{"id":8408,"date":"2016-06-29T17:15:01","date_gmt":"2016-06-29T15:15:01","guid":{"rendered":"http:\/\/www.emmenreiter.de\/?page_id=8408"},"modified":"2018-08-21T07:49:49","modified_gmt":"2018-08-21T05:49:49","slug":"kalmueckien-wolgadelta-russland-2016","status":"publish","type":"page","link":"https:\/\/www.emmenreiter.de\/kalmueckien-wolgadelta-russland-2016\/","title":{"rendered":"Russland: Durch Kalm\u00fcckien zum Wolgadelta"},"content":{"rendered":"
\"Kalm\u00fcckien:

Buddhistischer Tempel (Alter Churul) kurz vor Elista, Russland 2016 \u00a9 emmenreiter.de<\/p><\/div>\n

Geduldsprobe russische Grenze<\/h3>\n

20. Juni 2016, morgens um halb neun. Wir haben gerade eine Menge Lastwagen \u00fcberholt und sind nun an der georgisch-russischen Grenze bei Dariali. Der Himmel ist blau. Perfekt. In drei Tagen wird heftiger Regen einen 800 Meter langen Erdrutsch ausl\u00f6sen und die Stra\u00dfe nach Russland f\u00fcr unbestimmte Zeit blockieren. Wir sind also nicht zur falschen Zeit am falschen Ort.
\nDer georgische Posten ist in f\u00fcnf Minuten passiert \u2013 wir m\u00fcssen noch nicht mal absteigen. Jetzt noch z\u00fcgig durch den maroden Tunnel zur russischen Seite und hoffen, dass es hier genauso flutscht. Eine Menge Autos und Lastwagen warten an diesem Montagmorgen in vier Spuren auf die Pass- und Gep\u00e4ckkontrolle. Man schleust uns ganz nach vorne durch und platziert uns zwischen zwei Spuren. Pole position \u2013 wunderbar! Die Sonne w\u00e4rmt und wir warten darauf, dass wir bald von den Grenzern zur Abfertigung herangewunken werden. 30 Minuten lang tut sich allerdings erstmal gar n\u00fcscht und wir werden Zeuge des gem\u00fctlichen Schichtwechsels an der Grenze. Eine weitere Stunde sp\u00e4ter fragen wir uns, ob wir den linken oder rechten Posten anfahren d\u00fcrfen. Und vor allem, wann. Auf der rechten Spur neben uns winkt der Grenzsoldat einen Wagen nach dem anderen zur Kontrolle durch. Uns ignorieren sie. Wir warten weiterhin artig ab. Auf der linken Spur ist die PKW-Schlange komplett ins Stocken geraten \u2013 es ist die Spur f\u00fcr all jene, die keinen russischen Pass besitzen. „Was machen die da? Warum dauert das so lange!?“ Von den l\u00e4chelnden Beamten macht sich keiner die M\u00fche, den Vorgang zu beschleunigen. Schnaufend hole ich den aufgeweichten Snickersriegel aus meinem Tankrucksack. Ja, ich wei\u00df! In den n\u00e4chsten Wochen werden wir noch viel Zeit vor zentralasiatischen Schlagb\u00e4umen verbringen und Russland wird nicht der schlimmste \u00dcbertritt sein. <\/span>Nach drei Stunden in der Sonne, in denen wir <\/span> stumm und ungewiss auf die z\u00e4he Abfertigung geglotzt haben, ist meine Geduld dennoch allm\u00e4hlich aufgebraucht. „Zwei Leute arbeiten und 15 lungern rum!“, brubbel ich mit \u00fcbler Laune. Dann sind wir endlich an der Reihe und n<\/span>ach insgesamt f\u00fcnf Stunden fahren wir erm\u00fcdet davon. Da h\u00e4tten wir noch Gl\u00fcck gehabt, erz\u00e4hlen uns Einheimische hinterher.
\nRussland empf\u00e4ngt uns sofort mit einem heftigen Gewitter. Muss ich wirklich noch erw\u00e4hnen, wie motiviert wir sind? 300 Kilometer m\u00fcssen jetzt noch abgeritten werden. Da die Sicherheitslage im Nordkaukasus fragil ist, wimmelt es vor Polizeiwagen, die sich teilweise wie Raubtiere auf die Lauer legen. Dass Touristen, die man bei einem Regelversto\u00df erwischt, einem Lottogewinn gleichen k\u00f6nnen, ist uns nicht neu. Wachsam fahren wir an allen Streifenwagen vorbei. Nur 20 Kilometer vor unserem Ziel Budjonnowsk \u2013 es d\u00e4mmert bereits \u2013 blitzt dann das Blaulicht im R\u00fcckspiegel. Zwei schmierig grinsende Polizisten stoppen uns, kassieren unsere F\u00fchrerscheine ein und bitten Micha in Mafiaboss-Manier zur Verhandlung im Wagen Platz zu nehmen. Wir h\u00e4tten das \u00dcberholverbot missachtet und hier ist das Beweisvideo! Eine durchgezogene Linie auf dem Asphalt gab es zwar nicht \u2013 wohl aber ein tempor\u00e4res Verkehrsschild. „<\/span>Sechs Monate Fahrverbot“, freuen sich die Uniformierten \u00fcber ihre eindeutig st\u00e4rkere Verhandlungsposition. „Tausend! No Protokoll.“ lautet ihr Angebot. Die meinen tats\u00e4chlich US-Dollar. Ich bin froh, dass Micha die Sache noch recht freundlich regeln kann. Stinksauer krame ich die Scheine aus dem Gep\u00e4ck. Jeweils hundert Dollar stecken die zwei Gauner im Streifenwagen am Ende ein. Nach dieser unerfreulichen Begegnung fahren wir in den Sonnenuntergang davon und versuchen, die Sache m\u00f6glichst schnell abzuhaken.
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Freunde in Budjonnowsk<\/h3>\n

