Türkei – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Thu, 08 Feb 2018 06:28:49 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Türkei – eMMenreiter 32 32 Türkei: Quer durch Kleinasien /tuerkei-reise-2016/ /tuerkei-reise-2016/#comments Sun, 05 Jun 2016 16:05:22 +0000 /?page_id=7744 Pamukkale, Türkei

Pamukkale: Sieht kalt aus, ist aber schön warm. © emmenreiter.de

Türkei – Zurück im Land des Tschais

Wir lieben die türkische Teetradition. Als wir an der Grenze zur Türkei stehen, können wir allerdings keineswegs erahnen, dass wir dieses Mal sogar der Einladung eines Präsidenten zum Tschai folgen dürfen. Aber der Reihe nach. Kaum haben wir dieses Land betreten, steckt Micha schon die erste türkische Telefonnummer ein – für den Fall, dass wir Hilfe brauchen. Der nette Motorradfahrer aus Istanbul besteht darauf und freut sich über unsere alten Motorräder. „Na klar kenne ich MZ!“ sagt er auf Englisch. Die Generation seines Vaters würde immer noch „MZ“ als synonym für Motorrad verwenden. Schließlich sei es in den Siebzigern fast die einzige Marke gewesen, die man in der Türkei erwerben konnte. Heutzutage sind hierzulande Motorräder im Allgemeinen eher rar.
Die Fähre in Eceabat bringt uns in etwa 20 Minuten rüber nach Çanakkale. Vor uns liegen nun rund 2.500 Kilometer quer durch Kleinasien bzw. Anatolien, wie die heutige Türkei auch genannt wird. Nach der ersten Nacht auf asiatischem Boden etwas südlich von Çanakkale landen wir am nächsten Nachmittag in Tekelioglu – ein Bauerndorf am Marmara-See, dessen Ufer uns für eine weitere Nacht ein Zuhause bieten soll.

Gute Nacht im Rapunzel-Dorf

Etwas müde vom Fahren knattern wir am späten Nachmittag auf einem schmalen Schotterweg geduldig am durchgeweichten Seeufer entlang. Leider finden wir keine geeignete Stelle zum Zelten. Der See ist bis zum Ufer mit frisch gepflügten Feldern umgeben. Enttäuscht von unserem Versuch fahren wir ins nächste Dorf hinein, um hier nach einer trockenen, grünen Stelle zu gucken. Ein alter Mann mit großen Zahnlücken, der überraschend gut Englisch spricht, verweist uns hilfsbereit an ein rosafarbenes Haus, in dem amerikanische Archäologen wohnen sollen. Die würden die Gegend gut kennen und könnten uns sicher helfen. Tor und Tür des Hauses sind allerdings verschlossen. Als wir weiterfahren wollen, sehe ich eine türkische Frau neugierig aus dem Haus gucken. „Merhaba!“ rufe ich rüber. „We are looking for a place to camp!“ Diesen Satz begleite ich mit meinen Händen wie bei der Gebärdensprache. Schüchtern ruft sie schnell ihren Ehemann herbei. Mustafa versteht schnell, was wir wollen und bittet uns ebenfalls mit Gesten, ihm auf den Motorrädern zu folgen. Das Ziel ist eine kleine Gartenwiese vor seinem Haus oben im Dorf – mit Blick auf den See. Ohne ein einziges Wort aus seinem Munde macht uns Mustafa klar, dass wir gerne unser Lager hier errichten dürfen. Seine Tochter Iraz kommt jetzt noch dazu und bietet mit etwas Englisch ihre Hilfe an. Wir haben sie, ihren Vater und Mutter Ayşe etwas überrumpelt mit unserem plötzlichen Erscheinen, aber am Abend sitzen wir im Wohnzimmer alle entspannt beim Tschai zusammen, lachen und erzählen, was das gemeinsame Englisch so hergibt. Tekelioglu sei das erste Ökodorf in der Türkei, erzählen sie uns stolz. Mustafa ist einer der Bauern, die für die deutsche Biofirma Rapunzel Sultaninen, Oliven und Weizen anbauen. Mit einer Flasche feinstem Olivenöl, die noch schnell im Tankrucksack verstaut wird, Brot und einem Stück aromatischen Schafskäse werden wir am nächsten Morgen mit einer herzlichen Umarmung auf die Weiterreise entlassen.

Pamukkale: Barfuß durch die Winterlandschaft

Pamukkale – diesen Namen kannte ich bisher nur von türkischen Restaurantschildern in Berlin. Als wir in diesem Dorf ankommen und uns häuslich in einer der vielen Pensionen eingerichtet haben, machen Micha und ich erstmal ein Schläfchen. Mitten am Tag versinke ich im Bett. Unterwegssein kann anstrengen. Einige kuriose Träume später reißt mich Micha mit einem Foto auf seinem Handy aus dem Schlaf: Meine Sturmhaube auf dem Sofa in Tekelioglu! „Ach Scheiße!“ Mehr kann ich dazu nicht sagen. Meine Laune ist dahin. Wenn es ein Utensil gibt, das ich heute auf der Fahrt hierher so richtig schätzen gelernt habe, dann meine alte Sturmhaube. Heute Morgen bei der Abreise aus Tekelioglu dachte ich, wir hätten sie versehentlich irgendwo tief in einer der beiden großen Taschen verstaut. Der kalte Wind kroch mir die ganze Fahrt über in den Nacken – egal wie hoch ich den Kragen meiner Motorradjacke zog und wie fest ich das Nothalstuch umband. Wir bitten Iraz verschämt, uns das Kleidungsstück ins Gasthaus nach Göreme in Kappadokien nachzuschicken. Ohne zu zögern tut sie uns den Gefallen und bedankt sich noch mehrmals für unseren Besuch. Drei Tage später werde ich das Päckchen in meinen Händen halten und ich kann Kopf und Hals wieder fahrtwinddicht verhüllen.
Sorglos und bei frischem Wind und warmer Sonne klettern wir barfuß über die nassen, schneeweißen Kalkterassen, die Pamukkale berühmt gemacht haben. Der Geist ist irritiert von der Winterlandschaft, die keine ist. Oben auf der Spitze des „Eisberges“ gibt es dann ein weiteres Highlight – die Ruinenlandschaft der antiken
griechischen Stadt Hierapolis, deren Bewohner schon damals die Quellen der weißen Berge als Thermalbäder nutzten. Der schöne weite Blick von hier oben macht den Kopf frei von sämtlichen Gedanken.

