Pakistan – eMMenreiter Reiseabenteuer auf alten MZ-Motorrädern Mon, 18 Oct 2021 14:04:20 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.0.2 /wp-content/uploads/2015/03/reise-551a6390v1_site_icon-32x32.png Pakistan – eMMenreiter 32 32 Nordpakistan: Von Nagar bis Wagah /nordpakistan-nagar-wagah-2016/ /nordpakistan-nagar-wagah-2016/#comments Mon, 21 Nov 2016 13:34:21 +0000 /?page_id=10105 Spaziergang durch Chalt (Nagar)

Im Nagar-Dorf Chalt: Spaziergang mit Nilo © emmenreiter.de

Rakaposhi: Eine Nacht vor der glänzenden Wand

Wir sind bereit. Motiviert, morgens, in Minapin – Ausgangspunkt unserer Tageswanderung zum Basislager des Rakaposhis. Von dort können wir ungehindert auf die weiße, gewaltige Nordostwand dieses breiten Berges gucken. „Glänzende Wand“ haben ihn die Menschen in Hunza und Nagar in ihrer Sprache Burushaski getauft.
Obwohl es noch früh am Morgen ist, wird uns ziemlich schnell warm, als wir in Wanderschuhen bzw. Motorradstiefeln die ersten Schritte durch das Nagar-Dorf Minapin machen. Da ist Anne, die Athletin, die stundenlang über Gott und die Welt reden kann. Und Yui aus Japan, die seit fast fünf Jahren mit dem Rucksack umherzieht und heute Geburtstag hat. Mit Natalia aus Kolumbien, eine temperamentvolle Frau, die gerne früh aufsteht, teile ich den selben Humor. Der wichtigste in unserer kleinen Gruppe ist allerdings Micha – derjenige mit dem größten Rucksack, in dem er ohne Murren die Campingausrüstung für uns alle schleppt. Seppo, der junge Typ von der Rezeption aus unserem Hotel in Karimabad, wird uns wegweisend begleiten – in Jeans, Turnschuhen, schwarzer Lederjacke und mit einer Plastiktüte in der Hand. Er ist sehr zurückhaltend und schüchtern. Aber wir werden ihn noch aus der Reserve locken.
Gleich hinter dem Dorf beginnt der grob geschotterte Track, auf dem zwei Leute bequem nebeneinander laufen können. Von jetzt an geht es stundenlang ziemlich straff nach oben. In meinem Tagesrucksack quetschen sich sechs große Flaschen Wasser, die wie Steine an meinem Rücken hängen. Ein winziges Kalb, das erst seit kurzem auf der Welt ist, folgt uns auf seinen hohen, dünnen Beinchen. Es möchte in seinem angeborenen Herdentrieb unbedingt bei uns mitlaufen und lässt sich nicht abschütteln. Seppo muss es ins Dorf zurücktragen und schnell von ihm davonlaufen.
Der Wanderweg windet sich in Serpentinen nach oben und wir können bald tief atmend auf Minapin hinunterschauen. Zweimal kürzt Seppo den steilen Weg durch einen noch steileren ab. Dann müssen wir am Hang zwischen Sand und Steinen mit weichen Knien entlang krabbeln. Sobald Büsche oder Felsen etwas Schatten spenden, halten wir kurz an und verschnaufen. Die T-Shirts sind staubig und verschwitzt. „Wie lange noch, Seppo?“ frage ich nach etwa drei Stunden. „In zehn Minuten könnt ihr Tee trinken an einer Hütte,“ verspricht er uns lächelnd. Eine Teehütte? In dieser Gegend? In meiner Fantasie blitzt sofort ein schattiges Plätzchen zum Verweilen auf – mit kleinen Snacks und kühlen Getränken. Allerdings ziehen sich Seppos zehn Minuten in die Länge. Unsere Truppe läuft, schwitzt und läuft. Jeder fragt sich, ob Seppo einen Witz gemacht hat. Irgendwann erblicken wir dann endlich die alte Schäferhütte aus Feldsteinen mit einem provisorischen Dach aus roter Plane. Zwei junge Männer haben hier tatsächlich eine kleine Kochstelle eingerichtet und bringen uns ein Tablett mit süßem Tschai nach draußen. Ich lasse mich auf den Rasen plumpsen und lausche der kleinen Quelle, aus der frisches Bergwasser sprudelt. Mein Bauch tut weh und meine Beine sind schwer. Micha und Anne füllen unsere Wasserflaschen auf – es ist die letzte Gelegenheit dafür.
Von der Hütte sind es noch zwei, drei Stunden bis zum Basislager. Wer weiß das schon genau. Seppo nimmt mir zum Glück meinen Rucksack ab. „Was ist da drin?!“ wundert er sich über das Gewicht. Ich bin echt erleichtert, denn ab jetzt ist der Weg schmal und noch steiler. Unsere Karawane, die sichtlich ermüdet noch zwei Stunden daher stapft, erwacht plötzlich, als wir oben an einem langen Bergkamm auf die andere Seite hinab schauen. Vor uns breitet sich ein gewaltiger, eisgespickter Gletscher aus. Der Anblick nimmt einem die Luft weg.
Die Sonne steht schon tief und kühler Wind hat unsere T-Shirts trocken geblasen. Alle frieren und ziehen schnell ihre Jacken und Mützen über. Auf dem letzten Stück bis zur Ankunft am Basislager ist der Trampelpfad entlang am Berg so schmal, dass mir unweigerlich der Gedanke kommt, wie nah wir der Gefahr sind, für immer am Rakaposhi zu verschwinden. Das ist nämlich das wahre Risiko Pakistans: ein kurzer Fehltritt und das war`s. Allerdings wirkt keiner aus der Truppe, die Seppo im Gänsemarsch folgt, zögerlich. Bin ich echt die einzige, die gerade die Trekkinghosen voll hat? Ohne etwas zu sagen gehe ich vorsichtig und demütig hinterher. Ich glaube, alle von uns möchten ihren Rucksack einfach nur noch auf die abgegraste Weidefläche des 3.200 Meter hoch gelegenen Basislagers fallen lassen, etwas warmes essen und in den Schlafsack krabbeln. Nach sieben Stunden bauen wir endlich unsere Zelte auf.
Als alle im Schlafsack liegen, scheint der runde Mond wie eine Laterne auf unser Camp und auf die „Glänzende Wand“. Draußen rascheln Kühe auf der Suche nach Essensresten um die Zelte herum. Micha bekommt nichts davon mit. Meine Nacht ist dagegen sehr bescheiden. Mein Bauch ist immer noch verkrampft und ich will einfach nicht müde werden, trotz der anstrengenden Wanderung. Das muss an der Höhe liegen. „Guten Morgen, seid ihr wach?“ höre ich Anne früh um fünf von draußen durch unsere Zeltwand flüstern. Wir hatten am Abend verabredet, alle gemeinsam den Sonnenaufgang zu beobachten. In sämtliche verfügbare Klamotten eingemummelt geht’s nun im Dunkeln auf den kleinen Bergkamm hinauf, der das Basislager vom Gletscher trennt. Nach einer Weile beginnt das Naturschauspiel: Die versteckte Morgensonne, die wir hinter den Bergen nur erahnen können, lässt plötzlich die Spitze des schneebedeckten Rakaposhis in kräftigem Gelb aufleuchten. In wenigen Augenblicken schiebt sich das warme Licht wie eine Decke über den Bergriesen. Ich reibe meine eiskalten Hände und hauche meinen Atem in die klare Luft. Bald schaffen es die Strahlen der Sonne über die Berge und wärmen unsere immer noch verschlafenen Gesichter. Wir erleben hautnah, wie der weite Gletscher nach und nach aus dem Schatten auftaucht. Sein Eis knackt und das Geräusch breitet sich in der Bergwelt aus. Oben am Gipfel des Rakaposhis bricht im Sonnenlicht eine gewaltige Lawine herunter und wirbelt den Schnee wie feines Puder auf. Guten Morgen in Nordpakistan!

