Erster Stopp Karasu: Plausch mit dem Haselnusshändler
12. Juni – Istanbul liegt acht Stunden und etwa 300 km hinter uns, als wir am Nachmittag im Ferienort Karasu ankommen. Bei der Abfahrt morgens um sieben Uhr nach nur 3 Stunden Schlaf war die Stadt noch herrlich leer. Trotzdem haben wir über eine Stunde gebraucht, um über den Bosporus auf den richtigen Weg Richtung Küste zu gelangen. Sile, unser erster Wegpunkt, war nämlich erst ab Stadtrand ausgeschildert. Mittags überkam mich noch eine unüberwindbare, lähmende Müdigkeit und ich sah mich im schattigen Park eines kleinen Ortes auf der Strecke zu einem zweistündigen, tiefen Mittagschlaf gezwungen.
Als wir in der Kleinstadt Karasu die Leute auf der Straße nach einer Möglichkeit zum Campen fragen, kommt gerade Ömer auf seinem Fahrrad vorbei. „Brauchen Sie Hilfe?“ fragt er höflich und auf Deutsch. Ömer ist türkischer Rentner und hat seit den 60ern bis in die 80er Jahre in Hamburg gearbeitet und gelebt. Er lädt uns in die schöne Ferienwohnung seiner Tochter ein, die vis a vis von seiner Wohnung in einem 5-stöckigen Mehrfamilienhaus am Strand von Karasu liegt. Wir parken die Emmen vor dem Haus und fahren abends in seinem blauen VW-Käfer-Oldtimer zum Fischrestaurant. Er erzählt uns beim Abendessen ein bisschen aus seinem Leben. Ömer stammt ursprünglich aus Batumi in Georgien und hat lange als Haselnusshändler gearbeitet. Noch heute fährt er oft ins Haselnussgebiet nach Aserbaidschan, um dort den Handel der Nüsse für unser Nutella nach Deutschland zu vermitteln. Er hat uns wertvolle Insidertipps für interessante Routen von hier bis nach Baku gegeben und natürlich seine Handynummer für den Notfall.
Die nächsten beiden Nächte verbringen wir immer mit Blick aufs leuchtend blaue Schwarze Meer – einmal allein auf dem naturbelassenen „Hello“-Campingplatz nahe Akcakoca und dann unter gespannter Beobachtung auf dem Busparkplatz des Touristenstädtchens Amasra. Wir sind froh über jede kostenfreie schöne Stelle zum Zeltaufschlagen. Die Spritpreise in der Türkei haben Rekordniveau: etwa 1,70 Euro pro Liter Benzin. Die Türken auf dem Lande tauschen daher ihre Traktoren wieder gegen den Esel ein. Wir würden unsere beiden motorisierten Packesel natürlich gegen nichts tauschen.
Links-Rechts-Hoch-Runter: Endlose Kurven von Amasra bis Catalzeytin
14. Juni – Wir übernachten in einem Hotel in dem kleinen Ferienort Catalzeytin. Micha nimmt hier am nächsten Morgen in einer Werkstatt ein paar kleine, aber wichtige Wartungsreparaturen an den Motorrädern vor. Es haben sich ein paar Speichen gelöst, Michas Auspuff ist lose und beide Scheinwerferlampen müssen ausgetauscht werden.
