Kambodscha – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Thu, 06 Jun 2019 06:05:06 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Kambodscha – eMMenreiter 32 32 Kambodscha: Über die Kardamomberge ans Meer /kambodscha-kardamomberge-otresbeach/ /kambodscha-kardamomberge-otresbeach/#comments Wed, 26 Apr 2017 10:26:44 +0000 /?page_id=12366 MZ am Otresbeach in Kambodscha

Otresbeach: Endlich Strandsand unter den Rädern © emmenreiter.de

Abschied aus Siem Reap

Siem Reap, 24. Februar 2017. Die letzten Tage waren unheimlich schwül und der Schweißfilm auf der Haut ist ein Dauerzustand. Seit gestern früh um fünf treiben uns außerdem die schmerzenden Lautsprecherklänge einer Hochzeit in der Nachbarschaft fast in den Wahnsinn. Da helfen auch keine Ohrenstöpsel.
Micha wischt den Staub von den MZ-Sitzbänken – in den letzten drei Wochen, die wir bei Ken gewohnt haben, sind wir eher Fahrrad als Motorrad gefahren. Heute Vormittag nehmen wir nun Abschied und reisen weiter in Kens eigentliche Heimatstadt: nach Battambang. Es fühlt sich gut an, wieder auf der Emme zu sitzen. Fahrtwind strömt durch unsere halboffenen Motorradjacken. Nicht mal der Platten an Michas Hinterrad, den wir kurz hinter Siem Reap noch schnell beseitigen müssen, kann unseren Fahrspaß bremsen.

Kardamomberge: Stopp bei Mister Lim

Nach drei Tagen in Battambang steuern wir auf das Kardamomgebirge zu, das für seine artenreichen Regenwälder bekannt ist, die in Südostasien immer seltener werden. Hinter den Bergen wartet dann endlich das Meer auf uns.
Bevor wir die Kardamomberge erreichen, biegen wir bei Pursat zunächst von der asphaltierten Hauptstraße auf eine lange Schotterstraße nach Westen ab. Eingestaubt landen wir nachmittags in Veal Veng – auch Pramaoy genannt. Es ist ein ziemlich hässlicher Ort. Die Hauptstraße mit dem Basar ist eine verstaubte Aneinanderreihung zusammengeschusterter Krämerläden. Dazwischen ein paar Straßenküchen mit Plastikstühlen in knallrot und blau. Zwei riesige Baumaschinen planieren gerade die rote Erde im Dorfzentrum – ein überdimensionierter Platz, auf dem Pisten aus vier Richtungen zusammentreffen. Wir entdecken einen Gasthaus-Wegweiser und fahren mit den Motorrädern vor. Das Zimmer kostet fünf Dollar die Nacht. Eine junge Frau führt uns lustlos bis ans Ende eines langen, dunklen Gangs zu unserem Schlafgemach. Außer uns ist niemand anderes in diesem trostlosen Gebäude.
Zu unserer Freude fahren am frühen Abend dann doch noch zwei weitere Gäste vor: Michael und Andrea. Die zwei sind einige Monate mit in Hanoi geliehenen Hondas in Südostasien unterwegs und grüßen uns herzlich mit „Ah, die Emmenreiter!“ Sie hatten vor ein paar Jahren einen Reisevortrag von uns besucht und erkannten uns sofort wieder – hier im Nirgendwo von Kambodscha.
Am nächsten Morgen biegen wir vier auf den schwierigeren Teil der Route ab: eine Berg- und Talfahrt durch den Kardamomdschungel bis ins Dorf Osoam. Ein chinesisches Unternehmen hat vor ein paar Jahren die Piste durch den Wald geschlagen, um einen Staudamm zur Stromgewinnung in die Berge zu bauen. Nach 40 Kilometern haben wir die abgeschiedene Siedlung erreicht. Der einstige Urwald, der sie umgab, fiel einer großflächigen Abholzung und einem Stausee zum Opfer. Das hat das Leben der Menschen in Osoam drastisch verändert.
Am Wegrand taucht ein blau gestrichenes Holzschild auf: „Welcome to O`soam Community Based Eco-agriculture Center steht da. Es weist auf ein Gehöft mit einigen Holzhütten, das von einem großen Garten umgeben ist. Hier bietet Mister Lim, wie ihn alle nennen, Besuchern eine Bleibe an.
Wer durch die Kardomomberge reist, wird um Mister Lim nicht herumkommen. Er hat sich als kreativer Unterstützer der Region einen Namen gemacht. Wir dürfen unser Zelt auf seinem Hof aufschlagen und lassen uns das leckere Essen schmecken, das seine Nachbarin hier für Besucher kocht. Die Zutaten stammen allesamt aus dem eigenen Bioanbau. Mister Lim selbst lernen wir erst am Abend kennen. Er ist Ende 30, verheiratet und hat eine kleine Tochter. Der Typ ist ein Energiebündel – das merkt man sofort. Es fällt ihm schwer, still zu sitzen. In seinem drahtigen Körper brodelt der Wille, Dinge besser zu machen. Seine Kindheit habe er in einem thailändischen Flüchtlingslager verbracht, erzählt er uns. Als er das erste Mal eine Schule betrat, sei er schon Teenager gewesen. Nachdem er Lesen und Schreiben gelernt hatte, reparierte er elektrische Geräte, um Geld zu verdienen, paukte nebenbei Englisch und bewarb sich später als Dolmetscher bei einem Projekt, das den Kardamomwald vor Wilderern schützt. 2012 gründete Mister Lim in Osoam sein eigenes Projekt. Er möchte den Einheimischen, die einst mit und von dem Regenwald lebten, neue Möglichkeiten geben, ihr Leben zu bestreiten – als Biobauern oder im Ökotourismus. In seinem Garten experimentiert Mister Lim mit ökologischer Landwirtschaft. Wer will, darf mitarbeiten und lernen. In seiner kleinen Hofschule können Kinder und Erwachsene außerdem Englisch lernen. Eines Tages könnten sie, wie Mister Lim, Touristen beispielsweise auf mehrtägigen Wanderungen durch den Dschungel führen. Denn jedes Jahr kommen mehr Besucher nach Osoam, um dieses Abenteuer zu erleben.