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Wiedersehen in Chalt

Hunza und Nagar – bis 1974 wurden diese beiden abgelegenen Bergreiche durch Könige regiert. Als der neu geschaffene Karakorum-Highway der pakistanischen Regierung in Islamabad mehr Einfluss nach Norden verschaffte, hatte man beide Königsfamilien entmachtet.
Heute wollen wir unseren Freund Saeed Khan im Nagar-Dorf Chalt wiedersehen. Saeeds Großvater war der letzte regierende König von Nager und der Großvater seiner Frau der letzte König von Hunza. Wir lernten Saeeds Familie vor acht Jahren kennen, als uns ihr Sohn Adam bei einem Spaziergang durch Chalt ansprach und auf einen Tee ins Sommerhaus mitnahm.
Saeed zieht es immer noch jedes Jahr von Mai bis Oktober aus dem lauten Rawalpindi hierher in die Stille der Berge. Er hatte uns bei unserer ersten Begegnung sofort mit offenen Armen empfangen, so als würden wir uns ewig kennen. Saeed ist charismatisch, lacht viel und steckt voller spannender Gedanken. Es macht einfach Spaß, in seiner Nähe zu sein. Nun sitzen wir seit ein paar Minuten wie damals in den Korbsesseln auf der Terrasse seines Sommerhauses, die mit roten Rosenbüschen eingerahmt ist, und blicken auf den wilden Garten und den Rakaposhi. Saeed ist noch nicht da. Er ist heute auf einer Hochzeit in Gilgit und sei bereits auf dem Heimweg. Seine Frau, mit der wir leider keine Sprache teilen, lächelt uns liebevoll an und lässt Tee und Kekse servieren, während wir gemeinsam auf ihn warten. Nicht lange, dann kommt ein Wagen zügig auf den grünen Hof gefahren. Saeed steigt aus, spurtet hoch auf die Terrasse und schließt uns zur Begrüßung fest in seine Arme. Unser Wiedersehen fühlt sich sehr gut an – ein Gefühl von Freundschaft, obwohl wir damals nur wenige Tage miteinander erlebt haben.
Am Abend sitzen wir zusammen im gemütlichen Licht der Stehlampe auf den Sofas im Wohnzimmer. Sher Khan, ein stiller Hirtensohn aus Nagar und mittlerweile ein bekannter Musiker, ist bei uns. Er hat sich einen alten Metallbenzinkanister zwischen die Beine geklemmt und seine Händen beginnen, sanft darauf zu trommeln. Dann setzt seine eingehende Stimme ein und er singt Lieder, die er der einmaligen Natur seiner Heimat widmet. Es ist, als sänge er über die Liebe. Saeed hat sich mit einer Zigarette in der Hand lässig ins Sofa zurück gelehnt, schließt seine Augen und summt mit. 
Am nächsten Nachmittag nimmt uns Saeed zu einem Volleyballturnier ins Nachbardorf mit, wo er als Ehrengast geladen ist. Er hat das Turnier kurzerhand vorverlegen lassen, damit wir ihn begleiten können. Die ehemalige Königsfamilie genießt immer noch hohen Respekt und die Leute mögen Saeed. Je älter er wird, desto stärker engagiert er sich für die Menschen in Nagar. Er hilft ihnen vor allem, ihre einzigartige Kultur zu bewahren – traditionelle Werte, Feste und Musik.
Als wir mit seinem Wagen am Turnierplatz anhalten, sind beide Mannschaften längst im Gange. Wir steigen aus und das Spiel wird unterbrochen, um den Ehrengast und seinen Besuch aus Deutschland zu begrüßen. Die Spieler haben sich zügig aufgereiht und nun laufen Saeed, Micha und ich händeschüttelnd an ihnen entlang. Ich bin etwas überrumpelt von der Aufmerksamkeit, die wir hervorrufen. Man platziert uns auf einer kleinen Tribüne am Spielrand. Bei der Siegerehrung wird Micha gebeten, den Pokal zu überreichen und ich als „Madam“ darf den Gewinnern die Medaillen umlegen. Saeed lacht uns an.
Zurück am Haus in Chalt warten bereits Nilo und ihre Schwester auf uns – Mädchen aus der Nachbarschaft – die uns, seit wir hier sind, immer wieder kichernd beäugen. Nilo entführt Micha und mich auf einen Spaziergang und zeigt stolz ihr kleines, bescheidenes Zuhause. Sie ist 17 Jahre alt und strotzt vor Lebensenergie. Immer wieder versteckt sie ihr Lachen und das neugierige Gesicht hinter dem langen, knallorangen Tuch, das sie keinen einzigen Moment von ihren Haaren abstreift. Am späten Abend kommt der alte Benzinkanister nochmals zum Einsatz. Nilo und ihre Schwester fangen an, zu singen und zu tanzen – das Tanzen haben sie aus indischen Filmen abgeschaut. Vorher sollen wir aber die Vorhänge vor die Fenster ziehen.
Nach drei sonnigen Tagen in Chalt verabschieden wir uns wieder. Saeed hätte uns gerne noch viel mehr gezeigt. Und wir hätten gerne noch viel mehr gesehen. Aber die Reise geht weiter. Er ruft seinen Sohn Adam in Rawalpindi an – er solle sich gut um uns kümmern, wenn wir dort ankommen.
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Roxette in Rawalpindi

Nach einem Zwischenstopp in Gilgit fahren wir über den Barbusa-Pass ins Kaghan-Tal bis nach Naran. Die Straße über den Viertausenderpass, den wir uns 2008 mit den Emmen hinauf kämpfen mussten, ist mittlerweile asphaltiert. Unser Plan, hinter Naran über die ruhige Bergstraße bis nach Murree, Islamabad und Rawalpindi zu fahren, geht leider nicht auf. Denn diese Route würde ein kurzes Stück durch Kaschmir führen. Da es momentan wieder kräftig im Krisenherd brodelt, schickt man uns an der Schranke aus Sicherheitsgründen zurück.
Es geht also wieder auf den Karakorum-Highway, der uns bald durch die Hölle jagt. Ab den Städten Mansera und Abbottabad, als die Berge gerade hinter uns liegen, geraten wir in den Verkehrswahnsinn. Jeder versucht, sich wild hupend an den dreckigen Lastwagen vorbei zu drängeln, die reihenweise die Fahrspur verstopfen. Am schlimmsten sind die mit Passagieren bis zur Decke vollgepackten Kleinbusse – die haben es besonders eilig und irritieren mich mit waghalsigen Überholmanövern. Nieeeemals würde ich mich in solche Busse setzen, auch wenn ich auf dem Motorrad immer wieder ausweichend nachgeben muss, wenn es diese Vollidioten darauf anlegen.
Meine Klamotten kleben an mir und ich zähle Kilometer für Kilometer. Genau wie Micha. Seit acht Stunden hocken wir auf unseren Emmen und hoffen, dass wir Rawalpindi noch im Hellen erreichen. Der Himmel ist längst nicht mehr blau, sondern getrübt von Staub und Abgasen. Noch 70 Kilometer, sagt das Verkehrsschild. Micha und ich sind froh über jede Drehung in unserem Kilometerzähler.
Die Sonne geht bereits unter und wir schalten die Scheinwerfer an. Der Gegenverkehr fasst es als Provokation auf. Als wir erleichtert aufatmen in dem Glauben, eine Ewigkeit später am Stadtrand von Rawalpindi zu sein, taucht ein neuer Wegweiser auf: nochmals 45 Kilometer. Das ist, als würde man den Marathon-Zieleinlauf kurz vor Deiner Nase um zwei weitere Laufstunden nach hinten verlegen. „Kannste vergessen – ich fahr keinen Meter mehr!“ platzt die Erschöpfung aus mir heraus. Micha ist genauso deprimiert wie ich. Im Dunkeln fahren wir den chaotischen Highway gen Pindi entlang und stehen nach insgesamt zwölf Stunden unterwegs endlich, endlich, endlich vor Adams Haus. Wir sind sicherlich kein schöner Anblick, denke ich.
Adam freut sich und kann sich noch gut an unsere erste Begegnung vor acht Jahren erinnern. Unsere kraftlosen, durchgeschwitzen Körper fallen auf die Sessel seines klimatisierten Wohnzimmers. Er weiß uns sehr schnell aufzumuntern. „You need a cool drink!“ Dann zaubert er plötzlich kühles Bier auf den Tisch. Wo kommt das denn her? Ein Glas reicht heute aus, um sich sauwohl zu fühlen. Geist und Körper entspannen sich zügig. Wir drehen die Musik auf. Wie geil. Irgendwann läuft ein Song von Roxette und wir drei können jede Zeile mitsingen. Wo sind wir gerade? In Pakistan? Wir gehen später noch italienisch essen, treffen am nächsten Abend seine Freunde in Islamabad und fahren noch auf einen Drink bei Adams Schwester vorbei. Zwei Tage lang sind wir unserem Leben in Deutschland näher, als man sich vorstellen kann.

Kein Wagah-Wagah

Die doppelspurige Grand Trunk Road führt uns von Rawalpindi nach Lahore. Wir wollen versuchen, noch heute nach Indien auszureisen. Gern hätten wir viel mehr Zeit in Pakistan verbracht, um Chitral, die Berge um Skardu, die Täler von Nagar oder das Swat-Tal zu erkunden. In vier Wochen müssen wir allerdings bereits an der Grenze zu Myanmar sein. Ähnlich wie in China dürfen wir auf eigenen Motorrädern nur mit einer geführten Tour durch dieses Land reisen. Um Kosten zu sparen, haben wir uns einer kleinen Gruppe Motorradfahrer angeschlossen, die Ende Oktober starten will.
Kurz nach drei Uhr stehen wir am ersten Wachposten nahe der Wagah-Border. Die Sicherheitskontrollen am einzigen Grenzübergang zwischen Pakistan und Indien sind nach einem Bombenanschlag vor zwei Jahren deutlich verschärft worden. Die aktuell aufgeflammten Konflikte in Kaschmir haben die Grenzer zusätzlich in Alarmbereitschaft versetzt. Sogar die allabendliche, spektakuläre Borderclosing-Zeremonie, zu der tausende Menschen auf beiden Seiten der Grenze anreisen, wird derzeit ausgesetzt. Kein Wagah-Wagah also.
„The border is closed after three o`clock!“ enttäuscht uns die Security, als wir sie freundlichst bitten, uns zur Grenze durchzulassen. Auf dem Gelände zu übernachten sei auch nicht mehr erlaubt. Man schickt uns zurück nach Lahore. Widerwillig kehren wir um und dringen auf den Emmen ins stickige und laute Zentrum von Lahore vor. Am nächsten Morgen steige ich im Hostel lustlos in die dreckigen Motorradklamotten, die sich sofort an meine schwitzende Haut heften. Die Routing-App auf dem Handy schickt uns hinter dem Stadtrand von Lahore dann auch noch auf eine Nebenstraße, die als schmaler, staubiger Weg durch die Pampa verläuft. Wieso?! Und wo kommt auf einmal dieses ungesunde Geräusch an meiner Emme her? Zugestaubt landen wir wie durch ein Wunder tatsächlich an der Wagah-Border und ich stelle fest, dass mein Motorrad ziemlich instabil ist. Genau wie unsere Stimmung. Micha mag es wie ich kaum aussprechen, aber er vermutet, dass der Rahmen meiner MZ wieder beschädigt ist. Hier vor dem Grenzgebäude müssen wir das Problem für den Moment beiseite schieben bis wir in Amritsar angekommen sind…

