie wir es uns vorgestellt haben. Sie hat viele Geschichten parat, so dass uns nie langweilig wird. In vielen Seitenstraßen regen marode Villen, Altbauperlen und zugewachsene Höfe die Fantasie an. In der 1930ern eiferte man hier Paris nach – aus dieser Zeit stammen viele der dekorativen Häuser und sogar eine Minivariante der Champs-Élysées mit Arc de Triumph. Da in Frankreich außerdem Paläste typisch waren, bezeichnen die Rumänen bis heute sämtliche größere Gebäude der Stadt als Palast: Post-Palast, Bank-Palast, Telekom-Palast… Bukarest besitzt dadurch mehr Paläste als jede andere Hauptstadt Europas. Viele Einwohner trainierten sich damals sogar einen französischen Akzent an, obwohl sie die Sprache gar nicht verstanden. Noch heute bedankt man sich in Bukarest mit „merci“.
Unübersehbar ist der
gigantische Volkspalast, für den Nicolae Ceaușescu Anfang der 1980er fast die gesamte Altstadt plattmachen ließ. Hier bekommen wir schnell einen Eindruck vom Größenwahn des einstigen Diktators. Nach einem 90minütigen Rundgang im zweitgrößten Verwaltungsgebäude der Welt haben wir gerade mal vier Prozent besichtigt. Der Entwurf stammt übrigens von einer jungen Architektin, die damals gerade erst die Uni verlassen hatte. Sie überzeugte Ceaușescu im Architekturwettbewerb schlicht mit dem größten Maßstab unter den Ansichtsmodellen. Als der Bau in den 1990ern fertig wurde, war der Diktator längst hingerichtet. Der Erste, der vom Palastbalkon zum rumänischen Volk sprach, war… Michael Jackson. Der Megastar begrüßte bei seinem allerersten Konzert in Rumänien seine 70.000 Fans dann allerdings mit „Hello Budapest!“
Uns ereilte ein ähnlicher Schock. Der Spediteur verlangt jetzt zusätzliches Geld von uns, die durch die vierwöchige Irrfahrt der Fracht aufgelaufen seien.
„Ansonsten könnt ihr Eure Motorräder bei mir in Bremen abholen!“ so seine Ansage. Die Pistole auf der Brust schmerzt. Mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung geben wir ihm das Geld. Als dann zwei Tage später der LKW mit den Motorrädern endlich in Bukarest eintrifft und die Emmen problemlos anspringen, sind wir so glücklich, dass unser Ärger im ersten Fahrtwind wie weggeblasen ist. Wir können unsere Reise als Emmenreiter fortsetzen. Und damit wir auch die letzten Kilometer ohne Hetze angehen können, haben wir die Heimkehr um zwei Wochen verschoben.

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Emmenritt durch die Walachei und die Karpaten

