Die große Reise beginnt: Abschied in Trance

Abfahrt emmenreiter 2008

Mai 2008: Die MZ-Motorräder sind startklar (c) emmenreiter.de

Sonntagmorgen, 18. Mai 2008. Uns fehlt Schlaf. Nervös und leichenblass stehen wir neben uns. Heute soll es losgehen?!
Der Start ins herbeigesehnte Abenteuer. Bis um drei Uhr nachts hat Michas Familie in der Garage noch an beiden MZ und den Alukoffern geschraubt, damit wir endlich Zeit haben, die Sachen zu packen. Jede verdammt kurze Stunde der letzten drei Wochen war mit einer Aufgabe verplant. Ein roter Stift und großer Kalender auf dem Tisch mit der Aufteilung: Suse, Micha. Ein Stresstest bis zur allerletzten Sekunde.
Um elf Uhr soll angekickt werden. Das MZ-Werkzeug für unterwegs wird jetzt erst zusammengesucht. An Frühstück ist nicht zu denken. An gar nichts ist mehr zu denken. Wie in Trance beladen wir die beiden glänzenden Emmen mit allem Hab und Gut für über ein Jahr Auszeit. Die geschenkten Glücksbringer werden in freigebliebenen Ritzen verstaut. Parallel der Abschied von Familie und Freunden, die auf dem Hof um uns herum auf den Start warten – mit Tränen der Freude oder Angst in den Augen.

“Daran wirst Du Dich gewöhnen!”

Der Kickstarter kriegt endlich einen Tritt und das Abschiedskomitee verschwindet bald in einer Zweitaktwolke. Die ersten Meter sind schrecklich und schön zugleich. Und ziemlich wackelig. Denn ich sitze gerade zum allerersten Mal auf der vollbeladenen Emme. Auf der einzigen Probefahrt vor zwei Tagen ins drei Kilometer entfernte Nachbardorf fing bei neunzig km/h das Motorrad an zu pendeln. “Das ist normal, daran wirst Du Dich gewöhnen!” versuchte Micha mich zu beruhigen. Mein Vater lässt es sich nicht nehmen, uns die ersten Kilometer zu begleiten. Hinter uns fahren noch Abenteurerfreunde in ihrem knallorangen Bulli. Völlig ausgepowert gebe ich das Tempo vor. Mit siebzig auf dem Tacho fahren wir davon. Plötzlich fällt Micha ein: Wir haben das Tanken vergessen!
Mit betankten Motorrädern und einer großen Portion Zuversicht geht es weiter. Wir sind sooo froh, dass die Räder rollen und der größte Schritt getan ist: Losfahren. An diesem Tag summen beide Emmen etwa dreihundert Kilometer lang wie Bienen über die ostdeutschen Landstraßen. Beruhigende Klänge. Überall, wo wir anhalten, kommen Leute auf uns zu und wünschen uns Glück.
Es ist schon dunkel, als wir Leipzig passieren und danach endlich das erste Etappenziel erreichen: Borna. Mit zitternden Knien steige ich ab. Micha küsst und streichelt die Motorräder. Der Anfang einer neuen Liebe. Glücklich und totmüde sinken wir bei Michas Verwandten in die Matratze. Ach ja, ich habe jetzt schon meinen ersten Reisedurchfall – in Sachsen.
Ganze drei Tage bleiben wir in Borna. Wir müssen erstmal runterkommen, bevor wir weiterkönnen. In der Autowerkstatt von Michas Cousin feilt Micha noch an den Emmen. Bei meiner MZ wird der Seitenständer vor die Koffer gesetzt, damit ich besser absteigen kann. Wir telefonieren noch ein paar Mal mit Touratech Nord, um nachzufragen, wo unser Austausch-GPS-Gerät von Garmin bleibt. Deren falsche Versprechungen sind nervtötend und darum fahren wir ohne los. Am 21. Mai wird nochmal gedrückt und geknutscht. “Tschüss Borna, Tschüss liebes Sachsenland” und dann fahren wir weiter zur süddeutschen Grenze und nach Prag. Deutschland, auf Wiedersehen!

