{"id":12990,"date":"2017-05-05T13:33:24","date_gmt":"2017-05-05T11:33:24","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=12990"},"modified":"2017-11-20T19:01:42","modified_gmt":"2017-11-20T17:01:42","slug":"nepal-manaslu-trekking-teil1","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/nepal-manaslu-trekking-teil1\/","title":{"rendered":"Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu (1\/2)"},"content":{"rendered":"
\"MANASLU

Blick auf den Himalaja-Bergriesen MANASLU von Osten, Nepal 2017 \u00a9 emmenreiter.de<\/p><\/div>\n

Aufwachen in Kathmandu<\/h3>\n

31. M\u00e4rz 2017. „Guten Morgen Kathmandu!“ Wir sind gestern erst sp\u00e4t abends hier angekommen und hatten uns schon auf diesen Moment gefreut: Die erwachende Stadt breitet sich vor unserem kleinen Balkon im Avalon Guesthouse aus. Das Meer aus schmalen und vorwiegend maroden H\u00e4usern reicht bis an die Berge. Ein schlanker Hund liegt unten an der Kette und winselt herzzerrei\u00dfend. Lichtblick ist der saftiggr\u00fcne Gem\u00fcsegarten \u2013 in Nachbarschaft zu unserem kleinen Hotel. Wir sind jetzt schon zum dritten Mal in Nepal<\/a> und immer wieder ersch\u00fcttert und gleichzeitig fasziniert von dieser unverwechselbaren, fremden Welt.
\nKambodscha r\u00fcckt genauso schnell in den Hintergrund wie uns das Flugzeug an den Himalaja gebracht hat. Es war \u00f6de, in der Troposph\u00e4re zu reisen. Flugh\u00e4fen sehen doch alle gleich aus. Aber nun sind wir im Land der Gipfel und G\u00f6tter, <\/span>die Temperaturen sind sehr angenehm und wir k\u00f6nnen unser n\u00e4chstes Abenteuer anpacken.
\nDas wahre Nepal erreicht man nur zu Fu\u00df. Und wir haben uns diesmal vorgenommen, den Manaslu zu umrunden \u2013 mit 8.163 Metern der achth\u00f6chste Berg der Erde. Diese Route ist noch nicht so popul\u00e4r und kommerzialisiert wie die quasi nebenan verlaufende Annapurna-Runde. Erst seit ein paar Jahren braucht man daf\u00fcr keine Zeltausr\u00fcstung mehr. Man startet im suptropischen Tiefland und l\u00e4uft \u00fcber eine alte Handelsroute in zwei bis drei Wochen gegen den Uhrzeigersinn um den Bergriesen herum. Die ersten Tage geht es durch eine gewaltige Schlucht am Budi Gandaki Fluss entlang nach und nach bergauf. Gegen Ende der Wanderung muss der eingeschneite Larke-Pass \u00fcberwunden werden. Wie hoch der Pass ist, scheint keiner genau zu wissen. Die Angaben liegen irgendwo zwischen 5.100 und 5.200 Metern. Noch nie sind wir so lange und so hoch gewandert.
\nAm dritten Tag in Kathmandu sitzen wir im winzigen, fensterlosen B\u00fcro von Madan inmitten des Touristenviertels Thamel. Wir treffen Madan zum allerersten mal. Er hat eine unglaublich freundliche Ausstrahlung und empf\u00e4ngt uns wie einen Freund. Wir hatten ihn im Vorfeld \u00fcbers Internet damit beauftragt, alle Genehmigungen zu besorgen, die wir f\u00fcr die Manaslu-Wanderung vorweisen m\u00fcssen. Au\u00dferdem hat er den gesetzlich vorgeschriebenen Bergf\u00fchrer f\u00fcr uns engagiert. „Lasst uns zusammen Tschai trinken!“ l\u00e4dt er uns herzlich ein. Bis die hei\u00dfen Tassen auf seinem Schreibtisch stehen, erz\u00e4hlen wir ihm vorfreudig, dass wir unsere Rucks\u00e4cke, die wir in Thamel ausgeliehen haben, bereits gepackt haben. Ob wir auch „crampons“ dabei h\u00e4tten, will Madan wissen. Er meint leichte Steigeisen. „\u00c4h… nein.“ So eine spezielle Ausr\u00fcstung kam uns nicht in den Sinn. „Aber wir haben gestern unsere Motorradstiefel beim Schuhputzer aufpimpen lassen.“, sage ich. „Um diese Zeit wird es auch ohne Steigeisen gehen.“, schiebt Madan schnell hinterher. Falls nicht, wisse unser Bergf\u00fchrer an Ort und Stelle ganz sicher eine L\u00f6sung. „Wie ist denn derzeit das Wetter am Manaslu?“ frage ich etwas verunsichert. Bisher sei es ungew\u00f6hnlich schlecht gewesen. „Die meisten Leute mussten umkehren.“, erz\u00e4hlt Madan. Erst vor ein paar Tagen seien die ersten Wanderer \u00fcber den Pass gekommen. „Macht Euch keine Sorgen. Ihr werdet Gl\u00fcck mit dem Wetter haben!“ verabschiedet uns Madan, als die Teetassen leergetrunken sind. Und aus seinem Munde glauben wir es sogar.
\nMorgen fr\u00fch um 7:15 Uhr wird uns also Bergf\u00fchrer Bhim am Hotel abholen. Bhim Gurung \u2013 in Nepal tr\u00e4gt man seine Volksgruppe als Nachnamen. Wir hatten ihn schon kurz bei Madan im B\u00fcro getroffen. Er ist 27 Jahre alt, stammt aus einem Bergdorf am Anfang der Manaslu-Runde und wird uns die n\u00e4chsten 19 Tage als zertifizierter Trekkingguide begleiten. Au\u00dferdem wird er einen Gro\u00dfteil meines Gep\u00e4cks tragen, etwa zehn Kilogramm. Mein Tagesrucksack wiegt dann nur etwa f\u00fcnf, sechs Kilo \u2013 je nachdem, wie viel Wasser gerade in unseren Trinkflaschen ist. Micha tr\u00e4gt einen Rucksack, der etwa doppelt so schwer ist wie meiner.<\/p>\n

