Nord-Iran: Lieber Berge als Hauptstadt

Zelt-Nordiran

Camp im Alamut, Iran 2009 © emmenreiter.de

Kashan: Im alten Haus von Herrn Noghli

Kashan ist eine entspannte Stadt zwischen wolkenbehängten Bergen auf der einen und der dürren Kavir-Wüste auf der anderen Seite. Das Klima ist gerade angenehm: sonnig, aber nicht zu heiß. Wir verbringen die nächsten zwei Nächte in einem traditionellen Wohnhaus. Hier ist der alte Herr Noghli geboren und aufgewachsen, bis er es an eine junge Familie verkauft hat, die heute drei, vier passend hergerichtete Kämmerlein an Touristen vermietet. Der winzige Innenhof ist erdfarben und mit Liebe dekoriert. Die Gastgeberin begrüßt uns mit frischer, selbst gemachter Limonade. Später treffen wir sogar Herrn Noghli persönlich, als wir durch die verwinkelten Gassen des alten Stadtviertels zum Brot kaufen gehen. Die alten Holzhaustüren in den Lehmmauern der Altstadt, durch die man in die versteckten Innenhöfe gelangt, haben oft zwei Türklopfer aus Metall, von denen einer viel dumpfer als der andere klingt. Männer benutzen den phallusähnlichen, dumpferen Klopfer. Frauen den anderen. So weiß die Dame des Hauses, ob ein Mann vor der Tür wartet und sie sich ihren Chador überziehen muss, bevor sie ihm öffnet.
Wir haben einen ganzen Tag lang Zeit für Kashan und besichtigen eines der traditionellen, restaurierten Herrenhäuser. Das Ameriha-Haus aus dem achtzehnten Jahrhundert gehörte damals Kashans Governor Ameri. Zu seiner Zeit war der Komplex mit sieben Innenhöfen und einem Hamam für (seine) schwangeren Frauen das größte Wohnhaus Persiens. Dekorative Spiegelmosaiken verzieren weiße Wände und bunte Glasmuster die Fensterspitzbögen.
Dariush, der uns bei Ankunft in Kashan den Weg zum Noghli-Haus gewiesen hatte, nimmt uns am späten Nachmittag mit aufs Dach des Basargebäudes. Von hier aus können wir über die ganze Stadt sehen. Die von innen mit antiken Fliesenmosaiken verzierte Basardachkuppel ist von außen ein schlichter, großer Lehmhügel. Das Dach begeht sich wie eine Lehmlandschaft. Als wir oben sind, ziehen dunkle Wolken auf und es fängt an, ein bisschen zu regnen. Wir flüchten ins überteuerte Teehaus und später noch ins Elternhaus von Dariush, wo er uns begeistert Fotos von seiner Bergbesteigung in Nepal zeigt.