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4 Gedanken zu “Die große Reise beginnt: Abschied in Trance

  1. Ach ja, eure Site ist noch besser als Asterix!
    Bei euch entdecke ich auch nach dem 30. Lesen noch neue Details 😉
    Und vieles erinnert mich derartig an eigene Erfahrungen, dass ich immer wieder grinsen muss.
    So habe ich nach langen Seetörns z.B. eine richtige Gier nach Rasenmähen gehabt – könnt ihr mich jetzt mit jagen, aber nach maximal Seetang- und Hafengerüchen endlich mal wieder frisch gemähtes Gras zu riechen, finde ich gelegentlich schon mal attraktiv 😉
    Wenn ich euch in Sachen Buch/Verlag/Marketing helfen kann, gebt mir ein Signal.
    Ich habe daran ein ganz klares eigenes Interesse!!!
    Beste Grüße aus dem hamburgischen Spätsommer.
    Martin

  2. Liebe Prignitzer,
    lang ist es her, dass wir uns auf der Reise trafen. Nun wissen wir gar nicht, ob wir euch beglueckwuenschen sollen oder nicht. Es hoert sich alles noch sehr wirr an und wir haben kurzzeitig an unsere Heimkehr gedacht und beschlossen es geheim zu halten. So viele Eindruecke, Gefuehle und vieles mehr. Das verkraften wir nicht. Wir geniessen noch ein wenig Indien und sehen uns dann in old Germany auf was auch immer, denn im Moment moegen wir das Essen sehr und werden zur Zeit von einer privaten Familie bewirtet, die uns mehr oder weniger aufgegabelt haben. Ihr kennt das ja und da sagen wir doch nicht nein.
    Alles, alles liebe von Carina und Michael aus dem Himalaja

  3. Au ja, das mit der Datensicherung macht bitte auf jeden Fall. Sonst können wir noch viiiiel schwerer mit- und nachvollziehen, was euch so in der Erinnerung herumschwirrt!
    Davon mal abgesehen, dass alte Männer schon mal mit der kürzeren Vergangenheit Probleme haben können 😉
    Ich kenne euer Probleme ansonsten genau. Immer wenn ich mal länger unterwegs war, zeigte die aktuelle Presse, dass ich eigentlich wieder dringend weg müsste. Ob es die Falkland-Krise war oder Muskelspiele von Ghaddafi in der großen Syrte – immer wieder zeigte der Spiegel ein krisengeschütteltes Titelblatt.
    Könnt euch ruhig mal zwischendurch ’ne kleine Flucht. Wenn euch die Mecklenburgische Seenplatte zu übervölkert wird, könnte ich euch noch ein paar Tipps für Ostfriesland geben. Und ihr seht Mittwochs schon, wer am Wochenende zum Tee kommt.
    Allerbeste Grüße – auch an die anderen virtuellen Mitreisenden!
    Martin

  4. Hallo Ihr Zwei Heimkehrer,
    Ihr scheint ja mächtig mit Euch und Euren Gefühlen zu kämpfen. Hab ich deshalb noch nie so eine Reise gewagt? Kann in kleinen Teilen mit Euch mitfühlen – man wäre am Liebsten gleich wieder losgefahren, oder? Das Erlebte zu ordnen dauert noch Wochen. Über Eure Langzeitwirkungen wusste ich liebend gerne mehr – sowohl positiv, als auch negativ.
    Aber man ist eigentlich schneller wieder im Alltag/Arbeit drin, als einem lieb ist. Aber nach Monaten Unterwegs sein sieht das sicher anders aus.
    Was werdet ihr jobmäßig machen?
    Und danke, dass man auch noch nach Eurem „Ankommen“ noch was von Euch hört!!
    Grüßle
    Fränky

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