<\/div>\t<\/div>\n\n
Phnom Penh: Somaly erz\u00e4hlt<\/h3>\n
25. M\u00e4rz 2017. Wir sind in der Hauptstadt. Das erste, was wir aufgeregt ansteuern, ist das DHL-B\u00fcro. Hier liegen seit mehreren Tagen unsere zweiten Reisep\u00e4sse mit den Visa f\u00fcr Russland bereit. Und zwei einwandfreie Nadeln samt Halter f\u00fcr die MZ-Vergaser, die wir sp\u00e4ter f\u00fcr unsere letzte Etappe ab Moskau brauchen.
\nPhnom Penh ist unsere letzte Station in S\u00fcdostasien. Von Berlin bis hierher haben wir 21 L\u00e4nder durchquert und sind 28.000 Kilometer Motorrad gefahren. In f\u00fcnf Tagen werden wir nun einen Riesensprung nach Nordwesten machen: 4.000 Kilometer Luftlinie bis nach Kathmandu \u2013 an einem Tag. Allein der Gedanke f\u00fchlt sich komisch an. Vor allem, weil wir die Emmen zur\u00fccklassen werden.
\nKambodschas Hauptstadt ist zu unserer Freude noch nicht auf dem Niveau einer modernen Metropole, die sich von St\u00e4dten nach westlichem Vorbild kaum noch unterscheidet. Statt Wolkenkratzern und Shoppingtempeln durchziehen etliche Seitenstra\u00dfen die Stadt \u2013 bunt, marode und quirlig. Winzige Friseurbuden, Gark\u00fcchen und kleine Restaurants, Motorradwaschstopps, Schneidereien, Kr\u00e4merl\u00e4den… Es scheint, als w\u00fcrde jeder Zweite auf ein paar Quadratmetern ein Gesch\u00e4ft betreiben. Auch im Verkehr sind wenig moderne Autos zu sehen. Kleine Motorr\u00e4der und Tuk-Tuks sind deutlich in der \u00dcberzahl und an der Kreuzung bestimmt der gr\u00f6\u00dfere Schwarm, wo es lang geht. Eine sehr h\u00fcbsche Seite von Phnom Penh ist die palmenges\u00e4umte Uferpromenade am Tonle-Sap-Fluss. In den alten Kolonialgeb\u00e4uden an der Uferstra\u00dfe ist die Vielfalt an Restaurants und Bars un\u00fcberschaubar. Kaum vorstellbar, dass Phnom Penh vor 40 Jahren eine Geisterstadt war, als die Roten Khmer Kambodscha beherrschten.
\nIn einer der vielen, langen Seitenstra\u00dfen l\u00e4uft man an einem Geb\u00e4udekomplex vorbei, der Zeuge dieser dunklen Zeit ist. Die Roten Khmer hatten das einstige Gymnasium zum geheimen Foltergef\u00e4ngnis S-21 umfunktioniert. Heute h\u00e4ngt ein Schild \u00fcber dem Eingangstor: Tuol Sleng Genozid Museum. Wir gehen in den Innenhof. Hier zwitschern die V\u00f6gel. Gr\u00fcner Rasen und Frangipanib\u00e4ume verspr\u00fchen Gartenduft. Die Szene wird grausam eingerahmt von den Gef\u00e4ngisgeb\u00e4uden A, B, C und D. Die Klassenr\u00e4ume wurden zu Folterkammern.
\nSomaly, eine Frau Mitte 50, wird uns durch das Museum f\u00fchren. Wir stehen gemeinsam im Schatten eines Baumes auf dem Innenhof und sie f\u00e4ngt an, zu erz\u00e4hlen. Ihr Gesicht ist freundlich, obwohl sie \u00fcber schreckliche Dinge sprechen muss. Als erstes zeigt sie uns die R\u00e4ume, in denen Menschen auf einem Metallbett zu Tode gequ\u00e4lt wurden. Immer noch sind Spuren der Gewalt an den W\u00e4nden und auf dem ocker-beige gekachelten Boden zu sehen. Somaly war 13, als die Roten Khmer am 17. April 1975 ihre Heimatstadt Phnom Penh einnahmen. Sie erinnert sich sehr genau daran, wie sie den angeblichen Befreiern zujubelte in der Hoffnung, der B\u00fcrgerkrieg sei endlich vorbei. „So wie diese Kinder hier,“ zeigt sie auf ein Schwarzwei\u00dffoto im Museum. Nur drei Stunden sp\u00e4ter begann die brutale Vertreibung der Menschen aus der Hauptstadt. In der Vorstellung der Roten Khmer vom Ideal des Bauernstaates gab es weder St\u00e4dte, noch Geld, noch Bildung.
\nSomaly floh mit ihrer Familie in die Battambang Province. „Ich lief und lief!“ sagt sie. Drei Monate lang. \u00dcber ihr Gesicht legt sich pl\u00f6tzlich ein Schatten. Ich sehe jetzt in das Gesicht eines traurigen, ersch\u00f6pften M\u00e4dchens. „Dann wurden mein Vater und mein Bruder verschleppt.“ In Somalys Augen verdichten sich Tr\u00e4nen. „Mein Vater war Lehrer.“, erz\u00e4hlt sie tapfer weiter. Anf\u00fchrer Pol Pot lie\u00df alle Intellektuellen verfolgen und ermorden. Somaly musste wie alle Kinder und Jugendliche getrennt von der Familie in Arbeitslagern schuften \u2013 zw\u00f6lf Stunden t\u00e4glich. „Wir hatten keinen einzigen freien Tag.“ Die Erinnerungen haben sich eingebrannt.
\nJeder Gef\u00e4ngnisinsasse wurde bei Ankunft fotografisch portr\u00e4tiert. Daf\u00fcr gab es einen speziellen Stuhl, der den Kopf f\u00fcr das Foto frontal ausgerichtet hat. Das Museum zeigt viele dieser Portraits. Vier Jahre lang wurden tausende Menschen im S-21 eingesperrt und wie am Flie\u00dfband gefoltert, bis sie irgendein Gest\u00e4ndnis lieferten. Die Gef\u00e4ngnismitarbeiter waren allesamt erschreckend jung.
\nFalls die M\u00e4nner, Frauen und sogar Kinder diese Gewalt \u00fcberlebten, wurden sie auf den sogenannten Killing Fields, 15 Kilometer vom Gef\u00e4ngnis entfernt, brutal ermordet. „Jede Nacht fuhr die Lastwagen mit den Insassen los \u2013 entkleidet, gefesselt und die Augen verbunden.“, erz\u00e4hlt Somaly. Niemand hatte eine Chance.
\nNach der Befreiung Kambodschas kehrte Somaly mit ihrer Mutter nach Phnom Penh zur\u00fcck. Sie arbeitete als Putzfrau im Kultusministerium und sp\u00e4ter hier im Toul Sleng Museum. Seit drei Jahren f\u00fchrt sie Besucher auf Spendenbasis durch das Gef\u00e4ngnis und verarbeitet dadurch auch ihre eigene Vergangenheit.<\/p>\n\n