Teheran vor der Präsidentschaftswahl

Der Verkehr in Teheran übersteigt alles! Die Millionenstadt ist unerträglich überlaufen! Das sind die Aussagen, die wir von anderen Reisenden und Iranern hören, wenn wir erwähnen, dass wir in die Hauptstadt wollen. Aber ist das nicht in jeder Hauptstadt Asiens dasselbe? Wir sind nicht unbedingt scharf auf die iranische Metropole, aber wir wollen dort den ehemaligen MZ-Importeur und sein heutiges Motorradwerk besuchen.
3. Juni. Als wir auf dem mehrspurigen Highway in Teheran einfahren, haben wir die Hoffnung, dass der Verkehr wieder mal nur halb so schlimm sein wird, wie es sich in den Augen anderer darstellt. Im Rest vom Iran konnten wir bisher keine großen Unterschiede zu den anderen Ländern feststellen. Außer das die Iraner ziemlich zügig unterwegs sind und einen unhaltbaren Drang zum (riskanten) Überholen haben. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen und tuckern mit Achtzig von Ort zu Ort. In der Hauptstadt nimmt der Verkehr mit Nähe zum Imam-Khomeini-Platz im südlichen Zentrum weiter zu. Auf mehrspurigen Asphaltstraßen bilden sich immer dichtere Autoarmeen, die den Krieg um die Poleposition kämpfen. Zwischen ihnen drängeln sich schwarzhaarige, poppig gekleidete Mopedkings im professionellen Slalom nach vorn. Währenddessen starren sie rückwärts auf unsere Emmen, als würden wir auf einem UFO einreiten. Wenn sie lange genug starren, wundern sich die Typen meistens über das feminine Gesicht unter meinem Helm. Und wenn sie sich sicher sind, die Ausländerin entdeckt zu haben, schwirren die erwachsenen Helden plötzlich wie Pubertierende bis zur nächsten Abzweigung um uns herum. Unsere MZs können bei dem Tempo der anderen Zweiräder nicht mithalten – schon gar nicht mit der Überbreite. Wir kreisen den Imam-Khomeini-Platz hoch konzentriert und langsam ein. Einbahnstraßen führen uns dabei in die Irre. Aber letztendlich finden wir unser Hotel in einer kleinen Nebengasse der Amir-Kabir-Straße. In der ganzen Mosaferkaneh (Billighotel) begegnen uns ausschließlich Männer.
Als wir den MZ-Importeur anrufen, ist der leider für zwei Tage nicht in der Stadt, obwohl wir unseren Besuch lange angekündigt haben. Ein Geschäftsmann, der spontan geflüchtet ist. Wie er uns sagt, feiert Teheran den Todestag Khomeinis. Da der auf einen Freitag fällt – der islamische Sonntag, ist zum Vorteil der Iraner auch der Donnerstag frei und alle Teheraner scheinen auszufliegen. Denn als wir am nächsten Vormittag auf die Straße gehen, ist alles so ruhig. Läden, Banken und Museen – die einzigen Sehenswürdigkeiten in Teheran – sind geschlossen. Die Verkehrsarmeen haben sich zurückgezogen. Wir finden gerade noch so ein Internetcafè, das geöffnet hat und in dem wir zweieinhalb Stunden unsere Zeit vertreiben. Danach probieren wir die neue Metro aus. Die Teheraner haben ziemlich spät erkannt, dass der zunehmende Verkehr alles kollabieren lässt. Erst Ende der Neunziger ist die erste U-Bahn-Linie eröffnet worden und nur langsam folgen weitere Abschnitte. Dafür ist alles tiptop modern.
Beim Rückweg ins Hotel begegnen uns hier und da die kitschigen Plakate der Kandidaten der anstehenden Präsidentschaftswahl. Obwohl in nur einer Woche Wahltag ist, ist von Wahlstimmung nicht viel zu spüren. Die meisten Iraner und Iranerinnen, denen wir begegnen, wünschen sich einen Wechsel zur liberalen Opposition. Mit grünen Bändern an ihren Handgelenken machen sie ihre Meinung sichtbar. Mit ihrer Hoffnung auf einen neuen Präsidenten namens Mir-Hussein Mussawi verbinden sie vor allem die Hoffnung auf mehr Freiheit und mehr Offenheit des Landes gegenüber den USA. Am Horizont der Hauptstadt erkennen wir dann endlich auch das mit Schnee überzogene Alborzgebirge, das sich wie eine riesige, weiße Wolkenwand schützend auftürmt. Ein beeindruckendes Bild. Trotzdem: Wir können hier in Teheran nicht viel anfangen, also beschließen wir, zwei oder drei Tage unserer restlichen Aufenthaltsdauer lieber im relativ nahe gelegenen Alamut-Tal zu verbringen. Wir hauen ab.

