Iran – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Fri, 16 Dec 2016 08:38:07 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Iran – eMMenreiter 32 32 Klimawechsel: Abschied vom Iran /abschied-iran-2009/ /abschied-iran-2009/#respond Sat, 20 Jun 2009 19:16:14 +0000 /?page_id=2749 Iran_Masuleh

Masuleh im Nord-Iran, 2009 © emmenreiter.de

Urlaub in Masuleh

In dem Bergdorf Masuleh, etwa sechzig Kilometer von der kaspischen Meeresküstenstadt Rasht entfernt, dringen wir weiter in das feuchtkühle Klima des iranischen Nordens vor. Im abgelegenen Masuleh kommen vierhundert kleine Shops auf sechshundert nette Einwohner. Warum? Der Ort hat sich in den letzten Jahren zum Tagesausflugsziel iranischer Touristen verwandelt. Und heute lebt fast jeder Dorfbewohner von dem, was ihre winzigen Keksbäckereien, traditionellen Teestuben und Souvenirläden in den Sommermonaten abwerfen. Selbst die älteste Oma im Dorf sitzt in ihrem erdfarbenen Häuschen auf dem Fußboden und strickt stundenlang typisch gemusterte Socken, Mützen und Puppen, die sie an vorbeischlendernde Besucher verkauft.
Wir mieten für zwei Übernachtungen ein altes Appartement. Kosten: zehn Euro am Tag. Es liegt in der Nähe eines Wasserfalls. Ein gewaltiges Rauschen und eine entspannte Stimmung. Jeden Nachmittag bilden sich über dem Dorf dicke Wolken, die immer tiefer gleiten, bis sie die flachen Hausdächer berühren. Es ist kühl und deswegen kommen nur wenige Touristen. Unsere handgespülte Wäsche über Antennenkabel auf dem Balkon trocknet schlecht. Wir machen es uns mit selbst gekochtem Tee aus Meymand auf dem Bett bequem. Oder erkunden Masuleh über die schmalen, felssteingepflasterten Wege und Treppen, die am Hang entlang die verschiedenen Häuserebenen verbinden. Wie immer haben die Menschen in den Bergen einen ganz eigenen Charakter und Charme, so dass wir uns gar nicht mehr wie im Iran fühlen. Mein Kopftuch muss trotzdem angezogen bleiben. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

„Was ist eigentlich Holocaust?“

Am 10. Juni um neun Uhr morgens verlassen wir Masuleh. Zwei Stunden später auf der Landstraße gen Astara hupen und winken uns ein Ehepaar und ihr siebzehnjähriger Sohn aus Rasht beim Überholen mit dem Auto an den Straßenrand. „Woher kommt Ihr? Braucht Ihr Hilfe?” Nein, aber danke der freundlichen Nachfrage. Eine halbe Stunde später treffen wir sie an der Tankstelle wieder und dürfen natürlich das Benzin nicht selbst bezahlen. Sohn Mahdi – ein sehr guter Schüler, wie seine Mutter stolz erzählt – spricht fließendes Englisch: „Ihr seid unsere Gäste! Wo wollen wir zusammen Mittagessen?” Wir fahren den netten Leuten, die ein Plakat von Musawi von innen an die Heckscheibe geklebt haben, siebzig Kilometer bis Astara hinterher. Dort gehen wir alle in ein Restaurant und später noch zum Tee ins geräumige Wochenend-Appartement der Familie. Mahdis Vater arbeitet bei einer Investmentfirma in Rasht, seine Mutter ist Lehrerin in der Highschool. Beide kommen manchmal zum Entspannen hierher.
Wie so oft kommt das Thema Deutschland und Hitler auf. „Was genau ist eigentlich Holocaust?”, wollen die drei wissen. Die iranische Regierung würde diesen Teil der Geschichte leugnen. Als Micha ihnen ein paar Dinge erklärt, sind sie unglaublich überrascht, dass in Deutschland und Polen die viel besagten Konzentrationslager tatsächlich immer noch als Mahnmale existieren und sie jeder besichtigen kann. Natürlich sollen wir noch über Nacht bei der Familie bleiben, aber wir haben keine Zeit und müssen weiter. Der höfliche Vater, die liebe Mutter und ihr gut erzogener Sohn führen uns im Auto noch bis auf die richtige Straße an den Stadtrand von Astara und verabschieden uns wie Freunde nach Ardabil.
In Ardabil tobt am Abend der Bär. Es scheint, als ist die ganze Jugend der Stadt auf der Straße, um ihrer Hoffnung auf neue Freiheit Luft zu machen. Mit grünen Tüchern aus hupenden Autos feuern sie die Leute an, Musawi als neuen Präsidenten zu wählen und Abschied von Ahmadinedschad zu nehmen. An den Straßenkreuzungen staut sich der Wahlkampfverkehr. Die Stimmung und Rufe erinnern uns stark an das Ende eines Spiels bei der Fußballweltmeisterschaft.
Von Ardabil geht es nach einer Nacht in einem neuen Hotel durch eine tolle Berglandschaft weiter nach Tabriz. Vorher wechselt Micha auf dem Hotelparkplatz mal wieder zwei gebrochene Speichennippel, diesmal im Vorderrad. Vermutlich hat die Telegabel beim Unfall in Quetta doch mehr abbekommen, als gedacht. Auf dem Weg nach Tabriz müssen wir anhalten, um uns die Regensachen überzuziehen. Der Norden Irans hat derzeit einige heftige Regenschauer. Seit Usbekistan lagen die regendichten Klamotten ganz weit unten im Alukoffer. Wir kommen am späten Nachmittag in der Stadt an und haben außer einem Abendessen keine Lust mehr auf irgendwas. Die Fahrerei der letzen Tage ist ganz schön Kräfte zehrend. Um sieben Uhr in der Früh steuern wir auf etwa zweihundert Kilometern die Nordgrenze zur Türkei an. Khoda Hafez, Iran!

Der Iran und die Iraner: „Hello-where-are-you-from“

In ihrem Buch „Der Iran – Die verschleierte Hochkultur” beschreibt Andrea Claudia Hoffmann das heutige Leben und die Menschen im Iran. Wir haben viele Dinge wieder erkannt. Zum Beispiel, dass die Iraner sehr stolz auf ihre “arische” Herkunft sind und viele die Deutschen als Arier verehren. Und dass die jungen Iranerinnen sehr wissbegierig sind. Die Mehrheit der Studierenden im Land ist weiblich, so dass die Universitäten sogar Männerquoten einführen mussten. Natürlich haben wir bei unserer Reise durch das ehemalige Persien noch tausend andere Dinge erfahren. Eines stand dabei ziemlich schnell fest: Dass das Bild, was die westlichen Medien vom Iran wiedergeben, tatsächlich nur einem winzigen Ausschnitt aus der Realität entspricht. Menschen, Kultur und Landschaften bleiben völlig ausgeblendet. Wer weiß denn schon, dass man im Iran wunderbar Skilaufen kann und Warenangebot und Infrastruktur dem im Westen in nichts nachstehen. Die Medien fokussieren lieber den Wunsch der Regierung nach einer eigenen Atombombe. Der Westen und das zum Teil zensierte Internet haben sichtbare Einflüsse auf die persönlichen Einstellungen der Iraner. Gerade im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf zeigt sich uns der Wunsch der vielen jungen Leute nach Freiheit und Veränderung. Ahmadinedschad ist bei vielen, die wir getroffen haben, wenig beliebt.
Zur Realität gehört auch, dass die meisten Iraner, denen wir begegnet sind, sehr gastfreundliche Menschen sind, die besonders Ausländern als exotische Gäste mit großer Neugier und Herzlichkeit gegenübertreten. Vor allem im Norden des Landes sind wir immer wieder eingeladen und wie gute Freunde behandelt worden. Und dann durften wir auch ohne das persische Höflichkeitsspiel Ta’arof, demnach Einladungen nur ernst gemeint sind, wenn sie nach dreimaligem Ablehnen immer noch ausgesprochen werden, den spontanen Angeboten zum Tee oder Essen folgen. Im ganzen Land riefen uns fremde Menschen ein auswendig gelerntes „Hello-where-are-you-from” hinterher, um uns zu zeigen, dass wir willkommen sind. Manche Reisende mögen auf Dauer davon genervt sein, trotzdem sollte man auch dem zehnten Willkommenheißer am Tag ein dankendes Lächeln zurückgeben oder ein bisschen „hand-und-fuß-smalltalken”. Leider nur wenige Iraner können sich in englischer Sprache mit uns unterhalten. Die Mädchen jedoch stehen öfter kichernd vor uns, um ihr Schul- und Uni-Englisch auszuprobieren. Nebenbei machen sie Micha Komplimente.
Wenn Autorin Andrea Claudia Hoffmann weiterhin schreibt, sie hätte die unterschiedlichsten Menschen im Iran getroffen, aber nie einen Schurken, dann stimmt das nicht ganz mit unseren Erfahrungen überein. Man trifft sie eben in jedem Land: kleine Abzocker. Respektloses Verhalten mir als Frau gegenüber haben wir im Iran allerdings nie erlebt. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass selbst im modernen Iran die Frau per Gesetz und durch moralische Vorstellungen weiter “kleingehalten” wird. Aber es gibt Hoffnung, denn immer mehr Iranerinnen entwickeln und entfalten ein neues Selbstbewusstsein. Inschallah!