> So geht`s weiter: Nordindien: Goldener Tempel, Turban und Durga Puja
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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Nordpakistan: Happy in Hunza /nordpakistan-hunza-2016/ /nordpakistan-hunza-2016/#comments Wed, 19 Oct 2016 15:59:57 +0000 /?page_id=9856 Nordpakistan: Berge bei Passu

Morgens in Passu © emmenreiter.de

Touristen entführt

Nachrichten wie diese kleben an Pakistan. Leider. Dabei ist eine abenteuerliche Schotterpiste am Abgrund der Berge des Shimshal-Tals das Einzige, das uns entführt hat. Und zwar in stille Dörfer, die noch bis 2003 vom Rest des Landes nahezu abgeschottet waren. Der Weg nach Shimshal ist gerade mal so breit wie der alte Jeep, der uns dorthin mitgenommen hat. Auf der dreistündigen Fahrt habe ich mehrmals zu Micha gesagt, wie froh ich bin, dass ich gerade nicht auf der Emme sitze.

„We had no idea!“

7. September 2016. Wir stehen neben dem pakistanischen Grenzstein auf dem Khunjerab-Pass und ich krame das kleine GPS-Gerät aus dem Tankrucksack: 4.719 Meter über dem Meer. Unsere betagten MZ-Motorräder haben`s immer noch drauf. Dafür verkrampft sich gerade mein Bauch, wahrscheinlich von der dünnen Höhenluft. Micha strahlt übers ganze Gesicht und ist umringt von einer genauso gut gelaunten Truppe hipper Jungs aus Lahore, die zum ersten Mal am Pass sind. Ein facebook-Selfie jagt das nächste. Seit die Chinesen vor fünf Jahren den Karakorumhighway auf pakistanischer Seite erneuert haben, kommen immer mehr einheimische Touristen in die nördlichen Berge „We had no idea, how peaceful and beautiful this part of our country is!“ sagen sie dann. Genau wie die Ausländer, die Teile Pakistans trotz schlechter Nachrichten aus den Krisenregionen bereisen.
„Ich brauch Sauerstoff. Lass uns nach unten fahren“, bitte ich Micha. Bei unserer Reise im Jahr 2008 mussten wir die Emmen über groben Untergrund talwärts manövrieren. Heute rollen wir auf der linken Fahrspur einer glatten Straße Kurve für Kurve am kristallgrauen Indus entlang nach Hunza.
Mir wird schwindelig, als ich beim Fahren kurz nach oben gucke zu den nahen, gewaltigen Spitzen der drei höchsten Gebirge der Erde, durch die sich der Karakorumhighway schlängelt. Hier komme ich mir wirklich vor wie eine Ameise. Felsbrocken und massige Gerölllawinen haben den neuen Asphalt an vielen Stellen schon wieder verschlungen oder tiefe Narben auf ihm hinterlassen. Die Leitplanken sind kilometerlang zerstört – zerquetscht wie Aluminiumpapier. Kein Straßenbautrupp der Welt kann die Natur im Norden Pakistans dauerhaft bezwingen, so scheint es.
Mit jedem Kilometer, den wir uns dem Hunzatal nähern, fühle ich mich wohler. Es ist schön, wieder hier zu sein. Im ersten Dorf Sost stempelt ein freundlicher Mann, gekleidet im Shalwar-Kamiz, unsere Visa und ein anderer die Zollpapiere für die Motorräder ab. Ein Visum für Pakistan zu bekommen sei in letzter Zeit viel schwieriger geworden, hören wir immer wieder. Auch wir sollten der pakistanischen Botschaft in Berlin schon Monate vorher eigentlich eine vollständige Route mit gebuchten Unterkünften vorlegen. Das macht bei einer Reise auf dem Landweg überhaupt keinen Sinn. Der Botschafter hat das glücklicherweise akzeptiert.

Aufwachen in Passu

Lecker. Goldbrauner Milchtee versüßt uns den ersten Abend in Pakistan. Wir sitzen im kleinen Glacier Breeze Restaurant in Passu und erinnern uns an unsere allererste Reise nach Hunza. Der Tee, die Gerüche, das schummerige Licht der Gaslampe, wenn der Strom mal wieder ausgefallen ist – alles noch genau so. Als wir auf der kleinen Rasenfläche hinter dem Restaurant in unser Zelt krabbeln, blinzeln die weißen Sterne vom schwarzen Himmel. Wir freuen uns schon jetzt auf den kommenden Morgen.
„Guck Dir das an, Suse!“ Micha steht draußen vor dem Zelt und freut sich über die Berge und den knallblauen Himmel. Nach einem Omelette mit Chapati zum Frühstück laufen wir gemütlich los zum Passu-Gletscher, den man von hier aus schon sehen kann. Das ist wirklich ein Katzensprung. Der teils feinsandige Trampelpfad hat zunächst fast keine Steigung. Bunte Vögel fliegen aufgeregt an uns vorbei. Um dem Gletscher richtig nahe zu kommen, müssen wir über eine Steinmoräne kraxeln. Nicht weit. Bald sitzen wir direkt vor der Riesenmasse an Eis, die sich fast bis ins Dorf schiebt. Der Passu-Gletscher soll einer der schönsten Gletscher der Welt sein. Auf jeden Fall war das einer der schönsten Vormittage unserer Reise.
Wir bauen in Ruhe unser Zelt ab und es geht zurück auf die Straße durchs Hunzatal. Die Landschaft zwischen Gulmit und Karimabad hat sich durch den gewaltigen Erdrutsch im Jahre 2010 verändert. Die Naturkatastrophe hat Straßen und Dörfer zerstört, aber auch einen wunderschönen See hervorgebracht, der in Türkis strahlt. 20 Kilometer des Karakorumhighways, die wir vor acht Jahren noch befahren haben, sind sozusagen unter dem Attabad-See begraben. Seit kurzem führt ein neuer Straßenabschnitt mit fünf engen, düsteren Tunneln um den See herum. Wir müssen also keine abenteuerliche Bootsfahrt mit den Emmen machen, was längere Zeit lang die einzige Möglichkeit war, um an dieser Stelle weiter zu kommen.
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Basislager Karimabad

Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert in Karimabad – der alte Königspalast thront oberhalb des Hunza-Dorfes, dessen kleine Häuser und Gärten sich an den grünen Berghängen verteilen. Von überall blickt man auf die riesigen Felswände des Karakorums, die Karimabad umgeben, und auf das traumhafte Flusstal. An der schmalen, staubigen Hauptstraße reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Im Juli und August sei der Ort voller pakistanischer Touristen, ansonsten sei nicht viel los, sagen die Shopbesitzer. Ausländische Touristen sähen sie leider nur noch selten.
Wir folgen dem Schild „Old Hunza Inn“ – das kleine, einfache Hotel gibt es also auch noch. Es kommt allerdings etwas vernachlässigt und vereinsamt daher. Kein anderer Gast hier, außer uns. Das Zimmer, das wir beziehen, ist sehr spartanisch, dafür ruhig und günstig. Und wir haben einen schönen Blick auf den Garten und den schneeweißen, 7.788 Meter hohen Rakaposhi. Ein gutes Basislager also für die nächsten Tage.
Im Gasthaus ist niemand da, der uns Gesellschaft leistet. Aber in Karimabad bleibt man nicht lange allein. Ein einziger Spaziergang durchs Dorf genügt, um Freundschaften zu schließen – die Hunzukuz verwickeln Fremde eben gerne in ein nettes Gespräch. So auch Nazim, ein junger Mann in T-Shirt und Jeans, der uns über den Weg läuft, als wir gerade ein paar Stunden hier sind. Er sei gerade zu Besuch in seiner Heimat und lebe ansonsten in den USA. „Let us meet for dinner tonight!“ lädt er uns spontan ein. Bis es soweit ist, nehmen wir noch eine Dusche unter Gletschermilch, denn das Leitungswasser in Karimabad ist wie eh und je vom metallgrauen Steinstaub der Berge getrübt. Die Mineralien sind übrigens auch der Grund, warum die Bergseen im Sonnenlicht so herrlich türkis leuchten.
Als es dunkel ist, holt uns Nazim am Hotel ab. Die kleine Küche des Old Hunza Inns ist verlassen. Der Gemeinschaftsraum mit seinem großen, langen Tisch, an dem früher jeden Abend mehrere Gäste zum gemeinsamen Dinner zusammengekommen sind – bleibt leer. Nazim nimmt uns mit ins Rainbow-Restaurant. Bei Linsensuppe, Reis und Hühnchen fragen wir ihn nach den Wahlkampfplakaten, die überall aushängen. Die nördliche Region Gilgit-Baltistan wählt übermorgen ihre eigene Regierung. Der teilautonome Norden hat nämlich einen Sonderstatus in Pakistan, der mit dem Kaschmirkonflikt zusammenhängt.
Was viele hier im Moment Sorgen macht, ist der „Economic Corridor“ – ein gigantisches Infrastrukturprojekt zwischen China und Pakistans Regierung, das die Wirtschaft mit neuen Highways und der Erschließung neuer Energiequellen ankurbeln soll. Viele fragen sich, was das für das Leben und die Natur in den nördlichen Bergen bedeutet. Wer wird am Ende davon profitieren? Gilgit-Baltistan hat in dieser Sache kein Mitspracherecht, obwohl die Region stark betroffen ist. In unseren Ohren klingt das leider nach keiner guten Situation.