Die Rumänen begegnen uns überall sehr herzlich und hilfsbereit. Ihre Sprache ist dem Italienischen ähnlich und das allein versprüht eine angenehme Stimmung. Mit einem guten Gefühl im Bauch verlassen wir die Hauptstadt und nehmen Anlauf auf die Straße in den Wolken, wie die Transfogarascher Hochstraße (Transfăgărășan) auch genannt wird. Sie ist nur vier Monate im Jahr passierbar und führt uns in himmlischen Kurven aus der Walachei nach Siebenbürgen. Mit europäischem Benzin im Tank knattern die MZ-Motorräder einwandfrei bis auf den höchsten Punkt der Strecke auf 2.042 Metern. Dort geht es durch einen langen Tunnel auf die andere Bergseite und an einer Autoschlange und einem See vorbei ins Tal. Im Sommer ist die Transfăgărășan ein beliebtes Ausflugsziel.
Unsere ausgewählte Reiseroute durch die Karpaten Rumäniens könnten nicht schöner sein. Die meisten Landstraßen sind besser als ihr Ruf und verträumt düsen wir zunächst durch die alten Dörfer von Siebenbürgen.
Viele Orte sind hier noch unter deutschem Namen bekannt, wie das inmitten waldiger Hügel versteckte Sighisoara bzw. Schäßburg mit seinem mittelalterlichen Stadtkern. Einst lebten in Rumänien etwa 800.000 Deutsche, darunter Aussiedler wie die Siebenbürger Sachsen oder die Bukowinadeutschen.
In der Region Bukowina (Buchenland) im Nordosten des Landes ziehen wir bei Elena in einen kleinen Wohnwagen auf der Kleewiese ein. Elena war früher Französischlehrerin und bringt auf ihrem kleinen Gehöft in der Nähe eines der berühmten Moldauklöster Feriengäste unter. Ihre beiden Hunde, Katzen und dicken Hühner fühlen sich hier genauso wohl wie wir. Wenn Elena das Essen zubereitet, bindet sie sich ein weißes Kopftuch um.
Auf unserem Weg bis in die Ukrainischen Karpaten reisen wir weiter nach Nordwesten durch die
Maramuresch-Region. In diesem urtümlichen Landesteil Rumäniens messen die Uhren nicht die Zeit, sondern die Ewigkeit, heißt es. Und tatsächlich reisen wir durch ein lebendiges Museum mit malerischen Heuwiesen, spitztürmigen Holzkirchen, meisterhaft geschnitzten Hoftoren und Bewohnern, die in lokaler Tracht gemeinsam durchs Dorf zur Kirche spazieren. „Ich liebe unsere Tradition“, sagt Mariuka. Nach ihrem Musikstudium in Bukarest ist sie in die Maramuresch zurückgekehrt. Gerade erklärt sie uns in knielangem Faltenrock, weißer Bluse und Tuch auf dem Kopf die berühmten Wandmalereien in der kleinen Holzkirche von Călineşti.

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„Willkommen daheim, Emmenreiter!“

31. Juli 2017. In Sighetu Marmației, der einstigen Hauptstadt der Maramuresch, fahren wir über eine schmale Eisenbrücke über die Theiß zurück in die Ukraine. Wir haben die EU noch einmal verlassen, um gemeinsam den Ort zu besuchen, an dem Michas Vater zuletzt gelebt hat. Es ist ein schönes und trauriges Wiedersehen. Und es läutet unsere Heimkehr ein, obwohl wir noch etwa tausend Kilometer von Berlin entfernt sind. Spätestens mit der Einreise in die Slowakei und nach Tschechien haben wir dann endgültig fremde Welten verlassen und nehmen gedanklich Abschied von unserem Abenteurerdasein. Am 10. August fahren wir nahe Zittau in Regenklamotten am schwarz-rot-gold-gestreiften Grenzpfeiler entlang und machen am „Bundesrepublik Deutschland“-Schild ein letztes Selbstauslöserfoto. Da sind wir wieder – gesund und glücklich zurück aus 26 Ländern in Osteuropa und Asien, aus zumeist heißen und manchmal eisig kalten Regionen. Und um viele Erinnerungen und neue Freunde reicher. Wehmut empfinden wir (noch) nicht. Die Vorfreude auf unser Wiedersehen mit Familie, Freunden und Berlin überwiegt jetzt.
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Noch ein allerletzter Stopp im grünen Spreewald, wo uns mehr Mücken auffressen wollen, als wir es je in Asien erlebt haben, und am 12. August 2017 rollen wir vormittags auf abgewetzten Reifen über Brandenburgs Landstraßen dem Finale entgegen. Das Wetter ist dasselbe wie bei der Abfahrt im April 2016. Im Sprühregen biegen wir dennoch gut gelaunt in die Straßen unseres Kiezes ein, steigen nass von den Motorrädern ab und lassen uns in die herzlichen Umarmungen fallen. Raum und Zeit sind völlig vergessen. Plötzlich scheint alles vertraut. Irgendwie zu vertraut. Nicht mal unsere schöne aufgeräumte Wohnung, die wir vor 16 Monaten verlassen haben und nach der Wiedersehensfeier in Motorradstiefeln betreten, kommt uns fremd vor. Na gut, unsere Gefühle können wir ja später noch ordnen. Genau wie die Post, die sich in unserer Abwesenheit von 484 Tagen angesammelt hat…  [ENDE]