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Nord-Iran: Lieber Berge als Hauptstadt /nordiran-teheran-2009/ /nordiran-teheran-2009/#comments Sun, 14 Jun 2009 19:01:31 +0000 /?page_id=2735 Zelt-Nordiran

Camp im Alamut, Iran 2009 © emmenreiter.de

Kashan: Im alten Haus von Herrn Noghli

Kashan ist eine entspannte Stadt zwischen wolkenbehängten Bergen auf der einen und der dürren Kavir-Wüste auf der anderen Seite. Das Klima ist gerade angenehm: sonnig, aber nicht zu heiß. Wir verbringen die nächsten zwei Nächte in einem traditionellen Wohnhaus. Hier ist der alte Herr Noghli geboren und aufgewachsen, bis er es an eine junge Familie verkauft hat, die heute drei, vier passend hergerichtete Kämmerlein an Touristen vermietet. Der winzige Innenhof ist erdfarben und mit Liebe dekoriert. Die Gastgeberin begrüßt uns mit frischer, selbst gemachter Limonade. Später treffen wir sogar Herrn Noghli persönlich, als wir durch die verwinkelten Gassen des alten Stadtviertels zum Brot kaufen gehen. Die alten Holzhaustüren in den Lehmmauern der Altstadt, durch die man in die versteckten Innenhöfe gelangt, haben oft zwei Türklopfer aus Metall, von denen einer viel dumpfer als der andere klingt. Männer benutzen den phallusähnlichen, dumpferen Klopfer. Frauen den anderen. So weiß die Dame des Hauses, ob ein Mann vor der Tür wartet und sie sich ihren Chador überziehen muss, bevor sie ihm öffnet.
Wir haben einen ganzen Tag lang Zeit für Kashan und besichtigen eines der traditionellen, restaurierten Herrenhäuser. Das Ameriha-Haus aus dem achtzehnten Jahrhundert gehörte damals Kashans Governor Ameri. Zu seiner Zeit war der Komplex mit sieben Innenhöfen und einem Hamam für (seine) schwangeren Frauen das größte Wohnhaus Persiens. Dekorative Spiegelmosaiken verzieren weiße Wände und bunte Glasmuster die Fensterspitzbögen.
Dariush, der uns bei Ankunft in Kashan den Weg zum Noghli-Haus gewiesen hatte, nimmt uns am späten Nachmittag mit aufs Dach des Basargebäudes. Von hier aus können wir über die ganze Stadt sehen. Die von innen mit antiken Fliesenmosaiken verzierte Basardachkuppel ist von außen ein schlichter, großer Lehmhügel. Das Dach begeht sich wie eine Lehmlandschaft. Als wir oben sind, ziehen dunkle Wolken auf und es fängt an, ein bisschen zu regnen. Wir flüchten ins überteuerte Teehaus und später noch ins Elternhaus von Dariush, wo er uns begeistert Fotos von seiner Bergbesteigung in Nepal zeigt. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Teheran vor der Präsidentschaftswahl

Der Verkehr in Teheran übersteigt alles! Die Millionenstadt ist unerträglich überlaufen! Das sind die Aussagen, die wir von anderen Reisenden und Iranern hören, wenn wir erwähnen, dass wir in die Hauptstadt wollen. Aber ist das nicht in jeder Hauptstadt Asiens dasselbe? Wir sind nicht unbedingt scharf auf die iranische Metropole, aber wir wollen dort den ehemaligen MZ-Importeur und sein heutiges Motorradwerk besuchen.
3. Juni. Als wir auf dem mehrspurigen Highway in Teheran einfahren, haben wir die Hoffnung, dass der Verkehr wieder mal nur halb so schlimm sein wird, wie es sich in den Augen anderer darstellt. Im Rest vom Iran konnten wir bisher keine großen Unterschiede zu den anderen Ländern feststellen. Außer das die Iraner ziemlich zügig unterwegs sind und einen unhaltbaren Drang zum (riskanten) Überholen haben. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen und tuckern mit Achtzig von Ort zu Ort. In der Hauptstadt nimmt der Verkehr mit Nähe zum Imam-Khomeini-Platz im südlichen Zentrum weiter zu. Auf mehrspurigen Asphaltstraßen bilden sich immer dichtere Autoarmeen, die den Krieg um die Poleposition kämpfen. Zwischen ihnen drängeln sich schwarzhaarige, poppig gekleidete Mopedkings im professionellen Slalom nach vorn. Währenddessen starren sie rückwärts auf unsere Emmen, als würden wir auf einem UFO einreiten. Wenn sie lange genug starren, wundern sich die Typen meistens über das feminine Gesicht unter meinem Helm. Und wenn sie sich sicher sind, die Ausländerin entdeckt zu haben, schwirren die erwachsenen Helden plötzlich wie Pubertierende bis zur nächsten Abzweigung um uns herum. Unsere MZs können bei dem Tempo der anderen Zweiräder nicht mithalten – schon gar nicht mit der Überbreite. Wir kreisen den Imam-Khomeini-Platz hoch konzentriert und langsam ein. Einbahnstraßen führen uns dabei in die Irre. Aber letztendlich finden wir unser Hotel in einer kleinen Nebengasse der Amir-Kabir-Straße. In der ganzen Mosaferkaneh (Billighotel) begegnen uns ausschließlich Männer.
Als wir den MZ-Importeur anrufen, ist der leider für zwei Tage nicht in der Stadt, obwohl wir unseren Besuch lange angekündigt haben. Ein Geschäftsmann, der spontan geflüchtet ist. Wie er uns sagt, feiert Teheran den Todestag Khomeinis. Da der auf einen Freitag fällt – der islamische Sonntag, ist zum Vorteil der Iraner auch der Donnerstag frei und alle Teheraner scheinen auszufliegen. Denn als wir am nächsten Vormittag auf die Straße gehen, ist alles so ruhig. Läden, Banken und Museen – die einzigen Sehenswürdigkeiten in Teheran – sind geschlossen. Die Verkehrsarmeen haben sich zurückgezogen. Wir finden gerade noch so ein Internetcafè, das geöffnet hat und in dem wir zweieinhalb Stunden unsere Zeit vertreiben. Danach probieren wir die neue Metro aus. Die Teheraner haben ziemlich spät erkannt, dass der zunehmende Verkehr alles kollabieren lässt. Erst Ende der Neunziger ist die erste U-Bahn-Linie eröffnet worden und nur langsam folgen weitere Abschnitte. Dafür ist alles tiptop modern.
Beim Rückweg ins Hotel begegnen uns hier und da die kitschigen Plakate der Kandidaten der anstehenden Präsidentschaftswahl. Obwohl in nur einer Woche Wahltag ist, ist von Wahlstimmung nicht viel zu spüren. Die meisten Iraner und Iranerinnen, denen wir begegnen, wünschen sich einen Wechsel zur liberalen Opposition. Mit grünen Bändern an ihren Handgelenken machen sie ihre Meinung sichtbar. Mit ihrer Hoffnung auf einen neuen Präsidenten namens Mir-Hussein Mussawi verbinden sie vor allem die Hoffnung auf mehr Freiheit und mehr Offenheit des Landes gegenüber den USA. Am Horizont der Hauptstadt erkennen wir dann endlich auch das mit Schnee überzogene Alborzgebirge, das sich wie eine riesige, weiße Wolkenwand schützend auftürmt. Ein beeindruckendes Bild. Trotzdem: Wir können hier in Teheran nicht viel anfangen, also beschließen wir, zwei oder drei Tage unserer restlichen Aufenthaltsdauer lieber im relativ nahe gelegenen Alamut-Tal zu verbringen. Wir hauen ab.