„Eid Mubarak!“

Wir haben den 19. September und heute feiern die Muslime das Opferfest. In Karimabad fällt dieses Fest etwas einfacher aus. Die Mehrheit der Hunzukuz sind Ismaeliten – eine liberale muslimische Gemeinschaft, die sich deutlich von den meisten anderen Korananhängern unterscheidet. Ihr geistiges Oberhaupt, ein Schweizer, ist der in Frankreich lebende Aga Khan – „Allahs sanfter Revolutionär, der seine weltweit 20 Millionen Anhänger wie ein Papst, Wohltäter und Konzernherr in die Neuzeit führt“, stand es mal im Spiegel-Magazin.
Nazim hat uns zu sich nachhause eingeladen. Wir ziehen unsere pakistanischen Kleider an und machen uns morgens auf den Weg zu seinem Elternhaus. „Eid Mubarak!“ wünscht man sich – ein „gesegntes Fest“. Draußen im Garten grasen ein weißes, junges Marco-Polo-Schaf und ein Kalb. Wer weiß, wie lange noch.
Wir haben ein paar Süßigkeiten mitgebracht und nehmen im Haus auf dem Teppich platz – Männer und Frauen sitzen in getrennten Zimmern. Ich darf bei den Männern bleiben. Nach und nach kommen Nachbarn und Verwandte dazu, gekleidet in Hunzatracht. Nazims Familie serviert Gebäck, Butter und Tee. Ein älterer Herr aus dem Dorf hat sich zu der Männerrunde gesellt und spricht nun ein Gebet. Solange halten alle ihre nach oben geöffneten Hände in den Schoß. Als alle Teetassen leer getrunken sind, bittet uns Nazim nach draußen. Hier schärft gerade einer der Männer zwei lange Messer. Nazims Mutter legt nacheinander ein weißes Tuch und eine bunte Girlande auf das Schaf und das Kalb, die beide unschuldig am Gras kauen, das aus ihren Mäulern heraushängt. Bald darauf kommt der Mann mit dem Messer zum Einsatz. „Das Fleisch,“ sagt Nazim, „verteilen wir später im Dorf.“

Im Willys nach Shimshal

„We can go now!“ ruft uns Nazim eines Nachmittags an. Wir steigen zusammen mit zwei seiner Freunde und dem Fahrer in einen alten Willys-Jeep mit offenem Dach. Es geht in die höchste Siedlung von Hunza – nach Shimshal. Sie ist so abgelegen, dass der König einst Leute zur Strafe dorthin verbannen ließ. Drei Tage lang dauerte der beschwerliche Fußmarsch von Passu aus.
Ich lege mir das Tuch über meine flatternden Haare, lehne mich zurück und genieße es, mich über die waghalsige Piste chauffieren zu lassen. Die nächsten Stunden kann ich gefahrlos durch die Gegend gucken – hoch zu den rauen Felswänden und runter auf den reißenden Shimshal-Strom, der uns durch das enge ursprüngliche Gebirgstal führt. Als wir die ersten Häuser erreichen, ist es bereits dunkel und kalt. Der Fahrer hält an einem kleinen Hotel an. Außer einer Truppe junger Männer, die derzeit auf den umliegenden Gipfeln eine meteorologische Station aufbauen, ist niemand zu Gast. An der Wand hängen Fotos von Bergsteigern aus Shimshal und ein großes, gesticktes Plakat „K2 – gift from heaven“. Das Dorf ist berühmt für seine zähen Bergsteiger.
Wir schlagen im Garten unser kleines Zelt auf. Am nächsten Morgen wollen wir durch Shimshal wandern. Nazim und seine Freunde arbeiten an einer Dokumentation über Hunza und gehen solange auf die Suche nach lokalen Musikern. „Do you want to meet Samina?“ fragt uns der ältere Mann im Hotel, der sich um die Gäste kümmert. „Of course!“

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Samina – Zuhause bei einer Bergsteigerin

Wir ziehen die Schuhe aus und treten in das dunkle, gemütliche Haus ein. Durch das kleine Dachfenster fallen grelle Sonnenstrahlen in die Mitte des Raumes. Wir gehen in den Schneidersitz – genauso wie Samina Baig. Ein blaues Tuch bedeckt ihre dunklen Haare. Sie wirkt zerbrechlich. Dabei steckt eine Menge Energie in der kleinen Frau. Denn die braucht man wohl, um Pakistans erfolgreichste Bergsteigerin zu sein. Vor drei Jahren, da war sie gerade mal  21 Jahre alt, hat sie ihre Landesflagge in den höchsten Gipfel der Erde gesteckt – als allererste Pakistanerin. Ihr Bruder hat ihr das Bergsteigen beigebracht. Mit ihm zusammen steigt sie über die Wolken. Sie hat nicht nur den Mount Everest, sondern auch den jeweils höchsten Berg auf allen sieben Kontinenten erklettert. „Ich möchte ein Zeichen setzen – für die Gleichberechtigung der Geschlechter,“ erzählt sie uns selbstbewusst. Zur Zeit lebt sie in Islamabad und setzt sich für viele Projekte ein. Sie möchte vor allem ihrer Heimat etwas Gutes tun und junge Frauen und Männer für den Sport begeistern. Hier in ihrem alten Zuhause in Shimshal, wo es weder Strom- noch Telefonleitungen gibt, wird die junge Berühmtheit wieder ein bisschen zu dem Mädchen, das aus einem stillen Dorf in den Bergen kommt. „Mein nächstes Ziel ist der K2,“ sagt sie voller Respekt vor dem zweithöchsten Berg der Erde und dem schwierigsten aller Achttausender. Ich küsse Samina zum Abschied den Handrücken – eine regionale Geste unter Frauen, die sich mögen und respektieren. Lächelnd entlässt sie uns auf unseren Spaziergang durch Shimshal.
Seitdem es einen Jeeptrack hierher gibt, soll das Leben etwas leichter geworden sein im Tal. Heute gibt es zum Beispiel für alle Kinder eine Schule im Ort und außerdem eine kleine Krankenstation – beides private Projekte deutscher Bergfans, die nach einer Trekkingreise beschlossen hatten, dem Dorf zu helfen. Die Shimshalis leben ansonsten ihr altes Leben. Im Frühjahr bestellen sie ihre Felder, die durch lange aufgestapelte Feldsteinmauern getrennt sind. Zum Sommer hin treiben sie das Vieh auf die Hochweiden und im langen, harten Winter ziehen sie sich an die Feuerstellen in ihren traditionellen, flachen Häusern zurück. Jetzt, Anfang Oktober, ernten die Bauern das Getreide. Sie reißen die Pflanzen mit den Händen aus dem Boden und stellen sie in kleinen Bündeln auf das Feld.

Abschied aus Hunza

Als wir zurück nach Karimabad kommen, treffen wir endlich auf andere Reisende im Hotel – und zwar gleich auf vier tolle Mädels, die unabhängig voneinander an diesem Ort gelandet sind – aus Deutschland, Japan und Kolumbien. Jede von ihnen ist viel herumgekommen in der Welt. Anne (schöner Blog, in Englisch) ist mit ihrem Fahrrad unterwegs. Ich finde das jedes Mal beeindruckend, wenn Frauen solche Abenteuer alleine bewältigen. Wir alle beschließen spontan, zusammen zum Rakaposhi-Basecamp zu wandern. Danach werden wir Abschied von Hunza nehmen und weiter südwärts fahren. Wir hatten eine tolle Zeit mit den Leuten in Karimabad. „Wenn Du in einen Garten kletterst, um Aprikosen oder Äpfel zu klauen, wird dir der Besitzer einen Beutel reichen, damit du möglichst viele wegtragen kannst.“, hat uns einer die Hunzukuz erklärt. Und genauso ist es.