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Kappadokien: Wandern zwischen Feenkaminen

Auf dem Weg in die sagenhafte Landschaft Kappadokiens stellen wir unseren eigenen Rekord auf, der auf dieser Reise wohl ungeschlagen bleiben wird: 530 Kilometer reiten wir am 26. Mai auf meist doppelspurigen Straßen bei Rückenwind von Pamukkale über Konya bis nach Sultanhani ab. Dafür hocken wir neun Stunden ohne nennenswerte Pausen auf den Sitzbänken der Emmen. Glücklich steigen wir im Zentrum Anatoliens ab und richten mit Blick auf Sultanhani – der größten Karawanserei Kleinasiens – unser Zelt her. Ein bisschen fühlen wir uns wie vor etwa 800 Jahren die Karawanen der historischen Seidenstraße, die hier zur Ruhe kamen und sich erfrischten.
Von Sultanhani aus ist es nur ein Katzensprung bis nach
Göreme in Kappadokien, wo wir die nächsten drei Tage eine alte Pension beziehen. Die ist zur Hälfte in einen großen Felsenkegel aus beigem Vulkangestein hineingebaut, so wie viele Häuser in dieser Umgebung.
Kappadokien ist schon eine bizarre und dazu noch riesige Landschaft, die sich in ein paar Tagen kaum entdecken lässt. Trotz bedrohlich verdecktem Himmel ziehen wir morgens los, um die märchenhafte bis skurrile Kulisse mit ihren schlanken Feenkaminen und riesigen Felsenkegeln auf uns wirken zu lassen. Kaum unterwegs stoßen wir zufällig auf Katharina aus Süddeutschland, die die Gegend schon ein wenig kennt. Sie ist eine der wenigen Touristen, denen wir auf dieser Wanderung begegnen. Normalerweise kommt um diese Zeit an Hotspots wie Kappadokien bereits der Massentourismus in Fahrt. Dieses Jahr warten allerdings in der ganzen Türkei Hotels, Gasthäuser und Restaurants deprimiert auf Kundschaft. Der Terror hat den Tourismus lahmgelegt und wir sind insgeheim froh, dass wir die Atmosphäre vieler Orte und Sehenswürdigkeiten in Ruhe genießen können. Zusammen mit Katharina laufen wir stundenlang wer weiß wie viele Kilometer durch Täler, Schluchten, vorbei an Weinfeldern und über die Plateaus des Roten- und des Rosentals. Wir krabbeln in ein paar der vielen kleinen Höhlenkirchen und bewundern uralte griechische Fresken. Sogar die Sonne lässt sich bald blicken und bringt die Farben- und Formenvielfalt der Felsen noch mehr zum Vorschein.

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Als wir so allein umherwandern haben wir die Illusion im Kopf, wie spannend es wohl noch vor zwanzig, dreißig Jahren in der Türkei gewesen ist, als man in Kappadokien noch Esel sah und als Reisender Mühe hatte, ein Hotel zu finden. Heute verderben etliche Squad-Verleiher das Straßenbild in Göreme, das sowieso längst nur noch ein hübsches Touristendorf ohne normales Alltagsleben ist. Die Türkei scheint sich immer noch rapide zu verändern. Oft fahren wir auf einwandfreien, doppelspurigen Straßen übers Land. Und obwohl der Verkehr eher gering ist, wird überall noch mehr neuer Asphalt ausgewalzt. Große Neubausiedlungen stechen außerdem ins Auge, genau wie die unübersehbaren Neubauten der Moscheen. Eines hat sich jedoch kaum geändert, nämlich dass wir auf dem Weg immer wieder freundlich von den Türken gegrüßt oder angesprochen werden.

Tee beim Präsidenten

30. Mai – unser 44. Reisetag. „Lass uns heute in Ulaş ein Plätzchen suchen“, schlage ich beim Blick auf unsere Straßenkarte vor. Der kleine Ort südlich der Stadt Sivas ist grün umrandet, was bedeuten soll, dass er sehenswert ist. Außerdem gibt es einen schönen See dort. Leider regnet es, als wir nach ein paar Stunden in Ulaş einbiegen. Die Straßen des Städtchens sind überspült von dunkler Erde und nichts hier wirkt so freundlich, wie auf den Fotos im Internet. Wo ist der schöne See mit den Bergen im Hintergrund? Der nette Lebensmittelverkäufer schickt uns schulterzuckend in Richtung Parkanlage, als wir ihn nach einer Möglichkeit zum Campen fragen. Und schnell entdecken wir auch das Wasser und die überdachten Picknick-Ecken am Seeufer – perfekt. Ein junger Mann guckt aus einem verwaisten Cafègebäude hervor und macht deutlich, dass es kein Problem sei, hier zu übernachten.
„Guck mal, da kommt der Dorfpolizist!“ warnt mich Micha, als wir uns gerade einrichten wollen. Ein Mann in Uniform begleitet von einem großen jungen Mann in dunkel schimmerndem Anzug läuft über die nasse Parkwiese direkt auf uns zu. „Aus dem Zeltaufschlagen wird wohl nichts“, sage ich. Der Uniformierte hält uns lächelnd ein Smartphone vor die Nase und im Google-Translater steht: „The president invites you for tea.“ Verwundert lächeln wir zurück und nicken sofort. „Now?“ fragt Micha. Die Herren nicken ebenfalls. Jetzt wird noch ein dritter Herr wie aus dem Nichts im Park abgestellt, der auf unsere beladenen Motorräder aufpassen wird. In der derben Motorradkluft stapfen wir den Abholern hinterher und fragen uns, welcher Präsident uns wohl empfangen wird. Mit Modder an den Stiefeln betreten wir den glänzenden Steinboden des recht neuen Gemeindehauses und werden von der Chefsekretärin im neonbeleuchteten Vorzimmer auf zwei Stühlen platziert. Ein paar Minuten noch und dann dürfen wir einschreiten ins großzügige Büro von İsrafil Göçgün. Links und rechts vom großen Schreibtisch stechen mir sofort Portraits von Atatürk und Erdogan ins Auge. Vor dem Schreibtisch befindet sich eine gemütliche Ledersitzgruppe für vier Gäste. Drei weitere Herren haben so eben ihre Teerunde mit dem Präsidenten der Gemeinde Ulaş beendet – nun kommt İsrafil Göçgün auf uns zu und begrüßt uns mit einem freundlichen Händeschütteln. Dann stellt er uns die anderen drei Herren vor, die zunächst noch neugierig mit uns verweilen. Als wir alle beim türkischen Tee zusammensitzen, beginnt Herr Göçgün mühsam mit wenigen Worten Englisch eine freundliche Konversation. Stolz sagt er, dass er Ulaş touristisch erschließen möchte. Dieser Ort sei zwar klein, aber wunderschön, strahlt er. In drei, vier Monaten soll eine Wasserskianlage am See eröffnet werden. Ich erzähle ihm, dass ich auf der Website seiner Gemeinde war und die schönen Fotos uns hierher gelockt haben. Besser hätten wir uns für seine Einladung nicht revanchieren können. Nach einer Weile des versuchten Plauderns überreicht uns Herr Göçgün ein traditionelles Geschenk, wie er sagt: Ich erhalte ein Seidentuch und Micha eine Schachtel mit glänzendem Kugelschreiber. Außerdem gibt es eine Tüte mit frischem Pide und Salat mit auf den Weg. „Our first tourists!“ – mit diesen Worten wird sich herzlich von uns verabschiedet und noch ein Foto gemacht. Acht Leute waren in der letzten Stunde auf Geheiß des Präsidenten in unseren spontanen Besuch involviert – von der Dame, die das Geschenk brachte bis hin zum jungen Mann, der noch schnell das Essen besorgen musste. Als wir wieder zurück bei unseren Motorrädern sind und unser Zelt am See endlich steht, fährt irgendwann ein abgedunkelter Mercedes vor. Herr Präsident steigt aus und bittet um ein weiteres Foto – vor unserem Zelt! Gerne.