Alamut: Endlich wieder Grün

Wir kommen unversehrt aus Teheran raus. Morgens an einem Feiertag ist wirklich nicht viel los. Und das ist gut so. Die Stimmung bei uns beiden ist aber nicht so gut. Wir fragen uns, warum. Vielleicht liegt das am dusseligen Tankwart, der uns wie manch anderer kleiner Gauner bescheißen will. Wir kennen mittlerweile die iranischen Preise ganz gut und sind daher doppelt genervt, wenn man uns den speziellen Ausländerbonus abverlangt. Und die Stimmung wird auch nicht besser, als die Emmen im ersten Gang über die ersten Berge der Alamutregion schleichen. Jedoch je weiter wir ins Alamut-Tal einreiten, umso grüner und schöner wird die Umgebung. Und umso besser unsere Laune. Das saftige Grün auf der Landschaft ist eine große Abwechslung fürs Auge, das in den letzten drei Wochen auf die ockerfarbenen Steppen und Wüsten im Ost- und Zentraliran geblickt hat. Micha macht die Löcher im Luftfilterdeckel wieder frei und wir knattern zum Lewa-See hinauf. Heute ist Freitag, bestes Wetter und viele iranische Großfamilien aus Qazvin haben anscheinend dieselbe Idee wie wir. Immer wieder überholen uns bis oben hin bepackte Autos. Hoffentlich finden wir ein ruhiges Plätzchen. Natürlich nicht. Der kleine, dunkelgrüne Bergsee ist nicht nur umringt von toller Landschaft, sondern auch von Iranern, die Picknick machen. Die Rauchwolken der Kebapspieße auf dem Grill steigen in den Himmel. Wir kreisen einmal um den ganzen See und beobachten ein Weilchen das Treiben, bevor wir umkehren wollen. Wenn iranische Familien oder Männercliquen picknicken, schleppen sie als Karawane einen ganzen Haushalt auf die Wiese: ein Zelt, einen Teppich, den Grill, Teekocher, Teegläser, Töpfe, Salatschüsseln, Berge an Brot… Professionelle Draußenesser. Es fehlt an nichts.
Als wir gerade abhauen wollen, lädt uns eine junge Badmintonlehrerin aus Qasvin ein, am großen Familienpicknick teilzunehmen. Gutes Timing, wir haben Hunger und freuen uns über das Hühnchen am Spieß, Kartoffeln, gegrillte Tomaten, Fisch, Reis, Salat, frischen Tee und Datteln auf einer langen Plastikdecke im Halbschatten. Nach etwa drei Stunden packen fast alle Picknicker gleichzeitig ihr Zeug zusammen und verschwinden zurück über die Berge. Wir schlagen derweil unser Zelt auf. Was von den Abschied nehmenden Picknickern nicht aufgegessen wurde, kriegen wir gleich von drei Seiten geschenkt. Wir sind also bestens versorgt. Micha schwimmt noch eine Runde in dem See, obwohl baden verboten ist. Ich muss sowieso draußen bleiben, wenn ich nicht voll bekleidet ins Wasser will. Nicht auszudenken, was los wäre, wenn wir einfach nackt baden gehen würden. Wir würden verhaftet werden und Deutschland wahrscheinlich lange nicht mehr wieder sehen.
Am nächsten Morgen fahren wir nach einer ruhigen Nacht weiter durchs Tal und finden endlich ein einsames, verstecktes Plätzchen am Bergkamm. Es ist herrlich ruhig. Kein Mensch weit und breit. Abends stürmt es dann ziemlich stark und das kleine Zelt, das wie ein gut getarnter Käfer in der Gegend hockt, flattert ohrenbetäubend. Aber der Hightech-Stoff hält und wir bleiben vom großen Regen verschont. Morgens beim Aufstehen hängen immer noch die dicken, grauen Wolken am Alamut-Himmel. Wir ziehen uns Pullover und Motorradjacke über und weiter geht’s. Hoffentlich bleiben wir trocken. Die Griffheizung kommt seit Langem mal wieder zum Einsatz. Der Bequemlichkeit wegen.

Herzenswärme in Manjil

Die Emmen bringen uns durch die feuchtkalten Wolken, die oben über den Bergpässen schweben. Wir schaffen es an diesem Tag nur bis in die Stadt Manjil, siebzig Kilometer vor Rasht. Seit Qazvin kämpfen wir wie so oft auf unserer Reise durch den Iran gegen starken Wind von vorn an. Der Wind geht in einen Sturm über. Dessen Böen schütteln die Mopeds so heftig, dass wir an der Tanke in Manjil anhalten müssen.
Während wir darauf warten, dass sich der Sturm etwas legt, stellt Micha bei meiner MZ die Zündung und Kupplung nach. Regen setzt jetzt ein, der Tag wird dunkel und wir stellen die Weiterfahrt nach Rasht in Frage. In diesem Augenblick sprechen uns Shila und Rachman – ein Ehepaar in den Fünfzigern – aus ihrem gerade voll getankten Auto an. Oder besser gesagt, machen sie mit Gesten zu verstehen, dass wir bei dem Unwetter nicht weiter können und lieber mit ihnen nachhause kommen sollten. Die beiden schickt der Gewitterhimmel! Kurze Zeit später hocken wir bei einer dampfenden Tasse Tee gemütlich auf der Couch, während draußen das Unwetter tobt und die Emmen brav im kleinen Hof vor der Haustür parken. Im Haus sitzt Sohnemann Mehdi, siebenundzwanzig Jahre alt, vor Unibüchern und lernt. Im Fernseher läuft ein Bodybuilding-Wettkampf. Mehdi ist wie viele andere Iraner großer Fan des Mukki-Sports.
Während Shila uns in die heiße Dusche schickt, muss Rachman zum Basar fahren. Eine Stunde später steht dann ein typisch iranisches Abendessen für uns bereit. Diesmal auf dem Küchentisch und nicht auf dem persisch gemusterten Wohnzimmerteppich. Die süße Familie zaubert uns wirklich ein Lächeln auf die Lippen. Mehdi kann ein bisschen Englisch und übersetzt ab und zu: „Wollt ihr eine Stadtrundfahrt im Auto?“ Na klar. Und schon sitzen wir zu fünft im Wagen und Baba kutschiert uns windfrei und trocken durch die Gegend: zum Fluss, zum Garten, zum dreitausend Jahre alten Baum… Sie erzählen kurz vom starken Erdbeben vor acht Jahren, bei dem Rachman seine Frau und drei Söhne verloren hat. Heute lebt er mit Shila und seinem Sohn Mehdi scheinbar glücklich zusammen. Sie bauen gerade ein erdbebensicheres Haus. Wir besuchen auch noch Shilas Eltern, in einem Dorf zwanzig Kilometer von Manjil entfernt. Im Fernsehen präsentieren sich am Abend die Präsidentschaftskandidaten und ein Mullah liest im Einschlafton von seinen Notizen ab. Wir trinken im Wohnzimmer lümmelnd unseren letzten Tee und gehen im Kinderzimmer schlafen. Es ist, als würden wir die Familie schon lange kennen, dabei haben sie uns erst vor ein paar Stunden aufgegabelt. Nach dem Frühstück am kommenden Morgen ist das Wetter viel besser und wir müssen leider weiter. Merci, Merci! Mit dieser französischen Vokabel bedankt man sich eigenartigerweise im Iran. Shila schenkt mit noch eine selbst gestrickte Jacke mit zu kurzen Ärmeln. Und ab geht’s ins Dorfleben nach Masuleh…