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Happy Man in Quetta, Pakistan 2009 (c) emmenreiter.de

Pakistan, zweiter Teil

3. Mai. Zurück in Pakistan, zurück in Lahore. Die Stadt kennen wir doch und zum Glück fahren wir an einem Sonntag ein. Denn heute ist mindestens die Hälfte weniger Verkehr auf den Straßen unterwegs. Wir kommen also ohne Probleme zum Zentrum durch, wo wir an bekannter Stelle Mittagspause machen, bevor wir auf den Highway gen Multan weiterfahren. Sofort merken wir wieder den Unterschied zu Indien: Die meisten Frauen sind aus der Öffentlichkeit verschwunden und die Männer zeigen sich durchweg in ihrem luftigen Zweiteiler mit den Schlafanzugfarben Weiß, Grau, Hellblau oder Braun. Ich habe ab jetzt mein Kopftuch wieder griffbereit im Tankrucksack.
Die Menschen in Pakistan haben eine eindeutig andere Art auf uns zuzugehen. Stolz begrüßen sie Reisende, die in ihr Land kommen. Wie wir schon beim ersten Besuch erlebt haben, sind die Pakistaner sowohl Micha als auch mir gegenüber offensiv, gastfreundlich und sehr hilfsbereit. Und zwar überall, wo wir bisher gelandet sind. Dass wir als (Ehe)Paar auftreten, spielt dabei bestimmt auch eine Rolle.

Von Lahore bis Quetta

Der Transit von Lahore an der Ostgrenze bis nach Quetta im Westen ist auf zwei Routen möglich. Und wir haben von anderen Reisenden gehört, die aus dem Iran nach Pakistan kamen, dass die Polizei aus Sicherheitsgründen jeden Ausländer von Quetta bis Lahore eskortiert und rund um die Uhr mit der Kalaschnikow bewacht. Um festzulegen, wie wir in den nächsten Tagen am besten an die pakistanisch-iranische Grenze kommen, sprechen wir mit unserem Freund Saeed in Rawalpindi über die zwei möglichen Wege nach Quetta. Die erste und kürzere Route über DG Khan und Loralei ist durch das Erdbeben im letzten Jahr in sehr schlechtem Zustand. Ausländer sind hier weniger gern gesehen – es gibt kaum Möglichkeiten zum Schlafen, Essen oder Auftanken. Wir nehmen die Empfehlung von Saeed ernst und damit die andere und fast doppelt so lange Strecke im südlichen Bogen über die Städte Sukkur und Sibi in Kauf.
In Lahore biegen wir auf den Highway Nummer 5 nach Süden ab. Die brandneue Fahrbahn ist eben wie eine Landebahn und wir düsen mit fünfundachtzig Kilometern pro Stunde über die wenig befahrene Doppelspur. Der Highway bringt uns laut Karte bis nach Sukkur und bleibt hoffentlich so transittauglich. Erster Übernachtungsstopp ist die Stadt Sahiwal, nur etwa drei Stunden Fahrt von Lahore entfernt. Im Indus Hotel beziehen wir ein Zimmer mit so genanntem Aircooler – die antike Variante einer Klimaanlage und ein Höllengerät, das von außen staubige, aber halbwegs gekühlte Luft über ein Wasserbecken klappernd ins Zimmer turbiniert. Egal, Hauptsache ein paar Grad weniger und hoffentlich ein bisschen Schlaf in der kommenden Nacht. Als wir zum Abendessen ins nächstgelegene Straßenrestaurant gehen wollen, fängt ein starker Sturm an. Der aufgewirbelte Staub verdunkelt die ganze Stadt, Müllreste fliegen durch die Gegend. Der freundliche Rezeptionist meint, es kündigt sich Regen an. Als wir am nächsten Morgen um sechs Uhr losfahren, bleibt die aufgehende Sonne tatsächlich hinter einer dicken Wolkendecke hängen und die Temperaturen sind endlich auszuhalten. Außer ein paar kleinen Regenschauern passiert zum Glück an diesem Tag nicht viel. Abgesehen von einem Beinahe-Crash mit Streifkontakt, weil ein pakistanischer Motorradfahrer sich nicht nach mir umdreht, bevor er ungebremst die komplette Fahrbahn schneidet. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Polizei- und Medienrummel in Rahimyar Khan

447 Kilometer und acht Stunden Emmenfahrt – diese Etappe ist ein Rekord. Kein Wunder, dass sich alle um uns scharen, als wir am Nachmittag in Rahimyar Khan vor dem Hotel anhalten. Auf der Straße staut sich der Moped-, Esel- und Rikschaverkehr, weil jeder sehen will, was los ist: Zwei Deutsche auf dem Motorrad sind in der Stadt! Verschwitzt wühlen wir uns mit Sack und Pack zur Hoteltür durch, wo wir herzlich empfangen werden. Wir kommen mit Abu Bakar, dem netten Manager des Hotels, ins Gespräch und reden über unsere Route nach Quetta. Unsere Frage, ob Quetta derzeit unbedenklich sei, bringt unbemerkt eine Sicherheitslawine ins rollen. Als wir uns auf dem Zimmer dem eingeübten Ankunftsprozedere widmen (Helme/Taschen entstauben, Shirt/Socken durchspülen, duschen), klopfen zwei Polizeibeamte an unsere Tür. Fünf Minuten später sitzt Micha im Sandwich zwischen zwei bewaffneten Polizisten auf einer niedlichen 125er und ich bei Abu Bakar hinten auf dem Moped. Der Manager hat es gut gemeint und sich bei der lokalen Polizei um unsere Sicherheit beworben. Nun bringt man uns kurz zur Wache und ruckzuck ist ein Begleitteam zusammengestellt. Ab jetzt haben wir immer zwei Uniformierte in der Nähe und es scheint, eine willkommene Abwechslung für die Männer zu sein.
Zurück im Hotel warten zwei Herren von der Zeitung an der Rezeption auf uns. Ein Interview, bitte! Als wir uns am Abend endlich zurückziehen wollen, klopft außerdem das Zeitungs- und Kamerateam von Express News Pakistan an die Tür. Auf dem hässlichen Sofa wird schnell ein Interview aufgenommen. Die Polizei steht daneben und genießt das Theater, bevor sie die ganze Nacht auf dem Hotelflur Wache schiebt. Vermutlich haben die Officers selbst die Journalisten informiert. Spätestens morgen weiß also jeder, dass zwei Deutsche mit dem Motorrad auf dem Weg an die afghanische bzw. iranische Grenze sind. Das zeigt doch, dass das Polizeiaufgebot wegen Ausländern derzeit wohl eher ein Statusakt statt einer ernsten Sicherheitsmaßnahme ist. Zehn nach Sechs fahren wir nach einer kurzen Nacht aus Rahimyar Khan davon – vor uns der Toyota-Pickup der Polizei mit dem Kameramann von gestern Abend auf der Ladefläche, der noch ein paar Fahraufnahmen braucht. Die Eskorte wird auf der Strecke bis nach Sukkur etwa drei, vier Mal wechseln.

Rumpelritt durch Sindh

Wir haben gerade die relativ grüne Punjab-Region verlassen und das eher karge Sindh erreicht. In der Stadt Sukkur verabschiedet sich plötzlich der Wagen der letzten Eskortablösung und verschwindet aus unseren Rückspiegeln. Zum Glück, denn sein Fahrer hat wohl noch gepennt und wir sind mit vierzig km/h durch die Gegend geeiert. Ab nun sind wir auf dem National Highway 65 in nordwestlicher Richtung unterwegs. Die Straße ist viel befahren und der Asphalt stark zerfressen. Eine echte Rumpelpiste. Der flache Boden in der Umgebung gleicht einer Mondlandschaft – eine weißstaubige und steinige Gegend. Da Frühstücken beim Frühaufstehen wegfällt, melden sich spätesten Mittags unsere Mägen. Als wir in Shikarpur an einer Kreuzung Pause machen und gleichzeitig nach dem richtigen Weg fragen, haben wir sofort wieder neue freundlich-neugierige Polizisten zur Stelle, die uns bis vor die Zimmertür des Greenland Hotels im zugestaubten Jacobabad manövrieren.
Diese Etappe war anstrengend. Uns fehlt Schlaf. Die Luft im fast fensterlosen Hotelzimmer ist zum Zerschneiden dick und aus dem Wasserhahn läuft nur warmes Wasser. Wir legen uns mit nassen Lappen auf dem Kopf auf die Matratze und stellen für heute jede Bewegung ein. So wie die drei blassen Gekkos, die an der Wand auf Insekten lauern. Auf dem Hotelflur sitzt die neue, örtliche Mannschaft der Polizeieskorte und steht Spalier, sobald wir uns bewegen. Natürlich möchte sich jeder persönlich bei uns vorstellen: „How are you, Mister? How is your wife? Most welcome to Pakistan!” Diesmal verlassen wir das Zimmer erst wieder, als wir am nächsten Morgen weiter wollen.