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Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

 

Tempeltänzerin © emmenreiter.de

Vielen Dank an alle, die unsere Asienreise lesend begleitet und mitgefiebert haben. Wir hoffen, Ihr konntet mit uns in fremde Welten eintauchen und so vielleicht Eure eigene Welt anders betrachten.

Außerdem danken wir den vielen Menschen, die uns während der Reise begrüßt, geholfen, eingeladen, inspiriert und Freundschaft geschenkt haben.

Falls Ihr mithelfen möchtet, das schwierige und teils bedrohte Leben junger Menschen in ihrer Heimat zu verbessern, empfehlen wir eine Spende an ein familiäres Hilfsprojekt, das wir seit langem unterstützen und in vielerlei Hinsicht für besonders (effektiv) halten: Kinderhilfe Afghanistan.

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Mehr Meer: Von Nessebar bis Donaudelta /donaudelta/ /donaudelta/#comments Sun, 05 Jul 2009 19:14:32 +0000 /?page_id=2799 Casino_Constanta

Casino von Constanta, 2009 © emmenreiter.de

Grenze Türkei, Bulgarien: Diesmal geht’s schneller

Ja, Europa hat uns wieder. Der asiatische Teil Istanbuls liegt schon ein paar Stunden hinter uns. Wir steuern bei außergewöhnlich kaltem Sonnenwetter auf die Grenzstelle bei Kirklareli nach Bulgarien zu. Diesmal klappt der Übertritt besser. Diesmal nämlich liegen unsere nationalen MZ-Fahrzeugscheine nicht mehr in der KFZ-Zulassungsstelle daheim. Wir treffen denselben netten türkischen Zollchef an, bei dem wir vor einem Jahr stundenlang auf E-Mail-Kopien aus dem deutschen Amt gewartet hatten. Nach schnellen Stempeln im Pass zeigen wir dem Zöllner heute bei einer Tasse Tee draußen in der Sonne die Route, die wir seit unserer ersten Begegnung zurückgelegt haben. Sein Kollege spitzt ebenfalls die Ohren, denn der fährt auch MZ. Dann winken uns beide wieder durch die Schranke. Diesmal in die andere Richtung…

