Diskussionen mit den Herren vom Zoll
Als wir das obige Schild vor der aserbaidschanischen Grenze bei Tsodna lesen, sind wir gespannt, was uns in dem neuen Land, über das man in Deutschland wohl wenig weiß, erwartet. Wir stehen schwitzend in der Warteschlange vor der Schranke. Vor uns nehmen die Beamten jedes Fahrzeug von innen und außen unter die Lupe. Endlich sind wir an der Reihe. Die erste Überraschung erleben wir, als uns die Herren vom Grenzzoll höflich aber bestimmt mitteilen, dass wir mit den Motorrädern als Transit-Reisende nur drei Tage im Land bleiben dürfen. Diese Regel muss neu sein, denn in Deutschland hat bisher noch niemand davon gehört. Wir stellen uns dumm und machen den Grenzbeamten klar, dass wir mit unseren Visum erst in zehn Tagen nach Turkmenistan weiterreisen dürfen. Wenn das so ist, müssen wir eben für jede MZ eine Kaution von 880,- US-Dollar bis zur Ausreise hinterlegen und eine Zollgebühr von je 80 US-Dollar zahlen. Und dabei bleiben sie. Wir fahren erstmal ohne Kaution und Gebühr weiter und wollen nach drei Tagen versuchen, beim Hafenzollamt in Baku eine Verlängerung für die Motorräder zu bekommen. Immerhin bleiben wir von einer Gepäckkontrolle verschont.
Einfahrt als Staatsgäste
Unser erster Halt in Aserbaidschan ist die Kleinstadt Zaqatala, 40 Kilometer hinter der Grenze. Auf dem Weg dorthin sind wir diesmal angenehm überrascht, wie ordentlich und freundlich Aserbaidschan erscheint. Wir fahren ein wie Staatsgäste: die leuchtend weiß-gelben Zäune und Bordsteine sind gerade erst fertig gestrichen, Blumenkästen dekorieren die Tankstellen und Brücken, aus den Autos und an der Straße winken und pfeifen uns die Menschen mit Enthusiasmus zu. Uns kommt es vor, als hätten alle auf uns gewartet. Das Hotel Zaqatala heißt uns am Abend herzlich willkommen. Für siebzehn Euro ziehen wir in ein kleines, sauberes Zimmer mit warmer Dusche und frischen Handtüchern ein. Unten gibt es auch noch ein Internetcafé. Das ist Luxus für uns und die Grenzstation ist bereits vergessen.
Lahic: Ein Museumsdorf
Bevor es in den Moloch Baku geht, verbringen wir noch einen Tag im alten Bergdorf Lahic. Wir biegen nach ein paar Stunden Fahrt von der gut befahrbaren Landstraße ab und haben noch zwanzig Kilometer Schotterpiste in die Berge vor uns. Nach ein paar Minuten machen wir so kurz vorm Tagesziel leider noch eine Zwangspause: Werkzeug aus dem Koffer holen, Hinterrad und Trommelbremse ausbauen. Eine Speiche, die bei Micha bereits zum vierten Mal ausgebrochen ist, hat sich in die Bremstrommel gezogen und diese schleifen lassen. Nach einer Stunde Reparatur bringen uns beide MZ brav nach oben ins Dorf. In Lahic gibt es laut Lonley Planet-Reiseführer von 2004 ein nettes Familiengasthaus mit einem Platz zum Zeltaufschlagen und einem 320 Jahre alten Hamam. Die beiden Söhne sprechen gut Englisch und sollen sehr hilfsbereit sein. Das Dorf ist sehr ursprünglich geblieben und in den traditionellen Metall- und Teppichwerkstätten wird in der x-ten Generation das Handwerk ausgeführt. All das finden wir auch in 2008 vor. Nur der Preis für unsere Bleibe hat sich verdoppelt.