Balutschistan: Durch die Mondlandschaft nach Quetta

Kurz hinter Jacobabad passieren wir die Grenze zu Balutschistan und der Highway ist wieder im Tip-Top-Zustand. Mit der Eskorte vorweg brausen wir durch die Steinwüste Balutschistans davon. Ein paar Mal zwingt uns der Polizeiwechsel zur Pause – meistens irgendwo im Nichts. Jetzt sind sogar manchmal zwei Polizisten auf einer 100ccm Yamaha unsere nett gemeinte Sicherheitsgarantie. Wir können auf der ganzen Strecke keine Bedrohung wahrnehmen. Nicht nur die Polizei, auch alle anderen auf der Straße oder in den Dörfern vermitteln eine gelassene Atmosphäre. Nach drei Stunden passieren wir Sibi und biegen ab auf eine wellige Fahrbahn durch die vegetationslose Hügellandschaft, die uns nach Quetta bringt. Fast unbemerkt knattern wir in den nächsten drei Stunden Fahrt über die 87 Kilometer des legendären Bolan-Passes. Hier haben seit vielen Jahrhunderten Nomaden, Händler und Soldaten zwischen Zentralasien und Indien verkehrt. Stellenweise rollen unsere Emmen über Schotterabschnitte und sammeln den weißen, balutschistanischen Wüstenstaub ein.
Quetta ist voller Polizei und Militär. Bei Einfahrt in die wuselige Stadt sirent der Toyota Hilux der Eskorte den Weg frei. Hinter uns fährt ein zweiter Wagen mit drei weiteren bewaffneten Männern auf der Ladefläche. Naja, immerhin hat das ganze Aufgebot plötzlich was Gutes, als Michas Vorderrad beim leichten Bremsen auf dem glatt geschliffenen Asphalt zur Seite rutscht und Emme plus Reiter zum Erliegen bringt. Die Eskorte regelt sofort den Verkehr und verhindert die obligatorische Menschentraube ums Geschehen. Mit leicht verbogenen Alukofferträgern und schiefem Lenker fährt Micha ganz schön bleich im Gesicht weiter bis zum Hotel. Der linke Daumen hat was abgekommen und schwillt an. Der rechte Fuß, der zwischen Alukoffer und Asphalt eingeklemmt war, genauso. Wir gehen am besten gleich zum Röntgen ins Krankenhaus.

Daumen hoch!

Im Sandeman Zivil Hospital von Quetta sind Ausländer nicht oft zu Besuch. Der rauchende Typ an der Rezeption der Notaufnahme tippt „Patient: Maikal” in den Computer. Wir bezahlen 20 Rupien (etwa 15 Cent) Gebühr. Dann führen uns irgendwelche Männer voller Freude in den Röntgenraum. Micha in seinem weißen Pakistani-Hemd ist der Einzige im ganzen Hospital, der wie ein Arzt aussieht. Keiner der fünf Typen verlässt den Raum, als Michas Hand bestrahlt wird. Neugier geht über eine Strahlendosis. Der Ring bleibt auch erstmal am Finger. Solange wir auf dem Flur auf die Röntgenbilder warten, möchte irgendwer Micha gerne eine Injektion verpassen. Die Ampulle und Nadel hat er schon in der Hand. Wozu die allerdings gut sein soll, kann er uns nicht verständlich machen. Micha lehnt freundlich und dankend ab. Die anschließende Diagnose ist eindeutig: glatter Bruch am Daumen. Knöchel zum Glück nur verstaucht. Sofort kommt das nächste Team zum Einsatz. Drei Männer gleichzeitig drücken Michas Daumenknochen in die richtige Position zurück. Ich muss dabei zugucken, wie Michas Schmerz verzerrtes Gesicht immer weißer wird und sein Kreislauf schlapp machen will. Hoffentlich wissen die, was sie tun! Mit frischem Gips und Daumen hoch an der Hand verlassen wir nach einer halben Stunde erleichtert das Hospital und hoffen, dass Kuppeln weiterhin möglich ist.

Röntgenbild vom DaumenbruchHospital in Quetta

Zum Wunden lecken ist das Hotel, in dem wir untergekommen sind, ein guter Ort. Es hat einen grünen, herrlich ruhigen Innenhof. Die Schweizer Jan und Karin sind außer uns die einzigen Gäste hier. Mit den Beiden verbringen wir zwei schöne erste Tage, bevor sie in ihrem Toyota Landcruser nach Lahore abhauen.
Vom Visaagenten in Berlin haben wir trotz Betteln um ein Zeichen nicht erfahren, ob die Iranvisa wie versprochen unterwegs nach Quetta sind. Als wir telefonisch nachhaken, heißt es nur, dass Herr Haase gerade in Nepal ist. Na toll! Immerhin hat er eine kompetente Kollegin, die uns am 8. Mai endlich die Dokumente per DHL Express nach Quetta schickt und uns erstmals korrekt informiert, ab wann und wie lange die Visa gültig sind. Sobald wir die Grenze in den Iran überschreiten, haben wir volle dreißig Tage Zeit fürs Land. Eine gute Nachricht. Der Schneider um die Ecke näht Micha einen langen Reißverschluss in den Ärmel der Motorradjacke, damit sie über den Gipsarm passt. Am 11. Mai soll die DHL-Sendung im Hotel sein und am nächsten Morgen wollen wir dann auf die letzten beiden Etappen zur iranischen Grenze nach Taftan aufbrechen. Den glücklichen Pakistaner vorm Hotel mit seiner knallgelben Brille nehmen wir als gutes Omen für die Weiterreise gen Heimat.

Neugier auf Persien

Wir sind neugierig auf den Iran. Wahrscheinlich das i-Tüpfelchen auf unserer Reise entlang der alten Seidenstraßen – auch wenn wir ein paar lange, einsame Streckenabschnitte auf den Wüstenhighways der persischen Hochebene zurücklegen müssen. Iran wird mit Sicherheit seinem schlechten Ruf in der westlichen Welt nicht gerecht. Wir wollen uns ein eigenes Bild machen: von der höflichen, herzlichen Art der Perser, vom altorientalischen Flair in Isfahan und Yazd, vom noch irreren Fahrstil der Iraner und vielleicht einen Blick hinter die Kulissen der Metropole Teheran werfen. Wie werden wir das Land der Arier erleben?

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Abschied aus Pakistan /abschied-aus-pakistan/ /abschied-aus-pakistan/#comments Mon, 10 Nov 2008 18:21:12 +0000 /?page_id=1698 Abschied

Letzte Tage in Lahore

Lahore ist eine Metropole und nicht in ein paar Tagen zu erkunden. Wir widmen der Stadt am Ende eine ganze Woche. Wir wagen uns auf die lauten, dreckigen Straßen. Die Fahrt in der Moped-Rickscha ist ein Erlebnis für sich. Eine Achterbahnfahrt mit 30 Km/h und 100 Dezibel. Wenn es zu stressig wird, setzen wir uns mit anderen Reisenden einfach auf die Hotelterrasse oder gehen in den großen, ruhigen Park.
Auf dem Weg in den Park landen wir einmal aus Versehen im daneben liegenden Zoo. Jetzt erfahren wir, wie sich Promis auf der Straße fühlen müssen. Eine Stunde lang werden wir ununterbrochen fotografiert: vor dem Elefanten, mit Kleinkindern an der Hand, erst zusammen, dann getrennt. Wir sind die Hauptattraktion im Lahore Zoo und können uns nirgends verstecken. An diesem Nachmittag haben wir uns auf etlichen Fotokameras verewigen lassen und viele Pakistaner damit sehr glücklich gemacht.

Mit den Sufis im Schrein

Pakistan gilt als Wiege des Sufismus. Am Donnerstag ist Sufinacht in Lahore. Diesen Event wollten wir auf keinen Fall verpassen. Dank unseres Hotelbesitzer Malik, selbst Sufi und gut vernetzt in der Szene, können wir als Ausländer und ich als Frau an der Sufizeremonie teilnehmen. Die Sufis verstehen sich als Muslime, die sich auf spirituelle, ekstatische Weise und unter Gebrauch von Rauschmitteln wie Haschisch näher zu Gott bringen. Sie stehen für einen mystischen Islam, Gewalt lehnen sie ab. Um zehn Uhr abends fahren wir in den Schrein der Sufigruppe. In dem Tempel ist ein verehrter Führer der Sufis begraben. Im Innenhof des Schreins sitzen bereits hunderte Männer dicht an dicht auf dem Boden und lauschen den eingehenden Klängen der gewaltigen Bauchtrommel. Mithu Saeen – taubstumm, ein Star der Szene und ein weltbekanntes Genie auf seinem Instrument – bringt die Sufis über stundenlanges Trommeln in Ekstase. Wir ziehen wie alle die Schuhe aus und werden auf die Treppe an der Seite des Hofes platziert: ein Platz extra für die ausländischen Besucher der Sufinacht. Wir beobachten das Treiben. Immer wieder rufen die Männer „ Julelal!” Der Rau(s)ch der unzähligen Joints legt sich wie eine Decke über den Hof. Teilweise ziehen die Männer an sechs Joints gleichzeitig den Haschischrauch in ihre Lungen. Später treten noch Mithus Bruder Gonga mit zwei anderen Trommlern in die Hofmitte. Die verehrten Stars schlagen unglaubliche Töne in tausenden Rhythmen an. Die Verbindung zu Gott ist hergestellt. Bevor es zu wild wird, lassen wir die Sufis in ihrem heiligen Rausch allein und fahren mit dem Sufisound im Ohr durchs nächtliche Lahore ins Hotel zurück.