Bulgarien: Zu viel nackte Haut und gemischte Gefühle

Ein ganzes Jahr ist also vergangen. Und am heutigen Tag läuft alles Rückwärts: Grenzübergang, Fahrt durch Burgas, Ankunft am Sonnenstrand bei Nessebar, einchecken im Balkan Hotel. Wie sollen wir uns fühlen? Freud und Leid liegen dicht beieinander. Hier am Schwarzen Meer in Bulgarien hat gerade die Hauptsaison begonnen. So wie beim letzten Mal. Unzählige halbblasse Urlauber stellen über Speckwülsten ihre knappe „Das-ist-meine-Lieblingsurlaubsgarderobe” zur Schau. Wir starren regelrecht auf soviel nackte Haut und freigelegte Pobacken. Nach so langer Zeit in eher bedeckten Ländern kommt uns das ziemlich freizügig vor. Bei manchen sieht der Grad des Sonnenbrands echt gefährlich aus. Da zieht man schon beim Hinsehen Luft durch die Zähne. Egal, Hauptsache braun sein, bevor man wieder in den TUI-Flieger steigt. Wir meiden die strenge UV-Strahlung und lassen uns lieber von der Geldtauschermafia bescheißen. Fast! Die wartet überall in Strandnähe in kleinen Containern auf dumme Kunden. Micha schaut zum Glück genauer auf den Tauschbeleg, bevor er unterschreibt. Die Tabelle mit den Umtauschkursen draußen ist mit Absicht missverständlich und Micha muss schon richtig hingucken, um den tatsächlich miesen Wechselkurs auf dem Beleg zu enttarnen. Wir wollen unseren Hundert-Dollar-Schein zurück. Den rückt das plötzlich aggressive Arschloch im Container aber erst wieder raus, als wir die Polizei holen. Wir verabschieden uns mit einem freundlichen Stinkefinger und gehen zur Bank.
Nun sind wir da, wo andere Urlaub machen und fühlen uns fehl am Platz. Asien und Europa – das ist schon ein Unterschied. Am Telefon verkünden wir froh, dass wir schon so nah an zuhause sind. Andererseits fühlen wir uns komisch. Alles ist so normal, sogar die Verdauung. Wir haben das Schwarze Meer vor Augen, bestes Wetter, Milchshakes von McDonalds und die BILD Zeitung. Aber irgendwas fehlt. Das Abenteuerfeeling. Außerdem stellt niemand mehr die üblichen Fragen beginnend mit „Hello, where are you from?”
Wir bleiben vier Tage am Sonnenstrand und versuchen, uns zu akklimatisieren. Wir fahren zum Sonnenuntergang ins alte Nessebar auf die Insel und landen dort in einer Open-Air Talentshow für Kinder. Da sitzen wir nun und gucken auf kleine Mädchen in knallbunten Glitzerkleidchen, die Spagat machen und wie wild umhertanzen. Das müssen wir erstmal verarbeiten. Wir fahren weiter nördlich an den Strandort Albena. Auf einen Campingplatz ohne Zelte. Camping heißt hier, einen Bungalow zu mieten. Wir stellen als Einzige unser Zelt in dem feuchtschattigen Waldstückchen neben dem Campingplatzrestaurant auf. Der Rest des DEET-Mittelchens aus Indien kommt sofort bei Ankunft gegen osteuropäische Stechmücken und beißfreudige Bremsen zum Einsatz. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Constanta

Constanta – dieser Name hört sich toll an. Der Ort könnte uns gefallen und ablenken – eine alte Hafenstadt an der rumänischen Küste, etwas heruntergekommen, charmant und verrucht. Aber leider ist der Name romantischer als das, was dahinter steckt. Viel 60er-Jahre-Architektur, hier und da moderne Glasfassaden und ein paar schöne Altbauten. Mehr als „ganz nett” kommt uns beim ersten Eindruck nicht über die Lippen. Wir wohnen mitten im Zentrum, nicht weit vom Hafen in einem ehemaligen Bonzenhotel. Hier hängen noch Gardinen aus der Chauchesco-Ära an den Holzfenstern. Und in den hellblauen Kacheln des Badezimmers haben sich schon viele nackte Kommunisten gespiegelt. Auch das Hotelpersonal erinnert uns stark an alte Zeiten. Man kann die Damen regelrecht denken hören: „Meine Arbeit wäre so schön, wenn nur die Gäste nicht wären…” Naja, ganz so schlimm ist es nicht, aber nah dran.
Draußen in der prallen Sonne ist es ganz schön heiß und schwül, fast wie in Indien. Wir versuchen die Tage in Constanta zu genießen und den letzten Monaten nicht hinterher zu trauern. Wir geben der Stadt eine Chance und gucken uns das uralte römische 700-qm-Bodenmosaik neben dem Archäologiemuseum an, das erst 1959 wieder entdeckt und aus der Erde befreit wurde. Auch ganz nett. Am späten Nachmittag spazieren wir am Hafen entlang und finden endlich ein Fotomotiv: das alte Casino, das Wahrzeichen der Stadt. Inzwischen ist es geschlossen, aber um das Neobarockgebäude von 1909 schwebt noch eine spannende Aura. Wir können regelrecht sehen, wie alte, schwarze Limousinen vorfahren und reiche Menschen in die große Halle mit den Roulettetischen schreiten. Abends sitzen wir mit kalten Wiener Würstchen aus dem Konsum auf den Betten des Hotelzimmers und trauen uns, Pro Sieben zu gucken. Wir planen die nächsten Reiseschritte. Im „Naturparadies Donaudelta” kommen Abenteurer vielleicht auf Ihre Kosten. Morgen früh ist Abfahrt.