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Endlich Meer: Das Leben ist schön am Ananas Beach und da, wo der Pfeffer wächst

Wir haben die Berge überquert und am Horizont taucht endlich das Meer aus den Wolken auf. Nach einem Zwischenstopp in Koh Rong und Sihanoukville stranden wir mit den Emmen am Ananas Beach. Anna und ihre Familie betreiben hier ein kleines Bungalowparadies. Von unserer Hütte bis ins türkisblaue Wasser sind es nur wenige Schritte durch den weißen, weichen Sand. Der herrlich sanfte Wind vom Meer weht die Hitze ins Hinterland. Am Ufer hängt eine lange Schaukel vom Baum. Zum Sonnenuntergang wird der Strand mit kleinen Fackeln beleuchtet. Das hier ist der perfekte Ort für meinen Geburtstag.
Anna umsorgt uns wie eine Mama. Auch sie hat ein paar Tage später Geburtstag und lädt alle zu einem Abendessen mit Köstlichkeiten aus Frankreich ein: Leberpastete, Wein, Käse, Salami. Seit ihre Familie damals vor den Roten Khmer geflüchtet ist, lebt Anna in der Nähe von Paris. Genau wie ihr Ehemann, der ihr Schicksal teilt. Mehrere Monate jedes Jahr kommen sie in ihr altes Heimatland zurück.
In den nächsten zwei Wochen lernen wir neben Anna eine Menge toller Leute kennen, die ebenfalls hier gestrandet sind – manche für einen Urlaub, andere für immer. Und jeder hat neue Geschichten für uns. Ach, das Leben ist so schön hier am Ananas Beach. Allein die Sonne bestimmt den Tag. Jeden Morgen grüßt uns das Meer aufs Neue und ich will nicht zurück vom Bikini in die Motorradklamotten.
Wir reißen uns los. Anna drückt uns fest zum Abschied und dann geht es weiter in die Kleinstadt Kampot. Kampot liegt auch am Meer. Aber einen Strand gibt es nicht. Die Region ist für etwas anderes berühmt: ihren exklusiven Pfeffer. Gerade hat die Haupterntezeit begonnen und wir düsen auf der Emme zu Sothy’s Pepper Farm. Seit vier Jahren betreiben Sorn und ihr deutscher Ehemann Norbert die kleine Plantage. Die Tradition des Pfefferanbaus um Kampot war fast ausgestorben. Seit einigen Jahren jedoch entstehen wieder mehr und mehr Farmen und der Kampot-Pfeffer mit seiner besonderen fruchtigen Schärfe erlebt ein Comeback als einer der besten Pfeffer der Welt. Das einzigartige Aroma sei vor allem dem roten, quarzreichen Boden zu verdanken, erklärt uns der Student, der uns über die Farm führt. Chemikalien seien absolut tabu. Zitronengrasbüsche halten Schädlinge von den Pfefferpflanzen fern.
Die Körner werden nach der Ernte handverlesen. Bei der Kostprobe zerbeißen wir nacheinander grüne, rote, schwarze und weiße Pfefferkörner. „Stammen die von verschiedenen Pflanzen?“ frage ich. Nein, mit den Farben des Pfeffers ist es so: Unreife Körner an der Traube sind grün, reife Körner rot. Unreife Körner, die an der Sonne getrocknet werden, verfärben sich schwarz. Reife Körner behalten nach dem Trocknen ihre rote Farbe. Es sei denn, man kocht sie danach im Wasser ab. Dann verlieren sie ihre rote Schale und werden weiß. Obwohl roter Pfeffer der König unter den Körnern ist, hat uns der schwarze am besten geschmeckt.