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Kurs auf Nordost-Anatolien

Nochmal das Meer sehen – dieser spontane Wunsch lenkt uns aus der romantischen Bergwelt um Şhebinkarahisar an die Küste. Nach einem grandiosen türkischen Frühstück im Zuhause von Mücahit, der uns erlaubt hatte, auf der Koppel neben seinem Haus für eine Nacht das Zelt aufzuschlagen, geht es nun also nord- statt ostwärts. Als nach 70 Kilometern Bergstraße das türkisblaue Schwarze Meer am Horizont aufblitzt, überkommt uns sofort ein Urlaubsgefühl, das nur wenige Minuten später ins Gegenteil umschlägt. Von einer ruhigen Pension mit Meerblick träumend erreichen wir die City Giresun. Eben noch auf einer kleinen Bergstraße irren wir jetzt auf der lauten Küstenautobahn zwischen Autos, Bussen und Lastwagen hin und her. Unser Traum vom Meer zerplatzt und jetzt erinnere ich mich wieder genau an unsere erste Reise vor acht Jahren. Diesen Küstenabschnitt der Türkei hatten wir damals ebenfalls befahren und wir fanden es nicht besonders einladend. Wir halten bald entnervt an einem großen Hotel direkt an der Straße an. Das moderne Zimmer im vierten Stock hat weiten Meerblick und entspricht mit 50 Euro keinesfalls unserem Budget. Das Preis-Leistungsverhältnis ist dafür recht gut.
Als wir am nächsten Morgen vom Bett auf die Autobahn zurückfallen und geradeaus gen Osten fahren, habe ich Zeit zu überlegen, was auf dieser Reise eigentlich anders ist als damals. Der besondere Reiz des ersten großen Abenteuers ist erlebt. Was wird wohl der Reiz dieser neuen Reise sein? Bin ich diesmal mutiger oder ängstlicher? Neugieriger oder abgeklärter? Müder oder wacher? Vielleicht überstehen wir Usbekistan dieses Mal ohne Durchfall? Niemals. Wetten?
Etwas betrübt vom Flair der verbauten Küste und ihrer Autobahn hoffen wir, dass wir in der Siedlung von Çağlayan bei Findikli wieder etwas Natur und Ruhe finden. Was sollen wir sagen: Nur sechs Kilometer berglandeinwärts sind wir plötzlich umringt von dicht bewaldeten Hügeln und tiefgrünen Teeplantagen. Kein Rauschen der Autobahn mehr, nur das raue Rauschen des Flusses hallt durchs ursprüngliche Tal. Wir haben viel Glück, dass wir Mehmets Gasthaus (auf facebook: Mehmet Ince) entdeckt haben – ein über 300 Jahre altes traditionelles Steinhaus, wie es nur noch 37 Stück davon im Tal gibt. Den alten Familienbesitz mit seinen Tee- und Haselnussplantagen hat Mehmet vor ein paar Jahren liebevoll restauriert. Da derzeit kaum bis keine Gäste im Haus sind, dürfen wir uns das schönste Zimmer aussuchen, ohne dass er dafür mehr Geld verlangt. Wir wohnen hier wie in einem Museum. Die riesigen dunkelbraunen Holztüren, die alten Böden und Wände haben viel erlebt und das strahlen sie auch aus. Aus unseren Fenstern blicken wir auf die Teefelder und den Garten von Mehmet. Hundedame Shiva, ein paar Katzen, Hühner und das weiße Entenpärchen fühlen sich hier genauso wohl wie wir. Mehmet ist nach vielen Jahren in Istanbul und im Ausland mit seiner zweiten Frau nun in diesem schönen Flecken Erde zuhause und verbringt die Tage am liebsten im Garten und beim Fischen. Da er sehr gut Englisch spricht, plaudern wir beim Tschai und Kaffee über Gott und die Welt.
Zweimal verlängern wir unseren Aufenthalt in diesem Paradies. Mehmet versorgt uns mit fantastischen Empfehlungen für Ausflüge in die Umgebung und so cruisen wir an wilden Bergflüssen entlang zu noch wilderen Wasserfällen. Die Wälder hier gleichen einem Dschungel und sowas urwüchsiges zu sehen macht einfach happy. Wir fühlen uns so wohl hier und auf Mehmets kleiner Plantage, dass wir uns nur schwer verabschieden können. Er verspricht uns eine fantastische Weiterreise, wenn wir noch tiefer in die besondere Bergwelt Nordost-Anatoliens vorrücken und die Georgischen Täler der Osttürkei durchqueren werden.

> So geht`s weiter: Georgien – Zwischen den Welten
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Wilde Türkei: Zu Gast bei den Kurden /tuerkei-kurden-ostanatolien/ /tuerkei-kurden-ostanatolien/#comments Tue, 23 Jun 2009 19:12:45 +0000 /?page_id=2796 Ostanatolien_800x536