Alamut: Endlich wieder Grün

Wir kommen unversehrt aus Teheran raus. Morgens an einem Feiertag ist wirklich nicht viel los. Und das ist gut so. Die Stimmung bei uns beiden ist aber nicht so gut. Wir fragen uns, warum. Vielleicht liegt das am dusseligen Tankwart, der uns wie manch anderer kleiner Gauner bescheißen will. Wir kennen mittlerweile die iranischen Preise ganz gut und sind daher doppelt genervt, wenn man uns den speziellen Ausländerbonus abverlangt. Und die Stimmung wird auch nicht besser, als die Emmen im ersten Gang über die ersten Berge der Alamutregion schleichen. Jedoch je weiter wir ins Alamut-Tal einreiten, umso grüner und schöner wird die Umgebung. Und umso besser unsere Laune. Das saftige Grün auf der Landschaft ist eine große Abwechslung fürs Auge, das in den letzten drei Wochen auf die ockerfarbenen Steppen und Wüsten im Ost- und Zentraliran geblickt hat. Micha macht die Löcher im Luftfilterdeckel wieder frei und wir knattern zum Lewa-See hinauf. Heute ist Freitag, bestes Wetter und viele iranische Großfamilien aus Qazvin haben anscheinend dieselbe Idee wie wir. Immer wieder überholen uns bis oben hin bepackte Autos. Hoffentlich finden wir ein ruhiges Plätzchen. Natürlich nicht. Der kleine, dunkelgrüne Bergsee ist nicht nur umringt von toller Landschaft, sondern auch von Iranern, die Picknick machen. Die Rauchwolken der Kebapspieße auf dem Grill steigen in den Himmel. Wir kreisen einmal um den ganzen See und beobachten ein Weilchen das Treiben, bevor wir umkehren wollen. Wenn iranische Familien oder Männercliquen picknicken, schleppen sie als Karawane einen ganzen Haushalt auf die Wiese: ein Zelt, einen Teppich, den Grill, Teekocher, Teegläser, Töpfe, Salatschüsseln, Berge an Brot… Professionelle Draußenesser. Es fehlt an nichts.
Als wir gerade abhauen wollen, lädt uns eine junge Badmintonlehrerin aus Qasvin ein, am großen Familienpicknick teilzunehmen. Gutes Timing, wir haben Hunger und freuen uns über das Hühnchen am Spieß, Kartoffeln, gegrillte Tomaten, Fisch, Reis, Salat, frischen Tee und Datteln auf einer langen Plastikdecke im Halbschatten. Nach etwa drei Stunden packen fast alle Picknicker gleichzeitig ihr Zeug zusammen und verschwinden zurück über die Berge. Wir schlagen derweil unser Zelt auf. Was von den Abschied nehmenden Picknickern nicht aufgegessen wurde, kriegen wir gleich von drei Seiten geschenkt. Wir sind also bestens versorgt. Micha schwimmt noch eine Runde in dem See, obwohl baden verboten ist. Ich muss sowieso draußen bleiben, wenn ich nicht voll bekleidet ins Wasser will. Nicht auszudenken, was los wäre, wenn wir einfach nackt baden gehen würden. Wir würden verhaftet werden und Deutschland wahrscheinlich lange nicht mehr wieder sehen.
Am nächsten Morgen fahren wir nach einer ruhigen Nacht weiter durchs Tal und finden endlich ein einsames, verstecktes Plätzchen am Bergkamm. Es ist herrlich ruhig. Kein Mensch weit und breit. Abends stürmt es dann ziemlich stark und das kleine Zelt, das wie ein gut getarnter Käfer in der Gegend hockt, flattert ohrenbetäubend. Aber der Hightech-Stoff hält und wir bleiben vom großen Regen verschont. Morgens beim Aufstehen hängen immer noch die dicken, grauen Wolken am Alamut-Himmel. Wir ziehen uns Pullover und Motorradjacke über und weiter geht’s. Hoffentlich bleiben wir trocken. Die Griffheizung kommt seit Langem mal wieder zum Einsatz. Der Bequemlichkeit wegen.