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Phnom Penh: Somaly erzählt

25. März 2017. Wir sind in der Hauptstadt. Das erste, was wir aufgeregt ansteuern, ist das DHL-Büro. Hier liegen seit mehreren Tagen unsere zweiten Reisepässe mit den Visa für Russland bereit. Und zwei einwandfreie Nadeln samt Halter für die MZ-Vergaser, die wir später für unsere letzte Etappe ab Moskau brauchen.
Phnom Penh ist unsere letzte Station in Südostasien. Von Berlin bis hierher haben wir 21 Länder durchquert und sind 28.000 Kilometer Motorrad gefahren. In fünf Tagen werden wir nun einen Riesensprung nach Nordwesten machen: 4.000 Kilometer Luftlinie bis nach Kathmandu – an einem Tag. Allein der Gedanke fühlt sich komisch an. Vor allem, weil wir die Emmen zurücklassen werden.
Kambodschas Hauptstadt ist zu unserer Freude noch nicht auf dem Niveau einer modernen Metropole, die sich von Städten nach westlichem Vorbild kaum noch unterscheidet. Statt Wolkenkratzern und Shoppingtempeln durchziehen etliche Seitenstraßen die Stadt – bunt, marode und quirlig. Winzige Friseurbuden, Garküchen und kleine Restaurants, Motorradwaschstopps, Schneidereien, Krämerläden… Es scheint, als würde jeder Zweite auf ein paar Quadratmetern ein Geschäft betreiben. Auch im Verkehr sind wenig moderne Autos zu sehen. Kleine Motorräder und Tuk-Tuks sind deutlich in der Überzahl und an der Kreuzung bestimmt der größere Schwarm, wo es lang geht. Eine sehr hübsche Seite von Phnom Penh ist die palmengesäumte Uferpromenade am Tonle-Sap-Fluss. In den alten Kolonialgebäuden an der Uferstraße ist die Vielfalt an Restaurants und Bars unüberschaubar. Kaum vorstellbar, dass Phnom Penh vor 40 Jahren eine Geisterstadt war, als die Roten Khmer Kambodscha beherrschten.
In einer der vielen, langen Seitenstraßen läuft man an einem Gebäudekomplex vorbei, der Zeuge dieser dunklen Zeit ist. Die Roten Khmer hatten das einstige Gymnasium zum geheimen Foltergefängnis S-21 umfunktioniert. Heute hängt ein Schild über dem Eingangstor: Tuol Sleng Genozid Museum. Wir gehen in den Innenhof. Hier zwitschern die Vögel. Grüner Rasen und Frangipanibäume versprühen Gartenduft. Die Szene wird grausam eingerahmt von den Gefängisgebäuden A, B, C und D. Die Klassenräume wurden zu Folterkammern.
Somaly, eine Frau Mitte 50, wird uns durch das Museum führen. Wir stehen gemeinsam im Schatten eines Baumes auf dem Innenhof und sie fängt an, zu erzählen. Ihr Gesicht ist freundlich, obwohl sie über schreckliche Dinge sprechen muss. Als erstes zeigt sie uns die Räume, in denen Menschen auf einem Metallbett zu Tode gequält wurden. Immer noch sind Spuren der Gewalt an den Wänden und auf dem ocker-beige gekachelten Boden zu sehen. Somaly war 13, als die Roten Khmer am 17. April 1975 ihre Heimatstadt Phnom Penh einnahmen. Sie erinnert sich sehr genau daran, wie sie den angeblichen Befreiern zujubelte in der Hoffnung, der Bürgerkrieg sei endlich vorbei. „So wie diese Kinder hier,“ zeigt sie auf ein Schwarzweißfoto im Museum. Nur drei Stunden später begann die brutale Vertreibung der Menschen aus der Hauptstadt. In der Vorstellung der Roten Khmer vom Ideal des Bauernstaates gab es weder Städte, noch Geld, noch Bildung.