Wir beide nehmen nach dem Zeltaufbauen ein ausführliches Bad in dem antiken Hamam, in dem sich bereits vor Jahrhunderten die Dorfbewohner gebadet haben. Zuerst machen wir uns nackt, dann geht es durch eine alte, quietschende Metalltür und einen kleinen Treppengang runter in die dunkle, feuchtwarme Felshöhle. In diesem Raum kommt an einer Stelle heißes und an einer anderen kaltes Wasser aus der Wand. Mit den Schüsseln und Schöpfkellen auf den seitlichen Steinbänken waschen wir uns lange und genussvoll den Schotterstaub ab. Garazad, einer der beiden erwachsenen Söhne, macht beim gemeinsamen Tee trinken für uns noch eine private Unterkunft bei seinen Verwandten in Baku klar. Leider sind die wenigen billigen Hotels in der Hauptstadt mittlerweile auch ziemlich teuer. Bei der Cousine von Garazad und ihrer Familie können wir die restlichen sechs Tage für etwas Geld bleiben. Wir sind gespannt, wie Bakuraner wohnen und leben.
Erste Sorgen in Baku
Die Landschaft im Osten ist auf einmal öde: sandige Hügel, Steppengestrüpp. Die Straße hat viele Bodenwellen und ist ziemlich stark befahren. Von links weht kräftiger Wind und treibt uns in die Schräglage. Wir fahren unendlich lange in Baku ein. Die Straße ist halbfertig gebaut, an den Seiten Sand, Steinbrocken und zugestaubte Baumaschinen. Die verrückten Autofahrer kennen keine Fahrspuren. Irgendwann sind wir mitten in der chaotischen Stadt. Mein Packesel wird auf einmal bockig und ruckelt ab und zu. Wir fahren so weit wie möglich ans Viertel am anderen Stadtende heran, in dem unsere Gastfamilie wohnt und uns erwartet. Irgendwann sehen wir nicht mehr durch und bitten einen Taxifahrer, uns zur Adresse zu leiten. Wir fahren quer durch große Kreisverkehre. Keine Ahnung, ob hier Regeln existieren, aber irgendwie bleibt der Verkehr im Fluss und einen Unfall haben wir noch nicht gesehen. Wir stehen bald im stickigen Stau. Meine MZ will kaum noch anfahren und macht komische Geräusche. Gestresst und irgendwie, treibe ich den sturen Esel, der keine Lust auf Baku hat, zum Ziel.
Wir sind endlich heil angekommen: auf dem Hof eines alten Hochhauses im Stadtteil Achmädli. Ceyhun, der siebzehnjährige Sohn unserer Gastfamilie Hasanli, und sein vier Jahre jüngerer Bruder Aser begrüßen uns schüchtern. Wir werden in den nächsten Tagen das Kinderzimmer der beiden belagern. Während wir unter Zuhilfe der neugierigen Jungs vom Block unsere MZ komplett entladen, kommen auch die Eltern Amil und Zümrüd nachhause. Natürlich gibt es erst einmal Tee für die Gäste. Die befreundeten Nachbarn von oben kommen auch noch dazu und werfen einen Blick auf die Motorradfahrer aus Deutschland. Wieder fühlen wir uns rührend umsorgt. Mit ein bisschen Englisch und ein bisschen Russisch klappt auch die Verständigung einigermaßen. Wir sind glücklich bei Familie Hasanli, gehen aber zum ersten Mal mit Sorge um unsere Räder ins Bett: Wie bzw. wo kriegen wir die MZ so schnell wieder fit? Eigentlich müssen beide Fahrzeuge schon morgen zum Zollamt gebracht werden. Hoffentlich ist es nur der Vergaser, ansonsten wird es zeitlich problematisch. Zusammen mit Ruslan, einem englischsprachigen Freund aus dem Haus, fahren wir am nächsten Morgen mit dem Taxi erstmal zum Hafenzoll, um dort vergebens um eine längere Aufenthaltsdauer für die Motorräder zu bitten. Zum Glück kennt Ruslan eine Autowerkstatt in unserem Viertel. Einer der Mechaniker, wie es der glückliche Zufall will, fährt selbst MZ und kennt sich bestens damit aus. Bis zum Abend machen Micha und er gleich beide Fahrzeuge wieder topfit für den Turkmenistan-Transit. Bei meiner MZ war der Vergaser verschmutzt, die hinteren Radlager mussten ausgetauscht und die losen Speichen erneuert werden. Am Abend parken wir beide Motorräder rechtzeitig auf dem Hof des Zollamtes und alles ist gut. Jetzt können wir in Ruhe ein paar Tage lang das Leben in Baku erkunden.