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Iranerinnen und andere Sehenswürdigkeiten /iranerinnen-2009/ /iranerinnen-2009/#comments Wed, 10 Jun 2009 18:53:29 +0000 /?page_id=2728 Iran Abendessen 2009 (c) emmenreiter.de

Abendessen in Toudeshk, Iran 2009 © emmenreiter.de

Toudeshk: Dünenausflug mit Familie Jalali

In Toudeshk fängt uns Mohammad Jalali, zweiundzwanzig Jahre alt, mit seinem Moped auf der Straße ab. Wir hatten ihn vorher aus Yazd angerufen, denn Mohammad ist mittlerweile bekannt dafür, dass er seit Jahren Fahrrad- und Motorradreisenden Unterkunft im Hause seiner Familie gewährt. Wir kommen im alten Teil des Dorfes im Haus seines älteren Bruders Reeza an – ein ockerfarbenes, flaches Gebäude mit Innenhof, in dem Reezas Frau Fatameh gerade Basilikum, Petersilie und andere grüne Kräuter fürs Mittagessen erntet. Eine Schale frischer, aromatischer Kräuter auf dem Esstisch macht uns die iranische Küche sehr schmackhaft. Mittlerweile haben wir viele Spezialitäten des Landes wie Dizi, Kashk-e Bandemjan, Khoresht, Dooh, fische Datteln aus Bam und Safraneis ausprobiert und für gut befunden.
Im Wohnzimmer auf dem iranischen Teppich sitzen Reeza, seine beiden Kinder und ein paar Nachbarn und begrüßen uns. Salam. Salam. Jeder hier vermittelt uns eine herzliche und ungezwungene Atmosphäre. “Fühlt Euch bitte wie zuhause”, sagt Mohammad, der ganz gut Englisch spricht. Und genau das machen wir. Während Fatameh fast stündlich schwarzen Tee serviert, gehen Nachbarn, Freunde und Familie im Hause Jalali ein und aus. Übrigens: Die Zuckerstückchen, die zum Tee gereicht werden, verrührt man im Iran nicht mit dem Tee, sondern legt sie sich beim Trinken auf die Zunge. Nachdem wir auf dem Wohnzimmerteppich lecker zu Mittag gegessen haben, legen wir uns erst einmal ins Nebenzimmer auf die Matratzen. Später schlendern wir mit unserem Gastgeber durchs Dorf. Dabei lernen wir seine unkonventionellen Ansichten über das Leben im Iran kennen. Er ist nicht der Einzige, den wir treffen, der sich mehr Modernität und weniger dubiose Vorschriften wünscht. Warum dürfen Männer Frauen außerhalb der Familie nicht die Hand geben? Warum ist ein Glas Wein nicht erlaubt? Und warum dürfen Iranerinnen kein Motorrad fahren? Und warum…
Am nächsten Morgen steht ein Familienausflug zu den Sanddünen – etwa fünfzig Kilometer Fahrt in die Wüste – auf dem Programm. Bevor es losgeht, wundert sich Micha über die Motorräder. Reeza hat heimlich den ölverschmierten Vergaser und Motorblock an beiden Emmen geputzt. Jetzt stehen beide Männer davor und grinsen um die Wette. Solange die Sonne noch nicht zu heiß brennt, fahren wir als Karawane aus Toudeshk davon und toben uns wenig später in den gewaltigen, feinen Sandhügeln aus. Allerdings ohne Emme. Die lassen wir am Rande der Dünen stehen. Am Nachmittag nehmen wir dann dankend Abschied von Familie Jalali. Dreißig Tage Aufenthalt sind nicht genug für den Iran und Isfahan wartet. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Isfahan: Iranische Frauen und andere Sehenswürdigkeiten

Isfahan – Irans Meisterstück, ein Juwel des alten Persiens und eine der schönsten Städte der islamischen Welt. So beschreibt es der Reiseführer. Und Isfahan ist ziemlich groß. Offiziell mehr als anderthalb Millionen Einwohner auf 1574 Meter über dem Meeresspiegel. Wir fahren immer geradeaus auf der zweispurigen Allee in die Stadt ein, bis wir irgendwann im Zentrum sind und vorm Amir Kabir Hostel landen. Auf dem Weg zum Tante-Emma-Laden spricht uns die Iranerin Sinim in Deutsch auf der Straße an: “Seid Ihr aus Deutschland?” Ja, sind wir. Und ruckzuck haben wir eine Verabredung für den kommenden Vormittag um Neun. Sinim, 47 Jahre alt, geschieden und Mutter einer 13- und 14jährigen Tochter, arbeitet im Frühjahr und Herbst als Reiseleiterin und ist eine echte Powerfrau. Sie nimmt sich den ganzen Vormittag für uns Zeit, um uns die Sehenswürdigkeiten um den berühmten Imam-Platz zu zeigen und uns mehr über die vorislamische und islamische Geschichte ihres Landes zu erzählen. Neben der beeindruckenden Imam-Moschee und der Tatsache, dass der Imam-Platz der zweitgrößte Platz der Welt ist und vor vierhundert Jahren unter anderem als Polospielfeld diente, interessiert uns vor allem, was Sinim über sich selbst erzählt. Sie war kurz nach der iranischen Revolution Ende der Siebziger Jahre wegen politischen Engagements in einer Frauenpartei zwei Jahre lang im Gefängnis. Vom Ehemann und Vater ihrer beiden Töchter hat sie sich gegen alle Widerstände scheiden lassen und lebt heute unabhängig. “Der Weg der Scheidung ist sehr hart, aber danach gibt es glücklicher Weise hilfreiche Gesetze, die die Frauen schützen”, sagt sie. Ihre beiden Schwestern leben seit langem in Berlin und sind mit deutschen Männern verheiratet. Sinim bleibt lieber im Iran, obwohl sie per Gesetz zum Hejab, der iranischen Kleiderordnung, verpflichtet ist und als leidenschaftliche Sängerin nicht öffentlich auftreten darf. “Im Iran gibt es noch viel zu tun”, so ihre Begründung. In der anstehenden Präsidentschaftswahl Mitte Juni sieht sie allerdings keine Chance auf schnelle Veränderungen seitens der Politik. Der vom Volk gewählte Präsident und seine Regierung haben eher repräsentativen Charakter. Entscheidungen treffen die Mullahs, religiöse Machthaber höheren Alters, die im Hintergrund die Fäden in der Hand halten.
Sinim liebt ihre Religion, die Kultur und vielfältige Vergangenheit ihres Landes. Das merkt man ihr an. Sie würde uns noch den ganzen Tag lang begleiten, aber wir haben in vier Stunden soviel Informationen aufgenommen, dass wir eine Pause brauchen. Nach dem gemeinsamen Mittagessen und einem Glas Tee in einem versteckten Restaurant im Basar verabschieden wir uns von ihr. Khoda Hafez! Auf Wiedersehen! Und alles Gute!

