{"id":2788,"date":"2009-03-09T20:54:45","date_gmt":"2009-03-09T18:54:45","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=2788"},"modified":"2021-01-15T16:16:10","modified_gmt":"2021-01-15T14:16:10","slug":"bangalore-kalkutta-howrah-express","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/bangalore-kalkutta-howrah-express\/","title":{"rendered":"Bangalore \u2013 Kalkutta: 37 Stunden im Howrah-Express"},"content":{"rendered":"

\"Im<\/p>\n

Zu viert auf der Schiene<\/h3>\n

Als die Packer am Bahnsteig in Bangalore unsere beiden Motorr\u00e4der sehen, geraten sie in Unruhe: zu breit! Indische Motorr\u00e4der haben keine Koffer! Ich gucke auf die Verladetafel, wo steht, was die Mitnahme von bestimmter Zugfracht kostet. Neben Motorr\u00e4dern sind da auch Elefanten notiert. Nach einer kurzen Diskussion geht\u2019s dann pl\u00f6tzlich sehr schnell. Als wir die Motorr\u00e4der noch zum Einladen verabschieden wollen, f\u00e4ngt ein einheimischer Passagier vor unseren Augen an, sich mit f\u00fcr Indien ungew\u00f6hnlich gro\u00dfen Gesten und impulsivem Geschrei beim Manager des Frachtb\u00fcros \u00fcber die Verladung zu beschweren. Scheinbar hat er Angst um seine eigene Fracht, als er unsere \u00fcberbreiten Maschinchen sieht. Dem Gesicht des Verladechefs entnehmen wir, dass er ein Problem hat: Wir h\u00e4tten ihm fr\u00fcher mitteilen sollen, dass die Motorr\u00e4der dreimal so breit sind wie indische! Wir machen ihm sofort klar, dass wir die Motorr\u00e4der auf keinen Fall in einem sp\u00e4teren Zug nachschicken lassen k\u00f6nnen. Unsere imagin\u00e4ren Motorradfreunde w\u00fcrden bereits in Kalkutta auf uns und die Ausreise nach Nepal warten! Micha schiebt die Mopeds mit den hilfsbereiten Packern schnell auf den Bahnsteig zum letzten Wagon. Der panische Passagier folgte ihnen und unter heftiger Diskussion mit den Packern, die um Haaresbreite in eine Schl\u00e4gerei ausgeartet w\u00e4re, war mit ein paar Handgriffen alles verstaut. Die Motorr\u00e4der sind eingequetscht unter und zwischen Kisten und Paketen im hintersten Wagon des Howrah-Express\u00b4. Die Wallahs hatten keine Zeit mehr, sie wie alle anderen mitreisenden Motorr\u00e4der mit Stroh zu polstern und in Sackstoff einzun\u00e4hen. Wir sind froh, dass die Mopeds \u00fcberhaupt noch einen Platz gefunden haben im Zug mit der Nummer 2864 \u2013 der Howrah-Express nach Kalkutta.<\/p>\n

2AC: Im Genuss von erstklassigem Service<\/h3>\n

Verschwitzt vom Hin-und-her auf dem Bahnsteig sitzen wir nun im klimatisierten Wagon der Klasse 2AC. Der Zug rollt p\u00fcnktlich an. Um uns herum haben sich Inder platziert, die sich das bessere Ticket leisten k\u00f6nnen. Unsere Zugfahrt wird kein Abenteuer. Das w\u00fcrde es vielleicht im billigsten und stickigen Sleeper-Wagen sein, wo die Armen reisen. Der Zug der Indian Railway \u2013 ein unverkennbares Abbild der indischen Klassen.
\nKaum haben sich die R\u00e4der in Bewegung gesetzt, beginnt auch schon der erste Teil einer unerwarteten Serviceserie: Der Tee-Mann ruft durch die Reihen. F\u00fcnf Minuten sp\u00e4ter nimmt der Dinner-Mann Bestellungen f\u00fcrs Abendessen auf. Dann folgt der Bettw\u00e4sche-Handtuch-Mann, der S\u00fc\u00dfigkeiten-Mann, wieder der Tee-Mann, der Kaltgetr\u00e4nke-Mann und kurz vor Nachtruhe der Rosenduft-Mann, der die blauen Vorh\u00e4nge vor den Schlafliegen befeuchtet und nach Wunsch auch Moskitogift verspr\u00fcht. Langeweile kommt nicht auf. Wir machen es uns auf den Doppelstockliegen gem\u00fctlich und verbringen eine gute Nacht im schunkelnden Express. Um halb acht am n\u00e4chsten Morgen kommt der Fr\u00fchst\u00fcck-Mann, danach der M\u00fclleinsammler, der Fensterputzer und mittags der Lunch-Mann, der Eis-Mann, der Joghurt-Mann und so weiter.
\nNach 37 Stunden und 2000 Kilometern auf indischen Gleisen steigen wir am 28. Februar um halb neun Uhr morgens erwartungsvoll am gro\u00dfen Bahnhof in Kalkutta bzw. Howrah auf den Bahnsteig. Zu unserer freudigen Verwunderung stehen die Emmen bereits unbeschadet zwischen Paketstapeln auf dem selben Bahnsteig und warten auf uns. Die Zugreise war eine bequeme und unvergessliche Abwechslung zum Ritt auf der Emme. Ausgeschlafen und mutig machen wir die ersten Schritte ins Abenteuer Kalkutta.<\/p>\n

Kalkutta: Menschen und Kolonialbauten im Kampf ums \u00dcberleben<\/h3>\n

Indischer kann es nicht sein! Kalkutta und Howrah sind ein Erlebnis f\u00fcr sich: So viele Menschen. So viele Ger\u00e4usche. Und so viele Ger\u00fcche durchdringen die Gegend um den Howrah-Bahnhof auf der Westseite des Hugli-Flusses und wandern \u00fcber die monstr\u00f6se Howrah-Br\u00fccke bis in die breiten Kolonialstra\u00dfen auf der anderen Seite der zweitgr\u00f6\u00dften indischen Stadt. Die feinen alten H\u00e4user aus britischen Herrschaftszeiten, die bspw. die Mahatma-Gandhi-Road bilden, wurden irgendwann zu billigen Unterk\u00fcnften f\u00fcr die explodierende und verarmte Stadtbev\u00f6lkerung. Nach dem Indien-Pakistan-Krieg in den siebziger Jahren hatte die Kommunistische Partei niedrige Mieten vorgeschrieben und den Grundst\u00fcckseigent\u00fcmern das Interesse an dem Erhalt der H\u00e4user genommen. Zusammen mit ihren Bewohnern k\u00e4mpfen die heruntergekommenen Stra\u00dfenz\u00fcge heute in manchen Vierteln Kalkuttas ums \u00dcberleben. \n\n\n \t\t\n\t\t\t\t