Zu Gast in Ostanatolien, 2009 © emmenreiter.de

Im Tulpengarten von Dogubayazit

12. Juni. Die Iranvisa enden heute auf den Tag genau. Während die Iraner zur Wahlurne rennen, machen wir den Schritt ins muslimische Nachbarland. Der Grenzübergang in die Türkei geht auf beiden Seiten zügig vonstatten. Einziger Unterschied ist, dass der nette Helfer auf türkischer Seite, der uns im (Vordrängel-)Spurt durch die nötigen Kontrollstationen schleppt, im Gegensatz zu seinem iranischen Pendant am Ende Bakschisch verlangt. Ein Fünf-Dollar-Schein muss ihm reichen.
Ich stopfe mein Kopftuch in den Tankrucksack. Die beiden blondierten Damen im türkischen Zollhäuschen hatten auch keins auf. Jetzt sind es nur noch fünfunddreißig Kilometer breite und leere Landstraße, dann erreichen wir den ersten Ort hinter der türkischen Grenze: die kurdische Kleinstadt Dogubayazit auf etwa 1.600 Metern über dem Meeresspiegel. Die weite Graslandschaft ist sogar noch herrlicher als im Nordiran. Der Gipfel des nah gelegenen und verschneiten Ararat, der höchste Berg der Türkei, lässt sich heute hinter der Wolkendecke nur erahnen. Die Gegend im äußersten Osten der Türkei ist voller Militärstützpunkte und Kasernen, die sich wenigstens farblich in die Umwelt einfügen. Auch in Dogubayazit.
Zwei Kilometer von der Stadt entfernt, in der es nicht immer friedlich zugeht, führen der Holländer Bertil und der Kurde Mecit – beides symphatische Männer gestandenen Alters – seit fünf Jahren einen kleinen Campingplatz mit den obligatorischen Picknickecken für die Einheimischen: Lale Zar – zu deutsch: Tulpengarten. Na klar, denken wir. Tulpen und Holland – das passt. Aber Mecit lehrt uns, dass Tulpen ursprünglich nicht aus Holland, sondern aus der Türkei stammen. Wir schlagen das Zelt für vier Tage auf der kleinen Wiese auf. Ein friedlicher Platz am Fuße des Ararat. Außer uns steht an den ersten beiden Tagen nur noch ein weiteres Zelt hier: Ein holländisches Pärchen, das in ihrer zweiundzwanzig Jahre alten Ente bis nach Ostanatolien gerollt ist. Die gleichaltrigen Emmen fangen an zu flirten.
Oben auf einem nicht weit entfernten Klippenabhang hinterm Zeltplatz thront die restaurierte Ruine des Ishac Pasa Palastes. Von dort haben wir eine super Aussicht auf die Umgebung und die Stadt. Im Zentrum von Dogubayazit gehen wir seit Ewigkeiten mal wieder in einen richtigen Supermarkt einkaufen. Als wir durch den Eingang kommen, nehmen wir erstaunt einen bekannten und wohltuenden Duft wahr: Es riecht nach Westen! Wie im Intershop. Jeder Ossi unter den Lesern wird sofort verstehen, was gemeint ist. Die riesige Süßigkeiten- und Waschmittelabteilung entfalten ihre Gerüche, die unsere Nasen beim Einkauf in den kleinen, verstaubten Tante-Emma-Läden der anderen Länder schon wieder vergessen hatten. Sofort überkommt uns ein Kaufrauschgefühl, den die Vernunft aber noch stoppen kann. Ansonsten staunen wir nicht schlecht, wie viele teure Autos über die schlechten Straßen des Grenzortes fahren. Trotz achtzig Prozent Arbeitslosenquote. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Egal. Die alten Männer mit ihren Schnauzbärten, Schiebermützen und dickstoffigen Jackets und alle anderen Menschen in Dogubayazit sind eine freundliche und höfliche Gesellschaft. Wir fühlen uns hier sofort wohl und herzlich willkommen. Apropos Schnauzbart: Am türkischen Schnauzbart soll die politische Einstellung seines Trägers erkennbar sein. Deshalb dürfen Beamte in der Türkei nur eine bestimmte Bartlänge tragen und Studenten sogar gar keinen.
Mecit, dem das Leben tiefe Falten in sein braun gebranntes Gesicht gezeichnet hat, spielt abends auf dem Zeltplatz auf seiner traditionellen Gitarre kurdische Lieder und singt dazu mit seiner charismatischen, kratzigen Stimme. Damit schenkt er uns ein kleines Stück seiner alten kurdischen Kultur. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Kurdische Dörfer

In Ostanatolien ist die Türkei noch wild und voller Abenteuer, sagt man. Wir fahren auf Michas Emme trotz des verregneten Tages durch die kurdischen Dörfer. Wir sehen kleine, von der Zeit gezeichnete Feldsteinhäuser. Von den braunerdigen Höfen treiben die jungen Söhne schmutzige Schafherden auf die umliegenden Weiden. Auf den Feldsteinmauern entlang der moddrigen Dorfstraßen stapelt der Schafmist als Briketts zum Trocknen. Wir gelangen an den Fischersee fünfzig Kilometer von Dogubayazit entfernt. Die Gewitterschauer der Berglandschaft können uns in den Regensachen nichts anhaben. Im Gegenteil. Wir genießen die Stimmung. Irgendwann am See gelangen wir in ein kleines Dorf: Bazirhan. Die Kinder laufen in Gummistiefeln umher und beobachten schüchtern unsere Ankunft. Die Männer aus dem Dorf kommen sofort näher, um die Fremden mit Handschlag zu begrüßen. Wir kennen kein einziges kurdisches Wort, aber wir verstehen die Einladung zum Tschai. In einem einfachen Haus sitzen wir kurz danach mit jungen und alten Männern der Familie auf dem Teppichboden und trinken den starken Tee, den die junge und hübsche Ehefrau serviert. Respektierter Mittelpunkt ist ganz eindeutig der Großvater, der Micha lächelnd die Hand reicht.
Wir zeigen der neugierigen Runde die bisherige MZ-Reiseroute auf der kleinen Weltkarte. Das kommt immer gut an. Als wir Abschied nehmen wollen, werden wir gebeten, noch zum Essen zu bleiben. Solange wir den lecker zubereiteten Kartoffeln-Paprika-Tomaten-Mix genießen, sitzen die Frauen der Familie wie es Tradition ist gemeinsam außerhalb der Runde, bis die Männer fertig sind. Nur Suse darf sich wie immer zu den Herren dazugesellen. Nach dem Besuch bei diesen netten Leuten fahren wir weiter zu den heißen Quellen. In einem Becken, das wir ganz privat nutzen können, heizen wir wie Gott uns schuf im schwefelhaltigen Wasser die steifen Muskeln und Glieder durch – und das unter plötzlich strahlend blauem Himmel und bei Sonnenschein. Als wir zum Campingplatz zurückkehren, begrüßen wir neue Zeltnachbarn: zwei Hamburger auf ihren Enduros und ein Motorradpärchen aus Köln. Zum ersten Mal während unseres MZ-Abenteuers sitzen wir in einer Biker-Runde zusammen und finden es schön, wieder original Hamburger Slang zu hören.