Pokhori: Bhim nimmt uns mit in sein Heimatdorf<\/h3>\n

3. April 2017. Heute soll es losgehen. Beim Aufwachen grummelt es verd\u00e4chtig in meinem Bauch. „Das kann nicht wahr sein!“ fluche ich. Vor uns liegen acht Stunden Busfahrt und ich renne dank Durchfall gleich mehrmals zum Klo. Die n\u00e4chste Toilette, die ich heute morgen aufsuchen muss, ist der \u00f6ffentliche Notdurft-Verschlag am Busbahnhof \u2013 eine dunkle, stinkende H\u00fctte in einer modrigen Ecke hinter den parkenden Bussen. Dieses \u00d6rtchen hat sogar meinen Darm davon abgehalten, sich nochmals zu melden.
\nUnser Langstreckenbus ist au\u00dfen der L\u00e4nge nach mit einem gro\u00dfen Flugzeug bemalt. Das verspricht eine rasante Fahrt. Aufkleber an der Heckscheibe versprechen au\u00dferdem Komfortsitze, ABS, Wifi und LED-TV. Nichts davon ist wahr. Wir steigen ein und lassen uns in die ausgesessenen Sitze plumpsen \u2013 gar nicht mal so unbequem. Die Fensterscheibe l\u00e4sst sich aufschieben, falls einem schlecht wird. Am Stadtrand von Kathmandu, an dem wir \u00fcber eine Stunde sp\u00e4ter angekommen sind, ist unser Bus vollgepackt mit Menschen und Gep\u00e4ck. Micha und ich bleiben die einzigen Touristen.
\nJe n\u00e4her wir unserem Ziel entgegenfahren, desto kurviger und spannender wird die Route und immer mehr Plastikt\u00fctchen f\u00fcr Kotze werden verteilt. Die fliegen w\u00e4hrend der Fahrt, sobald sie voll sind, im hohen Bogen durch die offene Bust\u00fcr nach drau\u00dfen. Zum Gl\u00fcck haben Micha und ich eine Reisetablette geschluckt, die au\u00dferdem sch\u00f6n schl\u00e4frig macht. Am sp\u00e4ten Nachmittag h\u00e4lt der Bus endlich in Arughat an. Unsere K\u00f6rper sind schlaff, wir stolpern aus dem Bus und wanken Bhim hinterher zur ersten Unterkunft.
\nAm n\u00e4chsten Morgen um 7:45 Uhr sind wir Drei ausgeruht und startklar f\u00fcr die Manaslu-Umrundung. Der kleine Ort Arughat liegt niedriger als Kathmandua, auf etwa 550 Metern, und das Wetter ist hier hochsommerlich warm. Wir tragen leichte T-Shirts und haben die Hosenbeine unserer Wanderhosen am Knierei\u00dfverschluss abgetrennt. Nach einer halben Stunde auf ebener Strecke biegen wir im n\u00e4chsten Ort Arket nach oben auf die Berge westlich des Budhi Gandaki Flusses ab. Hier liegt der Gorkha-Distrikt, von dem sich auch der Name der ber\u00fchmten Gurkha-Soldaten ableitet.
\nBhim zeigt auf ein entferntes Dorf in der H\u00f6he: „Das ist Pokhori. Und dort ist mein Haus!“ Das sieht nicht unbedingt weit aus. Von jetzt an geht es allerdings stundenlang etwa 900 H\u00f6henmeter bergauf \u2013 \u00fcber Steintreppen und schmale Pfade. Wir kommen alle schnell ins Schwitzen. Bhim legt zum Gl\u00fcck immer wieder eine „Trinken-Pausi“ ein. Und ab und zu auch eine „Pippi-Pausi“. Er mag unsere Sprache und hat von anderen deutschen Wandertouristen ein paar W\u00f6rter aufgeschnappt.