Somaly floh mit ihrer Familie in die Battambang Province. „Ich lief und lief!“ sagt sie. Drei Monate lang. Über ihr Gesicht legt sich plötzlich ein Schatten. Ich sehe jetzt in das Gesicht eines traurigen, erschöpften Mädchens. „Dann wurden mein Vater und mein Bruder verschleppt.“ In Somalys Augen verdichten sich Tränen. „Mein Vater war Lehrer.“, erzählt sie tapfer weiter. Anführer Pol Pot ließ alle Intellektuellen verfolgen und ermorden. Somaly musste wie alle Kinder und Jugendliche getrennt von der Familie in Arbeitslagern schuften – zwölf Stunden täglich. „Wir hatten keinen einzigen freien Tag.“ Die Erinnerungen haben sich eingebrannt.
Jeder Gefängnisinsasse wurde bei Ankunft fotografisch porträtiert. Dafür gab es einen speziellen Stuhl, der den Kopf für das Foto frontal ausgerichtet hat. Das Museum zeigt viele dieser Portraits. Vier Jahre lang wurden tausende Menschen im S-21 eingesperrt und wie am Fließband gefoltert, bis sie irgendein Geständnis lieferten. Die Gefängnismitarbeiter waren allesamt erschreckend jung.
Falls die Männer, Frauen und sogar Kinder diese Gewalt überlebten, wurden sie auf den sogenannten Killing Fields, 15 Kilometer vom Gefängnis entfernt, brutal ermordet. „Jede Nacht fuhr die Lastwagen mit den Insassen los – entkleidet, gefesselt und die Augen verbunden.“, erzählt Somaly. Niemand hatte eine Chance.
Nach der Befreiung Kambodschas kehrte Somaly mit ihrer Mutter nach Phnom Penh zurück. Sie arbeitete als Putzfrau im Kultusministerium und später hier im Toul Sleng Museum. Seit drei Jahren führt sie Besucher auf Spendenbasis durch das Gefängnis und verarbeitet dadurch auch ihre eigene Vergangenheit.

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Emmen und Reiter auf getrennten Wegen

In unserem Hotelzimmer ist das Chaos ausgebrochen. Wir haben unser gesamtes Reisegepäck ausgebreitet und überlegen, was wir auf unserer Weiterreise ohne die Motorräder brauchen werden. Motorradklamotten, Helme, Wintersachen und Campingausrüstung müssen wir auf jeden Fall mitnehmen. Der Rest bleibt an den Emmen, die wir nachher frisch gesäubert durch die Stadt manövrieren und beim Spediteur abstellen werden. Der lässt sie später in Holzkisten verpacken und Ende Juni nach Moskau verfliegen. Ob er das schon mal gemacht habe, will ich wissen. Er sei der einzige, der wisse, wie man das macht, hat er lächelnd geantwortet.
Heute ist der 30. März und wir hieven morgens die schweren Taschen runter auf die Straße. Dort steht schon das Taxi zum Flughafen. Nervös sitzen wir in Motorradstiefeln auf der Rückbank. Das war`s mit Kambodscha. Ein fantastisches Land. Wir waren überrascht und imponiert von der Energie, die die Menschen versprüht haben: kraftvoll, humorvoll, liebevoll. So viele schöne Momente und Begegnungen. Unser Flugzeug düst über die Startbahn davon. Heute Abend schlafen wir am Fuß des Himalajas.

