{"id":1423,"date":"2008-07-11T17:29:16","date_gmt":"2008-07-11T15:29:16","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=1423"},"modified":"2016-12-16T07:18:35","modified_gmt":"2016-12-16T05:18:35","slug":"aserbaidschan-eine-ueberraschung","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/aserbaidschan-eine-ueberraschung\/","title":{"rendered":"Aserbaidschan: Good luck"},"content":{"rendered":"
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Als wir das obige Schild vor der aserbaidschanischen Grenze bei Tsodna lesen, sind wir gespannt, was uns in dem neuen Land, \u00fcber das man in Deutschland wohl wenig wei\u00df, erwartet. Wir stehen schwitzend in der Warteschlange vor der Schranke. Vor uns nehmen die Beamten jedes Fahrzeug von innen und au\u00dfen unter die Lupe. Endlich sind wir an der Reihe. Die erste \u00dcberraschung erleben wir, als uns die Herren vom Grenzzoll h\u00f6flich aber bestimmt mitteilen, dass wir mit den Motorr\u00e4dern als Transit-Reisende nur drei Tage im Land bleiben d\u00fcrfen. Diese Regel muss neu sein, denn in Deutschland hat bisher noch niemand davon geh\u00f6rt. Wir stellen uns dumm und machen den Grenzbeamten klar, dass wir mit unseren Visum erst in zehn Tagen nach Turkmenistan weiterreisen d\u00fcrfen. Wenn das so ist, m\u00fcssen wir eben f\u00fcr jede MZ eine Kaution von 880,- US-Dollar bis zur Ausreise hinterlegen und eine Zollgeb\u00fchr von je 80 US-Dollar zahlen. Und dabei bleiben sie. Wir fahren erstmal ohne Kaution und Geb\u00fchr weiter und wollen nach drei Tagen versuchen, beim Hafenzollamt in Baku eine Verl\u00e4ngerung f\u00fcr die Motorr\u00e4der zu bekommen. Immerhin bleiben wir von einer Gep\u00e4ckkontrolle verschont.<\/p>\n
Unser erster Halt in Aserbaidschan ist die Kleinstadt Zaqatala, 40 Kilometer hinter der Grenze. Auf dem Weg dorthin sind wir diesmal angenehm \u00fcberrascht, wie ordentlich und freundlich Aserbaidschan erscheint. Wir fahren ein wie Staatsg\u00e4ste: die leuchtend wei\u00df-gelben Z\u00e4une und Bordsteine sind gerade erst fertig gestrichen, Blumenk\u00e4sten dekorieren die Tankstellen und Br\u00fccken, aus den Autos und an der Stra\u00dfe winken und pfeifen uns die Menschen mit Enthusiasmus zu. Uns kommt es vor, als h\u00e4tten alle auf uns gewartet. Das Hotel Zaqatala hei\u00dft uns am Abend herzlich willkommen. F\u00fcr siebzehn Euro ziehen wir in ein kleines, sauberes Zimmer mit warmer Dusche und frischen Handt\u00fcchern ein. Unten gibt es auch noch ein Internetcaf\u00e9. Das ist Luxus f\u00fcr uns und die Grenzstation ist bereits vergessen.<\/p>\n
Bevor es in den Moloch Baku geht, verbringen wir noch einen Tag im alten Bergdorf Lahic. Wir biegen nach ein paar Stunden Fahrt von der gut befahrbaren Landstra\u00dfe ab und haben noch zwanzig Kilometer Schotterpiste in die Berge vor uns. Nach ein paar Minuten machen wir so kurz vorm Tagesziel leider noch eine Zwangspause: Werkzeug aus dem Koffer holen, Hinterrad und Trommelbremse ausbauen. Eine Speiche, die bei Micha bereits zum vierten Mal ausgebrochen ist, hat sich in die Bremstrommel gezogen und diese schleifen lassen. Nach einer Stunde Reparatur bringen uns beide MZ brav nach oben ins Dorf. In Lahic gibt es laut Lonley Planet-Reisef\u00fchrer von 2004 ein nettes Familiengasthaus mit einem Platz zum Zeltaufschlagen und einem 320 Jahre alten Hamam. Die beiden S\u00f6hne sprechen gut Englisch und sollen sehr hilfsbereit sein. Das Dorf ist sehr urspr\u00fcnglich geblieben und in den traditionellen Metall- und Teppichwerkst\u00e4tten wird in der x-ten Generation das Handwerk ausgef\u00fchrt. All das finden wir auch in 2008 vor. Nur der Preis f\u00fcr unsere Bleibe hat sich verdoppelt.