Herzenswärme in Manjil

Die Emmen bringen uns durch die feuchtkalten Wolken, die oben über den Bergpässen schweben. Wir schaffen es an diesem Tag nur bis in die Stadt Manjil, siebzig Kilometer vor Rasht. Seit Qazvin kämpfen wir wie so oft auf unserer Reise durch den Iran gegen starken Wind von vorn an. Der Wind geht in einen Sturm über. Dessen Böen schütteln die Mopeds so heftig, dass wir an der Tanke in Manjil anhalten müssen.
Während wir darauf warten, dass sich der Sturm etwas legt, stellt Micha bei meiner MZ die Zündung und Kupplung nach. Regen setzt jetzt ein, der Tag wird dunkel und wir stellen die Weiterfahrt nach Rasht in Frage. In diesem Augenblick sprechen uns Shila und Rachman – ein Ehepaar in den Fünfzigern – aus ihrem gerade voll getankten Auto an. Oder besser gesagt, machen sie mit Gesten zu verstehen, dass wir bei dem Unwetter nicht weiter können und lieber mit ihnen nachhause kommen sollten. Die beiden schickt der Gewitterhimmel! Kurze Zeit später hocken wir bei einer dampfenden Tasse Tee gemütlich auf der Couch, während draußen das Unwetter tobt und die Emmen brav im kleinen Hof vor der Haustür parken. Im Haus sitzt Sohnemann Mehdi, siebenundzwanzig Jahre alt, vor Unibüchern und lernt. Im Fernseher läuft ein Bodybuilding-Wettkampf. Mehdi ist wie viele andere Iraner großer Fan des Mukki-Sports.
Während Shila uns in die heiße Dusche schickt, muss Rachman zum Basar fahren. Eine Stunde später steht dann ein typisch iranisches Abendessen für uns bereit. Diesmal auf dem Küchentisch und nicht auf dem persisch gemusterten Wohnzimmerteppich. Die süße Familie zaubert uns wirklich ein Lächeln auf die Lippen. Mehdi kann ein bisschen Englisch und übersetzt ab und zu: „Wollt ihr eine Stadtrundfahrt im Auto?“ Na klar. Und schon sitzen wir zu fünft im Wagen und Baba kutschiert uns windfrei und trocken durch die Gegend: zum Fluss, zum Garten, zum dreitausend Jahre alten Baum… Sie erzählen kurz vom starken Erdbeben vor acht Jahren, bei dem Rachman seine Frau und drei Söhne verloren hat. Heute lebt er mit Shila und seinem Sohn Mehdi scheinbar glücklich zusammen. Sie bauen gerade ein erdbebensicheres Haus. Wir besuchen auch noch Shilas Eltern, in einem Dorf zwanzig Kilometer von Manjil entfernt. Im Fernsehen präsentieren sich am Abend die Präsidentschaftskandidaten und ein Mullah liest im Einschlafton von seinen Notizen ab. Wir trinken im Wohnzimmer lümmelnd unseren letzten Tee und gehen im Kinderzimmer schlafen. Es ist, als würden wir die Familie schon lange kennen, dabei haben sie uns erst vor ein paar Stunden aufgegabelt. Nach dem Frühstück am kommenden Morgen ist das Wetter viel besser und wir müssen leider weiter. Merci, Merci! Mit dieser französischen Vokabel bedankt man sich eigenartigerweise im Iran. Shila schenkt mit noch eine selbst gestrickte Jacke mit zu kurzen Ärmeln. Und ab geht’s ins Dorfleben nach Masuleh…

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3 Gedanken zu “Nord-Iran: Lieber Berge als Hauptstadt

  1. Hallo Ihr zwei,
    gottseidank habt ihr Teheran schon lange hinter Euch. Da gings ja ordentlich zur Sache. Inzwischen kann man Euch ja fast schon riechen-ihr kommt näher! Wollt Ihr überhaupt noch nachhause??
    Wünsche Euch auch noch pannenfreie Weiterfahrt bleibt gesund.
    Liebes Grüßle
    Fränky

  2. Ähm, ja, also noch ein kleiner Nachtrag:
    Bescheidener Wunsch: FOOOOTOOOOS.
    Bangalore ist ja schon sooooo lange her und wir bekommen durch eure Appetithäppchen im Blog immer so einen trockenen Mund.
    Ich fürchte, das sehen noch Mehr so. 😉
    Trotzdem Daumen hoch und immer einen netten Rückenwind.
    Martin

  3. Na, da habt ihr ja wieder tolle Erlebnisse zu berichten. Endlich mal wieder ’n richtiges Sauwetter zur Einstimmung auf Norddeutschland! Und natürlich für euch wieder mal liebe Menschen, die sich um die bedauernswerten Emmenreiter kümmern. Gut dass es nicht nur Schlitzohren und Geschäftemacher auf der Erde gibt. Für diese hättet ihr ja auch nicht so weit fahren müssen 😉
    Daumendrück für den weiteren Weg; genießt noch jede Meile, wo’s geht.
    Daumen hoch!
    Martin