> So geht`s weiter: Nepal: In Motorradstiefeln um den Manaslu
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Kambodscha: Kurs auf Angkor und Tonle Sap /kambodscha-angkor-wat-tonle-sap/ /kambodscha-angkor-wat-tonle-sap/#comments Wed, 22 Mar 2017 13:29:30 +0000 /?page_id=11601 Schülerinnen am Tonle Sap, Kambodscha

Stolzes Volk: Schülerinnen auf dem Tonle Sap, Kambodscha 2017 © emmenreiter.de

Neuland Kambodscha

28. Januar 2017. Heute enden unsere Visa für Laos. Der einzige Grenzübergang ins Nachbarland Kambodscha ist von unserem Bungalow auf der Mekonginsel Don Det nur eine kurze, überteuerte Bootsfahrt und zwanzig Straßenkilometer entfernt.
Genau wie Laos ist Kambodscha Neuland für uns. Kaum einer der Reisenden und Touristen, die wir in letzter Zeit getroffen haben, ist beim Stichwort Kambodscha ins Schwärmen geraten. Eher hören wir was von korrupten Beamten, Diebstahl oder vermüllten Straßen und Stränden.
Noch schlimmer als Laos hat Kambodscha eine brutale, jüngere Vergangenheit zu bewältigen. Seit 1975 löschte das maoistische Terrorregime der Roten Khmer mit Pol Pot als Führer in nur vier Jahren über ein Viertel seines Volkes aus – durch Folter, Mord, Zwangsarbeit und Hungersnot. Davor galt das Königreich Kambodscha als eines der wohlhabendsten Länder Südostasiens. Der wertvollste Schatz, der dem kleinen Land heutzutage Identität und Aufschwung gibt, ist einer der faszinierendsten Orte der Erde – die riesige Tempelstadt Angkor. Wie werden wir das gegenwärtige Land der Khmer erleben?

Einreise ins Land der Khmer

Der Grenzübergang Laos/Kambodscha ist unter Reisenden dafür bekannt, dass gerne Extragebühren erfunden und einkassiert werden. Bevor der laotische Beamte unsere Pässe für je einen US-Dollar „Stempelgebühr“ ausstempelt, empfiehlt er uns fairerweise, zunächst am kambodschanischen Posten nachzufragen, ob man uns mit Motorrädern überhaupt passieren ließe. Auch Lutz auf Don Det hatte gemeint, die Insel sei voller asiatischer Motorräder, die an der Grenze von Kambodscha abgewiesen wurden. Wir haben wegen der Emmen allerdings keine Bedenken und riskieren es einfach. Immerhin sind unsere Motorradfreunde Tom, Silvia und Max vor kurzem problemlos rübergekommen – ohne Schmiergelder oder Sondergenehmigung aus Phnom Penh. Das Carnet de Passages hatte als Eintrittskarte genügt.
Als wir drüben anhalten, werden wir sofort nach dem Carnet gefragt, obwohl Kambodscha gar nicht auf der Liste der Carnet-Länder auftaucht. Der allererste Kontrolleur steckt sich freundlich je zwei US-Dollar „Bearbeitungsgebühr“ in die Tasche. Nun gut, wenn das ausreicht, um die Einreise zu erleichtern, haben wir kein Problem damit. Danach schickt er uns zu seinen Kollegen ins Zollbüro. Als die ohne weitere Gebühren ihre Stempel in unsere Carnets gedrückt haben, gehts weiter zum Visa-on-Arrival-Schalter, wo wir zusammen 70 US-Dollar überreichen. Wir wissen nicht, ob hier noch etwas draufgeschlagen wurde. Nach weniger als einer halben Stunde ist alles erledigt. Die Grenzer heben die Schranke an und lassen uns davon fahren.
Die Straße besteht zunächst aus festem Schotter und vorbeidüsende Pickups schleudern uns gnadenlos den rostroten Staub entgegen. Hinter Stung Treng biegen wir auf eine ruhige, asphaltierte Landstraße nach Westen ab. Bis zum Städtchen Preah Vihear fahren wir statt durch tropischgrüne Landschaft durch eine baumlose Gegend, die gerade brandgerodet wurde. An vielen Stellen kokelt Asche um vereinzelte, verbrannte Baumstümmel und der stechende Rauch steigt uns am Visier vorbei in die Nase. Im Gegensatz zur trostlosen Umgebung lächeln uns die Leute vom Straßenrand entgegen und sorgen für ein schönes Willkommensgefühl.