Donaudelta: 4.500 Quadratkilometer Wasser, Sümpfe und Inseln

Wir fahren über einsame Straßen und Dörfer nach Babadag – etwas südlich vom Donaudelta. Abseits der Hauptrouten sind die Straßenbeläge manchmal sehr alt und von Schlaglöchern zerfressen. Die Getreidefelder in Rumänien sind bereits goldgelb. In den Dörfern sitzen alte Frauen in bunten Schürzen und Kopftüchern auf Bänken vor hellblau gestrichenen Lattenzäunen. Männer lenken Pferdekarren oder machen Pause im Schatten der Kneipenterasse. Kinder radeln über die Dorfstraße. Den kleinen Ortschaften an der Küste scheint es an nichts zu fehlen: Schule, Polizeistation, Bank, Restaurant und Magazin Mixt. Die Kirchen sind neu restauriert.
Babadag ist ein alter, türkisch besiedelter Ort mit einer Moschee und einer ehemaligen Koranschule. Als wir eintrudeln, bockt meine Emme und ich halte in einer ruhigen, schattigen Nebenstraße vor einem alten Wohnblock an. Micha wechselt die Zündkerze aus. Das letzte Mal hatte er das in Kathmandu gemacht – elftausend Kilometer entfernt. Ich liege k.o. von Fahrt und Hitze auf der Parkbank und warte. Ein alter Mann kommt aus dem Hausaufgang mit einer heißen, gesalzenen Tasse Milch. Die soll mich wieder munter machen. Leider können wir uns kaum mit dem lieben Herren verständigen: Russisch wird nicht verstanden. Das Rumänische hat als romanische Sprache noch nicht mal Ähnlichkeit damit. Italienisch wäre jetzt hilfreicher.

Zwei Hasen und Pelikane

Wir suchen den Campingplatz „Zwei Hasen”. Der entpuppt sich als ein Waldhäuschen-Hof ohne Campingmöglichkeit. Wir sind müde und es sieht nach einem Gewitterschauer aus. Statt weiter zu suchen, mieten wir eines der hübschen Zimmer für achtzehn Euro pro Nacht. Über die Holzterrasse hoppeln tatsächlich kleine Hasen. Und morgens beim Frühstücken fliegen die Schwalbeneltern über unsere Köpfe und stopfen die weit aufgerissenen Schnäbel ihrer Jungen, die sich ins kleine Nest unterm Terrassendach quetschen. Die müssen bald ausfliegen. Aber bis dahin stecken sie noch ihre Hintern über die Nestkante und kacken nach draußen. Von Babadag aus machen wir Tripps ins Donaudelta. Am kleinen Hafen von Mahmudia treffen wir zufällig Dimitri. Er nimmt uns mit auf eine Bootstour durch die Kanäle und über die Seen des Deltas. Dabei sehen wir Pelikane – einzigartig in Europa. Und nicht wenige, schnelle Motorboote. Paddeln ist hier nicht gefragt. Wir konnten leider keinen Paddelbootverleiher finden. Und auch keine offiziellen Stellen zum Zelten.