Baku: Ein zweifarbiges Stadtbild
Baku erleben wir vor allem bei und mit Familie Hasanli. Wir haben uns gegenseitig sofort ins Herz geschlossen und verbringen die nächsten sieben Tage fast die ganze Zeit zusammen. Am zweiten Tag nach unserer Ankunft in der Hauptstadt, am Sonntag, machen wir erstmal mit einem verrückten Minibusfahrer einen entspannten Familienausflug an den schönen Badestrand am Kaspischen Meer. Auf dem langen Weg raus aus der Riesenstadt fahren wir durch ein ausgedörrtes, staubiges und chaotisches Baku. Aus dem offenen Minibusfenster sehen wir tausende hupende Autos, überall verteilten Müll, ein paar kleine abgefuckte Läden und stinkende Ölpumpenfelder vor durchgängig beige-sandigem Hintergrund. Als wir allerdings den ganzen Montag, den 7. Juli, mit Ceyhun und Azer als Stadtführer bei schwülwarmem und sehr windigem Wetter Zentral-Baku erkunden, sehen wir die schönsten Plätze der neuen und aufgeräumten City. Die beiden Jungs sind sehr stolz auf ihre Stadt und haben viel Ausdauer. Wir versuchen, Schritt zu halten und sie versuchen, uns jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Ceyhun und Azer sind ungewöhnlich zuvorkommend. Besonders ihr neuer „best friend Mikel“ hat es ihnen angetan, mit dem sie sich über deutsche Automarken austauschen können.
„Wir gehen schick aus!“
Mama Zümrüd kocht jeden Tag leckeres Essen und verwöhnt uns. Zum Dank laden wir die ganze Familie am Donnerstag zum Dinner in ein Restaurant ihrer Wahl ein. Alle machen sich hübsch und ein Freund der Familie chauffiert uns mit seinem weißen, frischgeputzten Lada 2107 ins Open-Air-Lokal in der Innenstadt. Bis in die Nacht hinein genießen wir einheimisches Essen und Wein. Zwischendurch versuchen wir, bei aserbaidschanischer Livemusik aserbaidschanisch zu tanzen – im Halbkreis vor der Bühne. Und spätestens da amüsieren sich wirklich alle Gäste. Und trotzdem denken wir schon wieder: Schade, dass wir bald abreisen werden!
Dreister Betrug an der Fähre
Leider verschwenden wir noch zwei ganze Tage unserer Bakuwoche damit, Zoll- und Visaangelegenheiten mit der turkmenischen Botschaft zu klären. Und als ob das nicht reicht, müssen wir uns am letzten Tag vor unserer Weiterreise nach Turkmenistan noch vom Fähren-Kassenwart am Hafen dreist bescheißen lassen: Für zwei Überfahrttickets nach Turkmenbashi müssten wir zusammen mit den Motorrädern mindestens 500 US-Dollar zahlen, behauptet er. Wir ahnen, dass dieser Preis Betrug ist. Eine Preisliste gibt es angeblich nicht. Der scheinbar seriöse Herr in Kapitänsuniform erkennt an unserem zeitlich stark begrenzten Turkmenistanvisum, dass wir auf die morgige Fähre angewiesen sind und nutzt diese Situation schamlos aus. Weil er ja einen Verwandten in Kiel hat, gibt er uns noch gnädig hundert Dollar Rabatt. Dafür überreicht er uns nach Geldübergabe ein Ticket, auf dem die Hälfte des bezahlten Preises quittiert ist. Genervt von der Abzocke fahren wir nachhause, denn dort wartet schon seit über einer Stunde unsere Familie Hasanli mit dem Abendessen auf uns. Es gibt frischen Fisch, weil sie herausgefunden haben, dass wir gerne Fisch essen.