Siem Reap: Zuhause vor den Toren von Angkor

Nach einer Nacht in Preah Vihear nehmen wir direkten Kurs auf Siem Reap – die hübsche Kleinstadt vor den Toren von Angkor. Ken begrüßt uns wie eine Freundin in ihrem Homestay – ein neues Einfamilienhaus in einem ruhigen Wohnviertel abseits der bunten „Downtown“. Hier wohnt sie mit ihren zwei jungen Töchtern, getrennt von ihrem Mann, und vermietet drei Zimmer an Gäste. Bis vor zwei Jahren war sie Managerin in einem Fünf-Sterne-Hotel. In ihrem mädchenhaften Körper steckt eine echte Powerfrau.
Wir müssen nicht lange überlegen, dass wir uns genügend Zeit für Kambodscha nehmen wollen. Daher streichen wir Südthailand und Malaysia von der Reiseliste. Es fühlt sich an wie eine Befreiung. Nicht zuletzt, weil Thailands Transportbehörde Überlandreisende mit eigenen Motorrädern seit Herbst 2016 wie Kriminelle behandelt. Noch ein halbes Jahr lang dauert unsere Reise durch Asien. Jetzt können wir entspannt überlegen und planen, wie lange wir in Kambodscha verweilen möchten und wie es von hier aus weitergehen kann.
Von unserem neuen Zuhause auf Zeit sind es nur sechs Kilometer bis zum Angkor Wat – die bekannteste Anlage der historischen Tempelstadt und das Nationalsymbol Kambodschas. Wir haben uns für die nächsten Tage Fahrräder in der Innenstadt ausgeliehen und fahren morgens um halb sieben auf einer schattigen Nebenstraße der berühmten Tempelsilhouette entgegen. Für ein Drei-Tages-Ticket für ganz Angkor haben wir 40 US-Dollar bezahlt. Morgen, ab 1. Februar, steigen die Preise erheblich an. Trotzdem bleibt es ein Schnäppchen für die Menge an Schätzen, die man geboten bekommt.
[See image gallery at www.emmenreiter.de] Angkor hat sich in den letzten Jahren zu einem Megatouristenmagnet entwickelt. Wir haben gerade Chinesisches Neujahr und man hat uns vor einer regelrechten Flut asiatischer Reisegruppen gewarnt. Das Gebiet von Angkor ist jedoch riesig und der typische Lauf der Gruppentouren lässt sich ganz gut umgehen. Wir schaffen es sogar, an manchen Orten fast allein zu sein. Dann sitzen wir oben auf dem Tempel und blicken schweigend hinunter auf die Ruinen und in den Dschungel drumherum. In dieser Kulisse fällt es uns nicht schwer, sich ins hochzivilisierte und tiefreligiöse Khmer-Königreich Kambuja zu träumen.
Ein Teil der Tempelruinen, die sich überall im Wald verteilen, wird vor dem weiteren Verfall geschützt, aber glücklicherweise nicht tot-restauriert. So haben wir ein richtiges Entdeckergefühl, wenn wir ungehindert über massive, schiefe Steinstufen in die Höhe klettern oder durch dunkle, reliefverzierte Gänge spazieren. Bei unseren langen Ausflügen durch Angkor stoßen wir auf einmalige Orte, die sich in ihrer Faszination immer noch übertreffen. Was hier zigtausende Menschenhände unter der Herrschaft der Khmer vor über 700 Jahren geschaffen haben, imponiert, beglückt und verwundert uns. Und über allem schwebt immer noch das Geheimnis des mysteriösen Untergangs von Angkor.