Gura Portitei: Das Sylt Rumäniens

Wir machen einen Tag später noch einen Ausflug nach Gura Portitei. Angeblich der spektakulärste Ort im Delta – eine Besuchersiedlung auf einer geschützten, schmalen Landzunge zwischen Salz- und Süßwasser, die vom russischen Einsiedlerdorf Jurilovca nur per Boot erreichbar ist. Als wir dort ankommen, müssen wir feststellen, dass wir auf dem Sylt Rumäniens gelandet sind. Statt in unberührter Natur bewegen wir uns hier in einer modernen Ferienanlage mit etlichen weißblauen Holzhütten, einem teuren Restaurant und einer Strandbar, aus der amerikanischer Mädchenpop schallt. Schon auf dem Parkplatz am Hafen von Jurilovca standen BMW X5, Audi Q7und Co. Nach vier Stunden nehmen wir das nächste Boot zurück – dieser Ausflug hat sich leider nicht gelohnt. Zurück in Bagadag sind die Straßen überschwemmt mit Schlamm, hier muss es in den letzten Stunden stark gewittert haben. Bagger schieben gerade die Wege zwischen den Häusern frei. Im Dorfzentrum greifen wir noch schnell das kostenlose Wi-Fi ab und kaufen teure Lebensmittel ein. In Rumänien zahlt man dafür mehr als in Deutschland! Dann geht es ab nachhause – zu den zwei Hasen.

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Rumänien: Stillstand und Moderne /rumaenien-stillstand-und-moderne/ Mon, 02 Jun 2008 11:41:21 +0000 /?page_id=1370 Rumänien Karpaten Motorrad

Bloß nicht die E68

Wir befahren Rumänien über die ungarische Grenzstadt Chisineu-Chris. Als wir noch einen Tankstopp einlegen, schnappt sich der junge Tankwart sein Handy, um seinen Bruder anzurufen. Plötzlich kommt dieser stolz mit seiner gut gepflegten MZ ETZ 250 um die Ecke. Er guckt sich unsere Umbauten genauestens an und würde am liebsten mitfahren. Wir legen unsere Tagesroute entlang einer Nebenstraße über Ineu und Sebis fest. Auf den gut ausgebauten Europastraßen kämen wir zwar besser voran, aber die Fahrt auf der E68 ist einfach nur schrecklich: ein stinkender, rasender LKW-Korso und etliche Baustellen statt entspannter Fahrt durchs Land. Ich fühle mich total bedrängt, zumal ich mich immer noch auf das Fahren mit Gepäck und Überbreite gewöhnen muss. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 kmh stelle ich auf der Fernstraße ein Hindernis dar und habe ständig einen Drängler im Rückspiegel. Auf den Nebenstraßen schlängeln wir dagegen gemütlich durch die rumänischen Dörfer, immer ein konzentrierter Blick auf den Flickenasphalt, damit die Schlaglöcher uns nicht aus der verträumten Fahrt reißen. Die Menschen pfeifen und lachen uns zu. Auf den sonnigen Feldern sind ganze Familien mit Pferdewagen und Hacke bei der Arbeit; die Männer mit freiem Oberkörper, die Frauen im Kleid und Kopftuch. Mich erinnert das an alte Geschichten meiner Oma. Hier ist – im Gegensatz zu den Städten mit sämtlichen deutschen Supermärkten – die Zeit stehen geblieben. Wir als Beobachter genießen die Romantik, gleichzeitig ahnend, wie hart das reale Landleben sein muss.
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Rumänische Herzlichkeit: 5-Sterne-Unterkunft in Avram Iancu