MZ-Treffen in Isfahan

Im Hotel sind noch andere Motorradfahrer abgestiegen: das Münchener Ehepaar Cäcilia und Gunter auf ihren BMWs, die im respektablen Alter von dreiundsechzig und neunundsechzig Jahren noch mal eine dreimonatige Überlandreise in die Mongolei machen. Außerdem treffen wir Alexej aus Moskau auf seiner Honda, der überhaupt nicht verstehen kann, wieso wir uns den Ritt auf der alten Emme antun. Umso mehr versteht das Ali, ein iranischer MZ-Fan, der bei unserer Abfahrt aus Isfahan mit seiner MZ ETZ 150 vor dem Hotel wartet und unsere Mopeds bestaunt. Seine MZ-Garage ist gleich um die Ecke. Fröhlich wie ein kleiner Junge über das MZ-Treffen zeigt er uns seine Sammlung von weiteren Motorrädern aus Zschopau und sämtlicher Ersatzteile. Seine liebe Familie bereitet derweil ein Mittagessen für uns zu und eine Freundin wird geholt, um ins Englische zu übersetzen. Ihre Verhüllung in einen schwarzen Chador darf übrigens nicht täuschen: Als Taekwondo-Profi mit Kopftuch und Teammanagerin reist sie im August dieses Jahres zur Weltmeisterschaft nach Japan. Frauenpower im Iran. Kurz bevor wir weiter wollen, besteht Ali noch auf eine von ihm spendierte Tankfüllung und führt uns danach auf den richtigen Weg nach Kashan.

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Zentral-Iran: Von der Höhle in die Höfe /zentral-iran-von-der-hoehle-in-die-hoefe/ /zentral-iran-von-der-hoehle-in-die-hoefe/#comments Wed, 27 May 2009 18:21:33 +0000 /?page_id=2703 In einer Moshee in Yazd, Iran (c) emmenreiter.de

In einer Moschee in Yazd, Iran 2009 © emmenreiter.de

Meymand: Wohnen wie Fred und Wilma

Zweitausend, dreitausend oder viertausend Jahre – die Iraner sind sich nicht einig, wie alt das Höhlendorf Meymand ist. Von den Kaluts aus sind wir den ganzen Tag lang dorthin unterwegs. Als wir ankommen, sind nicht viele Leute zu sehen. Das Dorf wirkt wie eine Märchenkulisse. Die wenigen Familien, die noch wie eh und je in Meymand leben, haben sich in einige der 2560 dunklen Höhlen verkrochen. Im Sommer ziehen manche Familien mit ihren Schafen in einfache Hütten auf nahe Weideflächen um.
Yaser, ein junger Familienvater und echter Meymander, fängt uns auf der ruhigen Straße ab und lädt uns in sein Höhlenhaus ein. Eigentlich suchen wir nach einem Plätzchen, wo wir unsere eigene Höhle aufstellen können, aber Yaser besteht auf unseren Besuch. Er spricht ein paar Worte Englisch und macht einen kindlich-wissbegierigen Eindruck. Seine beiden fünfjährigen Zwillingssöhne, seine Frau, Schwiegermutter, Uroma und die Henne mit ihren zehn Küken bewohnen mindestens drei Höhlen. Davon ist eine für Besucher wie uns reserviert. Wir ziehen in die Höhle ein, die tausende Jahre zuvor von Menschenhand in den Berg geschlagen wurde. Keine Ahnung, wie alt die schwere, dicke Holztür am Eingang ist. Die Decke im Innern ist schwarz vom Feuer. Auf dem Boden sind traditionelle Teppichfetzen ausgelegt. An die Felswand ist ein Lampenkabel genagelt. Es gibt also Strom und nebenan sogar einen Kühlschrank. Genauso wohnt Familie Feuerstein! Müde vom Fahrtag legen wir uns früh auf den Höhlenboden und schlafen fest ein: Gute Nacht, Fred. Gute Nacht, Wilma.
Wir schleichen den ganzen nächsten Morgen durchs Dorf und werfen erstaunliche Blicke in die verlassenen und noch bewohnten Höhlen. Die Frauen in Meymand wirken wie Fabelwesen. Die alte Salma ist gerade vom Kräutersammeln zurück und brüht uns frischen Kräutertee auf. Die Meymanderinnen sollen für ihre Kräuterkenntnisse bekannt sein. Yasers Schwiegermutter sitzt später den ganzen Abend vor unserer Höhle und backt unglaublich leckeres Brot am Feuer. Wir fühlen uns wirklich in eine andere Zeit versetzt. Trotzdem vermissen wir nichts. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Yazd: Zurück auf der Seidenstraße

Die Altstadt von Yazd – so haben wir uns iranische Städte vorgestellt. Ein Meer aus flachen Lehmziegelhäusern durchzogen mit ockerfarbenen Mauern und schmalen, krummen Gassen, in denen schwarze Gestalten in wehenden Gewändern um die Ecken huschen. Fast jeder hat uns empfohlen, im Silkroad Hotel zu übernachten. Es ist eines der stilvoll restaurierten, traditionellen Häuser in der Altstadt. Versteckt hinter einer hohen Lehmwand offenbart sich ein gemütlicher, heller Hinterhof, um dessen Brunnen in der Mitte sich die typischen, mit orientalischen Teppichen und Kissen bestückten Essbetten verteilen. Schmale Flügelholztüren an allen Seiten des Hofes führen direkt in die Gästezimmer. Empfangen werden wir von einem Pakistaner – und von Geert! Er hilft hier seit ein paar Tagen im Restaurant aus und darf so kostenlos essen und wohnen. Ohne Brille und so schniecke gekleidet in Jeans und Hemd haben wir ihn erst fast gar nicht wieder erkannt. Eine nette Überraschung. Wir ziehen aus Kostengründen (und weil es angenehm kühl ist) ins sog. Dormitory ein. Für etwa vier Euro pro Nase teilen wir uns einen Raum im Untergeschoss mit sechs anderen jungen Reisenden – aus Belgien, Holland, Indien, Mexico, Frankreich… Neue Kontakte sind eine nette Abwechslung zur Zweisamkeit.

Windtürme in Yazd: Eine coole Erfindung

Das Klima in Yazd ist erträglich. Trotzdem sind ab dem frühen Nachmittag bis sechs Uhr abends die Straßen fast leer und viele Läden verschlossen. Siesta in Yazd. Um besonders im Sommer der Hitze zu entkommen, hat man in Yazd vor langer, langer Zeit die Windtürme (Badgirs) erfunden. Sie fangen kleinste Windstöße über den Dächern der Altstadt auf und leiten sie direkt in die darunter liegenden Räume. In manchen Badgir-Varianten strömt die Luft vorher über ein Wasserbecken.
Yazd ist nicht nur bekannt für Windtürme und Seide, sondern auch das zuhause von der Mehrzahl der iranischen Zoroastrianer. Der Zoroastrismus war die Hauptreligion in Persien, bevor das Reich zum Islam konvertierte. Ihr Führer Ahura Mazda wird über das Licht angebetet – gewöhnlich über ein Feuer. Im Feuertempel in Yazd – im Ateshkadeh – brennt seit mehreren hundert Jahren symbolisch die ewige Flamme. Wir klettern auf die beiden Türme der Stille, gelegen auf zwei Felshügeln am Stadtrand von Yazd. Hier wurden bis in die Sechziger Jahre nach traditioneller Weise verstorbene Zoroastrianer den Vögeln zum Fraß dargelegt. Ein Begräbnis in der Erde oder eine Verbrennung der Leiche hätte ihrem Glauben nach der Reinheit der Elemente geschadet. Zoroastrianerinnen tragen niemals einen Chador, beugen sich aber ansonsten den weiblichen Kleidungsvorschriften (Hejab) im Iran.

Abendgebet im Bettlaken

Es ist etwas gewöhnungsbedürftig für Suse, jederzeit ans Kopftuch zu denken. Und als wir zum Abendgebet in die beeindruckende Jameh Moschee gehen, reichen nicht mal ein Kopftuch und das fast knielange Oberteil aus. Suse muss sich in ein helles Bettlaken bis zum Boden einhüllen, das ihr der Sittenwächter am Eingang behilflich über den Körper wirft. Sie hätte lieber ein Schwarzes bekommen, um nicht sofort aufzufallen. Micha darf bequem in Jeans und Shirt im Innenhof der Moschee umherschleichen, während ein alter Mann im Sprechgesang aus dem Koran liest. In Yazd lassen sich wirklich ein paar schöne Tage verbringen. Aus Indien und Pakistan kommend wirkt alles so geordnet, sauber und leise. Ein merklicher Schritt in Richtung Heimat. Salam!

Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten

Am letzten Abend in Yazd entdecken wir vorm Hotel einen geparkten Jeep mit PR-Kennzeichen. Unglaublich, noch andere Prignitzer unterwegs in Yazd?! Am Abend sitzen dann die Drei im Innenhof des Silkroad Hotels und erkennen uns dank Website sofort: Micha, Carina und Hund Roxy aus Lanz sind seit zwei Monaten im Landrover nach Indien unterwegs. Eine herzliche Umarmung – und auf einmal ist uns die Prignitz näher als der Iran. Aber es gibt auch schlechte Nachrichten. Geert erzählt uns, dass vor ein paar Tagen ein Franzose, den er in Islamabad kennen gelernt hat, in Pakistan entführt worden ist. Wahrscheinlich haben ihn Drogenschmuggler aus seinem Wohnmobil verschleppt, als er zwischen Quetta und der iranischen Grenze unterwegs war. Ein mulmiges Gefühl kommt in uns auf. Wir haben kürzlich dieselbe Strecke genommen, uns aber relativ sicher gefühlt. Die afghanischen und iranischen Grenzgebiete bergen trotz Polizeiposten an der Straße immer noch ein Risiko.
Mit neuen Flicken auf den alten, abgerittenen Jeans und endlich abgesägtem Gips an Michas Daumen machen wir uns von Yazd aus auf die Socken nach Toudeshk – ein Dorf am Rande der Wüste hundert Kilometer vor Isfahan.

Reise-Abenteuer: Von der Haustür zum Himalaja und zurück
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Iran: Lehmstädte und Wüstenschlösser /iran-lehmstaedte-und-wuestenschloesser/ /iran-lehmstaedte-und-wuestenschloesser/#comments Mon, 25 May 2009 18:18:36 +0000 /?page_id=2698 Kaluts-Iran_800x536

Verkehrshindernis MZ

Die Polizei hängt sich wieder an uns ran, als wir Zahedan verlassen. Diesmal mit eigenen Pickups – mal kilometerweit voraus, mal ein paar Meter hinter uns. Der mehrmalige Wechsel der Eskorte klappt zum Glück besser als zwischen Grenzstation und Zahedan. Erstmals durchqueren wir die Wüste Lut – für etwa zweihundert Kilometer. Unsere Emmen durchschneiden ofenheißen Wind. Jeanshose und Motorradstiefel scheinen zu glühen vor Hitze. Der Ring an Michas eingegipster Hand, über die kein Handschuh passt, hinterlässt eine richtige Brandspur am Finger. Wenn der Wind nicht von vorne kommt, fliegen wir mit 85 oder 90 km/h über den iranischen Asphalt. Und im Unterschied zu Pakistan und Indien sind wir damit nicht an der Spitze, sondern lahmarschige Hindernisse für die überholenden Laster, Busse und Autos. Eine echte Umstellung. Fast jede iranische Frau trägt ein alles umhüllendes, schwarzes Gewand – den Chador. Die Männer, die wir sehen, sind meistens „westlich“ gekleidet. Außer die iranischen Balutschen – sie tragen wie in Pakistan und Afghanistan ihr traditionelles Shalwar Kameez und deren Frauen sind etwas farbiger gekleidet.

Bam: Eine Stadt im Trauma

Wir kommen am frühen Nachmittag in Bam an und freuen uns trotz hoher Temperaturen auf ein bisschen Entspannung. Im provisorischen Gasthaus, wo wir auch Geert aus Holland wieder treffen, empfangen uns der Besitzer Akbar und sein Sohn Mohammed mit frischem Tee und gutem Englisch. Ich darf sogar mein Kopftuch abnehmen, unter dem sich ziemlich schnell die Wärme staut.
Unsere Stimmung nach den ersten zwei Tagen im Iran ist etwas trübe. Wir haben Pakistan nicht gern verlassen und müssen uns erst wieder an ein neues Land und seine Menschen gewöhnen. Die chaotischen Sicherheitsvorkehrungen in Zahedan waren kein gelungener Start. „Ab Bam könnt ihr den Iran viel besser genießen”, hieß es. Mal sehen, ob die Stadt, die vor sechs Jahren ein so harter Schicksalsschlag getroffen hat, unser Gemüt wirklich aufmuntern kann. Ein Erdbeben der Stärke 6,8 hat im Dezember 2003 um fünf Uhr morgens die Stadt in Staub und Schutt verwandelt. Auch Bams einstiges, weltberühmtes Wahrzeichen mit den 38 Türmen – die Lehmstadt Arg-e Bam – wurde nach zweitausend Jahren in ein paar Augenblicken dem Erdboden gleich gemacht. Wir wollen uns das Arg-Gelände ansehen und fahren mit den Mopeds auf neuen Straßen dorthin. Überall in Bam wird immer noch gebaut. Die Stahlträgergerüste der unfertigen Häuser sehen etwas gespenstisch aus. Auch das Arg ist eine riesige Baustelle, aber für Besucher rund um die Uhr begehbar. Hier lassen sich die Ausmaße des Erdbebens nur noch erahnen. Spezialisten aus der ganzen Welt haben jede Einzelheit in der Ruine nummeriert. Am gigantischen Wiederaufbau ist auch das Auswärtige Amt mit seinem Kulturerhaltprogramm beteiligt.
Nach einer kurzen Weile im Gästehaus erkennen wir leider auch die dünne Fassade von Akbar und seinem Sohn. Sobald das Wort Erdbeben fällt, ist die Stimmung spürbar deprimierend. Kein Wunder, denn wie viele Überlebende trauern sie immer noch um Familienangehörige und Freunde. „Unser Leben ist eine Tortour”, sagt Akbar. Es wird noch viele Jahre dauern, bis die Lebensfreude wieder nach Bam zurückkehrt. Wir fühlen uns etwas unbeholfen und unwohl und machen uns daher auf die Weiterreise.

Lehmstadt in Rayen

Beim Tanken in Bam gabelt uns leider schon wieder ein Polizist auf, der uns natürlich schnell noch eine Eskorte organisiert. Der Tankwart verkauft uns Benzin zum üblichen Schwarzmarktpreis für Ausländer, d.h. 4.000 Rial pro Liter (etwa 30 Cent). Unser Tagesziel ist Rayen – eine grüne Kleinstadt am Fuße des Hezar-Bergs (4420m). Das Klima hier ist herrlich und der kühle Fahrtwind ein Genuss. Die Menschen auf der Straße sind etwas fröhlicher. Der nette Gastwirt mit dickem Bauch aus dem einzigen Hotel in Rayen begrüßt uns mit frischen Süßkirschen aus dem Garten. Wir bleiben nur einen Tag an diesem Ort und besuchen dessen tausend Jahre alte Lehmfestung. Vor zehn Jahren wurde das so genannte Arg-e Rayen restauriert. Die Mauern und Wände sind mit einer traditionellen Mischung aus Lehm und Stroh verputzt. Da wir außer einer Familie aus Frankreich die einzigen Besucher sind, können wir in Ruhe die einfachen Behausungen der damaligen Bewohner, das alte Badehaus und die nobleren Gemäuer des Governeurs durchstreifen. Auf dem Weg durch die Stadt muss sich die Emme einem kleinen Rennen mit der Isch stellen. Im Iran ist der russische Zweitakter ziemlich oft zu sehen. Ratet mal, wer gewonnen hat? [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Mahan – zu deutsch: Vollmond