Masterplan und Seide

Masterplan © emmenreiter.de
8. Februar 2017. Heute sind wir 299 Tage unterwegs. Unser frisch geschmiedeter Masterplan für die Weiterreise bis in den Berliner Sommer sieht vor, dass wir unsere Motorräder Ende Juni von Phnom Penh nach Moskau fliegen lassen. Ende März, wenn es anfängt, in Kambodscha unerträglich heiß zu werden, steigen wir ohne Emmen in den Flieger nach Nepal. Von dort geht es einen Trekking-Monat später weiter in die Mongolei, die wir auf einheimischen Mopeds erkunden wollen. Die Transmongolische Eisenbahn schaukelt uns später von Ulan Bator zum Baikalsee. Dort steigen wir in die Transsibirische nach Moskau um, wo wir wieder auf den Emmen bis Nachhause reiten.
Nach stundenlangem Recherchieren und Organisieren klappen wir das Laptop zu, legen das Smartphone beiseite und kicken die Emme an. Ken hat uns einen Ausflug zur Seidenfarm empfohlen. Dort könnten wir etwas über die traditionelle Webkultur Kambodschas erfahren. Unter der Diktatur der Roten Khmer wurde dieses Kunsthandwerk fast völlig ausgerottet und erst in den letzten Jahren mühevoll wiederbelebt. Wie die fein gemusterten Seidenstoffe entstehen, ist kompliziert. Die dünnen Fäden der kambodschanischen Seidenraupe werden nach dem Spinnen in genau festgelegten Abständen mit kleinen Knoten abgebunden und danach gefärbt. So entsteht noch vor dem Weben ein bestimmtes Muster im Seidenfaden. Die Weberin hat mehrere Stöckchen mit verschiedenen Fäden neben sich liegen und webt sie so ein, dass wiederum ein filigranes Muster im Stoff erscheint.
[See image gallery at www.emmenreiter.de] Ehe wir uns umsehen, sind drei schöne Wochen in Siem Reap verstrichen. Abgesehen von ein paar Tagen mit Durchfall, Fieber und Darmparasiten, die vor allem Micha quälten, haben wir uns sauwohl gefühlt. In den Seitenstraßen der Nachbarschaft hatten die Hunde aufgehört, uns anzubellen. Die Suppenfrau, der Donatverkäufer und der Minishopbesitzer freuten sich jeden Tag mehr über unseren Besuch. Die Wege in die Innenstadt wurden immer vertrauter und die Gespräche mit Ken vertraulicher. Wir genießen dieses Gefühl, wenn sich Dinge auf der Reise auch mal wiederholen. Innehalten, Details entdecken, Alltag erleben. Und dann wieder richtig Lust kriegen, etwas Neues zu entdecken.