Es sind 30 Grad und wir sind nach ein paar Stunden im Sattel schon wieder fix und fertig. Als wir durch eine saftgrüne Hügellandschaft fahren, über die die Bauern gerade ihre Kühe zurück ins Dorf treiben, halten wir an, um nach einer Möglichkeit zum Campen zu fragen. Wir sind im kleinen Dorf Avram Iancu angekommen. Georgia, der hier ein Sägewerk und eine Holzwerkstatt betreibt, guckt erst schüchtern übers Tor, als wir vor seinem Haus anhalten und weist uns gleich darauf mit seiner Hand und einem Lächeln den Weg auf sein Gehöft. Er lädt uns herzlich ein, zu bleiben. Wir sind froh und trinken mit ihm auf seiner selbst gebauten Holzschaukelbank am Fischteich entspannt ein Becks und verständigen uns mit Gestiken und dem Bildwörterbuch. Als wir sein Vertrauen gewonnen haben, zeigt er uns stolz das Gelände und sein großes, frisch renoviertes Wohnhaus mit drei Bädern, das frisch nach Parkett riecht. Es ist neu möbliert, aber unbewohnt; er selbst und seine Frau leben im kleineren Bauernhaus auf der anderen Seite des Firmengeländes. Die beiden Töchter studieren in Abrud und wohnen nicht mehr zuhause. Wir haben nun also das große Haus für uns allein und schlafen bereits in der Dämmerung im Doppelbett glücklich ein. Am nächsten Morgen bekommen wir noch Besuch von einer Frau aus dem Dorf, die sich ein bisschen mit uns auf Deutsch unterhalten möchte. Der Besuch aus Deutschland hat sich herumgesprochen, nachdem wir am Vorabend im Dorfladen (Magazin) Bier und was zu Essen eingekauft hatten. Viele der Rumänen, die wir treffen, sprechen unsere Sprache. Ihre Vorfahren gehören zu den deutschen Einsiedlern, von denen der größte Teil mit dem Fall der Mauer wieder zurück nach Deutschland auswanderte.

Hundsgebell am Salzsee von Ocna Sibiului

Wir übernachten am 28. Mai auf dem Zeltplatz auf einem Hügel am kleinen Salzsee bei Sibiu (Hermannstadt). Das Gelände sieht von hier oben wie eine mit Biergärten belagerte Baggerlandschaft aus. Wir ziehen die schwere Motorradkluft aus und machen uns unter den Freiluftduschen frisch. Jeder der Biergärten spielt laut die eigene, nervige Musik, obwohl kaum Gäste da sind. Als wir nach ein paar Zeilen aus den mitgenommenen Motorradzeitschriftberichten endlich eingeschlafen sind, werden wir in der Nacht durch das Gebell der obdachlosen Hunde geweckt, das mindestens eine halbe Stunde ununterbrochen über den See hallt. Am nächsten Morgen begrüßen uns andere Reisende aus Kalifornien und Ulm, mit denen wir uns kurz unterhalten.

Endlich: Auszeit vom Fahren im schönen Brasov (Kronstadt)

Kilometerstand 3113 km (Start: 1111 km). Etwa 200 Kilometer vor Bulgarien gönnen wir uns endlich zwei, drei Tage ohne Sachenpacken und Weiterfahren. Auf dem fast leeren Darste Campingplatz in Brașov mieten wir uns am Mittwochabend nach 6 Stunden Fahrt und geschafften 200 Kilometern einschließlich Serpentinen durch die Berge und einer Irrfahrt durch die Stadt für 15 Euro pro Nacht eine Finnhütte. Den nächsten Tag nehmen wir uns Zeit zum Wäschewaschen, für die Motorradwartung (Michas MZ verbraucht zu viel Sprit), zum Bloggen und natürlich für die Stadt. Hier sitzen wir draußen im Straßenrestaurant in der Innenstadt und nutzen wieder mal freien WLAN-Zugang.
Als wir in Rumänien sind, steht das Land kurz vor den Kommunalwahlen am 1. Juni. Die Parteien in grün, gelb und orange geben noch mal alles und fahren heiße Geschütze auf: In Brasov fährt ein Techno-LKW mit tanzenden, heißen Mädels auf der offenen Ladefläche vor uns durch die Straßen. In der Altstadt beschallt die Gegenpartei mit Clubmusik aus Riesenboxen den kompletten Marktplatz. Die Sonne scheint und wir gucken amüsiert den alten Leuten in Shirts ihrer Partei zu, die überhaupt nicht zum jungen Sound passen, aber völlig entspannt auf dem Platz zusammengekommen sind. Die ganze Stadt ist in den Farben ihrer Partei unterwegs und alle machen Wahlkampf in den letzten Zügen.