Kars-Istanbul im Dogu Ekspresi: „Motosiklet no!“

16. Juni. Wir schütteln Mercit und Bertil die Hand, ziehen die Motorradhandschuhe über und kicken an. Dicht am großen Ararat vorbei – der vor einem Jahr zwei deutschen Bergsteigern durch die PKK zum Verhängnis wurde – knattern wir in die Stadt Kars. Wir haben gehört, dass man dort problemlos mit den Motorrädern im Zug bis nach Istanbul fahren kann. Leider ist die Reisekasse fast leer und wir sparen viel Geld, wenn wir die relativ teure Türkei diesmal auf der Schiene bereisen. Zugfahren ist eine schöne Abwechslung und die siebenunddreißig Stunden im sog. Dogu Ekspresi eine 1.435-Kilometer-Strecke mit bester Aussicht.
Als wir in Kars ankommen, fahren wir sofort zum Bahnhof, um die reservierten Schlafwagentickets abzuholen. Am Telefon vor ein paar Tagen hat man uns bestätigt, dass auch die Emmen im Dogu Ekspresi mitfahren können. Die Dame am Schalter in Kars sieht das aber anders, als wir auf die Mopeds zu sprechen kommen. „Motosiklet no,” wiederholt sie ständig und schüttelt dabei mit dem Köpfchen. Wir lassen nicht locker, bis sie ihren Boss anruft. Dann erweitert sie plötzlich ihren einen Satz: „Motosiklet no problem.” Das hört sich schon besser an. Tescheküler (Dankeschön)!
Morgens um halb Acht stellen wir uns mit beiden Emmen auf den Bahnsteig Nummer 1 am kleinen Bahnhof von Kars. Wir suchen den Verladechef oder irgendjemand anderen von der Türkischen Staatsbahn, der uns sagen kann, wie wir die Motosiklets verladen sollen. Aber einen Verladechef gibt es nicht, denn Fahrzeuge werden auf diesem Bahnhof nicht verladen. Wir berufen uns mit einem Lächeln auf das Versprechen von gestern: Motosiklet no problem! Das Bahnhofspersonal ist glücklicherweise lösungsorientiert und macht eine Ausnahme: Tamam (OK). Motosiklet no problem! Als der Dogu Ekspresi einrollt, heben die Männer die Emmen mit den Händen rauf in den leeren Cargo-Wagon, wo sich ansonsten nur Kisten oder ähnliches stapeln. Danach rätselt der Zugchef, wie er der Form entsprechend abrechnen kann. In der Preistabelle auf seinem Klemmbrett gibt es keine Angabe für mehr als fünfzig Kilogramm Frachtgewicht. Er schätzt. Und mit hundert Kilogramm pro Moped liegt er zwar ein bisschen daneben, aber wir freuen uns sehr über das Schnäppchen von dreiunddreißig Euro pro Motorradfahrkarte. Am Ende reist unsere kleine “Familie” für insgesamt hundertfünfzig Euro erster Klasse von Ost nach West durchs ganze Land.
Der Zug rollt pünktlich auf die Minute um 9:10 Uhr aus dem Bahnhof. Wir machen es uns für die fahrplanmäßig nächsten siebenunddreißig Stunden im Privatabteil gemütlich. Keine schwere Aufgabe. Aus dem Fenster gucken wir erst noch auf Felder und Berge, auf die die Sonne scheint. Nicht lange, und es regnet wieder. Dann macht die Reise im trockenen Zug doppelt Spaß. Nach einem super Sonnenuntergang schunkelt uns der Wagon, der durch etliche Kurven und Bergtunnel trödelt, auf weichen Klappbetten in den Halbschlaf. Ein paar Schienenabschnitte sind wohl sehr alt. Die Räder reiben und quietschten an den Gleisen entlang und rattern laut im Takt. Manchmal könnte man denken, dass wir gleich entgleisen. Aber wohl nicht bei dem Tempo.
Mit fünf Stunden Verspätung trudeln wir nachts um drei auf dem Haydarpaşa Bahnhof in Istanbul ein. Wir sind auf einmal hell wach. Die Abladung der Emmen erfolgt blitzschnell und wir nutzen die verführerische Stille der Nacht, um uns auf leeren Straßen aus Istanbul davonzustehlen. In dieser Stadt haben wir vor fast genau einem Jahr den Schritt nach Asien gemacht. Jetzt bringt uns die lila beleuchtete Bosporusbrücke bei ersten Anzeichen einer Morgendämmerung wieder zurück. Asien adè! Willkommen in Europa!

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Karadeniz – 1.500 km türkische Schwarzmeerküste /tuerkei-karadeniz-schwarzmeerkueste/ Mon, 16 Jun 2008 15:06:45 +0000 /?page_id=1410 Schwarzmeerküste Türkei

Erster Stopp Karasu: Plausch mit dem Haselnusshändler

12. Juni – Istanbul liegt acht Stunden und etwa 300 km hinter uns, als wir am Nachmittag im Ferienort Karasu ankommen. Bei der Abfahrt morgens um sieben Uhr nach nur 3 Stunden Schlaf war die Stadt noch herrlich leer. Trotzdem haben wir über eine Stunde gebraucht, um über den Bosporus auf den richtigen Weg Richtung Küste zu gelangen. Sile, unser erster Wegpunkt, war nämlich erst ab Stadtrand ausgeschildert. Mittags überkam mich noch eine unüberwindbare, lähmende Müdigkeit und ich sah mich im schattigen Park eines kleinen Ortes auf der Strecke zu einem zweistündigen, tiefen Mittagschlaf gezwungen.

Haselnusshändler Ömer

Haselnusshändler Ömer mit seinem Käfer

Als wir in der Kleinstadt Karasu die Leute auf der Straße nach einer Möglichkeit zum Campen fragen, kommt gerade Ömer auf seinem Fahrrad vorbei. „Brauchen Sie Hilfe?“ fragt er höflich und auf Deutsch. Ömer ist türkischer Rentner und hat seit den 60ern bis in die 80er Jahre in Hamburg gearbeitet und gelebt. Er lädt uns in die schöne Ferienwohnung seiner Tochter ein, die vis a vis von seiner Wohnung in einem 5-stöckigen Mehrfamilienhaus am Strand von Karasu liegt. Wir parken die Emmen vor dem Haus und fahren abends in seinem blauen VW-Käfer-Oldtimer zum Fischrestaurant. Er erzählt uns beim Abendessen ein bisschen aus seinem Leben. Ömer stammt ursprünglich aus Batumi in Georgien und hat lange als Haselnusshändler gearbeitet. Noch heute fährt er oft ins Haselnussgebiet nach Aserbaidschan, um dort den Handel der Nüsse für unser Nutella nach Deutschland zu vermitteln. Er hat uns wertvolle Insidertipps für interessante Routen von hier bis nach Baku gegeben und natürlich seine Handynummer für den Notfall.
Die nächsten beiden Nächte verbringen wir immer mit Blick aufs leuchtend blaue Schwarze Meer einmal allein auf dem naturbelassenen „Hello“-Campingplatz nahe Akcakoca und dann unter gespannter Beobachtung auf dem Busparkplatz des Touristenstädtchens Amasra. Wir sind froh über jede kostenfreie schöne Stelle zum Zeltaufschlagen. Die Spritpreise in der Türkei haben Rekordniveau: etwa 1,70 Euro pro Liter Benzin. Die Türken auf dem Lande tauschen daher ihre Traktoren wieder gegen den Esel ein. Wir würden unsere beiden motorisierten Packesel natürlich gegen nichts tauschen.