Tonle Sap: Zu Besuch am großen See

Die nächste Sehenswürdigkeit ist nicht weit weg: der Tonle Sap. Er ist der größte See Südostasiens. In der Regenzeit ab Juni wächst er sogar noch auf das Fünffache an – dank eines einzigartigen Naturphänomens. Die Wassermassen des Mekong drängen in den Tonle-Sap-Fluss, wechseln dessen Fließrichtung und füllen den See wie ein Überlaufbecken auf.
Wir reiten aus ins große Fischerdorf Kampong Khleang. Es liegt im Schwemmgebiet östlich des Sees. Heute lebt eine stetig wachsende Zahl von Menschen am, auf und von dem See – als Fischer, Züchter, Händler und Bauern. Der Tonle Sap und sein Schwemmland ernähren einen Großteil der Kambodschaner. Man sagt, sein extremer Fischreichtum hätte damals das Entstehen von Angkor erst möglich gemacht. Aus einer Fernsehreportage wissen wir, dass das besondere Ökosystem und das Leben am Tonle Sap leider schon länger stark gefährdet sind.
Meng Hour, Ende zwanzig, und sein Vater bieten in ihrem Heimatort Kampong Khleang seit zwei Jahren ein Homestay für Touristen an. Dafür hat die Familie ein neues, traditionelles Stelzenhaus gebaut. In dem Haus gibt es keine Zimmer. Die Gäste schlafen neben der Familie auf einer Bambusmatte oder Matratze, die abends auf die dunkelbraun mattglänzenden Holzdielen ausgerollt werden. Durch den balkonartigen, türlosen Hauseintritt zieht ein sanfter Luftstrom bis zum anderen Ende des Raumes, der in eine offene Terrasse übergeht. Das Geld für das Haus haben Meng Hour und seine Geschwister mitverdient. „Früher war unsere Familie sehr arm. Den Fisch, den mein Vater fing, tauschte er gegen Reis. Für jeden eine Handvoll Reis – mehr gab es nicht vor dem Schlafengehen.“ erinnert er sich an seine Kindheit. Sein älterer Bruder ging bald nach Siem Reap, hat dort als Kellner und Koch gejobbt, Englisch gepaukt und Geld nachhause geschickt. Heute hat der Bruder sein eigenes Restaurant und Hostel in Phnom Penh. Meng Hour ist stolz darauf. Er arbeitet ebenfalls als Koch in einem renommierten Hotel. 90 Dollar verdient er im Monat. Mehr als die Hälfte davon geht in die Familienkasse. Bald möchte Meng Hour auch sein eigenes Geschäft aufbauen.
Zusammen machen wir einen Spaziergang durch sein Dorf. Meterhohe Stelzenhäuser reihen sich dicht an dicht einen braunen Zufluss des Tonle Saps entlang, der Kampong Khleang erst wieder in der Regenzeit überschwemmt und die langen Stelzen im Wasser verschwinden lässt. Genau wie den Müll, der sich während der Trockenzeit überall angesammelt hat und das Ufer verdreckt. Unter jedem Haus lagern Fischernetze, Reusen und Feuerholz zum kochen. Immer wieder zieht eine Wolke modrigen Fischgeruchs durch die schwülheiße Luft. Einige Behausungen im Ort sind aus alten Brettern, Fetzen aus Plastikplane und getrockneten Palmenblättern zusammengeschustert. In ihnen leben verarmte Fischerfamilien, die darunter leiden, dass der See überfischt, verschmutzt und ausgebeutet wird. Hinter den Häusern haben die Menschen aus der Not heraus damit begonnen, in Tümpeln Fische oder Krokodile zu züchten. Noch weiter hinten fahren kleine Traktoren durch riesige Bohnenfelder und versprühen massenhaft Dünger. Ich bin mir nicht sicher, was Meng Hour darüber denkt.
[See image gallery at www.emmenreiter.de] Nach dem Sonnenuntergang kühlt die Luft endlich etwas ab. Nachts kommt der haustreue Tokee aus den Holzritzen gekrochen und macht seine unverkennbaren Geckogeräusche. Wenn er mehr als sieben Mal hintereinander „Tokee“ ruft, bringt das Glück für den nächsten Tag. Im Morgengrauen krabbeln wir aus dem Moskitonetz hervor, steigen mit Meng Hour und seinem Vater in ein schmales Holzboot und fahren bei lautem Motorengeknatter hinauf auf den Tonle Sap – so wie etliche andere Fischerboote um diese Zeit. Das Licht ist noch schwach und Himmel und See haben dieselbe graue Farbe. Ich halte meine Hand ins Wasser. Es ist lauwarm.
Der ganze See ist durchzogen von langen Fangnetzen. Die kleinen Boote, die gerade ihre Reusen einsammeln, scheinen nur wenig zu fangen. Meng Hour hat einer Fischerin den Fang abgekauft. An einer anderen Stelle mitten auf dem See landen die drei Fische nun auf dem Feuer. Zu viert sitzen wir im leicht schaukelnden Boot und essen den gegrillten Fisch und Reis zum Frühstück. Die heiße Sonne hat mittlerweile den Himmel erobert und der See sieht jetzt aus wie Milchkaffee. Meng Hours Vater fährt uns durch schwimmende Dörfer. Die besseren Häuser sind aus Holz gebaut und in leuchtenden Farben gestrichen. Die ärmeren Familien wohnen in vergrauten Hütten aus Bambus und Palmenblättern. Manchmal ist es auch einfach nur eine alte, überdachte Nussschale, auf denen die Leute (über)leben müssen.
An einer kleinen Schule steigen wir aus dem Boot. Hier werden gerade zwei Klassen von zwei jungen Lehrern unterrichtet. An der Wand hängt das Khmer-Alphabet. Das Wichtigste ist, dass möglichst alle Kinder auf dem See wenigstens Lesen und Schreiben lernen.
Auf der Rückfahrt nach Kampong Khleang sehen wir mitten im Tonle Sap Männer bis zu den Schultern im flachen Wasser stehen. Sie tauchen ab, um die Netze neu zu stecken. Es dauert noch mindestens drei Monate bis der ansteigende Mekong endlich wieder Wasser und Fische in den See schwemmt.

> So geht`s weiter: Kambodscha: Über die Kardamomberge ans Meer
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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