“Good bye, my babies!”
Morgens am 11. Juli heißt es dann Sachen packen und Abschied nehmen. Es ist ein Abschied von neuen Freunden, die wir auf der Rücktour nach Deutschland im nächsten Jahr noch einmal besuchen werden. „Good bye, my babies,“ sind Zümrüds letzte Worte. Das eigentlich vereinbarte Geld für die Unterkunft wollen sie natürlich nicht mehr annehmen. Stattdessen gibt es sogar noch ein Andenken für uns: einen Talisman und einen traditionellen Silberdolch, den wir hoffentlich problemlos über die Grenze schmuggeln.
Mit dem Gepäck auf dem Autodach geht’s dann zum Hafen, wo unsere beiden MZ die ganze Woche über einsam auf uns gewartet haben. Mittags soll die Fähre übers Kaspische Meer ablegen und in etwa 15 Stunden Turkmenbashi`s Hafen erreichen. Die Grenzbeamten in Baku verabschieden uns recht unkompliziert und verschonen uns mit einer Zolldurchsuchung. Auf geht’s nach Turkmenistan auf hoffentlich ruhiger See!
Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Hallo meine Lieben, herzliche Grüße von Heiko und Tante Eva. Voller Spannung verfolgen wir eure Reise per Computer und freuen uns über jedes Bild und jedes Wort von euch.Toll, wie Susi auch schwierige Strecken meistert. Wir sind erleichtert, daß ihr überall so herzlich aufgenommen wurdet und eure Maschinen so tapfer durchhalten. Wir umarmen euch. Heiko und Tante Eva
Hallo ihr beiden, verregnete Grüße aus der Provinz. Ihr habt ja schon eine weite Reise hinter euch. Ich verfolge euer „Unternehmen“ mit Spannung. Toi, toi, toi, dass das Glück euch weiterhin so treu bleibt. Und dass ihr gerade in Baku seid, freut mich besonders, weil jemand verdammt neidisch auf euch wäre … grins. Dicken Drücker I + L
Hallo Suse und Michael,
mit der Speiche, das hätte ja nicht sein müssen. Streichel die Felge jeden Morgen, das hilft. Ich wünsche Euch eine gute Fahrt.
Gruß janus
Man man man, da habt ihr aber spannendes durchgemacht. Aber Suse, bei dem Bild, wo du da ganz klein am Riesenberg langfährst: Hut ab! Das hättest du dir auch nie träumen lassen, was? Majestätisch! fällt mir dazu nur ein. Ich beneide euch! Seid geküsst und gedrückt, eure liane
Was für ein Glück, dass das Schild mit Untertitel ist!
Gestern hatte ich einen netten Teilnehmer im GPS-Kurs, der im Herbst für 3 Jahre nach Georgien geht. Ihr wart ja nicht ganz so lange im Land. Keine Chance zum Treffen.
Wie geht’s weiter? Kakhi-Sheki…
Glücklicherweise seid ihr ja „nur“ zu zweit. Da müsst ihr nicht fürchten zu einem Fußball-Match herausgefordert zu werden. Immerhin sind ja Deutschland und Aserbaidschan nächstes Jahr in einer Qualfikationsgruppe für die WM. Nach dem Turnier ist vor dem Turnier!
Ich jedenfalls wünsche euch weiter viel Glück 😉
Martin aus Hamburg