Wagah-Border: Pakistan, Sindabad!

Wagah-Spektakel

8. November. Wir verbringen nach genau sechs Wochen unseren letzten Tag in Pakistan, und zwar direkt in Wagah an der Grenzstation. Wir haben uns gut und mit Hupe aus Lahore heraus manövriert – zwei MZ zwischen überbeladenen Fahrradfahrern, Eselskarren, Mopped-Rikschas, Fußgängern, Tieren, LKWs und Bussen vorbei an fliegenden Obsthändlern und Garküchen am Straßenrand.
Die pakistanische Grenze zu Indien ist die Bunteste, die wir je erleben. Kleine Stände verkaufen Getränke, Snacks und Bücher. Wir quartieren uns für heute Nacht in dem kleinen Hotel mit Garten vor Ort ein. Danach, um halb vier, d.h. nach Grenzschluss, strömen wir zusammen mit tausenden Pakistanis ins Stadion, das beide Seiten des Grenztores zwischen Pakistan und Indien umringt. Hier findet gleich für etwa eine halbe Stunde, wie jeden Tag um diese Zeit, ein einzigartiges Spektakel statt: Die sorgfältig ausgewählten Soldaten beider Länder – riesige, starke und hübsche Männer – zelebrieren im Gegenüber in einer unterhaltsamen Weise ihre Stärke und Macht. Während die stolzen Soldaten bei zackigen Marscheinlagen ihre Beine bis über den Kopf nach oben reißen und ihre metallbeschlagenen Stiefel auf den Boden stampfen, schallen aus den getrennten Männer- und Frauenblöcken die Sprechchöre: „Pakistan Sindabad! Pakistan Sindabad!…” Lang lebe Pakistan! Die Atmosphäre gleicht einem Finalspiel im Fußballstadion. Man bekommt Gänsehaut. Auf der indischen Seite der Grenze erwidern die Menschen „Hindustan Sindabad!” Am Ende reichen sich Soldaten beider Seiten die Hände und holen zeitgleich ihre Landesfahnen vom Mast. Die Grenze ist für heute geschlossen. Die Sonne ist fast untergangen und jetzt verlassen alle glücklich den Schauplatz.

Wagah-Publikum

Unsere Anwesenheit an der Wagah-Border löst plötzlich eine lustige Hysterie bei den Mädchen aus.

Fasziniert vom Stolz der Pakistanis legen wir uns schlafen. Ein eingebranntes Erlebnis zum Abschied denken wir und fahren am nächsten Morgen gelassen und mit freundlichen Beamten auf beiden Seiten über diese Grenze. Pakistan hat uns in sechs Wochen wie kein anderes Land beeindruckt. Jeder in diesem Land ist uns beiden mit Respekt und Ehre begegnet. Die Pakistaner sind unheimlich stolz auf jeden, der ihr Land besucht und sie geben alles, um ihren Gästen zu beweisen, dass Pakistans Volk friedliche und herzliche Menschen sind. Wir haben Pakistan als große positive Überraschung erlebt und mit diesem Glücksgefühl ziehen wir nach Indien weiter….

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Gilgit-Rawalpindi-Lahore: Ein harter Tripp /gilgit-rawalpindi-lahore-ein-harter-tripp/ /gilgit-rawalpindi-lahore-ein-harter-tripp/#comments Sun, 02 Nov 2008 20:10:23 +0000 /?page_id=1673 BadshahiMoschee

Badshahi Moschee in Lahore, Pakistan 2008

Kaghan-Tal: Eine sichere Abkürzung nach Rawalpindi

4.175 Meter. Eine Fahrt über den Barbusa-Pass müssten unsere MZ locker schaffen. Wenn wir auf unserem Weg nach Rawalpindi den eher unfreundlichen Karakorum-Highway-Abschnitt ab Chilas durch Indus Kohistan vermeiden möchten, dann bleibt nur die Abkürzung über den viertausender Pass und das Kaghan-Tal. Die Einwohner von Indus Kohistan mögen nämlich keine Ausländer. Statt winkender Kids am Straßenrand kann hier schon mal ein Stein geflogen kommen.
Wir fragen vorher ein paar andere Reisende und Einheimische, ob der Weg über den Pass derzeit gut befahrbar ist. Immerhin hat das große Erdbeben in 2005 diesen Abschnitt fast komplett zerstört und die Wiederherstellung hält noch an. Pass aufwärts soll die Straße fertig sein, bergab ins Tal führt ein Jeepweg. Und irgendwann beginnt wieder eine Asphaltstraße. Wenn es nicht schneit und regnet, sei diese Abkürzung nach Rawalpindi mit unseren Motorrädern problemlos zu schaffen und mit Sicherheit die schönere Strecke. [See image gallery at www.emmenreiter.de]

Barbusa-Pass: Hier hört der Spaß auf

Wir probieren es und biegen in Chilas nach links auf die Passtraße ab. Ab hier geht es auf breiter und größtenteils neu asphaltierter Straße 42 Kilometer nach oben. Fünfzehn Kilometer vor der Passspitze endet die Straße in einem schmalen, steilen Sandweg, der von kleinen Brücken und Flussläufen unterbrochen wird. Die wackelige Durchfahrt durch das einen halben Meter tiefe Wasser ist gerade überstanden, da wird die Steigung auf einmal so stark, dass Micha mit seiner MZ hängen bleibt. Wir müssen ein kurzes Stück schieben. Oben auf dem Hügel stellt Micha bei beiden MZ erstmal die Kupplungen unter Beobachtung der skeptischen Pakistaner nach. Wenn der Weg nicht besser wird, müssen wir umkehren.
Hinter uns quält sich gerade ein Toyota-Kleinbus mit drei Pakistanern dieselbe Steigung hinauf und bleibt stecken. Wir stellen uns zu viert hinten auf die Stoßstange, damit die Räder nicht durchdrehen, und bringen den Toyota gemeinsam nach oben. Die drei Pakistaner aus Chilas sagen uns, dass es bis zur Passspitze noch ein paar schwierige Stellen gibt. Sie wollen uns bis nach oben begleiten. Der Weg wird gerade von Kettenbaggern aufgerissen und ist faktisch nicht mehr vorhanden. Wir wühlen uns mit der MZ noch ein paar Meter durchs grobe Gelände bis wir merken, dass es keinen Sinn mehr hat. Auf über dreitausend Metern haben die Mopeds nur noch halb soviel Power und es ist für alle eine Quälerei. Hier hört der Spaß auf.
Die drei Pakistaner im Toyota geben uns zu verstehen, dass es besser sei, weiter zu fahren. Sie könnten uns das schwere Gepäck bis nach oben abnehmen. So sei es zu schaffen. Wir sind ein bisschen unsicher, ob wir unser ganzes Hab und Gut in den fremden Wagen packen sollen. Es ist eine eigenartigeSituation, aber wir entscheiden gemeinsam, zu vertrauen und laden alles um. Schritt für Schritt und nacheinander schieben und fahren wir jetzt die entladenen Moppeds über die lose Erde. Micha erinnert sich an Tipps aus dem letzten Endurokurs und nimmt mir an manchen Stellen die MZ ab. Der Toyota kämpft sich mit uns auf der Stoßstange tatsächlich hinterher. Auf den letzten Passkurven haben wir zum Glück wieder festen Boden unter den Rädern und wir kommen doch noch am Barbusa-Pass an. Es ist kalt und teilweise liegt Schnee. Wir wiederbeladen unsere müden Packesel und verabschieden uns von den drei Pakistanern, die nun komischerweise den ganzen Horrorweg ins Tal zurückkehren.
Bevor es dunkel wird, wollen wir noch so weit wie möglich abwärts ins Tal fahren. Leider kommen wir auf dem rauen Jeepweg nicht schnell voran. Mit nachlassenden Kräften überfahren wir noch ein paar abenteuerliche Hilfsbrücken und schlagen in der Dämmerung in einer menschenleeren, felsigen Gegend unser Lager auf. Es gab schon bessere Stellen zum Übernachten, aber zum Glück sind wir müde genug für einen guten Schlaf. Im Morgengrauen krabbeln wir aus dem vereisten Zelt und steigen widerwillig in die kältesteifen Motorradklamotten. Nach ein paar Keksen zum Frühstück packen wir alles ein und fahren etwa fünfzig Kilometer nach Naran weiter.

