Durststrecke: Von Kasachstan nach Karakalpakstan

Junges Kamel in Karakalpakstan

Junges Dromedar in Karakalpakstan © emmenreiter.de

„Oh Mann, is dit öde hier.“

…stöhnt Micha, als er sich in Beineu auf das Hotelbett fallen lässt. Ich nicke. Nein, ich schüttel den Kopf, weil ich es krass finde, dass sich Menschen in dieser Wüstengegend freiwillig niederlassen. Dabei ist es jetzt, unter den weißen Schäfchenwolken am blauen Himmel, bestimmt noch am nettesten hier. Die mit Lehmsand verstaubte Kleinstadt ist vor Usbekistan der letzte zivile Ort – mit Tankstelle, kleinem Basar und drahtlosem Internetempfang. 440 Steppenkilometer sind wir von Atyrau auf einwandfreier Straße bis hierher durchgerollt. Dabei gehörten Blechdächer in Knallblau und Rot zu den wenigen Farbkleksen im Westen Kasachstans. Das Land hatte uns immerhin sehr freundlich empfangen: „Welcome to Kasachstan!“ freuten sich die jungen Männer an der Grenze. Die Einreise war extrem unkompliziert – ein Stempel in den Pass, ein Stempel auf die Migrationskarte und weiter. Alles zusammen hat der Übertritt von Russland nach Kasachstan nur unglaubliche 53 Minuten gedauert. Danach konnten wir entspannt übelsten Schlaglöchern ausweichen und durch tiefe Rillen im aufgeweichten Asphalt bis in die Erdöl-City Atyrau eiern – 296 Kilometer in sechs Stunden.

Durststreckenplanung

So eine weite Steppenebene, die nur durch ein paar hässliche Ortschaften und Industrieanlagen unterbrochen wird, muntert nicht gerade auf. Die Damen im „Hotel Beyneu“ sind auch nicht gut drauf und wir können ihnen ihre Laune noch nicht mal übel nehmen. Immerhin servieren sie die obligatorischen Spiegeleier zum Frühstück in Herzform.
Die einzige Ecke in Beineu, wo am Tage was los ist, ist der überschaubare Basar gegenüber vom Bahnhof. Manchmal wackelt ein Kamel über die Straßenkreuzung und ärgert die Autofahrer. Über dem schattenlosen, gepflasterten Platz gleich hinter unserem Hotel flimmert die Hitze und er füllt sich erst abends mit spielenden Kindern. Ein junges Hochzeitspaar macht Fotos am Betondenkmal. Mitten in der Nacht erfreut uns dann ein kasachischer Sportsender mit einem spannenden EM-Elfmeterschießen: Deutschland gegen Italien.
Unter der kühlen Brise der Klimaanlage im Hotelzimmer planen wir in Ruhe die nächsten Schritte der Reise. Es sind immer die selben Fragen: Wo wollen wir etwas länger verweilen? Wie gut oder schlecht sind eventuell die Straßen? Wo kommen wir an Bargeld? Und wo an Benzin? Der Typ von der Rezeption warnt uns, auf jeden Fall eine Reserve zu besorgen: „For 500 kilometers no benzin“, meint er. Also schnallen wir einen 20-Liter-Benzinkanister auf Michas Emme. Ein kasachischer Liter kostet übrigens 33 Cent.
Am Abend vor unserer Weiterfahrt treffen wir draußen auf Andy aus England. Na endlich. Die Freude ist groß. Wir haben bis hierher so gut wie keinen anderen Reisenden getroffen. Andy ist auf dem Fahrrad unterwegs und will ebenfalls nach Usbekistan weiter. Ich kann`s nicht fassen – in dieser Einöde, allein und bei der Hitze. „Ich werd` mich bestimmt nicht mehr beklagen!“, sage ich zu Micha, der in dem Moment genau dasselbe denkt.