Ekmek - Türkisches Brot mit Honig

Mittagspause an der Bäckerei: Ekmek (Brot) mit Honig

Links-Rechts-Hoch-Runter: Endlose Kurven von Amasra bis Catalzeytin

14. Juni – Wir übernachten in einem Hotel in dem kleinen Ferienort Catalzeytin. Micha nimmt hier am nächsten Morgen in einer Werkstatt ein paar kleine, aber wichtige Wartungsreparaturen an den Motorrädern vor. Es haben sich ein paar Speichen gelöst, Michas Auspuff ist lose und beide Scheinwerferlampen müssen ausgetauscht werden.
Seit Amasra schlängelten wir uns über endlose Kurven und Berge immer mit Blick aufs türkisblaue Meer, das fließend in den Himmel überging, an der Küste entlang. Das forderte viel von uns und den Emmen, wenn wir die Motoren steil bergauf bei Laune halten mussten. Man hörte uns sicher schon von Weitem um die Kurve pfeifen. Ich fuhr vor und kam Gott sei dank gut mit der Bergfahrt zurecht. Ich verschaltete mich nur einmal und nie wieder. Nach fünf Stunden Links-Rechts-Hoch-Runter bei 50 kmh Durchschnittsgeschwindigkeit war uns etwas schwindlig und übel und wir haben daher beschlossen, nicht noch wie eigentlich geplant bis nach Sinop zu fahren, sondern in Catalzeytin zu bleiben. Obwohl die heutige Strecke anstrengend war, hat es Spaß gemacht und wir waren fast allein auf der kleinen schmalen Straße unterwegs. Mittlerweile hat hier fast jeder mitbekommen, dass zwei Deutsche mit dem Motorrad angereist sind und sie gucken und grüßen uns beim Vorbeigehen. Plötzlich wandelt sich in unseren Augen der Urlauberort in eine nette, türkische Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Als wir unsere MZ zum Weiterfahren beladen, steht die Wirtin, ihre Familie und das ganze Personal gespannt am Zaun und verabschiedet uns herzlich mit „Gute Reise!“
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Ayder: Abstecher auf die Alm

Nach Catalzeytin fahren wir weiter, übernachten einmal in Gerze bei Sinop auf der Wiese eines Restaurants und in Ünye auf einem kleinen Zeltplatz am Strand. Seit Samsun fahren wir auf einer geraden, zweispurigen Schnellstraße, die zum Glück wenig Verkehr hat. Autos und LKWs, denen wir mit 80 km/h zu langsam fahren, hupen uns einfach von der Fahrspur. Wir kommen zügig voran, passieren bald die letzten größeren Städte vor der georgischen Grenze: Trabzon und Rize. Die meisten Orte an der türkischen Schwarzmeerküste sind flüchtig betrachtet eher hässlich. Die Häuser sehen oft nach Halbrohbau aus, sind aber dennoch bewohnt. In Trabzon und Rize finden wir am frühen Abend nach mehreren Versuchen keinen ruhigen Platz zum Campen. Also fahren wir ein paar Kilometer hinter Rize hoch in die teilweise noch schneebedeckten Berge und folgen hier dem wortwörtlich rauschenden Fluss. Wir sind allein auf der Straße. Die Sonne ist bereits hinter den Bergen verschwunden, feuchter Nebel steigt auf und wir fangen auf den Motorrädern an zu bibbern. Irgendwie ist es ein bisschen unheimlich. Wir hoffen, dass wir noch vor der Dunkelheit einen Schlafplatz finden. Und plötzlich sind wir da: in Ayder. Vor einer Stunde noch an der sonnigen Meeresküste sind wir jetzt nicht mehr in der Türkei, sondern in den österreichischen Alpen gelandet. Auf einer grünen Bergalm sehen wir links und rechts alte Holzhütten, aus denen Rauch aufsteigt. Kleine Hotels stehen zerstreut auf den Wiesenhügeln. Wir hören den Wasserfall und die Glocken der Kühe, die im Halbdunkeln vor uns gelassen über die Straße spazieren, und kurz darauf den Abendgebetsruf des Imam. Wir sind also doch noch im Land des allgegenwärtigen Atatürks.
Für vierzig Euro die Nacht gönnen wir uns den Luxus des kleinen, feinen Hüttenhotels Kuspuni, das wie im Skiurlaub riecht. Unser Geschenk zum Jubiläum: Es ist der 18. Juni und wir sind nun genau einen Monat unterwegs. Am nächsten Morgen bekommen wir von einer Frau in traditioneller Kleidung auf der Terrasse das beste Frühstück unserer bisherigen Reise aufgetischt. Wir lassen uns frische Kräuter, kräftigen Ziegenkäse, aromatischen Imkerhonig und hausgemachte Marmelade auf der Zunge zergehen. Nach dem Frühstück treffen wir Thies und Antje auf der Dorfstraße, Studenten aus Hamburg, die eine Weile in Istanbul studiert haben und vor ihrer Rückkehr nach Deutschland noch die Küste per Bus bereisen. Wir gehen gemeinsam die Bergstraße nach oben und sehen uns die Gegend an. In diesem Landesteil kann man sehr alte Häuser in typischer Bauweise bewundern. Die Frauen hier tragen speziell gewickelte, schmuckvolle Kopftücher, die insbesondere jungen Gesichtern einen schönen und stolzen Ausdruck verleihen.
Am nächsten Tag ziehen wir aus unserer Luxushütte in die kleine Pension Bozaci um, in der auch Thies und Antje wohnen. Wir werden noch drei Tage in Ayder bleiben und solange leisten wir uns ein ganz einfaches Zimmerchen für 12 Euro. In der lebendigen Pension sind wir vier die einzigen Ausländer. Am Samstagabend (21. Juni) sitzen wir nach einem verregneten Faulenzertag in der ofenbeheizten Gemeinschaftsküche und amüsieren uns dort beim Tee mit der lustigen, türkischen Männerrunde. Thies kann sich ganz gut auf türkisch mit den Leuten unterhalten und übersetzt für uns. Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Sonntagmorgen reisen er und Antje leider schon wieder nach Istanbul ab und wir planen die Route für Georgien und Aserbaidschan.