18. Mai. Ein besonderer Tag. Heute vor einem Jahr hat unser Abenteuer begonnen. 365 Tage, von denen wir keinen einzigen missen möchten. Auch nicht die, an denen uns Parasiten im Darm gequält, rauhe Pisten die Kraft geraubt oder die Hitze uns niedergeschlagen hat. Wir haben uns an ein Leben gewöhnt, in dem jeden Tag was Neues passiert. Das Jubiläum werden wir in Mahan verbringen – in der hundertsiebzig Jahre alten Karawanserei neben dem Aramgah-e Shah Ne`matollah Vali Mausoleum. Auf der Fahrt dorthin weht mal wieder ein kräftiger Wind übers iranische Land. Es ist so kalt, dass wir auf den Mopeds anfangen zu bibbern – ein Gefühl, dass wir kaum noch kennen, seit wir Deutschland verlassen haben. Zum Frühstück in Mahan kaufen wir uns leckere iranische Sauerkirschmarmelade, die wir in der Sonne sitzend mit Frischkäse auf Brot verschlingen. Die alte Karawanserei ist eigentlich nicht auf Gäste eingestellt. Trotzdem schlagen wir unser Lager in einer unmöblierten, staubigen, aber original restaurierten Kammer auf. Nach einem Rundgang auf dem Dach des Mausoleums, das uns mit seiner sandfarbigen Architektur und den türkisblauen Kacheln sofort an Usbekistan erinnert, fahren wir noch zum oasenartigen Prinzengarten am Rande von Mahan – zum Bagh-e Shahzde. Dort lädt uns eine muntere Gruppe iranischer Studenten spontan zum Picknick ein und bringt uns ein paar erste Worte Farsi bei. Wir verabschieden uns mit „Khoda Hafez!” und fahren im Sommergewitter zurück zur Karawanserei.

Kermani gleich Germany?

Von Mahan nach Kerman sind es nur 35 Kilometer – eine kurze Etappe. Die Kermaner erzählen uns, Kerman sei mit siebentausend Jahren nicht nur die älteste Stadt im Iran, sondern in der ganzen Welt. Wir glauben, dass die Stadt Yazd dasselbe behauptet. Und auf die Frage, was die Kermaner über Deutschland denken, bekommen wir die Antwort: „Kermani is Germany!” Und sie meinen es ernst: Angeblich stammt der Begriff German von Kerman (damals Cerman) ab – und die Kermaner und Deutschen gehören zur selben “Rasse”. „Wir sind Brüder, wir sind Arier!”
Wir steigen im billigen Omid Hotel nahe dem beliebten Basar-e Sartasari und der Freitagsmoschee ab. Auf über einem Kilometer Basarstraße – teilweise siebenhundert Jahre alt – findet man in den historischen, teilweise überdachten Arkaden Dinge wie traditionelle Kupferware, (meistens schwarze) Stoffe, tausend gut riechende Gewürzarten, einheimisches Gemüse, supersüße Backwaren, billig gefälschte Markensonnenbrillen und natürliche echte Kerman-Teppiche. Kerman war schon immer ein wichtiges Handelszentrum in Asien und der Basar ist nach wie vor das Herz der Stadt. Im Omid Hotel versucht uns der schmale Mann hinterm Rezeptionstisch mit einer Preisliste auf persisch ein Doppelzimmer zum doppelten Preis zu verkaufen. Zwar haben wir mittlerweile die persischen Zahlen gelernt, aber das hilft uns nicht unbedingt weiter. Mit dem Wort „Mosafer” (zu deutsch: Reisender) versuchen wir, zumindest näher an den richtigen Preis zu kommen. Denn ein meist unterbemittelter Mosafer ist etwas anderes als ein reicher Tourist.

Kaluts: Mit Hussein in die Wüste

In einer Karawanserei nahe dem Basar treffen wir Hussein Vatani – ein alter Hase im Touristengeschäft. Er überredet uns schnell zu einem spontanen Ausflug in die Wüste. Genauer in die Kaluts – ein Teil der Wüste Lut etwa hundert Kilometer von Kerman entfernt, in der die Erosion auf einer Fläche von 145 Kilometer Länge und achtzig Kilometer Breite einzigartige Gebilde aus Stein und Sand hinterlassen hat. Hohe Sandschlösser wie auf einem anderen Planeten – so weit das Auge sehen kann. Wir steigen in Husseins altes Auto, kaufen vorher zu Essen ein und fahren durch eine tolle Berglandschaft in die trockene Wüste. Dabei passieren wir erst den kältesten und dann den heißesten Teil der Kermanregion. In Schadad am Rande der Wüste gabeln wir noch Ona und Gorka aus Andorra auf. Die beiden bilden zusammen mit Hussein eine echt unterhaltsame Truppe. In der Abenddämmerung kommen wir in den Kaluts an. Der Sonnenuntergang verwandelt die Wüstenschlosslandschaft in eine unglaubliche Umgebung. Und hier mittendrin hat Hussein einen Teppich ausgebreitet und kocht nun für uns bis Mitternacht die kermanische Spezialität: Kashk o bademjun. Ein Brei aus Auberginen und anderem Gemüse mit Gorgonzola ähnlichem Weichkäse und mindestens zwanzig Knoblauchzehen verfeinert. Seit wir im Iran sind, ist das Wasser unbedenklich und die Verdauung zu unserer Freude endlich wieder normal. Aber das späte Essen zwingt mich dazu, nachts ein paar Löcher in die Wüste zu buddeln. Hussein ist leidenschaftlicher Reiseleiter – ein witziger, charmanter und keines Falls konservativer Kermaner. Gorka und er unterhalten uns im Wechsel mit Witzen. Danach schlafen wir direkt unter der Milchstraße ein – ohne Mond und ohne ein einziges Geräusch.

MZ-Ausflug zu den Sandschlössern

Zurück in Kerman treffen wir den Italiener Andrea auf seiner BMW und zwei Dänen – Maybrit und Morton – mit ihrem nagelneuen Landrover im Hotel. Mit ihnen machen wir gleich noch mal einen Trip in die Kaluts – diesmal nehmen wir die MZ mit. Der lange Anstieg über den Pass bremst die Zweitakter teilweise auf vierzig km/h aus, doch unser kleiner Konvoi bleibt brav zusammen. Eigentlich machen uns die mühevollen Aufstiege mit der Emme nichts aus, aber mit einer BMW im Rückspiegel kommt es uns vor, als würden wir auf einem sturen Esel über die Straße traben. Der Sand in der Wüste ist zum Glück ziemlich fest, so dass die Mopeds kaum ins Schleudern kommen. Selbst um sieben Uhr abends, als die Sonne schon weg ist, sind es immer noch 39 Grad. Der trockenheiße Wüstenwind ist völlig abgeflaut. Wieder schlafen wir auf Wüstensand ein und sehen riesige Sternschnuppen vom Himmel fallen. Am nächsten Morgen um Sieben trennt sich unser Konvoi: Andrea, Maybrit und Morton wollen nach Bam und Pakistan weiter. Wir düsen ab ins alte Höhlendorf Meymand.

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Mit Gegenwind in den Iran /mit-gegenwind-in-den-iran/ /mit-gegenwind-in-den-iran/#comments Sat, 16 May 2009 18:16:23 +0000 /?page_id=2694 Kachelstruktur