Ab durch die Wüste

4. Juli 2016. Morgens um halb acht holpern wir hinter dem Bahnhof entlang auf zerfressenen Stahlbetonplatten raus aus Beineu. Der Anblick auf den Ort ist von dieser Seite hässlich und abschreckend.
Ein paar Lastwagen nehmen heute früh ebenfalls Kurs auf Usbekistan. 87 Kilometer lang stauben wir auf einer Sand- und Schotterpiste den Eisentoren der Grenze in der Wüste entgegen – immer in Sichtweite zur parallel verlaufenden Bahntrasse. Von zehn Uhr bis halb eins bringen wir den Grenzübertritt hinter uns. Dabei gucken sich die Usbeken unser Gepäck etwas genauer an. Als sie den Laptop entdecken, fragen sie nach Videos. „No videos“ antwortet Micha. Dann unterhält er den Zöllner mit ein paar Fotos. Zum Schluss werden noch Tabletten aus der Reiseapotheke behutsam beäugt und man entlässt uns mit den Worten „We are glad to meet you!“ in die usbekische Wüste.
Auf der Landkarte ist die Straße bis zur nächsten Ortschaft mit dem Lineal gezogen: 160 Kilometer geradeaus. Es ist so verlassen hier, dass nicht mal die Internetlandkarte diese Route berechnen kann. Die ersten 60 Kilometer ist die feste Piste zerlöchert wie ein Käse und meine Emme poltert ab und zu schmerzhaft über fiese Kanten. Ich zähle die zähen Kilometer. Wieder zehn geschafft. Das Zahlenrad im Tacho kann nicht schneller. Wir halten kurz zum Trinken an. Die Sonne brennt wie ein Bügeleisen auf meine schwarze Motorradhose. Zur Abwechslung überholt uns ein Auto und der Fahrer streckt mal wieder euphorisch seinen gehobenen Daumen durchs Fenster. Das hilft.
Um vier Uhr nachmittags passieren wir endlich Jasliq – das erste Dorf in der Wüste Aralkum. Ein paar Kilometer weiter gibt es eine Trucker-Absteige an der Straße. Die Tankstelle daneben ist verwaist und die Zapfsäule ausgetrocknet. Wir schütten das Benzin aus unserem Reservebehälter in die Tanks und parken die Motorräder auf dem Hinterhof – gleich neben dem Wrack einer alten Ural und einem Haufen gammeliger Benzinkanister. Acht Dollar kostet hier das Bett pro Nacht. Und Gott sei Dank, es gibt eine Klimaanlage. Wir essen noch eine Kleinigkeit aus eigenen Vorräten und dann falle ich wie ein Stein ins Bett. Es ist noch lange nicht dunkel und Micha stöbert mit dem Fotoapparat herum.
Als wir kurz nach Sonnenaufgang wach werden, öffne ich das Fenster. Hinten am Horizont galoppiert eine wilde Horde Pferde auf die Wasserstelle an unserem Gehöft zu und wirbelt feinen Staub ins zarte Morgenlicht.

Null Benzin in Karakalpakstan

Kara-kalpak-stan? Das „Schwarze-Mützen-Land“ im Westen Usbekistans ist eine autonome Republik – umgeben von Wüste in alle Richtungen. Und so abgelegen, dass die Sowjets hier unbeachtet chemische Waffen testen konnten. Die Region südlich des sterbenden Aralsees nimmt ein Drittel des Landes ein.
Wir fahren von Jasliq in die Republikhauptstadt Nukus. Da ist es auch nicht viel spannender – breite, leere, schattenfreie Straßen verlaufen streng im rechten Winkel durch die zentrumlose Planstadt der Sowjets. Mit leeren Tanks und trockenem Benzinkanister rollen wir die erste Tankstelle an, die uns unter die Augen kommt. Doch der Tankwart hält uns nur seine überkreuzten Unterarme entgegen und lacht: „No bensin in Nukus!“ Wir können leider nicht mitlachen. In Karakalpakstan sind alle Fahrzeughalter auf Methan und Propan umgestiegen. Neue Tankstellen gibt es reichlich – nur nicht für Benzin. Im Hotel schickt man uns in eine Seitenstraße: „You will see bottles on the side.“ Für den zartgelben Stoff aus alten Wasserplastiklaschen werden 4.000 Sum pro Liter verlangt (etwa 60 Cent). Micha holt ein Riesenbündel Scheine aus der Tasche, das wir eben – wie in Usbekistan üblich – auf dem Schwarzmarkt getauscht haben. Ein Hundertdollarschein entspricht fünf dicken Geldbündeln. Erleichtert über die gefüllten Tanks können wir endlich entspannen. Die Emmen schlucken den Stoff, ohne zu murren. Noch schnell zum Minimarket, noch eine Nudelsuppe und ein Reisetag geht zuende. Morgen steuern wir der sagenhaften Altstadt von Chiwa entgegen und freuen uns auf ein paar fahrfreie Tage in der Welt von tausendundeiner Nacht.