Von Naran nach Rawalpindi: Abfahrt in den Moloch

Nach einer Stunde Jeeptrack am frühen Morgen kommt endlich die ersehnte Asphaltstraße, die uns nach Naran bringt. Die Saison im populären Hoteldorf ist bereits vorbei. Keine Gäste mehr aus Islamabad, die hier im Sommer nach einer frischen Brise und grüner Natur suchen. Die Erdgeschosse der meisten Hotels sind mit alten Brettern provisorisch verbarrikadiert. Wir finden am Ende des Dorfes noch ein kleines Gasthaus, dass geöffnet ist und wo wir bis zum nächsten Tag in einem Zimmer ohne Tageslicht bleiben können. Die kleine Straßenküche in der Dorfmitte bereitet uns, den zurzeit einzigen hierher verirrten Fremden, mit einem freundlichen Lächeln warmes Essen zu: Dhal (Linsencurry), Chili-Omelett und Fladenbrot. Zum Dessert gibt es natürlich den süßen Milchtee.
Auf dem 80-Kilometer-Abschnitt von Naran bis zur Stadt Balakot, die 2005 dem Erdboden komplett gleich gemacht wurde, ist die kurvige Straße alle ein paar hundert Meter vom Berg verschüttet und nur grob frei geschoben. Eine Baustellendurchfahrt ohne Ende. Ab Balakot geht es dann endlich wieder auf guter Straße zurück auf den letzten Teil des Karakorum-Highways. Hier fahren wir in Mansehra ein und ab dort beginnt die Hölle: zu viele Autos, LKWs und kleine Motorräder; zu viele verrückte und rücksichtslose Fahrer. Unser Tagesziel Rawalpindi ist ab hier noch 130 Kilometer entfernt, aber der Smog und Lärm ist schon jetzt präsent. Wir verabschieden uns gedanklich und endgültig vom ruhigen, sauberen Norden und konzentrieren uns auf den Verkehr. Mit der Adresse von Saeeds Büro in der Tasche fahren wir immer schön dicht hintereinander auf einer dreispurigen, überfüllten Straße in den Moloch Rawalpindi ein. Wir beide haben denselben Gedanken: Schrecklich. Micha versucht, an mir dran zu bleiben. Keine leichte Aufgabe in dem Chaos. Nach neun Stunden auf dem Sitz der MZ kommen wir erlöst an der Adresse an und können endlich absteigen.

Zur Entspannung ein Privatkonzert

Saeed nimmt uns beide noch am selben Abend zur Entspannung zu einer interessanten Herrenrunde in eine alte, gemütliche Villa um die Ecke mit. Dort sitzen seine Freunde in lockerer Atmosphäre auf dem orientalischen Teppichboden des Wohnzimmers bei Gin und Bier. Anscheinend sind sie keine traditionellen Muslime, allerdings elitäre Pakistaner: ein Philosoph und Dichter, ein Maler, ein Tenniscoach, ein ehemaliger Präsidentensohn… Sie genießen heute Abend ein kleines Privatkonzert von zwei pakistanischen Weltklassemusikern. Die klaren, sanften Klänge der Violine und der tiefe Klang der Trommeln sind unbeschreiblich. Die Musiker widmen uns eine pakistanische Version von Mozart und danach verabschieden wir uns ins Bett. Ein guter Abschluss nach einem anstrengenden Tag.
In Rawalpindi gibt es außer orientalisch-pakistanischem Stadtleben nichts weiter zu entdecken. Micha widmet sich am nächsten Vormittag den beiden MZ und nimmt ein paar wohlverdiente Pflegemaßnahmen an ihnen vor. Am Abend laden wir Saeed, seinen Sohn Adam und seine Tochter Mariam zum Dinner ein. Wir fahren im Jeep zum Aussichtsrestaurant auf den Margalla Hügel (1.000 m) in Islamabad, von wo aus wir einen großartigen Blick auf das nächtliche Lichtermeer der großflächig angelegten Hauptstadt haben. Das Essen dort ist das beste, das wir seit langem hatten. Ein schöner und lustiger Abschiedsabend, bevor wir nach Lahore weiterziehen.

Lahore: Kulturhauptstadt und Neun-Millionen-Metropole

Wir fahren am 31. Oktober in Rawalpindi auf die Grand Trunk Road gen Lahore – eine 270 Kilometer lange autobahnähnliche Straße. Es fährt sich überraschend gut und wir haben den Stadtrand der Neun-Millionen-Metropole Lahore nach vier Stunden erreicht. Es sind etwa dreißig Grad Celsius. Zu warm für unsere Motorradklamotten. Tausende stinkende Moped-Rikschas begrüßen uns mit ihrem scheppernden Zweitaktgeknatter. Es geht zu wie auf einem Ameisenhaufen, nur dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, als wir kurz anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Der hilfsbereite Pakistaner – schnell umringt von fünfundzwanzig anderen hilfsbereiten Pakistanern – schreit uns dreimal denselben Satz ins Ohr: Immer gerade aus und dann noch mal fragen! Wir brauchen uns keine Sorgen machen, Lahore ist eine gute Stadt. Wir können es kaum glauben, aber der Straßenverkehr in Rawalpindi war noch nichts gegen das, was wir gerade durchfahren. Nach ein paar hektischen Straßenkreuzungen in der versmogten City kommen wir ausgelaugt, aber lebend am kleinen, abgefuckten Hotel in der Gasse nahe dem Regale Platz an. Es sieht nicht sehr einladend aus, soll aber ein guter Platz für Reisende sein. Die Motorräder müssen neben den vielen anderen Zweirädern vor dem Schneiderladen auf der dreckigen Straße bleiben. Wir schleppen müde unser Gepäck die schmale, steile Treppe hinauf in unser zusammengeschustertes Zimmerchen. Auf der kleinen Dachterrasse, auf der es eine Miniküche und die Toilette-Dusche-Kammer gibt, ist es ganz gemütlich. Eine Sitzecke mit aktueller Tageszeitung und Satelliten-TV, auf dem abends englischsprachige Filme laufen. Obwohl an diesem Abend auf der Terrasse Musiker aus Lahore ein Konzert geben, schlafen wir in unserem Zimmer direkt daneben wie gelähmt in einen narkoseartigen Schlaf. Wir müssen uns erst langsam an den neuen Lebensstil, der Indien sehr nahe kommt, gewöhnen.
Nach einer kalten Dusche und einem warmen Frühstück auf der Dachterasse trauen wir uns kurz auf die Straße. Wir bringen unsere schmuddelige Wäsche zum Reinigungsservice. Immer wieder rufen uns die Männer „Hello, how are you?” zu, ein paar Kinder schütteln uns schüchtern die Hand. Die Pakistaner sind sehr stolz, wenn wir ihnen versichern, dass wir uns in ihrem Land sehr wohl fühlen. Sie honorieren, dass Ausländer trotz schlechter Nachrichten in den weltweiten Medien nach Pakistan kommen und sich ein eigenes Bild insbesondere von den Menschen hier machen. Manchmal ist es anstrengend für uns, sich immer wieder Zeit für die Leute auf der Straße zu nehmen, aber ihre große Dankbarkeit für ein kurzes Gespräch ist es wert.
Auf dem Rückweg gönnen wir uns im besten Eisladen der Stadt einen Bananenmilchshake und Schokoeis. Das hatten wir schon ewig nicht mehr. Und wir haben es auch gut vertragen. In dem Supermarkt nahe dem Hotel finden wir außerdem Lindt-Schokolade, Cornflakes und President-Käse. Eine nette Abwechslung zum einheimischen Essen auf der Straße, das uns allerdings ganz gut schmeckt und unschlagbar billig ist. Am Sonntag, als die meisten Läden überraschenderweise geschlossen haben und der Verkehr tatsächlich weniger ist, setzen wir uns in die Moped-Rikscha und lassen uns im Zick-Zack-Kurs in die Altstadt chauffieren. Dort genießen wir die Ruhe in der Badshahi-Moschee – die zweitgrößte Moschee Pakistans und eine der größten Moscheen der Welt – bevor wir die engen und maroden Gassen der Altstadt durchstreifen. Unglaublich, wie die Menschen hier leben. Die Häuser sind teilweise über ein paar hundert Jahre alt und durchweg heruntergekommen. Die Stromkabel des Viertels hängen kreuz und quer und verknotet wie ein zigmal geflicktes Spinnennetz zwischen den Häusern. Langbeinige Ziegen mit Riesenschlappohren warten neben dem Fleischladen auf ihren Tod. Männer fahren ihre in bunte Schleier gehüllten Frauen, die in aller Gelassenheit seitlich hinten auf dem Moped sitzen, mit Tempo durchs Gewühl. Wir flüchten auf den Turm der bunten Badjai-Moschee und sehen über die Dächer der Altstadt. Der Smog schwebt zwischen Stadt und Himmel und färbt sich orange in der Abendsonne.
Die Stadt kostet uns viel Energie. Wir ziehen uns immer wieder zur Pause auf die Dachterrasse des Hotels zurück. Wir surfen im kabellosen und unglaublich schnellen Internet – eine Wohltat nach so vielen geduldigen Besuchen in den bisherigen Internetbuden. Nach Sonnenuntergang ist es Zeit fürs Abendessen: Kartoffel-Spinat-Curry mit Fladenbrot, frisch serviert aus dem stickigen, quirligen Straßenrestaurant. Wenn die Faulheit nicht siegt, steigen wir morgen auf die Motorräder und fahren die dreißig Kilometer nach Wagah an die indische Grenze. Oder wir bleiben doch noch bis zum nächsten Donnerstag in der Stadt, denn donnerstags verwandelt sich das Kulturzentrum Lahore in eine wahnsinnige Konzertstadt. Mal sehen, wir haben ja noch alle Zeit der Welt…

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