Im Reisef\u00fchrer ist Budjonnowsk <\/span>mit keiner Silbe erw\u00e4hnt. Google spuckt als erstes eine grausame Geiselnahme im Jahr 1995 aus. Die Stadt mit 65.000 Einwohnern liegt auf unserem Weg nach Kalm\u00fcckien und das nagelneue Ferienapartment, das wir im Internet gefunden haben, ist g\u00fcnstig und hat jeden Komfort. Allerdings versteckt es sich auch gut und so fragen wir an einer Autowerkstatt nach dem Weg. Iwan, den wir hier antreffen, entpuppt sich sogleich als unser Vermieter. Er f\u00fchrt uns freudig zum Apartment. Danach bringt Iwan wie selbstverst\u00e4ndlich noch eine frische Pizza, ein paar Flaschen k\u00fchles Bier und ein Handy vorbei, \u00fcber das wir ihn jederzeit erreichen k\u00f6nnen. Drei Tage lang k\u00fcmmern sich Iwan und seine Frau Lena r\u00fchrend um uns. Unser Schulrussisch ist zwar zu einer st\u00fcmperhaften Aneinanderreihung einzelner Vokabeln verkommen, aber irgendwie reicht es f\u00fcr eine Verst\u00e4ndigung. Die Zahlen ausgenommen fallen mir immerhin etwa hundert W\u00f6rter ein, die uns passabel durchbringen.
\nAm Tage brennt die grelle hei\u00dfe Sonne auf Budjonnowsk <\/span>und wir sind kaum drau\u00dfen unterwegs. Die provinzielle Stadt mit ihren flachen H\u00e4usern und langen Stra\u00dfen, die wie ein Gitternetz verlaufen, ist uns sympathisch. Aber au\u00dfer einem See und auffallend vielen Lebensmittelgesch\u00e4ften in allen Gr\u00f6\u00dfen gibt es hier nicht viel zu erkunden. Unsere Highlights sind Iwan und Lena. Mit ihnen, ihrem Sohn Dimitri und Motorradkumpel Maxim verbringen wir einen lustigen Abend bei Essen, Tschai und Kognak. Iwan, der so alt ist wie Micha, packt zwischendurch noch seine E-Gitarre aus. Sting sei sein gro\u00dfes Vorbild. Am liebsten w\u00e4re er Rockstar geworden.
\nAm n\u00e4chsten Tag starrt Micha auf sein Telefon: „Aus Sicherheitsgr\u00fcnden mussten wir soeben Ihre Kreditkarten sperren.“ Und zwar alle. Nach ein paar Telefonaten mit der Bank sagt man uns, der Grund sei ein gehackter Geldautomat \u2013 in Berlin. An dem hatte Micha vor der Reise die neuen Karten ausprobiert. Das ist fast f\u00fcnf Monate her. Die Sicherheitsabteilung der Bank hat auf Nachfrage wenigstens eine der Karten wieder freigesschaltet, so dass wir an Bargeld kommen k\u00f6nnen. Neue Kreditkarten d\u00fcrften aus Sicherheitsgr\u00fcnden nicht ins Ausland verschickt werden, auch nicht bei Reisekreditkarten wie unseren.
\n<\/span><\/span>Als das erledigt ist, putzt Micha beide Motorr\u00e4der. Dabei holt er sich einen b\u00f6sen Sonnenbrand am ganzen R\u00fccken, der uns noch Tage lang besch\u00e4ftigen wird. Ich trau mich nicht, das Foto zu zeigen. Als wir mit gl\u00e4nzenden Emmen in die Hauptstadt Kalm\u00fcckiens, nach Elista, aufbrechen, l\u00e4sst es sich Iwans Freund Maxim nicht nehmen, uns auf seiner Kawasaki<\/span><\/span> bis an den richtigen Abzweig au\u00dferhalb der Stadt zu eskortieren.
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