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Metropole Istanbul /metropole-istanbul/ /metropole-istanbul/#comments Fri, 06 Jun 2008 14:43:20 +0000 /?page_id=1393 Alter türkischer Mann in Istanbul

Über den Mond zum Taksim-Square

Wir wollten die türkische Megacity, in der mittlerweile mindestens ein Fünftel der Türken lebt, nicht unbedingt quer über die Autobahn einfahren. Eigentlich hat uns bisher fast jeder empfohlen, dass wir uns das Verkehrschaos in Istanbul gar nicht erst antun und irgendwo außerhalb der City unterkommen sollen, um dann mit Bahn oder Taxi in die Stadt zu fahren. Wir hatten allerdings die Adresse eines schönen Hostels nahe des zentralen Taksim-Platzes in der Tasche und das haben wir ohne Stadtplan, aber guten Mutes angesteuert. Bevor wir uns dann doch auf einer vierspurigen Stadtautobahn wiederfanden, endete unsere Landstraße noch kurz vor Istanbul in einer Art Mondlandschaft, auf der Bau-LKW wie Ameisen hin und her fuhren und unsere MZ mitten drin im grauweißen Staub. Die Straße führte durch ein Steinbruchgebiet; wir machten unser Fernlicht an und steuerten den halb Schotter-, halb Asphaltweg entlang. In Istanbul angekommen sehen die Moppeds nun endlich auch nach „Weltreise“ aus. Weiter in der Stadt folgen wir dem Wegweiser „Taksim Square“. Der Verkehr staut sich, die Straßen sind steil und in allem Gewusel streikt dann bei Suse an der roten Ampel bergauf die Kupplung. Hinter ihr drängeln die hupenden Autos und Busse, bis wir das Motorrad an den Straßenrand schieben. Mit ein paar Handgriffen war die Kupplung wieder eingestellt. Zehn Minuten und einen Liter Schweiß später dasselbe Prozedere bei Micha.
Ein paar Straßenkreuzungen weiter kommen wir dann endlich in der kleinen Gasse mit dem Hostel „Chambers of the Bohéme“ an. Hier begrüßt uns Besitzer Ahmet in fließendem Englisch und mit trockenem Humor: „Das ist das Zimmer, Duschen und Toilette gibt es leider nicht. Da müsst ihr nebenan ins Cafè!“ Den Witz konnte er sich, so wie wir Beide aussahen und rochen, nicht verkneifen.

7. Juni 2008: Wir betreten Asien!

Istanbul ist der Scheitelpunkt unserer Eurasienreise. In der einzigen Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten liegt, können wir uns täglich für den Aufenthalt entweder in Europa oder Asien entscheiden. Die Nächte verbringen wir noch in Europa. Am heutigen Samstag jedoch haben wir per Fähre über den Bosporus und Weiterfahrt mit dem Minibüs den höchsten Hügel Istanbuls – Camlica – besucht und damit erstmals Asien betreten. Camlica ist am Wochenende ein beliebtes Ausflugziel für die Istanbuler und so wie es aussieht, ein beliebter Ort für Hochzeiten. Wir haben hier neben der wundervollen Aussicht auf die weit reichende Megacity gleich zwei türkische Brautpaare bewundern dürfen. Um 17 Uhr hören wir beim Blick auf die Bosporus-Brücke aus dem Tal gleichzeitig aus mehreren Moscheen die Vorgebete aus den Minaretten. Eine einmalige Atmosphäre. In diesem Teil Istanbuls sehen wir auch viel mehr – teilweise bis auf die Augen – verhüllte Frauen, als im europäischen und westlich geprägtem Stadtteil Beyoglu, in dem wir dieser Tage wohnen. In Beyoglu laufen Teenager mit Mangafrisuren, Transen, Touristen wie wir und gestylte Türken durch die Gassen. Auf jeden Fall sehen wir überall deutlich mehr Männer als Frauen auf der Straße.
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Als Tourist in Istanbul

Istanbul hat viel zu bieten: Riesige Moscheen, Basare, Paläste, Brücken, Museen, gutes Essen, tausende Läden… Da wir keine Lust auf ein anstrengendes Abreiten sämtlicher Sehenswürdigkeiten haben, gehen wir jeden Tag spontan auf die Straße und entdecken nach und nach die schönsten Dinge der Stadt für uns. Ahmet, der Hostelbesitzer, gibt uns ein paar Tipps. Wir nehmen uns Zeit zum Rumschlendern und geben uns Mühe, nicht sofort als Tourist ins Auge zu fallen. Statt mit Fototasche und Rucksack laufen wir mit einem Einkaufsbeutel herum. In den beliebten Vierteln der Stadt werden Touristen gerne zum Essen oder Kaufen überredet. Für den Weg über die Galata-Brücke vorbei an der Kette der Fischrestaurants im Untergeschoss haben wir mittlerweile mehrere Tricks ausprobiert, um nicht von jedem Kellner zu Tisch gebeten zu werden: 1. im Laufschritt passieren und gestresst tun, 2. dankend ablehnen auf Türkisch, 3. nacheinander (also nicht als Pärchen) entlang gehen und 4. eine türkische Tageszeitung unter den Arm klemmen. Damit schafft man es ganz gut durch den Touri-Spießrutenlauf.
Wir haben bei angenehmstem Wetter die Neue und Blaue Moschee, den Topkapi-Palast, den Großen Basar und das Archäologische Museum besucht, bei Sonnenuntergang den Galataturm bestiegen und eine lange Bosporustour gemacht. Zwischendurch genießen wir türkischen Tee und zum Abendessen einheimische Spezialitäten. Die Menschen, die wir treffen, sind offenherzig, hilfsbereit und fröhlich. Alle, die wir vor dem Fotografieren um Erlaubnis fragen, freuen sich über die Aufmerksamkeit und stellen sich gerne als Motiv zur Verfügung. Es gibt allerdings auch genügend Gauner in der Stadt, die es auf unser Geld abgesehen haben: Zunächst ein kleiner, netter Smalltalk auf Englisch und ehe man sich umdrehen kann, soll man für geputzte Schuhe zehn Euro bezahlen.