> So geht`s weiter: Usbekistan: Neue alte Seidenstraße
< Vorherige Reisegeschichte

Die ganze Reise im Überblick – mit Route, allen Reisegeschichten und Bildern:
Asienreise, die Zweite: Auszeit auf dem Motorrad

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7 Gedanken zu “Durststrecke: Von Kasachstan nach Karakalpakstan

  1. Hamburg, 23°; durchwachsenes Wetter mit Schauer- und Gewitterneigung. Also nix besonderes.
    Aaaaber heute kam Post aus O’ZBEKISTON. Und schon ist alles im Schönwettermodus 🙂
    Ich wünsche euch eine gute Weiterreise im Seidenstraßenfieber!
    Martin

  2. Hallo Ihr,

    tolle Berichte und tolle Fotos.
    Übrigens, unser BV Wehbellinstr. scheint tatsächlich abgeschlossen zu sein.
    Euch weiterhin viel Spaß und Freude und auch das nötige Quentchen Glück, dass alles so läuft wie ihr es euch vorstellt.
    Lg aus Berlin, Hilfsbauleiter Marc 🙂

  3. Hallo ihr wieder Entstaubten.
    Haben neulich beim Feierabendeis Laura mit Mama und Oma getroffen. Sie ist ganz stolz auf eure Karten, 7von 10 hat sie schon. Genau so interessiert wie wir verfolgt sie eure Berichte. Laura lässt euch lieb grüßen und drückt euch in Gedanken ganz doll. Mama, Papa und co. sind zur Zeit ja am Lausitzring, wir ab 27.7. auf Teneriffa. Hoffentlich können wir auch dort eure tollen Berichte lesen. Schmatzerchen und Umarmung. Tante Eva und Heiko

  4. Hallo Ihr Zwei,

    Ihr wollt „coole“ Kommentare? Ich hätte da etwas „coolen“ Hagel aus Berlin zu bieten. 😉 Heute hat es durch eine offene Tür zur Feuerleiter ´reingehagelt. Nachdem wir alles wieder ´rausgekehrt hatten, kamen nebenan Teile der Zwischendecke ´runter, weil es nebenbei auch sehr stark geregnet hatte. Das sind zur Zeit unsere „Büro Abenteuer“!

    Die Dromedare sind ja zum Knutschen! Als Kind stand ich im Zoo oft fasziniert vor ihnen und konnte ihnen stundenlang beim Wiederkäuen zuschauen…

    Lasst es Euch gut gehen!
    Liebe Grüße
    Susanne

  5. Hallöchen ,
    Es ist schon eine andere Welt,o man. Möge euch das Benzin nicht ausgehen.
    Gruß Lupo !

  6. Hallo ihr Abenteuerer,

    ich bin kein Buchleser aber eure Berichte kann ich gar nicht abwarten.
    Solltet ihr demnächst ein Buch schreiben, so wird es mein erstes gelesenes Buch werden.
    Weiter so und schön aufpassen.
    Simon

  7. Ihr Weltenbummler,

    das Herz von Beineu sieht so lebhaft und aufregend aus, wie die Marktstraße Pritzwalks in der Prignitzer Steppe ,-) Hat aber einen Pluspunkt: das Wetter ist besser. Außer heute: 31 Grad. (in Berlin)

    Mein Neid ist mit Euch. Alles gute und bis bald.
    R.