Abschied von Quetta

Quetta erscheint uns im Vergleich zu allen anderen Städten in Pakistan viel ruhiger und geordneter. Obwohl es hier auch Viertel gibt, in die sich nicht einmal die Polizei traut. Ansonsten sind die Uniformierten mit der Kalaschnikow um die Schulter überall zu sehen. Bei jedem noch so schnellen oder kurzen Gang in die pakistanische Variante des Tante-Emma-Ladens oder ins Restaurant um die Ecke, zum Brotbäcker oder Internetschuppen: Fremde schütteln uns jedes Mal die Hand, wollen zum Tee einladen oder bieten einfach ihre Hilfe an. Einige Rikschafahrer, mit denen wir vorher erst noch eine Weile um einen fairen Fahrpreis verhandelt haben, verweigern uns bei Ankunft am Ziel dann die Bezahlung mit der Begründung, dass sie ebenfalls Christen seien. Auf dem Sonnenschutz hinter ihrer Windschutzscheibe klebt tatsächlich ein glänzend-bunter Jesusaufkleber.
Als wir im Telefonshop versuchen, bei der Zeitung “Daily Khabrain” um eine Kopie des Interviewartikels aus Rahimyar Khan zu bitten, übernimmt Sultan – ein junger Pakistaner, der gerade daneben steht – spontan das Gespräch auf Urdu. Die folgende Einladung zum Abendessen in seiner Wohnung dürfen wir natürlich nicht ausschlagen. Um halb Zehn sitzen wir bei ihm auf dem Teppichboden und lassen uns besonders das Dessert – Vanillepudding mit rotem Gelee – schmecken. Nebenbei erzählen wir ganz offen mit ihm über seine Arbeit bei der UN-Flüchtlingshilfe und die aktuelle, politische Situation in Pakistan. Natürlich will er auch alles über das MZ-Abenteuer wissen. Als wir uns um Mitternacht mit vollem Magen verabschieden, kann unsere ehrliche Dankbarkeit für die nette Einladung seine offensichtliche Freude, uns zu Gast gehabt zu haben, nicht übertreffen. Am nächsten Vormittag fahren wir ungeduldig zum DHL-Büro in Quetta. Die Expresssendung mit den Iranvisa liegt glücklicherweise im Regal. Morgen früh kann uns dann nichts mehr aufhalten: Nur noch 720 Kilometer bis in den Iran. Der Engländer Peter auf seiner Enfield und die beiden Franzosen, die mit der Autorikscha von Kalkutta nachhause tuckern, sind bereits heute früh von hier aus gen Iran vorausgefahren. 13. Mai. Kurz vor Sonnenaufgang. Michas Knöchel ist noch rechtzeitig abgeschwollen und passt wieder in den Wanderschuh. Vorsichtig kickt er die Emme an…Tschüss, Quetta!

Die Emmen im Sandsturm

Viele Reisende, die aus dem Iran nach Pakistan kamen, haben uns vor der schlechten Straße von Quetta nach Dalbandin gewarnt. Wir rechnen mit dem Schlimmsten und stellen zum Glück fest, dass die Bezeichnung “schlechte Straße” sehr relativ ist. Aus dem Iran kommend, ist man scheinbar ziemlich verwöhnt. Die Straße NH 40 schlängelt sich erst durch kahle Berge und geht später kilometerlang geradeaus – durch eine dürre Landschaft und vorbei an vereinzelten, flachen Lehmhüttensiedlungen. Die Temperaturen steigen mit jeder Stunde an. In der Wüstenhitze flirrt die Luft am Horizont und spiegelt den Himmel wie einen See wieder. Auf der Strecke kommen wir an mehreren Passportkontrollen zum Stehen. Die Männer vom Checkpoint hocken in kleinen, schattigen Lehmhäuschen am Straßenrand und spannen das Stahlseil, sobald sie die Emmen sehen. Fast immer folgt eine Einladung zum schwarzen Tee mit Zucker, die wir nicht immer annehmen können.
350 Kilometer und acht Stunden später erreichen wir mit trockenen Mündern das Wüstenkaff Dalbandin, das ein unerwartet gutes Hotel hat. Wir tanken erstmals geschmuggeltes Benzin aus dem Iran, das aus Kanistern am Straßenrand erhältlich ist. Andere Quellen außer dem Schwarzmarkt gibt es nicht. Nach einer schwülwarmen Nacht in Dalbandin brechen wir im Morgengrauen auf zur Grenze. Müde meistern wir das erste Drittel der Etappe. Plötzlich sind wir hellwach: Ein kräftiger Sandsturm von links zwingt die Mopeds in die Schräglage. Und es kommt noch schlimmer – der Wüstenwind dreht auf frontal.
Mit den großen Alukoffern haben die Motorräder eine Aerodynamik wie eine Schrankwand. Der Gegenwind bremst die Motoren bis auf den dritten Gang aus. Nach vorn gebeugt, drehen wir wütend den Gasgriff bis zum Abschlag und schaffen trotzdem nur 55 km/h. Der feine Wüstensand kriecht unter den Helm bis ins Ohr und Verwehungen auf der Straße bringen die Emmen ab und an ins Schleudern. Die Fahrt von Dalbandin nach Taftan wird zu einer der schlimmsten Etappen auf der Reise. Wir schaffen es bis zum Mittag an die Grenzstation in Taftan. Der Sturm ist in einen Wind abgeflaut. Die Pakistaner im Zollhaus sind bis zur letzten Sekunde liebenswürdig und verabschieden sich mit kalten Getränken, Tee und Keksen. “Ab da drüben musst Du immer ein Kopftuch tragen!”, lautet der letzte Satz, bevor wir durchs iranische Grenztor fahren.

Ankunft im Iran: Eskorte per Anhalter

Im iranischen Passagiergebäude herrscht reges Treiben. Iraner und Pakistaner hieven hunderte Taschen und Säcke durch die Gepäckkontrolle. Am Passportschalter zieht der Beamte unsere Pässe ein und lässt nur das Wort “Escort” fallen. Hier spricht fast niemand Englisch – daran müssen wir uns erst wieder gewöhnen. Und auch an den Rechtsverkehr. Wir warten etwa eine Stunde auf den so genannten Bodygard: ein 19-jähriger, schmächtiger Soldat – ohne Waffe, ohne Funkgerät und ohne Ahnung. Er will auf Michas MZ aufsteigen und uns die 85 Kilometer nach Zahedan begleiten. Ansonsten könnten wir auch sein Taxi bezahlen. Spinnt der? Kommt gar nicht in Frage!
Wir erledigen die Zollangelegenheiten und wollen ohne Eskorte abhauen, aber keine Chance. Es startet ein Nerven aufreibendes Hin und Her -am Ende fährt der Typ, der uns vor Schmugglern und Entführern schützen soll, doch tatsächlich per Anhalter voraus und verschwindet aus dem Blickfeld. Wir sind den Iranern auf der Straße wohl zu langsam. Beim Eskortenwechsel auf halber Strecke dasselbe Theater zum zweiten Mal. Der letzte Soldat der Eskorte sitzt zwischen Schafen auf einem klapprigen Pickup, als wir hinter ihm her Stunden später in Zahedan einfahren.
In Zahedan löst die lokale Polizei die Begleitung ab – immerhin mit eigenen Fahrzeugen – und wechselt leidlich etwa alle fünfhundert Meter. Wir sind genervt, ausgetrocknet und müde. Von der Grenzstation bis zur Ankunft im Amin Hotel sind sechseinhalb Stunden vergangen. Bevor wir wie Steine ins Bett fallen, belohnen wir uns mit einem halben Kilogramm weichen Fetakäse auf frischem Fladenbrot. Die erste Malzeit des Tages und die Rettung des Abends.

Tahereh – kurzer Lichtblick in Zahedan

Morgens wartet schon wieder die Polizei vorm Hotel, als wir aus Zahedan fliehen wollen. Auf der Suche nach einer Tankstelle wollen uns die Herren Benzin für das Achtfache auf dem Schwarzmarkt andrehen. Doch das Schicksal meint es gut und schickt Tahereh. Die Iranerin fährt zufällig im Auto vorbei, erkennt uns und hält an. Wir hatten sie und ihren Mann von Quetta aus per E-Mail kontaktiert, um sie nach einem billigen Gasthaus zu fragen. In Zahedan sind Ausländer nämlich nur in den teuren Hotels erlaubt. In dem gestrigen Desaster hatten wir total vergessen, uns bei den Beiden wie verabredet zu melden, sobald wir in der Stadt angekommen sind. Verschämt begrüßen wir Tahereh und dank ihrer Hilfe tanken wir umgehend Benzin zum subventionierten Preis – fünfundvierzig Liter für umgerechnet drei Euro. Eine kurze, aber unglaublich nette Begegnung! Schade, dass wir es gestern Abend vermasselt haben. Die Eskorte drängelt und will weiter. Sie wird uns noch bis Bam “beschützen”. Auf nach Bam…

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