Seit Amasra schlängelten wir uns über endlose Kurven und Berge immer mit Blick aufs türkisblaue Meer, das fließend in den Himmel überging, an der Küste entlang. Das forderte viel von uns und den Emmen, wenn wir die Motoren steil bergauf bei Laune halten mussten. Man hörte uns sicher schon von Weitem um die Kurve pfeifen. Ich fuhr vor und kam Gott sei dank gut mit der Bergfahrt zurecht. Ich verschaltete mich nur einmal und nie wieder. Nach fünf Stunden Links-Rechts-Hoch-Runter bei 50 kmh Durchschnittsgeschwindigkeit war uns etwas schwindlig und übel und wir haben daher beschlossen, nicht noch wie eigentlich geplant bis nach Sinop zu fahren, sondern in Catalzeytin zu bleiben. Obwohl die heutige Strecke anstrengend war, hat es Spaß gemacht und wir waren fast allein auf der kleinen schmalen Straße unterwegs. Mittlerweile hat hier fast jeder mitbekommen, dass zwei Deutsche mit dem Motorrad angereist sind und sie gucken und grüßen uns beim Vorbeigehen. Plötzlich wandelt sich in unseren Augen der Urlauberort in eine nette, türkische Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Als wir unsere MZ zum Weiterfahren beladen, steht die Wirtin, ihre Familie und das ganze Personal gespannt am Zaun und verabschiedet uns herzlich mit „Gute Reise!“
Ayder: Abstecher auf die Alm
Nach Catalzeytin fahren wir weiter, übernachten einmal in Gerze bei Sinop auf der Wiese eines Restaurants und in Ünye auf einem kleinen Zeltplatz am Strand. Seit Samsun fahren wir auf einer geraden, zweispurigen Schnellstraße, die zum Glück wenig Verkehr hat. Autos und LKWs, denen wir mit 80 km/h zu langsam fahren, hupen uns einfach von der Fahrspur. Wir kommen zügig voran, passieren bald die letzten größeren Städte vor der georgischen Grenze: Trabzon und Rize. Die meisten Orte an der türkischen Schwarzmeerküste sind flüchtig betrachtet eher hässlich. Die Häuser sehen oft nach Halbrohbau aus, sind aber dennoch bewohnt. In Trabzon und Rize finden wir am frühen Abend nach mehreren Versuchen keinen ruhigen Platz zum Campen. Also fahren wir ein paar Kilometer hinter Rize hoch in die teilweise noch schneebedeckten Berge und folgen hier dem wortwörtlich rauschenden Fluss. Wir sind allein auf der Straße. Die Sonne ist bereits hinter den Bergen verschwunden, feuchter Nebel steigt auf und wir fangen auf den Motorrädern an zu bibbern. Irgendwie ist es ein bisschen unheimlich. Wir hoffen, dass wir noch vor der Dunkelheit einen Schlafplatz finden. Und plötzlich sind wir da: in Ayder. Vor einer Stunde noch an der sonnigen Meeresküste sind wir jetzt nicht mehr in der Türkei, sondern in den österreichischen Alpen gelandet. Auf einer grünen Bergalm sehen wir links und rechts alte Holzhütten, aus denen Rauch aufsteigt. Kleine Hotels stehen zerstreut auf den Wiesenhügeln. Wir hören den Wasserfall und die Glocken der Kühe, die im Halbdunkeln vor uns gelassen über die Straße spazieren, und kurz darauf den Abendgebetsruf des Imam. Wir sind also doch noch im Land des allgegenwärtigen Atatürks.
Für vierzig Euro die Nacht gönnen wir uns den Luxus des kleinen, feinen Hüttenhotels Kuspuni, das wie im Skiurlaub riecht. Unser Geschenk zum Jubiläum: Es ist der 18. Juni und wir sind nun genau einen Monat unterwegs. Am nächsten Morgen bekommen wir von einer Frau in traditioneller Kleidung auf der Terrasse das beste Frühstück unserer bisherigen Reise aufgetischt. Wir lassen uns frische Kräuter, kräftigen Ziegenkäse, aromatischen Imkerhonig und hausgemachte Marmelade auf der Zunge zergehen. Nach dem Frühstück treffen wir Thies und Antje auf der Dorfstraße, Studenten aus Hamburg, die eine Weile in Istanbul studiert haben und vor ihrer Rückkehr nach Deutschland noch die Küste per Bus bereisen. Wir gehen gemeinsam die Bergstraße nach oben und sehen uns die Gegend an. In diesem Landesteil kann man sehr alte Häuser in typischer Bauweise bewundern. Die Frauen hier tragen speziell gewickelte, schmuckvolle Kopftücher, die insbesondere jungen Gesichtern einen schönen und stolzen Ausdruck verleihen.
Am nächsten Tag ziehen wir aus unserer Luxushütte in die kleine Pension Bozaci um, in der auch Thies und Antje wohnen. Wir werden noch drei Tage in Ayder bleiben und solange leisten wir uns ein ganz einfaches Zimmerchen für 12 Euro. In der lebendigen Pension sind wir vier die einzigen Ausländer. Am Samstagabend (21. Juni) sitzen wir nach einem verregneten Faulenzertag in der ofenbeheizten Gemeinschaftsküche und amüsieren uns dort beim Tee mit der lustigen, türkischen Männerrunde. Thies kann sich ganz gut auf türkisch mit den Leuten unterhalten und übersetzt für uns. Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Sonntagmorgen reisen er und Antje leider schon wieder nach Istanbul ab und wir planen die Route für Georgien und Aserbaidschan.
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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