Abfahrt ins echte Abenteuer

Kilometerstand 4141. Morgens um sechs, noch vor dem Berufsverkehr, ist es Zeit für die Weiterfahrt auf der etwa 1.500 km langen, türkischen Schwarzmeerküstenstraße bis nach Georgien. Wir haben heute beim Gümrük Dairesi (Zollamt) in Istanbul mit dem nachgeschickten nationalen Zulassungsschein für die MZ noch unsere Aufenthaltsgenehmigung verlängert und damit bleibt uns genug Zeit für die Fahrt bis zur Grenze bei Sarpi.
Nach einer Woche Großstadt freuen wir uns auf die türkische Provinz. Wir werden das Land noch bis zum 22. Juni erkunden. Unser letzter Abend in Istanbul war der Schönste: Wir wurden von einem Händler am Bosporus zum Feierabendtee mit seinen Freunden vor dem Geschäft mit Blick aufs Goldene Horn eingeladen. Mit dabei in der Männerunde war ein echter Imam, der uns vorgesungen hat. Als wir seine kleine Moschee nebenan besichtigen wollen, holt Suse ihr Kopftuch aus der Tasche und alle Männer rufen Bravo und freuen sich. Zum Abschluss des Feierabends und bei Sonnenuntergang lädt uns der Händler noch zu einer kleinen Runde auf dem Bosporus mit dem Taxiboot ein. Danach chauffiert er uns ins Hostel zurück. Wir sind gerührt, mit welcher Herzlichkeit er uns begegnet. Und er wird dafür belohnt: Die Türkei hat kurz darauf 2:1 gegen die Schweiz in der Fußball-EM gewonnen.
Während die Stadt feiert rückt für uns das Abenteuer spürbar näher. Jetzt, wo wir asiatische Wege befahren werden, kommt ein anderes Gefühl in uns auf. Wie werden wir die nächsten Grenzübergänge überstehen und wie erst den 5-Tage-Transit quer durch Turkmenistan bei Wüstenhitze und schlechter Straße? Und wie werden wir die obligatorischen Einladungen zum Wodka und die Höhen des Pamirs vertragen? (Wie) wird die Einreise nach Indien via China klappen? Julian, ein Amerikaner, den wir kürzlich im Hostel getroffen haben und der ein Jahr lang in Baku studiert, erzählte uns ein bisschen über die Leute, Landschaften und Straßen im Kaukasus. In Aserbaidschan reist man auf unentdeckten Pfaden; hier gibt es noch das wahre Abenteuer. Baku am Kaspischen Meer ist vom Ölboom gezeichnet. Das vorher zu durchreisende Georgien soll einfach nur schön und Tiflis eine faszinierende Stadt sein. Hier werden wir auch erstmals unsere Russischkenntnisse ausgraben, nachdem wir bisher mit Englisch bestens durchgekommen sind. Also dann: Doswidanja!

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Merhaba Türkiye! /tuerkei-merhaba/ /tuerkei-merhaba/#comments Wed, 04 Jun 2008 14:36:40 +0000 /?page_id=1387 einfahrt türkei © emmenreiter.de

Erste Grenzerfahrung

3. Juni 2008. Wir haben die EU verlassen und türkischen Boden betreten. Merhaba Türkiye! Bis hierher waren die europäischen Landesgrenzen kaum mehr als solche zu erkennen. Aber jetzt: Dreieinhalb Stunden haben wir auf der türkischen Grenzstation nahe Kirklareli verweilt und ihr höfliches Personal kennengelernt. Unsere internationale Zulassung fürs Motorrad hat nämlich kein Feld fürs Erstzulassungsdatum vorgesehen. Das aber muss der Grenzkontrolleur im Büro der Fahrzeugregistrierung für seine Unterlagen haben. Was nun? Beide nationalen Zulassungspapiere mit dem so wichtigen Datum liegen in der Schublade des Zulassungsamtes in unserer Heimat. Dort wurden sie fälschlicherweise im Tausch mit den internationalen Papieren einbehalten. Nach ein paar Telefonaten mit der Dame vom Amt wurde uns das Dokument als unleserliches Fax und später dann per E-Mail zur Grenzstation gesendet. Das dauerte seine Zeit. Die türkischen Kontrolleure sind irgendwann zufrieden und wir können um 18 Uhr endlich weiter.
Kühler, starker Wind von vorn weht uns auf der Landstraße entgegen. Wir knüpfen uns das Innenfutter in die Jacken. Und dann fällt mir fast der Auspuff ab. Die Schraube an der hinteren Aufhängung hat sich wahrscheinlich noch in der EU von uns verabschiedet. Jetzt muss Draht her.
Wir haben einen wunderschönen Sonnenuntergang im Rückspiegel und schaffen die 243 Kilometer bis nach Istanbul leider nicht mehr. Also übernachten wir im kleinen lebendigen Ort mit dem schönen Namen Saray.

Saray: Erste Begegnung zum Tee

saraya © emmenreiter.de

Burhanettin besteht auf ein kleines Frühstück in seinem Laden

Das einzige Hotel der Stadt ist das Saray-Hotel in einer bunten Ladenstraße. Es macht seinem Namen keine Ehre. Ich bin die einzige Frau in der Absteige und komme mir komisch vor. Die schmale Treppe nach oben, der kleine Empfangsflur, in dem der Fernseher läuft, und die vier einfachen Zimmerchen, die von hier aus abgehen, sind rosarot gestrichen. Unser Raum für die Nacht hat zwei getrennte Betten, vor denen jeweils ein paar Herrenpantoffeln steht. Das Rosa der Wände leuchtet im Neonlicht. Dusche und Hockklo müssen wir uns mit den älteren Männern des Hotels teilen.
Die beiden MZ-Packesel stehen friedlich ein paar Straßen weiter auf dem Hof der Mutter des Hoteliers. Sie passten mit dem Hinterteil mal wieder nicht durch die Tür des benachbarten Schuhladens, wo wir sie zunächst unterstellen sollten. Als wir im Hotelbett liegen, hören wir durchs offene Fenster zum allerersten Mal den Ruf des Muezzins über die blechernen Lautsprecher der Moschee. Der Sprechgesang klingt in unseren Ohren wie ein Willkommensgruß. Wir sind im Orient angekommen. Bei Sonnenaufgang werden wir erneut vom Gebetsaufruf geweckt.
Als wir alles eingepackt haben und auf die Motorräder steigen wollen, sprechen uns die Leute im Vorbeigehen auf der Straße an. Burhanettin kommt zusammen mit einem Freund aus seinem Geschäft auf die Straße und ist neugierig, wohin wir weiterfahren wollen. Er besteht mit türkischer Gestik erst einmal auf einen Tee mit uns in seinem Laden. Als wir lächelnd annehmen, lässt er noch warmes Gebäck besorgen. Wir genießen unser spontanes Frühstück und tauschen ein paar türkische Wörter aus: „Guten Tag“, „Danke“ und „Wie geht’s?“ Zum Abschied beschenkt uns Burhanettin mit einem Mini-Gaskocher, Feuerzeugen und Handtüchern. Die könnten wir bestimmt gebrauchen! Der erste Morgen in der Türkei hat herrlich begonnen und wir setzen uns zufrieden auf die Motorräder nach Istanbul.

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