Noch am Anfang: Resümee nach 10 Tagen

Beim Frühstück stellen wir fest, dass sich bei uns Beiden immer noch keine innere Ruhe eingestellt hat. Der Luxusgedanke, dass uns ein ganzes Jahr Auszeit bevorsteht, ist immer noch nicht richtig durchgedrungen. Vielleicht, wenn wir in ein paar Tagen Istanbul erreicht und dort pausiert haben, bevor wir Europa hinter uns lassen? Immerhin hat sich so langsam eine Art Arbeitsteilung bei allen Dingen eingestellt. Mit den MZ kommen wir auch gut zurecht. Wir telefonieren noch jeden Tag nach Deutschland, um unseren neuen Standpunkt durchzugeben. Das Garmin-GPS haben wir übrigens immer noch nicht (und auch keine Lust mehr auf blöde Ausreden am Telefon). Für gute Fotos und den richtigen Umgang mit der Kamera hatten wir bisher leider kaum Zeit. Den Kocher lassen wir auch meistens noch im Koffer, weil wir abends zu müde/faul zum Essen machen sind. Die Schlafausrüstung bewährt sich bestens. Andere Gegenstände befinden sich natürlich noch im Test.

MZ: Echt ein Renner!

„Ahhh! Emm Se!“ … Wir hatten es vermutet und merken schon nach zwei Wochen unserer Reise: Mit den alten MZ-Motorrädern haben wir die Sympathie auf unserer Seite. Ob bei der Verabschiedung in unserer Heimat, beim Zwischenstopp in Tchechien, bei den Slowaken, in Ungarn, den rumänischen Karpaten oder an der Schwarzmeerküste in Bulgarien: die Emmen erregen Aufsehen. Oft sprechen uns junge und alte Männer direkt auf die Motorräder an und so finden wir über nur zwei Buchstaben schnell Kontakt zu den Leuten: „Emm Se (MZ), good Maschina!“ Als (Motorrad)Reisende wird uns während der Fahrt oft zugewunken, zugelacht, gehupt oder alles gleichzeitig. In Brasov in Rumänien werden wir sogar gefilmt.
Oft bemerken die Leute erst beim zweiten Hingucken, dass es sich um ein Motorrad handelt, dass sie selbst noch aus alten Zeiten kennen, in denen ihr Heimatland und die DDR noch sozialistische Bruderstaaten waren. Bei der Abreise vom Restauranthof in Ungarn kam der eher reservierte Gastwirt regelrecht herausgestürmt, als er die vertrauten Klänge (oder war es doch der Geruch) hörte. Er strahlte uns aus der blauen Dunstwolke an wie ein kleiner Junge, hielt beide Daumen nach oben und wünschte uns im Vorbeifahren eine gute Reise.
Auch Vasili vom Zeltplatz nahe Sibiu hatte früher selbst eine MZ 175er ES. Leider war die Ersatzteilversorgung in Rumänien bescheiden und so wurde oft improvisiert. Bei seinem Zschopauer Eisenschwein musste bspw. ein Trabikolben als Ersatzteil herhalten – mit dem Nebeneffekt, dass seine MZ nun mehr 300 ccm Hubraum hatte, erzählte er uns grinsend. Ein paar hundert Kilometer weiter in Ploiestri hielt ein roter VW neben uns. Der Fahrer guckt auf die beladenen Emmen und fragt erstaunt: „You are Globetrotter?“ Als wir beide nicken, erzählt er uns, dass er selbst Motorrad fährt, heute eine Yamaha, und als Mechaniker arbeitet. Aus Zeitgründen sei er leider nur ein „Sunday Biker“. Als wir unsere geplante Reiseroute zeigten, konnte er es kaum glauben: „I have no words!“ Nach kurzem Fachsimpeln mit Händen, Füßen und ein paar Brocken Englisch verabschieden wir uns. Für den Fall, dass wir Hilfe brauchen, drückt er uns noch schnell einen Zettel mit seiner Adresse und Telefonnummer in die Hand.

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