\nDie winzigen D\u00f6rfer, die wir auf dem Weg bis zu Bhims Zuhause passieren, sind durch das landesweite Erdbeben im April 2014 komplett zusammengefallen. Provisorische Behausungen mit d\u00fcnnen, blauen Wellblechplatten als Dach haben die traditionellen Stein- und Lehmh\u00e4user ersetzt. „Diese D\u00f6rfer waren vorher sehr sch\u00f6n!“ sagt Bhim. Genau wie sein Dorf Pokhori \u2013 das Epizentrum des Bebens lag nur einen kurzen Spaziergang von dort entfernt.
\nBhim hat seine Frau und seinen vierj\u00e4hrigen Sohn seit einem Monat nicht gesehen. Je n\u00e4her wir seinem Dorf kommen, desto gel\u00f6ster wirkt er. Als wir in Pokhori einlaufen, bringt er uns zu einer kleinen H\u00fctte, in der Micha und ich \u00fcbernachten d\u00fcrfen. Dann stellt er uns einen Kanister Quellwasser vor die T\u00fcr, damit wir uns nach dem schwei\u00dftreibenden Anmarsch in Ruhe frisch machen k\u00f6nnen. Bhims junge Frau Kopila bringt kurze Zeit sp\u00e4ter einen Teller frisch gekochte Pellkartoffeln und schwarzen Tee zur St\u00e4rkung vorbei. Sie spricht ebenfalls etwas Englisch und so k\u00f6nnen wir ein paar Worte austauschen.
\nAls uns Bhim durch sein Dorf f\u00fchrt, folgt uns eine fr\u00f6hlich kichernde Kinderschar. Ihre dunkelbraunen Augen funkeln vor Neugier. In ihren Badelatschen h\u00fcpfen sie wie Bergziegen \u00fcber Stock und Stein.
\nEine Gruppe M\u00e4nner h\u00e4utet und zerlegt gerade einen gewaltigen, geschlachteten Wasserb\u00fcffel auf einer Plastikplane auf dem Gras. Heute ist ein hinduistischer Festtag und das Fleisch wird unter den Dorfbewohnern aufgeteilt. Kopila hat ebenfalls etwas f\u00fcr das Abendessen abgeholt. Mit Reis, Linsensuppe und B\u00fcffelgulasch im Bauch legen wir uns sp\u00e4ter dankbar in unserer kleinen Lehmh\u00fctte schlafen. Nachts poltern die Ratten \u00fcber das Wellblechdach. Jetzt leuchtet uns auch ein, warum Bhim auf das traditionelle Strohdach schw\u00f6rt.
\nMorgens steht Bhims kleine Nichte Alisa vor der T\u00fcr und wartet gespannt darauf, dass wir endlich aufstehen. Sein Sohn hat sich traurig in Kopilas Scho\u00df zur\u00fcckgezogen \u2013 er m\u00f6chte nicht, dass Papa schon wieder geht.
\nNach einem kr\u00e4ftigen Fr\u00fchst\u00fcck mit Bratkartoffeln, Omelette und Brot verabschieden wir uns von der Familie und den Kindern, zeigen uns erkenntlich und freuen uns auf einen weniger anstrengenden Wandertag als gestern. Noch merken wir keinen Muskelkater in den steifen Waden, aber ich ahne, dass der noch kommen wird.<\/p>\n\n\n\n \t\t\n\t\t\t\t