\nWir beide nehmen nach dem Zeltaufbauen ein ausf\u00fchrliches Bad in dem antiken Hamam, in dem sich bereits vor Jahrhunderten die Dorfbewohner gebadet haben. Zuerst machen wir uns nackt, dann geht es durch eine alte, quietschende Metallt\u00fcr und einen kleinen Treppengang runter in die dunkle, feuchtwarme Felsh\u00f6hle. In diesem Raum kommt an einer Stelle hei\u00dfes und an einer anderen kaltes Wasser aus der Wand. Mit den Sch\u00fcsseln und Sch\u00f6pfkellen auf den seitlichen Steinb\u00e4nken waschen wir uns lange und genussvoll den Schotterstaub ab. Garazad, einer der beiden erwachsenen S\u00f6hne, macht beim gemeinsamen Tee trinken f\u00fcr uns noch eine private Unterkunft bei seinen Verwandten in Baku klar. Leider sind die wenigen billigen Hotels in der Hauptstadt mittlerweile auch ziemlich teuer. Bei der Cousine von Garazad und ihrer Familie k\u00f6nnen wir die restlichen sechs Tage f\u00fcr etwas Geld bleiben. Wir sind gespannt, wie Bakuraner wohnen und leben.<\/p>\n
Die Landschaft im Osten ist auf einmal \u00f6de: sandige H\u00fcgel, Steppengestr\u00fcpp. Die Stra\u00dfe hat viele Bodenwellen und ist ziemlich stark befahren. Von links weht kr\u00e4ftiger Wind und treibt uns in die Schr\u00e4glage. Wir fahren unendlich lange in Baku ein. Die Stra\u00dfe ist halbfertig gebaut, an den Seiten Sand, Steinbrocken und zugestaubte Baumaschinen. Die verr\u00fcckten Autofahrer kennen keine Fahrspuren. Irgendwann sind wir mitten in der chaotischen Stadt. Mein Packesel wird auf einmal bockig und ruckelt ab und zu. Wir fahren so weit wie m\u00f6glich ans Viertel am anderen Stadtende heran, in dem unsere Gastfamilie wohnt und uns erwartet. Irgendwann sehen wir nicht mehr durch und bitten einen Taxifahrer, uns zur Adresse zu leiten. Wir fahren quer durch gro\u00dfe Kreisverkehre. Keine Ahnung, ob hier Regeln existieren, aber irgendwie bleibt der Verkehr im Fluss und einen Unfall haben wir noch nicht gesehen. Wir stehen bald im stickigen Stau. Meine MZ will kaum noch anfahren und macht komische Ger\u00e4usche. Gestresst und irgendwie, treibe ich den sturen Esel, der keine Lust auf Baku hat, zum Ziel.
\nWir sind endlich heil angekommen: auf dem Hof eines alten Hochhauses im Stadtteil Achm\u00e4dli. Ceyhun, der siebzehnj\u00e4hrige Sohn unserer Gastfamilie Hasanli, und sein vier Jahre j\u00fcngerer Bruder Aser begr\u00fc\u00dfen uns sch\u00fcchtern. Wir werden in den n\u00e4chsten Tagen das Kinderzimmer der beiden belagern. W\u00e4hrend wir unter Zuhilfe der neugierigen Jungs vom Block unsere MZ komplett entladen, kommen auch die Eltern Amil und Z\u00fcmr\u00fcd nachhause. Nat\u00fcrlich gibt es erst einmal Tee f\u00fcr die G\u00e4ste. Die befreundeten Nachbarn von oben kommen auch noch dazu und werfen einen Blick auf die Motorradfahrer aus Deutschland. Wieder f\u00fchlen wir uns r\u00fchrend umsorgt. Mit ein bisschen Englisch und ein bisschen Russisch klappt auch die Verst\u00e4ndigung einigerma\u00dfen. Wir sind gl\u00fccklich bei Familie Hasanli, gehen aber zum ersten Mal mit Sorge um unsere R\u00e4der ins Bett: Wie bzw. wo kriegen wir die MZ so schnell wieder fit? Eigentlich m\u00fcssen beide Fahrzeuge schon morgen zum Zollamt gebracht werden. Hoffentlich ist es nur der Vergaser, ansonsten wird es zeitlich problematisch. Zusammen mit Ruslan, einem englischsprachigen Freund aus dem Haus, fahren wir am n\u00e4chsten Morgen mit dem Taxi erstmal zum Hafenzoll, um dort vergebens um eine l\u00e4ngere Aufenthaltsdauer f\u00fcr die Motorr\u00e4der zu bitten. Zum Gl\u00fcck kennt Ruslan eine Autowerkstatt in unserem Viertel. Einer der Mechaniker, wie es der gl\u00fcckliche Zufall will, f\u00e4hrt selbst MZ und kennt sich bestens damit aus. Bis zum Abend machen Micha und er gleich beide Fahrzeuge wieder topfit f\u00fcr den Turkmenistan-Transit. Bei meiner MZ war der Vergaser verschmutzt, die hinteren Radlager mussten ausgetauscht und die losen Speichen erneuert werden. Am Abend parken wir beide Motorr\u00e4der rechtzeitig auf dem Hof des Zollamtes und alles ist gut. Jetzt k\u00f6nnen wir in Ruhe ein paar Tage lang das Leben in Baku erkunden.
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